provinzler hat geschrieben:Ich nannte namentlich die Vorwürfe an die Fachzeitung Kicker, die sich weigerte das Privatleben Herrn Hitzelspergers breitzutreten, wie sich auch bei allen andren weigert. Der Kicker berichtet über das Geschehen auf dem Sportplatz nicht in den Schlafzimmern. Und dafür unterstellt man den Verantwortlichen nun panische Ängste (eine Phobie).
Ich kenne die spezifische Situation nicht, aber wenn es so ist, dass der Kicker grundsätzlich private Themen nicht aufgreift, ist das ok. Wobei sich für mich persönlich schon die Frage stellt, ob es nicht sinnvoll wäre, ein Thema, das ja doch über Hitzlspergers Privatleben hinaus Relevanz für die Fußballkultur hat, aufzugreifen. Pauschale Unterstellungen würde ich daraus aber nicht ableiten.
provinzler hat geschrieben:Schau dir mal an, für welche (Nicht-)Aussagen man heute als homophob gilt (siehe mein Beispiel mit dem Kicker).
Gerade deshalb ist es aber doch sinnvoll, über das Thema zu sprechen, oder nicht? Sowohl antischwule Äußerungen wie auch die präventive Unterstellung, jemand wäre homophob, sind inakzeptabel, aber das wird ja nicht dadurch besser, dass man das Thema ignoriert.
provinzler hat geschrieben:Hast du dir die Suggestivfragen auf der letzten Seite durchgelesen? Das was bei solchen Fragen bei Kindern hängen bleiben soll, ist dass Heterosexualität unnormal, schädlich, ja geradezu verbrecherisch ist.
Das ist schon ein Unterschied zu der lapidaren Feststellung: Gibts halt auch,schadet niemandem, also was solls...
Ja, das ist ein Unterschied, und dafür habe ich auch nichts übrig. Allerdings stammen die Fragen aus der Broschüre einer Gewerkschaft und sind kein offizielles Unterrichtsmaterial, wenn ich das richtig sehe.
provinzler hat geschrieben:Versteh mich nicht falsch, ich bin absolut dabei, wenn Lehrer gegen so einen "schwule Sau"-Rufer disziplinarische Maßnahmen ergreifen. Und ich fand die oben beschriebenen Beispiele schon damals hochgradig albern. Aber deswegen in der Art und Weise der kopierten Fragen (die wohlgemerkt als Unterrichtsvorlage gedacht sind) Heterosexualität herabzuwürdigen sehe ich als ganz gefährlich an. Das wird auf die Dauer ebenso nicht gutgehen, wie der Versuch einiger Protagonisten der Frauenbewegung alle Männer zu kriminalisieren (Für die SPD beispielsweise sind Männer laut Programm keine Menschen!).
Nein, das wird sicher nicht gut gehen. Allerdings ist es meines Erachtens unfair, ein an und für sich legitimes Ansinnen zu dikreditieren, indem man lediglich darauf eingeht, was die radikalen Flügel produzieren. Sicherlich ist das, was die GEW da vorschlägt, Nonsens, aber das heißt nicht, dass das a) offizieller Lehrplaninhalt wird, dass es b) von den Lehrern tatsächlich so umgesetzt wird (halte ich bei den meisten für unwahrscheinlich) und dass man deshalb das gesamte Projekt versenken muss. Die interessante Frage wäre doch: Wie kann man es thematisieren, so dass die Toleranz für alle steigt? Denn das grundlegende Ziel ist doch, dass die Kinder sich sexuell frei entwickeln dürfen und keine Angst vor Tabus haben müssen, egal ob sie nun hetero-, bi- oder homosexuell veranlagt sind.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Anständig sein ist doch nicht zu viel verlangt oder?
Nein, deswegen sollte eine Lehrkraft entsprechend Verbalinjurien auch sanktionieren, ohne wenn und aber.
Da sind wir auf einer Linie. Allerdings glaube ich, dass das allein nicht ausreicht. Solche Themen sollten aktiv besprochen werden, wobei das natürlich bedeutet, nicht suggestiv zu sein, da gebe ich dir widerum recht. Man kann ja nicht einerseits fordern, dass die Kinder sich eine eigene Meinung bilden und ihnen dann durch die Hintertür einreden, welche das sein soll.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Schau dich doch mal um. Wenn etwas bevorzugt wird, politisch, rechtlich, kulturell, gesellschaftlich, dann ganz sicher das heterosexuelle Modell. Von jeder Waschmittelpackung grinsen einen traditionelle Familien an.
Könnte an der Kundenpräferenz liegen, oder?
Jein. Das ist natürlich ein Henne-Ei-Problem, das zu einer positiven Rückkopplung neigt. Die Hersteller erwarten, dass die Kunden darauf anspringen und die Kunden denken, dass ein solches Familienideal von ihnen erwartet wird. Es wäre etwas naiv, anzunehmen, dass der Werbung eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung zugrunde liegt, denn das Produkt und sein Umfeld sind natürlich in einen kulturellen Kontext eingebettet. An genau solche Kontexte erinnert der Hersteller unterschwellig, was dem Kunden das Gefühl gibt, dass es Sinn macht, das Produkt zu kaufen (und in dem Fall: Dass es die Frau kauft, dass es die Frau benutzt und dass es "unmännlich" und gar "unnormal" wäre, wenn der Mann es tut).
Das ist kein Vorwurf an den Hersteller, sondern erst mal nur eine nüchterne Feststellung, dass man mit den meisten Äußerungen oder eben Werbebotschaften, die man so von sich gibt, nicht ausschließlich sein Produkt bewirbt, sondern eben auch an der Herstellung und Fortführung von Kultur teilnimmt. Und von daher sagt es eben über die nüchternen Kalkulationen der Marketingabteilung hinaus durchaus etwas über die Kultur aus, in der ein Produkt eingebettet ist, wenn solche Familienbilder perpetuiert werden. Das ist ja nicht für sich genommen schlecht oder problematisch, es ist sogar unumgänglich, weil Kultur einfach so funktioniert, aber man sollte sich solcher Mechanismen halt bewusst sein.
provinzler hat geschrieben:Ich würde auch mal tippen, dass es in der Werbung mehr junge hübsche Frauen, als alzheimerkranke Tattergreise gibt. Es werden weitaus mehr Fußballspiele als Rollhockeyspiele im Fernsehen übertragen, ganz einfach weils mehr Menschen interessiert. Müssen wir jetzt deswegen Sportartquoten im Schulsport einführen, nur damit die Minderheit der Rollhockeyspieler nicht mehr so benachteiligt wird?
Ich glaube, du hast missverstanden, worauf ich hinauswollte: Es ging mir nicht darum, dass über staatliche Regelungen irgendeine Gleichstellung im öffentlichen Diskurs erzwingen solle. Das wäre meines Erachtens ein sinnloses Unterfangen. Mir ging es nur darum, klar zu stellen, dass wir in einer stark heterosexuell ausgerichteten Kultur leben und dieses Gerede von einer drohenden Übermacht der Homosexualität ein künstlich gehypter Schattengegner ist, der, so vermute ich, von dem Teil der Gesellschaft hochgejazzt wird, der innerlich weit weniger tolerant gegenüber anderen sexuellen Orientierungen ist, als er vorgibt, zu sein. Denn wären Homosexuelle nicht mit einer Menge Vorurteilen belegt, wäre der Umgang mit dem Thema ganz sicher gelassener und weit weniger emotional. Da wirkt schon vieles nach Abwehrreflexen und Ängsten, dass eine idyllische Familienwelt im Disney-Stil bedrohnt sei. Sorry, aber da können wir doch zusammen drüber stehen, oder?
provinzler hat geschrieben:Werde ich als Minderheit tyrannisiert, nur weil eine Mehrheit andre Produkte schätzt als ich, und es dewegen für mich schwerer wird sie zu kriegen?
Wenn die Mehrheit unterstellt, dass mit dir etwas nicht in Ordnung ist, weil du gebundene Bücher magst, wenn dir gar unterstellt wird, du würdest dadurch die Lesekultur gefährden, dann würdest du dich schon angegriffen fühlen, oder?
provinzler hat geschrieben:Das was ich unter "Tyrannei" verstehe ist, andren mit Gewalt (hierzulande ja Staatsmonopol) die eigenen Ansichten und Vorstellungen aufzwingen zu wollen. Die jahrzehntelange Kriminalisierung in der BRD (bis 1994 durch §175 StGB) entspräche also dieser Definition. Bleibt noch die Frage wie Verleumdungen/Beleidigungen zu behandeln sind. Aber auch dafür gibts eigentlich ausreichend Gesetze.
Meines Erachtens erschöpft sich die Frage eines liberalen, pluralistischen Miteinanders nicht in Gesetzestexten. Die Texte sind ja wiederum eingewoben in eine Interpretationskultur, d.h. dass da irgendwo ein Buch rumliegt, in dem etwas so und so steht, bringt nur etwas, wenn Polizei, Gerichte und genug couragierte Zivilisten auch im ursprünglichen Sinne des Gesetzgebers handeln, sonst ist der Text für den Papierkorb gewesen.
Mir geht es daher auch in keiner Weise um Gesetze, sondern darum, dass Homosexualität im öffentlichen Diskurs als Normalität ankommt. Vielerortens sind wir da auf einem guten Weg, aber eben nicht überall. Deshalb unterstütze ich das prinzipielle Ziel, im Unterricht darüber zu sprechen, wie man am besten mit Leuten umgeht, die anders sind. Das ist vielleicht sogar gerade in einem Alter, in dem es häufig sehr darum geht, konventionell zu sein und dazu zu gehören, ziemlich wichtig. Und um mehr geht es meines Erachtens nicht. Dass Heterosexualität nicht kriminalisiert werden darf (stelle ich mir bei über 90% Heterosexuellen aber auch echt schwierig vor), ist klar, aber das sind meines Erachtens hysterische Randerscheinungen von Leuten, die ein hehres Motiv übertrieben haben.