Vollbreit hat geschrieben:Der Begriff des Egoismus wird von Dir so wachsweich und austauschbar benutzt, dass er am Ende keinerlei Bedeutung mehr hat, da er alle beliebigen annehmen kann.
Er nimmt nicht alle Bedeutungen an, sondern kann, wie so ziemlich alles, unterschiedlichst interpretiert werden. Es ist ein Unterschied, ob ich dem Wort eine eindeutige Bedeutung zuschreibe (Selbstbezogenheit, negativ: Selbstsucht; dem Utilitarismus nahestehend, Urtrieb) und ob ich erkenne, dass diese Bedeutung nicht festschreibt, wie die Selbstbezogenheit ausgelebt wird. Ein Beispiel, um es zu verdeutlichen: Wir werden sicherlich nicht darüber streiten, was ein Auto ist, wir kennen die Bedeutung. Mancher stellt sich einen Audi als Archäetyp vor, andere einen BMW oder so. Trotzdem kann ersterer auch erkennen, dass ein BMW ein Auto ist. Dann gibt es noch obskure Autos, die vielleicht einen neuartigen Antrieb besitzen, eine von der 4 abweichende Anzahl an Rädern hat, usw. Trotzdem bezeichnen wir diese Gefährte als Auto, weil der Begriff Spielraum für variationen offen lässt, die die Ausführung betreffen. So ist es mit dem Begriff Egoismus.
Vollbreit hat geschrieben:Frisst der Löwe das Gnu, klar Egoismus.
Kooperieren Tiere, die das sonst nicht tun, in harten Wintern, Egoismus.
Quäl ich einen anderen aus Spaß an der Freude, Egoismus.
Befreie ich einen Gequälten aus den Händen des Sadisten, Egoismus.
...
Na, da machst du es dir einfach. Du kommst mir wie ein Schulkind vor, das aufgefordert wird, etwas wie Evolution zu erläutern und dann nur ein Wort rausbringt. Es kommt nicht auf ein möglicherweise richtiges Stichwort an, sondern auf den Kontext, die Erklärung, den Zusammenhang. Du willst du Unrecht meine Ausführungen ins Lächerliche ziehen, wobei du unterschlägst, dass ich Erklärungen liefere und nicht nur ein Wort immer wieder erwähne. Dadurch, dass du so einsilbig wirst bei deinem Hohn, bin ich es nicht. Ich erkläre nicht das Fressen eines Gnus mit "Egoismus.", sondern, dass der Löwe Hunger hat, er ein Carnivor ist, sein Hunger als Motiv durch natürliche Selektion gefördert wurde, da nur diejenigen, die sich erhielten, die Eigenschaft des Hungers auch weitergeben konnten. Dieser Hunger basiert auf der Selbsterhaltung, die eine Weitergabe bei der Fortpflanzung ermöglicht. Die Selbsterhaltung ist durch Motive und Triebe im Verhalten als Egoismus erkennbar, da es die Selbstsucht, Ich-Bezogenheit zum eigenen Vorteil bezeichnet. Für deine restlichen Beispiele ließe sich eine ähnliche Erklärungskette finden.
Vollbreit hat geschrieben:(Obwohl dieses Verhalten in keine der vorgesehenen Kategorien passt: Man sonnt sich nicht öffentlich als Gönner, es muss kein Verwandter sein, dem man spendet und Ruhm und Gegengefallen bekommt man auch nicht – würde mich mal interessieren, wie man da auch noch den Egoismus reinpresst. Denn wir erinnern uns, dass es lediglich vier Gründe für Kooperation gibt:Richard Dawkins hat geschrieben:Damit haben wir nun vier stichhaltige darwinistische Gründe, warum Individuen untereinander altruistisch, großzügig oder „moralisch“ handeln. Der erste betrifft den Sonderfall der Verwandtschaft. Der zweite ist die Gegenseitigkeit: Gefälligkeiten werden vergolten und in „Erwartung“ eines solchen Gegengefallens erwiesen. Darauf folgt sofort der dritte: der darwinistische Vorteil, den es bedeutet, wenn man sich de Rufe der Großzügigkeit und Freundlichkeit erwirbt. Und wenn Zahavi recht hat, gibt es viertens den speziellen, unmittelbaren Nutzen der zur Schau gestellten Großzügigkeit als Mittel, um für sich selbst authentische, unverfälschte Reklame zu machen.
(Dawkins, Der Gotteswahn, 2006, dt. Ullstein-TB, 2008, S.304)
Und ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, in welche der vier Kategorien der anonyme Spender fällt.
Du? Damit wäre das wohl widerlegt, oder?)
Gar nichts ist damit widerlegt. Triebe, Gefühle, Motive können auch eine sogenannte Leerlauffunktion erfüllen. Sie haben keinen unmittelbaren Nutzen in seltenen Situationen bei der Auslebung. Es ist wie ein Computerprogramm, das eine unschädliche Fehlfunktion haben kann, wenn es nicht nur das eigene Geld, sondern auch die Rechenschritte oder sowas zählt. Solange diese Tätigkeit nicht schädlich ist, kann sie weitergegeben werden. Ganz spitzfindige Biologen bezeichnen diese Tätigkeit als "Übung" für künftige Situationen, in der dieses Verhalten vorteilhaft sein kann (und damit hat die Übung selbst einen Nutzen), aber das scheint mir nicht grundsätzlich zutreffend zu sein. Hinter einem Trieb, der sich in 99 % der Fälle bewehrt, steht nicht immer eine klare Interpretation der Situation, sondern auch mal nur ein Gefühl.
Dass meist nützliche Triebe nicht grundsätzlich zum Nutzen sind, kann das Zusammenrollen des Igels belegen. bei einem Hund, einem Wolf oder sowas ist das ganz nützlich, bei einem Auto weniger. Deswegen reicht es nicht bei biologischen Systemen ein Gegenbeispiel zur Widerlegung zu nennen, da biologische Systeme (anders als mathematische) Fehler zulassen, solange sie nicht zu groß werden.
Vollbreit hat geschrieben:Mal ist Egoismus einfach nur Selbsterhalt (warum ist das Egoismus?), mal die kluge, gerissene Strategie der Strategen, mal ist es das Verhalten von allem was lebt, mal ist es egoistischer (unkooperativer) Egoismus mal kooperativer.
Selbsterhalt ist egoistisch, da der Zweck des Selbsterhalts die Erhaltung des ichs ist. Qui bonum? Natürlich dem Ego. Ergo ist Selbsterhaltung egoistisch, ichbezogen, sebstsüchtig. Vielleicht überfordert dich diesmal nicht nur die Biologie, sondern auch das Latein, aber du kannst mich vielleicht noch überraschen.
Vollbreit hat geschrieben:Warum muss auch ganz offenkundig altruistisches Verhalten unter den Begriff „Egoismus“ gebracht werden, ohne Not? Es zwingt die Biologen doch keiner genau einen Urtrieb zu finden, es könnte zwei, drei oder fünf geben.
Als Biologe erkennt man, dass ein unbelebtes Prinzip wie die Evolution nur durch Veränderung bereits bestehender Systeme funktioniert. Hat das Tier Schuppen, braucht aber Haare zur Isolation, "entwickeln" sich die Schuppen zu Haaren. Muss das Tier viel klettern und auch mal springen, kann es nützlich sein, gleiten zu können. Schon können die Schuppen zu Federn werden. Aber all diese Ausprägungen gehen auf ein Modell zurück. Dieses reduktive Denken bewehrt sich nicht nur in der Biologie, sondern grundsätzlich in den Wissenschaften, da es das Nachvollziehen der Kausalität bedeutet. Bei den meisten (guten) Stammbäumen wirst du immer ein Tier unten sehen, bei vielen diversen Proteinen, Organen oder genen kann man einen Ursprung erkennen. Deswegen wird nach einem, nicht nach 2, 3, 4, 5 Sachen gesucht, um es platt zusammenzufassen.
Vollbreit hat geschrieben:Dann: Warum gibt man sich nicht mit biologisch Triebhaftem zufrieden, sondern weitet das Modell soziobiologisch dann noch auf den Menschen aus, ohne sich um die offenkundige Relevanz der Kultur zu kümmern?
Als stünde die Kultur außerhalb der Erklärungsmöglicheiten der Biologie, als würde ein Trieb wegen der Eigenart einer Spezies nicht mehr rechtfertigen lassen, als würde Triebhaftigkeit der Kultur widersprechen oder umgekehrt! Der Mensch ist ein Lebewesen, also folgt es auch Prinzipien seiner Verwandten. Im Spielraum der Interpretation dieser Prinzipien ist die Kultur zu finden. Für die große Fragestellung, wie und warum wir handeln, ist es nicht relevant, warum die Russen Zwiebeltürme für ihre Kirchen verwendeten und die Römer Kuppeln. Um ein menschenübergreifendes Prinzip zu finden, empfiehlt es sich, nach Gemeinsamkeiten zu suchen.
Vollbreit hat geschrieben:Nein, Darth, hättest Du im Biounterricht besser aufgepasst, dann wüsstest Du, dass nicht erst der Mensch den kooperierenden Egoismus für sich entdeckt hat
(Unterstrichen von mir) Wer hat gesagt, dass der Mensch dies als Erstes tat? Ich nicht:
Darth Nefarius hat geschrieben:Was den Egoismus für uns interessant macht bei all seinen Ausprägungen ist diejenige, die der Mensch für sich entdeckt hat: der kooperative Egoismus.
Das ist vielleicht missverständlich ausgedrückt, aber keinesfalls so, dass nur der Mensch für sich dies entdeckt hat. Wieso zitierst du eigentlich nicht die unzähligen Stellen, in denen ich auch andere Tiere erwähnte, die kooperativ handeln? Allein dass es Mehrzeller gibt, reicht für einen Amateur aus, um zu verstehen, dass Kooperation vielfälgist aussehen kann und gewiss nicht mit dem Menschen "erfunden" wurde. Dein Diskussionsstil zielt nur darauf ab, das Gegenüber zu diffarmieren, du suchst dir eine möglicherweise zweideutige Textsstelle aus, wobei du alle anderen redundanten, aber leider eindeutigen ignorierst, unterschlägst. Das ist armselig.
Vollbreit hat geschrieben:...und auch, dass es um egoistische Gene und nicht egoistische Individuen geht
Nur weil es Dawkins so sieht oder formuliert, ist es nicht in Stein gemeißelt und die absolute Wahrheit. Abgesehen davon hat Dawkins den Begriff Egoismus nicht erfunden oder geprägt, es gibt genug Beispiele unter Philosophen, die meiner Einschätzung entsprechen. Du brauchst also nicht so zu tun, als hinge meine Argumentation nur davon ab, was die Autorität, auf die ich mich vermeindlich berufe (was ich aber nicht tat, du hast ihn permanent zitiert), dazu sagt. Ich persönlich unterstelle Molekülen keine Absicht, keinen Egoismus. Es ist vielmehr eine Kettenfortpflanzungsreaktion der besonderen Art. Aber bei anderen Beispielen (für synthetische Polymere, z.Bsp.) benötigen wir auch nicht das Wort "Egoismus" für Polystyrol. Dass ich jetzt Polystyrol mit DNA vergleiche, bedeutet nicht, dass ich die Reaktionen nicht auseinanderhalten kann. Würde ich nicht darauf hinweisen, würdest du dies wahrscheinlich aufnehmen. Mich wundert ernsthaft, wie dich überhaupt jemand ertragen kann, wenn du immer so diskutierst.