Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Sa 14. Feb 2009, 22:41

Es ist gar nicht so einfach, z1 und z2 zu bestimmen. Ich habe versucht, Zahlen für z2 zu finden. Ich fand nur wenige Quellen:

Dies stammt aus einem amerikanischen Zeitungsartikel (Boston Globe, 2006) (http://www.jeffjacoby.com/216/the-fallacy-of-life-in-prison)

    "An astonishing number of violent crimes are committed by released prisoners. In a 1995 study, the Bureau of Justice Statistics found that in one 17-month period, criminals released on probation or parole inflicted at least 218,000 violent crimes, including 13,200 murders."

    "At least 8 percent of prisoners currently on death row had already been convicted of homicide before committing the murder for which they were sentenced to death. There have been 7,250 death sentences since 1976, suggesting that at least 600 additional victims died because their killers were not executed the first time they murdered."
Nicht ganz klar ist mir, worauf sich die Zahlen beziehen. Ich vermute mal auf die gesamte USA.
Ich fasse mal zusammen, in der Hoffnung, ich lese das im englischen richtig:
Innerhalb von 17 Monaten wurden von Häftlingen auf Urlaub oder Bewährung 13.200 Morde begangen. Welche 17-Monats-Periode gemeint ist, geht aus dem Artikel nicht hervor.
8% der zum Tode verurteilten Mörder waren voher schon einmal wegen Mordes verurteilt worden. Angesichts der Gesamtanzahl von Todesurteilen kann man hochrechnen, dass mindestens 600 Opfer noch leben würden, wenn die 8% bereits beim ersten Prozess zum Tode verurteilt worden wären.

Also, z2 (die Zahl der Opfer, die möglicherweise durch Todesurteile verhindert werden) ist nach diesen Aussagen immerhin nicht gerade klein.

Ein halbwegs aktuelles Beispiel aus Deutschland habe ich noch gefunden. Naja, Einzelbeispiele helfen natürlich nicht, aber es passt so schön:
Meldung vom 10.08.2008 : Dreifachmörder mordete nach Haft erneut
(http://diepresse.com/home/panorama/welt/405088/index.do?from=simarchiv)

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Bei einem Todesurteil gibt es ja sozusagen ein besonders teures, besonders sorgfältiges und langes Verfahren mit besonders viel Revisionsmöglichkeiten inklusive Gnadengesuchen.
Naja, weiß nicht so recht.

Ich verstehe nicht, wieso du nicht so recht weiß. Der Link, den du angegeben hast, also dieser Fall des nach 17 Jahren revisionierten Todeskandidaten, zeigt doch, dass das mit der fehlenden Revision offenbar nicht so ganz stimmt. 17 Jahre! Das ist viel länger als in Deutschland die lebenslange Haft dauert (in dem oben genannten Artikel wird erwähnt, dass man in Deutschland üblicherweise nach 15 Jahren auf Bewährung entlasssen wird). Kein Wunder, dass durch Todesstrafe keine Kosten eingespart werden. Und sobald heutzutage irgendwelche DNA-Spuren auftauchen, die auch nur Zweifel sähen, werden die Todeskandidaten entlassen. (hier zu lesen unter "Freilassung nach 27 Jahren Haft" http://nachrichten.t-online.de/c/17/11/60/02/17116002.html) Ich hätte zur Bestätigung meiner Aussage keinen besseren Link als deinen angeben können. Und du weißt nicht so recht?

AgentProvocateur hat geschrieben:Es geht aber in diesem Zusammenhang darum, dass man es billigend in Kauf nimmt, Unschuldige zu töten. Und dafür müsste man schon einen wirklich guten Grund haben. Welcher ist das also? Die Sicherheit der Gesellschaft ist es nicht, da diese auch auf anderem Wege erreicht werden kann. Also Befriedigung von Rachebedürfnissen? Reicht das denn tatsächlich aus?

Es ist nicht "Befriedigung von Rachebedürfnissen" sondern "Entsprechung des Gerechtigkeitempfindens". Und ob das tatsächlich ausreicht, dazu müsste man sich die Zahlen dann wieder abwägend vor Augen führen. Wie viele Leute werden unschuldig hingerichtet? (was ist also z1?) Das ist vermutlich auch so eine Dunkelziffer, die man niemals genau ermitteln kann. Die oben genannten Zahlen zu z2 legen jedenfalls nahe, dass auch ohne Todesstrafe das System Justiz jede Menge unschuldig getötete in Kauf nimmt bzw. nehmen muss.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Sa 14. Feb 2009, 22:51

Twilight hat geschrieben:Ab hier traue ich mich kaum, weiter zu argumentieren.

Hättest du es doch nur gelassen. :^^:

Twilight hat geschrieben:Die Todesstrafe dient auf Grund der Ausnahmen für nicht Straffähige nicht dem Schutz der Bevölkerung.

Schutz der Bevölkerung ist sicher nicht der eigentliche Grund. Aber ein Schutz tritt durchaus ein, wenn ich die eben zitierten Statistiken halbwegs für voll nehme.
Twilight hat geschrieben:Eine Rache kommt nicht zustande, da wenigstens versucht wird, schmerzfrei zu töten.

2 Fehler sehe ich hier:
1) Wieso ist eine Rache nur dann gegeben, wenn Schmerzen im Spiel sind? Töten alleine reicht dir nicht?
2) Wieso eigentlich überhaupt "Rache"? Liebe Freunde, das mit der Rache macht doch gar keinen Sinn. Die Leute, die in den USA entscheiden und entschieden haben, dass Todesstrafe gemacht wird, werden doch wohl in den seltensten Fällen nahestehende Mordopfer kennen, für die sie Rache nehmen wollten. Der Grund für die Todesstrafe kann also wohl kaum Rache sein. Wieso fällt hier nicht öfter der richtige Begriff "Gerechtigkeitsempfinden" und seltener der falsche Begriff "Rache"?

Twilight hat geschrieben:Was von dem Ganzen bleibt ist also Nichts.
Außer Mord.
Und das wiederum macht das Ganze paradox, weil es ja ein System GEGEN Mörder sein soll.

Spätestens an dieser Nullsummenstelle hätte dir klar werden können, dass also offenbar etwas mit deiner Argumentationskette nicht stimmen kann. Es sei denn, du hälst es für wahrscheinlich, dass die USA das mit der Todesstrafe einfach mal so, ohne wirklichen Grund machen.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 14. Feb 2009, 23:36

ganimed hat geschrieben:Ein halbwegs aktuelles Beispiel aus Deutschland habe ich noch gefunden. Naja, Einzelbeispiele helfen natürlich nicht, aber es passt so schön:
Meldung vom 10.08.2008 : Dreifachmörder mordete nach Haft erneut
(http://diepresse.com/home/panorama/welt/405088/index.do?from=simarchiv)

Genau, Einzelbeispiele gibt es natürlich. Viel interessanter sind doch aber empirische Untersuchungen wie zum Beispiel diese. Bzw. siehe auch dort ab Seite 46 für die Zusammenfassung anderer Studien. Daraus ergibt sich, dass die Rückfallquote von Mördern (auf ein erneutes Tötungsdelikt bezogen) in den untersuchten Ländern sehr gering ist.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Bei einem Todesurteil gibt es ja sozusagen ein besonders teures, besonders sorgfältiges und langes Verfahren mit besonders viel Revisionsmöglichkeiten inklusive Gnadengesuchen.
Naja, weiß nicht so recht.

Ich verstehe nicht, wieso du nicht so recht weiß.

Ich weiß nicht so recht, weil Du hier zu behaupten scheinst, ein besonders langes Verfahren könne eine gewisse / hinreichende Sicherheit bei der Schuldfeststellung gewährleisten. Dem ist aber offensichtlich nicht so.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es geht aber in diesem Zusammenhang darum, dass man es billigend in Kauf nimmt, Unschuldige zu töten. Und dafür müsste man schon einen wirklich guten Grund haben. Welcher ist das also? Die Sicherheit der Gesellschaft ist es nicht, da diese auch auf anderem Wege erreicht werden kann. Also Befriedigung von Rachebedürfnissen? Reicht das denn tatsächlich aus?

Es ist nicht "Befriedigung von Rachebedürfnissen" sondern "Entsprechung des Gerechtigkeitempfindens".

Wie Du es nennst, ist mir eigentlich wurscht. Ich frage nach der Legitimation. Und da sehe ich keine. "Entsprechung des Gerechtigkeitsempfindens" legitimiert es, die Hinrichtung Unschuldiger in Kauf zu nehmen? Nee, wohl doch kaum, oder etwa doch?

ganimed hat geschrieben:Und ob das tatsächlich ausreicht, dazu müsste man sich die Zahlen dann wieder abwägend vor Augen führen. Wie viele Leute werden unschuldig hingerichtet? (was ist also z1?) Das ist vermutlich auch so eine Dunkelziffer, die man niemals genau ermitteln kann. Die oben genannten Zahlen zu z2 legen jedenfalls nahe, dass auch ohne Todesstrafe das System Justiz jede Menge unschuldig getötete in Kauf nimmt bzw. nehmen muss.

Wenn Du mal wieder die von Mördern getöteten Opfer hiermit meinst: ja, in der Tat, das kann kein Justizsystem der Welt verhindern.

Du hast übrigens schon wieder vergessen, dass es eine Alternative zur Todesstrafe gibt, (sofern jemand mit der dadurch angeblich erhöhten Sicherheit für die Bevölkerung argumentiert), nämlich die Sicherheitsverwahrung, Dein z2 also sowieso nicht für die Todesstrafe spricht. Wenn jemand mit hinreichender Sicherheit als Tötungsdelikt-Rückfalltäter eingestuft wird, dann kann er in Sicherheitsverwahrung genommen werden und also keinen weiteren Mord begehen. Ist diese hinreichende Sicherheit aber nicht vorhanden, dann muss er irgendwann frei gelassen werden. Und dann kann er einen weiteren Mord begehen und das kommt auch vor. Aber das ist mAn unvermeidbar, bzw. wüsste ich nicht, wie das in einer freiheitlichen Gesellschaft zu vermeiden wäre.

Und selbst wenn Du meine Ansicht, dass dies unvermeidbar sei, nicht teilen solltest, also meinen würdest, schon ein wesentlich geringerer Verdacht eines künftigen Mordes oder auch eine bestimmte statistische Wahrscheinlichkeit für die Mordneigung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe würde ausreichen für wesentliche von der Gesellschaft bestimmte Einschränkungen der individuellen Freiheit, dann bleibt immer noch kein Millimeter Platz für Dein z2-Argument pro Todesstrafe. Denn dann frage ich erneut: warum Hinrichtung und nicht Sicherheitsverwahrung?
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon Twilight » So 15. Feb 2009, 09:52

ganimed hat geschrieben:Hättest du es doch nur gelassen.

Dann würde ich ohne Feedback auf meiner eigenen Meinung festsitzen.

ganimed hat geschrieben:Schutz der Bevölkerung ist sicher nicht der eigentliche Grund. Aber ein Schutz tritt durchaus ein, wenn ich die eben zitierten Statistiken halbwegs für voll nehme.

Dieser Schutz ist immerhin eines der Pro-Argumente für die Todesstrafe. Dieses Argument ist aber wegen der vorher schon erwähnten Verschonung von nicht Straffähigen inkonsequent und meiner Meinung nach daher nicht zulässig.
ganimed hat geschrieben:das mit der Rache macht doch gar keinen Sinn

Eben. Manche bezeichnen es auch als Vergeltung, was aber keinen Unterschied macht. Meinst du, dass ein Ankläger so etwas wie Genugtuung empfindet, wenn jemanden, der einen Angehörigen mehrfach vergewaltigt und dann erdrosselt hat, einfach das Licht ausgeknipst wird? Kaum. So human sind die meisten Menschen nicht.
ganimed hat geschrieben:Der Grund für die Todesstrafe kann also wohl kaum Rache sein.
Sag ich doch. Dennoch ist der Punkt Rache, beziehungsweise Vergeltung sehr oft oder auch Auge-um-Auge-"Gerechtigkeit" manchmal zu finden, wenn nach Fürsprachen der Todesstrafe gesucht wird.

ganimed hat geschrieben:Es sei denn, du hälst es für wahrscheinlich, dass die USA das mit der Todesstrafe einfach mal so, ohne wirklichen Grund machen.

Einen Grund kann man immer für alles mögliche finden. Ob es ein guter Grund ist, ist allerdings manchmal fraglich. Sicherlich gibt es Gründe, dass in vielen Ländern die Todesstrafe ein Teil des Rechtssystems ist, ebenso wie es Gründe gibt, dass sie in anderen Ländern abgeschafft wurde.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » So 15. Feb 2009, 10:30

Also Todesstrafe nein, weil es keine "Strafe" im üblichen Sinne ist und nur den Rachegelüsten Angehöriger der Opfer oder Außenstehender dient. (Wobei ich meine, dass Wegsperren auch in gewisser Weise dem Rachegedanken dienlich ist.)

Die Alternative zur Todesstrafe und zum Wegsperren bleibt dann aber nur wieder das besondere Kümmern um die Täter. Eine "Besserungsanstalt", wie oben erwähnt, sollte demnach auch einen besseren Menschen wieder entlassen. Um eine optimale Rückführung in die Gesellschaft zu erreichen muß auch eine optimale Betreuung gewährleistet sein und dass die weniger kostet, als der Tod, das muß erst mal vorgerechnet werden. Aber gut.

Die andere Frage ist, warum kann man nicht im Vorfeld schon Greueltaten mit Todesfolge verhindern?
Sollte nicht den Tätern das Leben der anderen "heilig" sein?, bevor wir uns fragen müssen, ob uns das Leben der Täter "heilig" ist?

Die genaue Betrachtung von Kindheit und Jugend der Täter würde vermutlich ergeben, wo sich die Gesellschaft schon im Vorfeld mitschuldig gemacht hat. Dass Sadismus ein Gehirnschaden ist, das könnte schon sein, aber ob er genetisch bedingt oder von Gesellschaftseinflüssen gesteuert auftritt, das wäre nochmal eine andere Frage.

Ich wundere mich eigentlich nur, dass in einer Welt voller Knallerei- und Actionkrimis, voller Kriegsspiele und schlechten Nachrichten, die Menschen doch relativ wenig morden. Ist nicht doch unsere christliche Kultur dafür verantwortlich, dass die meisten Menschen das Leben ihres Nächsten hochschätzen, also als "heilig" betrachten?
Denn wie man sieht sind andere Kulturen da weniger zimperlich.

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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 15. Feb 2009, 13:14

stine hat geschrieben:Die Alternative zur Todesstrafe und zum Wegsperren bleibt dann aber nur wieder das besondere Kümmern um die Täter. Eine "Besserungsanstalt", wie oben erwähnt, sollte demnach auch einen besseren Menschen wieder entlassen. Um eine optimale Rückführung in die Gesellschaft zu erreichen muß auch eine optimale Betreuung gewährleistet sein und dass die weniger kostet, als der Tod, das muß erst mal vorgerechnet werden. Aber gut.
Man sollte vielleicht schon unterscheiden was der Tod kostet von was eine Tötung kostet.
Wenn du natürlich nur rein wirtschaftlich-eutnanischtisch (im negativen Sinn) denkst, ist die Frage was kostet der Tod (nämlich das Leben) natürlich nicht einml drittrangig.
stine hat geschrieben:Die andere Frage ist, warum kann man nicht im Vorfeld schon Greueltaten mit Todesfolge verhindern?
Sollte nicht den Tätern das Leben der anderen "heilig" sein?, bevor wir uns fragen müssen, ob uns das Leben der Täter "heilig" ist?
Ja, aber das eine hat mit dem anderen wenig zu tun, jedenfalls wenn man nicht auf das "Alte Testament" baut.
Weil der eine böses tut, keine Empathie hat, kein Gewissen etc. kann ich jetzt auch die Sau raus lassen und töten, wie es meine Rachegelüste und/oder mein Geldbeutel wollen?
stine hat geschrieben:Die genaue Betrachtung von Kindheit und Jugend der Täter würde vermutlich ergeben, wo sich die Gesellschaft schon im Vorfeld mitschuldig gemacht hat. Dass Sadismus ein Gehirnschaden ist, das könnte schon sein, aber ob er genetisch bedingt oder von Gesellschaftseinflüssen gesteuert auftritt, das wäre nochmal eine andere Frage.
Eine Frage deren Relevanz auch umstritten ist, abgesehen davon, dass wohl (zum Glück) nur wenige Mörder aus Sadismus morden (du solltest nicht zu viel Horror-Filme ansehen, siehe deine Anmerkung), fehlende Empathiefähigkeit schon eher.
stine hat geschrieben:Ich wundere mich eigentlich nur, dass in einer Welt voller Knallerei- und Actionkrimis, voller Kriegsspiele und schlechten Nachrichten, die Menschen doch relativ wenig morden. Ist nicht doch unsere christliche Kultur dafür verantwortlich, dass die meisten Menschen das Leben ihres Nächsten hochschätzen, also als "heilig" betrachten?
Nein, sicherlich nicht. "Morde Deinesgleichen" nicht, scheint sehr vielen Tieren intus zu sein, je "höher" ein Tier steht, desto höher kann es abstrahieren, was "seinesgleichen" ist. Der Löwe sieht sein Rudel (und in der Regel auch andere) als seinesgleichen an, nur nicht die kleinen (noch zu stillenden) Löwenbabies im Rudel, wenn sie noch vom vorhergehenden Rudelführer stammen. Schimpansen töten i.d.R. nicht im eigenem Rudel, außer es passt ihnen ins Kalkül (jedenfalls meine ich dementsprechende glaubhafte Berichte mal gelesen zu haben) und der christliche Mensch hat fräöhlich getötet, schon gar alles was den falschen Glauben hatte, aber auch innerhalb der eigenen Gruppe.
Erst Humanismus und Aufklärung versuchten sich davon zu lösen und haben es mit der Zeit geschafft, dass immer mehr Mitglieder der Spezies Homo sapiens auch als Bestandteil der eigenen Art gesehen wurden.
"Du sollst nicht töten" ist in den meisten Religionen - so auch im Christentum - in der Praxis primär nur für die eigene Sippe geltend.
stine hat geschrieben:Denn wie man sieht sind andere Kulturen da weniger zimperlich.
Schau dir die "christlichen" Kulturen an, in denen Aufklärung, Humanismus etc. nichts zu sagen haben
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » So 15. Feb 2009, 13:43

stine hat geschrieben:Sollte nicht den Tätern das Leben der anderen "heilig" sein?, bevor wir uns fragen müssen, ob uns das Leben der Täter "heilig" ist?

Uns ist das Leben der anderen "heilig" und um das zu unterstreichen und um zu zeigen, wie ernst uns das ist, nehmen wir anderen das Leben?

Öhm, das ist nu mal 'ne echt beeindruckende Logik.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » So 15. Feb 2009, 14:12

Man sieht ja schon innerhalb solcher Diskussion, wie unterschiedlich die Gehirnströme fließen.
AgentProvocateur hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Sollte nicht den Tätern das Leben der anderen "heilig" sein?, bevor wir uns fragen müssen, ob uns das Leben der Täter "heilig" ist?

Uns ist das Leben der anderen "heilig" und um das zu unterstreichen und um zu zeigen, wie ernst uns das ist, nehmen wir anderen das Leben?
Öhm, das ist nu mal 'ne echt beeindruckende Logik.
Die Logik ist dort, wo ich mir um Strafe keine Gedanken machen muß, weil es erst gar nicht soweit kommt. O.K.?
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Weil der eine böses tut, keine Empathie hat, kein Gewissen etc. kann ich jetzt auch die Sau raus lassen und töten, wie es meine Rachegelüste und/oder mein Geldbeutel wollen?
Natürlich nicht!
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Eine Frage deren Relevanz auch umstritten ist, abgesehen davon, dass wohl (zum Glück) nur wenige Mörder aus Sadismus morden (du solltest nicht zu viel Horror-Filme ansehen, siehe deine Anmerkung), fehlende Empathiefähigkeit schon eher.
Die Frage ist, warum hat jemand keine Empathie und keinen Respekt vor dem Leben?
Das ist doch in den meisten Fällen kulturell bedingt und abhängig von der Umgebung in der er aufwächst.
Oder willst du wirklich behaupten, es gäbe zweierlei Menschen?
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Erst Humanismus und Aufklärung versuchten sich davon zu lösen und haben es mit der Zeit geschafft, dass immer mehr Mitglieder der Spezies Homo sapiens auch als Bestandteil der eigenen Art gesehen wurden.
"Du sollst nicht töten" ist in den meisten Religionen - so auch im Christentum - in der Praxis primär nur für die eigene Sippe geltend.
Das weiß ich nicht.
War vielleicht im Mittelalter der Fall, wo nicht jeder Getaufte auch Christ gewesen ist. Heute dürfte die Tötung Andersgläubiger, zumindest im Christentum, verpönt sein.
Habe zumindest davon nichts mehr gehört.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » So 15. Feb 2009, 14:31

stine hat geschrieben:Die Frage ist, warum hat jemand keine Empathie und keinen Respekt vor dem Leben?
Das ist doch in den meisten Fällen kulturell bedingt und abhängig von der Umgebung in der er aufwächst.

Ja, so ist das. Fragt sich jetzt aber noch, ob das Christentum hierbei einen positiven Einfluss hat, so wie Du anscheinend annimmst. Wenn wir uns mal ein paar nackte Zahlen ansehen, die Mordraten unterschiedlicher Länder (hier, auf Seite 308, man muss aber oben 333 eingeben), dann haben folgende Länder auffallend hohe Mordraten:

Albanien
Bahamas
Brasilien
Kolumbien
Ecuador
El Salvador
Kasachstan
Mexiko
Puerto Rico
Russland
Venezuela

Nicht unbedingt Länder, in denen das Christentum keine Rolle spielen würde, nicht wahr?

Interessant auch der Vergleich der Mordraten von Ländern, die die Todesstrafe durchführen und Ländern, die sie nicht haben. Es scheint nicht so, dass die Todesstrafe eine niedrigere Mordrate zur Folge hätte. Die Mordrate in den USA ist zum Beispiel 7-mal höher als die in Deutschland.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 15. Feb 2009, 17:13

stine hat geschrieben:Die Frage ist, warum hat jemand keine Empathie und keinen Respekt vor dem Leben?
Das ist doch in den meisten Fällen kulturell bedingt und abhängig von der Umgebung in der er aufwächst.
Oder willst du wirklich behaupten, es gäbe zweierlei Menschen?

Du vermischst hier einiges.
Empathie haben oder nicht haben, ist nur zum Teil auch kulturell bedingt und ein Mörder kann durchaus Empathie sogar in diesem Mordfall gehabt haben, nur mag er ein anderen "Wert" höher eingestuft haben ("Familienehre", Stolz etc. als schauerliche, m.E. verwerfliche Beispiele) Ein "Ehrenmord" bedeutet nicht zwangsläufig die Absenz von Empathie, sondern bedeutet nur, dass andere Dinge darüber standen. Innerhalb(!) unserer Leit-Gesellschaft dürfte allerdings heute die Empathie meistens nicht durch andere kulturelle Werte dominant überlagert werden (außer christlich-fundamentalistischer Ruf nach der Todesstrafe und Rache) sondern "krankhaft fehlen. Wie es scheint gibt es als Ursache dafür sowohl rein "harte" medizinische Gründe (Schädigung bestimmter Areale im Gehirn - angeboren, Unfall, Alkohol u.v.m), als auch psychische Gründe (z.B. Misshandlung in der Kindheit) sowie Kombinationen.
stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Erst Humanismus und Aufklärung versuchten sich davon zu lösen und haben es mit der Zeit geschafft, dass immer mehr Mitglieder der Spezies Homo sapiens auch als Bestandteil der eigenen Art gesehen wurden.
"Du sollst nicht töten" ist in den meisten Religionen - so auch im Christentum - in der Praxis primär nur für die eigene Sippe geltend.
Das weiß ich nicht.
War vielleicht im Mittelalter der Fall, wo nicht jeder Getaufte auch Christ gewesen ist. Heute dürfte die Tötung Andersgläubiger, zumindest im Christentum, verpönt sein.
Habe zumindest davon nichts mehr gehört.
Es stellt sich natürlich die Frage, was ist das "unverfälschte wahre Christentum"?
Ist es die Zeit der ersten ein- zwei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, als "Katholiken" noch nichts zu sagen hatten (auch innerhalb des Christentums) und die Christen verfolgt wurden und (zumindest nach Überlieferungen - denen aber durchaus misstrauert werden darf) die frühen Christen durchaus auch die andere Backe hinhielten.
Oder ist es die Hoch-Zeit des Katholizismus, als der geistige Herrscher auch ein mächtiger weltliche Herrscher war und in seinem Namen und im Namen seiner Religion nach Herzenslust gemordet wurde.
Oder ist es die heutige Zeit, in der erkennbar noch andere Strömung unser westliche Weltbild prägen, in der die christlichen Kirchen ganz deutlich sich teilweise den anderen Regeln und Ansichten (eben Humanismus, Aufklärung etc.) angepasst haben.

Ich tendiere dazu zu sagen, auf dem Höhepunkt der Macht einer Person, einer Gesellschaft oder Gesellschaftsform , zeigt sich am ehesten ihr wahres Gesicht. Du magst einwenden, dies war ja nicht die christliche Religion an sich, sondern war die katholische Kirche. Und ich werde dir darauf hin sagen, die anderen christlichen Religionsgemeinschaften waren auch nicht anders, egal ob Anglikaner (bitisches Empire), Ostkirche (Russland) oder Calvinisten (z.B. die Buren). Zu welcher Zeit auch immer. Nur der weltlich-humanistische Einfluss der Vernunft hat diese Kirchen und ihre Vertreter dazu gebracht, zumindest teilweise (Piusbrüder) anzuerkennen, dass alle Menschen eben Menschen (erst mal gleichen Wertes) sind und menschlich behandelt werden sollten.

Zurück zum Thema: woraus leitest du unter christlichen Aspekten eine Bejahung der Todesstrafe ab?
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 15. Feb 2009, 17:18

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Mordrate in den USA ist zum Beispiel 7-mal höher als die in Deutschland.
Auch wenn Statistiken lügen (können). Glaubt man seriösen Schätzungen dann würde die bundesweite Einführung einer zwangsweisen Leichenbeschau so wie sie weitgehend in den USA üblich ist, dass sich bei uns die Mordrate plötzlich verdoppeln würde, d.h. auf einen erkannten Mord kommt ein unerkannter Mord. Trotzdem bliebe die Mordrate in den USA um ein vielfaches höher. (Und auch die USA haben ein hohe Dunkelziffer bei unerkannten Morden)
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » So 15. Feb 2009, 22:13

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Zurück zum Thema: woraus leitest du unter christlichen Aspekten eine Bejahung der Todesstrafe ab?
Aus christlicher Sicht kann sich eine Todesstrafe niemals ableiten. Das war auch nicht gemeint damit, wenn ich zugab, verstehen zu können, dass in besonderen Fällen danach verlangt wird.
Aus christlicher Sicht wäre das Ziel, dass es gar keine Täter geben müsste, wenn die Nächstenliebe so gelebt werden würde, wie es theoretisch vorgesehen ist. Selbstverständlich ist mir aber klar, dass das nur eine Fiktion sein kann. Nur ganz ohne Ideale gibt es auch nicht nur einen einzigen Schritt in diese Richtung.
Einem Christen sollte nämlich das Leben der anderen immer "heilig" sein.

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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 15. Feb 2009, 22:36

stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Zurück zum Thema: woraus leitest du unter christlichen Aspekten eine Bejahung der Todesstrafe ab?
Aus christlicher Sicht kann sich eine Todesstrafe niemals ableiten. Das war auch nicht gemeint damit, wenn ich zugab, verstehen zu können, dass in besonderen Fällen danach verlangt wird.
Soweit akzeptiere ich deine Meinung, wobei ich zugeben muss, ich habe bisher die Einschränkung "dass in besonderen Fällen danach verlangt wird" bisher bei dir überlesen habe.
stine hat geschrieben:Aus christlicher Sicht wäre das Ziel, dass es gar keine Täter geben müsste, wenn die Nächstenliebe so gelebt werden würde, wie es theoretisch vorgesehen ist.
Aus (meiner) atheistischen Sicht würde dies aus der Achtung vor anderen Personen resultieren. Zu fordern ein ARs*** zu lieben ist etwas sehr weltfremd, im Endeffekt ist natürlich die Wahrscheinlichkeit dass jeder Mensch das Leben aller seiner Mitmenschen ausnahmslos und absolut achtet (Notsituationen, Trolley-Problem & Co. mal nicht beachtet) genauso unwahrscheinlich wie absolute und ehrliche Nächstenliebe.
stine hat geschrieben:Selbstverständlich ist mir aber klar, dass das nur eine Fiktion sein kann. Nur ganz ohne Ideale gibt es auch nicht nur einen einzigen Schritt in diese Richtung.
Einem Christen sollte nämlich das Leben der anderen immer "heilig" sein.
Immer deine Propagandaversuche in Richtung "Christ = Gut" :mg:
Subjektiv gilt in diesem Thread, je christlicher desto mehr für die Todesstrafe, schien mir bisher.
Verständnis für ein Verhalten ist was anderes, als dieses Verhalten gutzuheißen oder selber zu forcieren.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » So 15. Feb 2009, 23:06

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Immer deine Propagandaversuche in Richtung "Christ = Gut" :mg:
Subjektiv gilt in diesem Thread, je christlicher desto mehr für die Todesstrafe, schien mir bisher.
Verständnis für ein Verhalten ist was anderes, als dieses Verhalten gutzuheißen oder selber zu forcieren.

Ich selbst bin eben auch nur der Versuch eines bildhaften Christenmenschen :anmachen: .
Mein Verständnis für den tödlich endenden Strafvollzug in besonderen Fällen mag dem entsprechen.
Aber forcieren würde ich ihn doch nicht wollen.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 15. Feb 2009, 23:09

stine hat geschrieben: den tödlich endenden Strafvollzug
Du wolltest in die Politik gehen?
Oder nur als "Ghostwriter" Lorbeeren für Euphemismen ernten?
:^^:
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Mo 16. Feb 2009, 20:01

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein z2 also sowieso nicht für die Todesstrafe spricht. Wenn jemand mit hinreichender Sicherheit als Tötungsdelikt-Rückfalltäter eingestuft wird, dann kann er in Sicherheitsverwahrung genommen werden und also keinen weiteren Mord begehen. Ist diese hinreichende Sicherheit aber nicht vorhanden, dann muss er irgendwann frei gelassen werden. Und dann kann er einen weiteren Mord begehen und das kommt auch vor.

Aha. Dann ist z2 also auch deiner Meinung nach immer > 0. Und wieso ist das dann also kein stichhaltiges Gegenargument?

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das ist mAn unvermeidbar, bzw. wüsste ich nicht, wie das in einer freiheitlichen Gesellschaft zu vermeiden wäre.

Aha. Schulterzuzcken. Ich gebe dir ja recht. Ist nicht wirklich vermeidbar. Aber wo bleibt dein Schulterzucken bei den unschuldig hingerichteten? Da bleibt es plötzlich aus. Misst du mit zweierlei Maß? Oder urteilst du in Wirklichkeit nach anderen Kriterien? Das Argument mit der fehlenden Revisionsmöglichkeit und dass Unschuldige hingerichtet werden, scheint mir alleine jedenfalls keinen Sinn zu machen. Denn genau wie du bei den z2-Opfern die Schulter zuckst und lapidar feststellst, dass das nunmal nicht zu vermeiden ist, könntest du es auch bei den z1-Opfern machen. Wo ist der Unterschied?

AgentProvocateur hat geschrieben:"Entsprechung des Gerechtigkeitsempfindens" legitimiert es, die Hinrichtung Unschuldiger in Kauf zu nehmen? Nee, wohl doch kaum, oder etwa doch?

Bei den z2-Opfern, also den von freigelassenen Mördern getöteten, würde ich schon sagen, dass wir das ebenfalls hinnehmen. Wir wollen Gerechtigkeit. Und wenn es uns gerecht erscheint, einen Mörder nach langer Zeit wieder frei zu lassen, dann tun wir das. Und falls das dramatisch schief geht, dann müssen wir eben damit leben, solange uns kein besserer Weg einfällt.

Allgemeine lautet die Aufgabe doch sozusagen: maximiere die Gerechtigkeit und minimiere gleichzeitig z1 und z2!
Und jetzt ist die Frage: nutzt man dabei die Todesstrafe oder nicht?
Und diese letzte Frage scheint, für mich jedenfalls, noch recht unentschieden zu sein.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 16. Feb 2009, 22:02

ganimed hat geschrieben:Aha. Dann ist z2 also auch deiner Meinung nach immer > 0. Und wieso ist das dann also kein stichhaltiges Gegenargument?

Ja, klar, Dein z2 wird (über einen längeren Zeitraum betrachtet) immer größer als Null sein. Davon muss man ausgehen, denn dafür gibt es genug Beispiele. Und hierbei reichen natürlich Einzelfälle.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das ist mAn unvermeidbar, bzw. wüsste ich nicht, wie das in einer freiheitlichen Gesellschaft zu vermeiden wäre.

Aha. Schulterzuzcken. Ich gebe dir ja recht. Ist nicht wirklich vermeidbar. Aber wo bleibt dein Schulterzucken bei den unschuldig hingerichteten? Da bleibt es plötzlich aus. Misst du mit zweierlei Maß? Oder urteilst du in Wirklichkeit nach anderen Kriterien? Das Argument mit der fehlenden Revisionsmöglichkeit und dass Unschuldige hingerichtet werden, scheint mir alleine jedenfalls keinen Sinn zu machen. Denn genau wie du bei den z2-Opfern die Schulter zuckst und lapidar feststellst, dass das nunmal nicht zu vermeiden ist, könntest du es auch bei den z1-Opfern machen. Wo ist der Unterschied?

Ich verstehe die Frage nicht, denn das habe ich doch oben nun schon mehrfach beantwortet.

Wenn es Dein ausschließliches Ziel ist, z2 auf Null zu bringen und Du dafür alle anderen Gesichtspunkte (individuelle Freiheit) als unwesentlich und nicht berücksichtigenswert ansehen willst, dann kannst Du dies immer noch entweder durch a) Sicherheitsverwahrungen erreichen oder b) durch Hinrichtungen. a) würde zuverlässig z2 und z1 auf Null bringen, b) nur z2. Das ist der Unterschied.

(Nun meine ich aber nicht, dass dieses Ziel, (z2 auf Null zu bringen), in einer freiheitlichen Gesellschaft zu erreichen ist.)

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:"Entsprechung des Gerechtigkeitsempfindens" legitimiert es, die Hinrichtung Unschuldiger in Kauf zu nehmen? Nee, wohl doch kaum, oder etwa doch?

Bei den z2-Opfern, also den von freigelassenen Mördern getöteten, würde ich schon sagen, dass wir das ebenfalls hinnehmen. Wir wollen Gerechtigkeit. Und wenn es uns gerecht erscheint, einen Mörder nach langer Zeit wieder frei zu lassen, dann tun wir das. Und falls das dramatisch schief geht, dann müssen wir eben damit leben, solange uns kein besserer Weg einfällt.

Ja, so ist es.

ganimed hat geschrieben:Allgemeine lautet die Aufgabe doch sozusagen: maximiere die Gerechtigkeit und minimiere gleichzeitig z1 und z2!
Und jetzt ist die Frage: nutzt man dabei die Todesstrafe oder nicht?
Und diese letzte Frage scheint, für mich jedenfalls, noch recht unentschieden zu sein.

Ich sehe Dein Argument nicht. Warum bist Du nochmal für die Todesstrafe anstatt für Sicherheitsverwahrung zu sein? Der Effekt auf z2 wäre wie gesagt gleich, aber z1 wäre bei einer Sicherheitsverwahrung gleich Null. Was sollte die Todesstrafe also dabei überhaupt nutzen können?

Es gibt mMn gar kein halbwegs stichhaltiges Argument für die Todesstrafe außer einem Rache- / Vergeltungsbedürfnis. Und dass ein behauptetes "Gerechtigkeitsbedürfnis" alleine tatsächlich dazu legitimiert, Menschen zu töten und gleichzeitig dafür auch den Tod von Unschuldigen in Kauf zu nehmen, erscheint mir ja nun mehr als fraglich.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Mo 16. Feb 2009, 22:42

AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, klar, Dein z2 wird (über einen längeren Zeitraum betrachtet) immer größer als Null sein. Davon muss man ausgehen, denn dafür gibt es genug Beispiele. Und hierbei reichen natürlich Einzelfälle.

Einzelfälle? In der zitierten USA-Statistik war z2 = 13200. Fast doppelt so viele wie es überhaupt Todesurteile seit 1976 gab (7250). Ich zögere noch, das wirklich selber zu glauben. Erscheint mir sehr hoch. Vielleicht habe ich ja im englischen auch irgendwas falsch verstanden. Aber wenn das stimmen sollte, dann wäre doch z2 sogar dann größer als z1, wenn JEDER zum Tode Verurteilte unschuldig wäre (und damit z1=7250).


AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn es Dein ausschließliches Ziel ist, z2 auf Null zu bringen und Du dafür alle anderen Gesichtspunkte (individuelle Freiheit) als unwesentlich und nicht berücksichtigenswert ansehen willst, dann kannst Du dies immer noch entweder durch a) Sicherheitsverwahrungen erreichen oder b) durch Hinrichtungen. a) würde zuverlässig z2 und z1 auf Null bringen, b) nur z2. Das ist der Unterschied.

Aber beide Fälle sind doch nur theoretisch, in der Praxis nicht durchsetzbar. Man wird a) nicht alle Mörder für immer einsperren. Man wird b) nicht alle Mörder sofort hinrichten. So ganz verstehe ich also immer noch nicht, wieso du bei z2 die Schultern zuckst und bei z1 rufst: Keine Todesstrafe! Logischer fände ich, wenn du angesichts von z2 wenigstens auch für strikte Sicherheitsverwahrung wärst anstatt einfach so zu sagen: das Ziel ist nunmal nicht zu erreichen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich sehe Dein Argument nicht. Warum bist Du nochmal für die Todesstrafe anstatt für Sicherheitsverwahrung zu sein? Der Effekt auf z2 wäre wie gesagt gleich, aber z1 wäre bei einer Sicherheitsverwahrung gleich Null.

Ich habe bei Wikipedia nach "Sicherheitsverwahrung" gesucht:
    "Es handelt sich um eine freiheitsentziehende Maßregel, d. h. ein Straftäter, gegen den Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, verbleibt auch in staatlicher Verwahrung, nachdem er die daneben ausgeurteilte Freiheitsstrafe verbüßt hat, sofern seine Gefährlichkeit nach Auffassung des Gerichts und entsprechender Gutachter noch fortbesteht"
Wird das nicht also die ganze Zeit gemacht? Und z2 gibt es doch vermutlich genau deshalb, weil sich Gerichte und Gutachter so oft irren (weil es ja auch so schwer zu beurteilen ist). Und nicht etwa deshalb, weil die Sicherungsverwahrung nicht angewendet würde. Worauf willst du also hinaus, wenn du mir die Sicherungsverwahrung als Alternative zur Todesstrafe anbietest? Das Verfahren so wie bisher mit einem nicht geminderten z2? Oder ein verschärftes Verfahren, wo fast jeder Mörder niemals freigelassen wird (egal wie viele Jahre er ursprünglich bekommen hat), um z2 zu minimieren. Gegen letzteres wäre ich wohl deshalb, weil ja viele Morde auch im Affekt passieren, nur in ganz bestimmten Extremsituationen. Wo ich persönlich zumindest kaum eine Wiederholungsgefahr erkennen kann. Ich beziehe mich da bei meinen "Erfahrungen" auf die meisten Tatort-Fälle (und früher "Der Kommissar"). Das sind meistens gut situierte, sozial voll integrierte Leute, für die ein Mord ein einmaliges Extremereignis ist. Solche Täter für immer wegzusperren, erschiene mir "ungerecht". Aber wer weiß, nachher ist da doch jemand darunter, der das noch einmal macht. Ein Gutachter möchte ich in dem Zusammenhang lieber nicht sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt mMn gar kein halbwegs stichhaltiges Argument für die Todesstrafe außer einem Rache- / Vergeltungsbedürfnis.

Ich würde ja tatsächlich weiterhin von "Gerechtigkeitswunsch" sprechen. Vergeltungsbedürfnis sehe ich nicht als Argument dafür. Gerechtigkeit aber doch. Und ebenfalls als einziges stichhaltiges Argument.
Wir unterscheiden uns aber wohl mehr darin, was wir als Argumente gegen die Todesstrafe gelten lassen. Da sehe ich nämlich kein wirklich stichhaltiges Argument. Ein paar graduelle Bedenken, ja, aber wirklich stichhaltiges nein. Bei der nächsten Volksabstimmung für oder gegen Todesstrafe werde ich mich also wohl eher enthalten.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 16. Feb 2009, 23:12

Also, nochmal ganz langsam.

Du sagst: jemand, der hingerichtet wurde, kann nicht erneut morden, also ist dann z2 kleiner als ohne Todesstrafe. Ich sage aber nun: das ist natürlich richtig, aber genau dasselbe gilt auch, wenn derjenige nicht hingerichtet, aber auch nicht frei gelassen, sondern in Sicherungsverwahrung genommen wird. Z2 ist also in beiden Fällen gleich. Und wenn jemand in Sicherungsverwahrung genommen wird und es keine Todesstrafe gibt, dann entfallen logischerweise alle zu Unrecht verhängten Hinrichtungen, d.h. nur dann und nicht bei Anwendung der Todesstrafe entfällt auch z1. Was nicht eben gerade für die Todesstrafe spricht, findest Du nicht? Es scheint mir sogar ein ziemlich gutes Argument gegen die Todesstrafe zu sein.

Ich verstehe wirklich nicht, was daran so schwer zu verstehen ist.

Und sich auf einen schwammigen und nicht näher spezifizierten Gerechtigkeitsbegriff (ist einfach so, weil ich das meine und deswegen ist es moralisch richtig) zu beziehen und daraus eine Legitimation pro Todesstrafe ableiten zu wollen, erscheint mir mehr als fishy, alleine schon deswegen, weil ich offensichtlich Deinen Gerechtigkeitsbegriff nicht teile, Du also keine Allgemeingültigkeit dafür reklamieren kannst. Es ist nur Deine persönliche Meinung, nichts weiter und das reicht nun mal nicht für die begründete Einführung der Todesstrafe aus, insbesondere deswegen nicht, weil Du Du außerhalb dessen überhaupt kein Argument hast.

Hast Du übrigens mal in die von mir oben verlinkten Studien zur (Tötungsdelikt)-Rückfallquote von verurteilten Mördern in europäischen Ländern hineingeschaut?
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Sa 21. Feb 2009, 09:24

Sicherheitsverwahrung bedeutet doch nur, dass jemand noch länger als ursprünglich verurteilt einbehalten wird, und das auch nur, falls die Gutachten und Richtermeinungen zu diesem Schluss kommen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird er also vielleicht doch wieder frei gelassen.

Was wir für die Minimierung von z2 bäuchten wäre eine Supersicherheitsverwahrung, bei der keiner, der ansonsten zum Tode verurteilt worden wäre aber nur lebenslänglich bekommt, jemals wieder frei gelassen wird. So eine Maßnahme gibt es aber nicht. Die Todesstrafe gibt es aber durchaus. Es ist vor allem diese Nichtexistenz, die mir diese Supersicherheitsverwahrung als untaugliche Alternative erscheinen lässt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es ist nur Deine persönliche Meinung, nichts weiter und das reicht nun mal nicht für die begründete Einführung der Todesstrafe aus, insbesondere deswegen nicht, weil Du Du außerhalb dessen überhaupt kein Argument hast.

Da stimme ich völlig zu. Eine stichhaltige Begründung für die Todesstrafe sehe ich nicht. Und auch Argumente dagegen sehe ich nicht. Zumindest die hier im Thread genannten erscheinen mir alle entkräftet oder relativiert. Sieht für mich so aus, als sei das tatsächlich eine Frage der persönlichen Meinung.
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