von Vollbreit » Mo 11. Jun 2012, 09:29
Hallo stine, schön, dass Du noch mal nachgefragt hast, das gibt mir die Möglichkeit mein Urteil über den Artikel zu revidieren. Ich habe ihn beim ersten Mal eher überflogen, nun habe ich ihn gründlich gelesen und finde ihn sehr ausgewogen.
Beim ersten mal bin ich ausgerechnet bei Winnicott und der Affektkontrolle hängen geblieben.
Winnicott sieht, wie gesagt, ja eher, dass eine Trennung möglich ist, aber einer der entscheidenden Faktoren scheint der Zeitraum, die Dauer der Trennung, zu sein.
Das passt auch gut mit den Stressstudien zusammen, bei denen die Kinder vor allem bei längerer Zeitdauer in der Krippe extrem gestresst sind.
Der andere Punkt war, dass ich Affektkontrolle grundsätzlich positiv bewerte, aber ich muss gestehen, dass ich den Blick da eher von der psychopathologischen Seiten drauf geworfen habe.
Ich verbinde mit Affektkontrolle keine Unterdrückung von normalen Gefühlen – zu der es natürlich keinesfalls kommen sollte – sondern eher die Fähigkeit das Agieren von Affekten zu kontrollieren, das ist aber noch nicht die Aufgabe des kleinen Kindes, es lernt das erst mit der Zeit.
Das Kind ist emotional optimal versorgt, wenn es eine enge verlässliche Vertrauensperson hat – das ist im besten Fall die Mutter – die ihrerseits in der Lage ist, dem Kind unaufgeregt die Welt und vor allem auch seine eigenen Empfindungen zu deuten.
Wenn die Mutter das weinende Kind in den Arm nimmt und ihm ruhig sagt: „Du hast Angst“ vermittelt sie ihm das Gefühl zu wissen, was mit dem Kind los ist, benennt (und deutet dem Kind) den inneren Zustand und zeigt ihm nonverbal, dass man dabei nicht in Panik geraten muss. Das Kind wird getröstet und alles ist in Ordnung.
Wenn die Mutter mit schreckstarren Augen dem Kind sagt: „Ha, mein Gott, was ist los, was hast du, was ist nur mit mir?“ wird das Kind noch mehr verunsichert.
Dies natürlich im Rahmen der normalen Eskalation, bei der Mutter auf eine Schürfwunde anders reagieren wird, als auf einen offenen Bruch.
Ich empfinde es auch als ärgerlich, dass die vielleicht wichtigste Frage, wie es denn den Kindern dabei geht, so selten gestellt und so untergeordnet behandelt wird. Nicht jeder, der keine Akutsymptome zeigt ist fein raus, sondern gerade wenn es zu einer Abspaltung der Gefühle kommt, funktionieren die Menschen im Alltag mitunter bestens, sind sogar leistungsmotiviert und –orientiert, aber seelisch verarmt und im Grunde schwer krank.
Das ist keinesfalls zwingend für die Unterbringung in einer Kinderkrippe, sondern die Folge handfester Traumatisierungen oder chronischer Kälte oder chronischer Aggression, aber wir ziehen merkwürdige Schlüsse daraus, dass abgeschnittene Welten oft die Tendenz haben zu entarten.
Ich will die Diskussion nicht wieder aufkochen, aber Missbrauch (der muss nicht nur sexuell sein) ist eben nicht ein Thema vornehmlich der katholischen Kirche, sondern auch von anderen Einrichtungen in denen eine starke Macht-Asymmetrie herrscht.
Es wird gefragt, wo die Erzieher herkommen, wie das zu finanzieren ist und dabei oft so getan, als müsste die entscheidende Frage – wie es den Kindern geht – nicht gestellt werden oder als sei die schon beantwortet.
Es glaubt doch niemand, dass, wenn die Krippenplätze mal geschaffen wurden und eine Studie belegt, dass Krippen in der Mehrzahl eher nicht so gut sein sollte, die Arbeitsplätze wieder abgebaut würden.
Es ist traurig, dass der Trend, eine Leistungsmotivation, die in nicht wenigen Fällen narzisstisch bedingt ist, auf Kosten der Tiefe der Empfindungen, der Fähigkeit stabile Beziehungen einzugehen – was alles noch sehr abstrakt klingt – letzten Endes bedeutet das aber vor allem: Im Leben anzukommen und Glück und Zufriedenheit zu empfinden, fortgesetzt wird.
Ich weiß nicht, wie es politisch zu regeln wäre, dass nicht die Unterschicht Kinder kriegen als bequeme Einnahmequelle, beim Verzicht auf Arbeit sieht. Genau das ist es, was der Staat nicht will und Deutschland hat über Jahrzehnte eine Sozialhilfekultur etabliert. Es gibt in vielen Städten eine Subkultur der Sozialhilfeempfänger in der 4. Generation, wo schon der Gedanke, dass man auch arbeiten gehen könnte, irgendwie so absurd ist, wie den Sommerurlaub auf dem Mond zu planen.
Man müsste auch vielleicht noch mal kritisch hinterfragen, ob die sogenannte Selbstverwirklichung, die ja dann in der Realität oft genug bei EDEKA an der Wursttheke oder im Großraumbüro stattfindet, denn wirklich keinen Karriereknick verträgt.
„Der Staat“ hat das Recht ein Interesse daran zu haben, seine Funktion als solcher aufrecht zu halten und jedes (soziale) System ist letztlich auch auf Funktionserhalt ausgelegt, aber das Individuum muss sich nicht in die Zahnräder des Funktionalismus um jeden Preis werfen, denn nicht selten wird es dort zermalmt.
Man kann die Not des Staates durchaus sehen und verstehen (Überalterung, Arbeitskräftemangel, Vitatlitätsverlust, leere Kassen), aber warum muss die einzig sinnvoller Antwort sein, die letzten die noch kriechen können, zu rekrutieren und zu verheizen und die eigenen Kinder und den Umgang mit ihnen, dieser durch und durch fragwürdigen Ideologie unterzuordnen, in dem sicheren Wissen, dass es sich höchstens um einen Aufschub von ein paar Jahren handelt?
Jeder muss seine Antwort auf die m.E. sicher bevorstehende Krise finden, dabei ist Alarmismus unangebracht, aber so zu tun, als würde sich das irgendwie alles von selbst regeln, ist m.E. noch viel unangebrachter.