Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon JustFrank » Sa 3. Okt 2009, 13:51

@Klaus: Da hast du wohl recht, dass alle Religionen auf dem Zeitpfeil nach hinten marschieren. Beim Islam ist es nur so, dass dazu noch eine primitive und brutale Gesellschaftsordnung, verknüpft mit einem ausgeprägten Mangel an Bildung kommt.
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Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon Nanna » Sa 3. Okt 2009, 14:51

Das trifft auf die anderen abrahamitischen Religionen oder den Hinduismus leider genauso zu, glücklicherweise haben sich die Menschen in manchen Teilen der Welt mittlerweile weit genug davon distanziert und sehen Religion mehr als Lifestyle, denn als Überzeugung an, deren Forderungen konsequent erfüllt werden müssen.

Ob damit alle Religionen als rückwärtsgewandt bezeichnet werden können, weiß ich nicht. Offenbarungsreligionen waren sozusagen state-of-the-art, als sie gegründet wurden, auch der Islam war fortschrittlich. Die heute als grausam empfundenen Strafen waren im Vergleich zum Vorzustand milder und Frauen bekamen zwar keine Gleichberechtigung, aber immerhin verbindlichen Schutz durch Rechtsnormen. Das Problem an Religionen ist ihr stark konservativer Charakter. Da alle Propheten anscheinend hochgradig egozentrisch waren und glaubten, die perfekte Gesellschaft geschaffen zu haben, planten sie von vornherein nichteinmal die Möglichkeit ein, dass Normen und politische Anforderungen sich weiterhin ändern würden und daher auch soziale Regeln immer wieder reformbedürftig sein würden. Ich würde daher nicht von einer Rückwärtsbewegung sprechen, sondern einfach von Verharren.
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Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon Klaus » Sa 3. Okt 2009, 15:33

Sprechen wir hier über Religionen oder ihre weltlichen, ideologischen Erscheinungen.
Der Islam unterscheidet sich in meinen Augen überhaupt nicht, sowohl inhaltlich als auch in seiner Auslegung, von den anderen Religionen. Der politische Islam ist schon mittelalterlich und reaktionär. Das trifft aber auch für den Katholizismus zu.
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Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 3. Okt 2009, 18:48

Klaus hat geschrieben:Der politische Islam ist schon mittelalterlich und reaktionär. Das trifft aber auch für den Katholizismus zu.
:erschreckt: WIR sind doch Papst! Ich bitte dich!
:mg: Nett wie die ge-BILD-edete Masse erschreckt aufwacht und es trotzdem immer noch nicht wahrhaben will, was jeder schon lange wissen konnte. Stockkonservativ ist eine höfliche Umschreibung - schon fast verlogen euphemistisch - und ohne nationalistische Brille hätten es auch die Medien weiterhin schreiben und berichten können, denn schließlich Jahre vorher war es ja doch schon in den Medien.
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Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon pinkwoolf » Sa 3. Okt 2009, 21:01

Klaus hat geschrieben:Der politische Islam ist schon mittelalterlich und reaktionär. Das trifft aber auch für den Katholizismus zu.

Da gibt es aber doch den einen oder anderen Unterschied. Abgesehen vom Vatikan gilt in katholischen Ländern grundsätzlich die Trennung von Staat und Kirche, auch wenn die Kirche - teils mehr, teils weniger erfolgreich - versucht den Fuß in die Tür zu stellen. Diese Trennung wird vom "politischen Islam" schon per definitionem ausgeschlossen.

Außerdem gibt es zahllose Katholiken, die zwar weiterhin aus mir unerfindlichen Gründen am Katholizismus festhalten, aber dennoch die Verkündungen des Papstes fröhlich ignorieren und nicht selten sogar verspotten.

Moslems ignorieren meines Wissens recht häufig das Alkoholverbot; aber andere weitaus ignorierenswertere Verhaltensregeln werden peinlich beachtet. Wehe wenn nicht!
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Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon Nanna » So 4. Okt 2009, 02:23

Das ist richtig und ist, zumindest von der Außenperspektive gesehen, ein Geburtsfehler des Islam: Mohammed hatte keine Regeln für seine Nachfolge hinterlassen, sondern nur gewisse Richtlinien, wie die Gemeinde Wahrheit von Irrtum unterscheiden könne. Im Islam obliegt das Streben nach der wahren Religion, ijtihad (etymologisch und semantisch verwandt mit jihad), jedem individuellen Muslim, ein institutionalisierter Klerus konnte sich nie herausbilden, stattdessen sind auch die heutigen religiös bedeutsamen Gelehrten (ulama) im Grunde offiziell Laien, die keine höheren Weihen empfangen haben. Während im Westen die Kirche ihr Monopol in religiösen Fragen erfolgreich verteidigte und somit eine klare Grundlage für die spätere Trennung von weltlicher und geistlicher Macht legte, sowie durch die Institutionalisierung schon früh eine über Verwandtschaftsinteressen hinausgehende Struktur schaffte, bestand in der islamischen Welt immer ein fragiles Gleichgewicht zwischen den gelehrten Laien und den Inhabern militärischer Macht. Weder das relativ schnell von Machtinteressen zerriebene Khalifat, noch das zentralistische Osmanische Reich konnten daher die tribalistischen Strukturen aufbrechen. An diesem machtpolitischen Versagen krankt der Islam noch heute. Im Westen konnte sich dagegen eine stark durchinstitutionalisierte Doppelstruktur herausbilden, bei der die weltliche Seite im Gewand des modernen Nationalstaats schließlich die Oberhand gewann und die Loyalität der Menschen für sich beanspruchen konnte und damit nebenbei auch familienzentrierte Strukturen (Aristokratie) zerschlug. Da die Trennung der beiden Sphären in der islamischen Welt nie konsequent stattfinden konnte, konnten dort tribalistische und patriarchalische Gesellschaftsstrukturen auch besser überleben.
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Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon pinkwoolf » So 4. Okt 2009, 04:07

Nanna hat geschrieben:Während im Westen die Kirche ihr Monopol in religiösen Fragen erfolgreich verteidigte und somit eine klare Grundlage für die spätere Trennung von weltlicher und geistlicher Macht legte...

Das verstehe ich nicht.

Ich hätte eher vermutet, dass gesunder Menschenverstand die geistliche Macht in ihre Schranken verwiesen hat.
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Re: Hilfe, Christliche Zivilisation! Was tun?

Beitragvon Nanna » So 4. Okt 2009, 14:29

Der gesunde Menschenverstand hatte sicherlich seinen Anteil, allerdings sehen wir doch gerade an der derzeitigen Situation, dass er alleine selten ausreicht, sondern dass er eine Machtbasis braucht, die ihm zur Durchsetzung verhilft.

Um nochmal den entscheidenden Unterschied zu skizzieren:
In der islamischen Welt gibt es einen Laien-Klerus, der keinerlei institutionalisierte Hierarchie besitzt - was nicht heißt, dass es keine gibt, aber die Grenzen sind schwammiger und es gibt keinen zentralen Kopf wie den Vatikan. Im Westen dagegen war die Religion schon immer institutionalisierter und damit auch angreifbarer und hatte auch einen anderen machtpolitischen Status, da jeder, der die Kirche angriff auch gleichzeitig - willentlich oder unwillentlich - die Religion attackierte. Dazu kommt, dass es seit dem Investiturstreit vor fast 1000 Jahren eine grundlegende Trennung von Kirche und Staat gab. Das Vorhandensein dieser beiden Sphären führte zwangsläufig zu Machtkonflikten, die das aufstrebende Staatswesen, das seinen Höhepunkt im modernen Nationalstaat fand, letztlich für sich entschied. Man sehe sich nur die Geburtsstunde des Nationalstaats, die französische Revolution an, das war auch ein brutaler Machtkampf gegen die Privilegien der klerikalen Institutionen - die es im Islam so eben nicht gab und die deshalb auch nicht als Feindbild taugten.
Natürlich spielten die Aufklärer eine sehr wichtige Rolle, aber eine politische Idee wie die Säkularisierung hat eben nur Durchsetzungschancen, wenn die Zeit reif für sie ist, genau wie beispielsweise der Kommunismus seine Attraktivität erst entfaltete, als der Manchesterkapitalismus ein großes Proletariat geboren hatte. In einem bayerischen Kuhdorf mit traditionellen Sozialstrukturen wäre Marx folgerichtig wohl kaum auf Resonanz gestoßen. Man darf auch nicht vergessen, dass die Aufklärer anfangs religiös waren und den Prozess zum Naturalismus hin Hand in Hand mit dem Ausgreifen des Nationalstaates auf alle möglichen Bereiche machte. Weder Ideen noch Machtinteressen dürften da alleine der Motor gewesen sein, sondern sich eher in einem dialektischen Prozess gegenseitig angetrieben haben.
Als die echten Totengräber der Kirche und damit langfristig des traditionellen Christentums entpuppte sich daher das aufstrebende Bürgertum, das mit seinem hohen Bildungsgrad einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem alten Adel hatte, in der Wirtschaft und dem Beamtentum aufstieg und schließlich auch politisch Macht einforderte, was zu einer Feindschaft des frühen Nationalstaates (aufgekommen durch den Westfälischen Frieden, der das Ende eines der schaurigsten Religionskriege der Geschichte besiegelte) gegenüber dem Klerus führte. Als Beispiel sei hier nochmal die Französische Revolution, aber auch die Säkularisation (Reichsdeputationsbeschluss 1803) und natürlich als Höhepunkt der sozialistische Staat mit einer extrem etatistischen Ideologie angeführt.

Um jetzt nochmal auf den Islam zurückzukehren: Eine Trennung der Sphären gab es nie und damit auch keinen Machtkonflikt, in dem religiöse und weltliche Führer um die Macht gestritten hätten. Religion und weltliche Politik stehen sich im Islam nicht diametral gegenüber, stattdessen ist die Religion eine Art Überbau, die bis zum Aufkommen des Islamismus (eine gänzlich von modernen westlichen Begriffen durchsetzte Ideologie) auch kaum politisch im Sinne einer Ausgrenzung von Ungläubigen instrumentalisiert wurde. Ideen wie das Gottesgnadentum gab es nicht, Machtkämpfe wurden immer als sehr weltliche Angelegenheit zwischen verschiedenen Dynastien und Stämmen gesehen, weshalb sich eben auch keine stammes- und dynastienübergreifende Institution wie die Kirche ausbilden konnte, die dann durch sozialen Wandel weltliche Ableger wie Städte oder andere öffentliche Institutionen produzierte, also die Keimzellen des modernen bürokratischen Staates legte und somit ihren eigenen Nachfolger heranzüchtete.

Etwas übersichtlicher als ich hat das Malise Ruthven in einem kleinen Reclam-Heftchen "Der Islam" auf S.24ff. im Kapitel "Erfolge und Mißerfolge des islamischen Staates" formuliert, auch sonst ein nettes, gut zu lesendes Überblickswerk über den Islam für alle, die sich dafür interessieren.
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