stine hat geschrieben:Nein - so war die Welt nicht, so wird sie auch nie sein, aber muss man deswegen seine Ideale herausoperieren, sich Gehirnwäschen lassen?
Was heißt Gehirnwäsche? Was Du möchtest, ist ein Recht auf Deine Vorurteile. Juristisch gesehen hast Du das auch, aber Dein coming out zeigt oft das Ideal eines spießigen Biedermeieridylls. Das wird mit diesen „Was Oma noch wusste“ Büchern bedient oder mit einem Schmachtfetzen von Rosamunde Pilcher.
Auch das hat was, auf seine Art. Könnte man mal einen eigenen Thread zu machen. Dennoch ist vieles davon Kitsch und bei dem Recht auf Vorurteile (Du drückst es so aus, dass Du findest, man solle nicht für alles sein), ist verräterisch, dass es sich immer um ein Recht auf die eigene Vorurteile handeln soll.
Die der anderen findet man nach wie vor überflüssig und ist dagegen, aber das eigene Phantasiebild einer heilen Welt, das möchte man nicht zerstört sehen. Fragwürdig ist es dann, wenn es andere grundlos entwertet. Homosexuelle habe nicht die Wahl, sind nicht krank, all das weiß Du und Du ignorierst es und argumentierst, man solle „normale“ Kinder möglichst erst mal den „unnormalen Schwulen“ fernhalten, damit sie sich nicht irgendwie doch noch anstecken. Das ist wie Dawkins mit seiner Dauerpathologisierung von Religiösen.
Die feste Meinung dagegen zu sein, gilt dann übrigens nicht als feste Meinung, sondern als Gehirnwäsche, obwohl die Argumente nun wirklich nicht auf Deiner Seite liegen, Volkes Meinung schon eher. Beispiele wo das Volk sich geirrt hat, werden Dir selbst einfallen.
stine hat geschrieben:Ich erspare mir jetzt den riesigen Zitieraufwand, du weißt schon selber auf was ich antworte.
Selbstverständlich würde ich keines meiner Kinder wegen ihrer sexuellen Neigungen im Stich lassen oder anklagen.
Da gehe ich von aus. Ich schätze sogar, dass Du nach einer längeren Zeit des Naserümpfens jemand wärst, die sich durchaus progressiv für ihre Kinder und ihre sexuellen Neigung einsetzen würde, nur hast Du da aus Diener Sicht Glück gehabt. Ich vermute, würde jemand Deinen hypothetisch schwulen Sohn eklig finden und niedermachen, der könnte was erleben, von Dir.
stine hat geschrieben:Liebe zeigt sich eben nicht im "Weil", sondern im "Trotzdem".
Vermutlich hat man bei echter Liebe einfach auch nicht viel Wahl.
stine hat geschrieben:Aber ich würde auch nicht wollen, dass sie damit herumprahlen und es jedem ungefragt auf die Nase binden.
Muss ja auch nicht sein. Begreiflicherweise sieht man die stillen eben auch so nicht.
stine hat geschrieben:Zum Thema Kinderaufzucht in homosexuellen Partnerschaften steht offensichtlich wirklich Meinung gegen Meinung und es lohnt sich nicht darüber zu streiten, solange es keinerlei Langzeiterfahrungen gibt. Aber genau deswegen ist meine Meinung so gut oder so schlecht wie jede andere auch und kann so stehen bleiben.
Doch gerade hier lohnt es zu streiten, weil man dann nämlich in den Bereich kommt, in dem man gute Argumente finden muss.
Man kann eine homosexuelle Ausrichtung normal im Sinne der Pathologie finden, der Auffassung sein, dass homosexuelle Paare durchaus auch Kinder gut erziehen können und dennoch würde ich das Modell klassische Familie für dasjenige halten, was unterstützt werden sollte.
Eine bestimmte Richtung zu unterstützen heißt für mich nicht zwingend eine andere zu entwerten oder zu pathologisieren, es reicht, sie nicht zu fördern. Eine Gesellschaft hat das Recht zu entscheiden, wo sie hin möchte und ich habe keine Ekelgefühle wenn ich homosexuelle Paare sehe, möchte aber auch keine homosexuelle Gesellschaft, ich sehe halt nur nicht, wie man die überhaupt erreichen könnte, selbst wenn man wollte.
Aber es ist ein Unterschied zu sagen: „Igitt, du bist ja krank und pervers, komm mir bloß nicht zu nahe und steck vor allem meine Kinder nicht an.“ Selbstverständlich soll, kann und darf es homosexuelle KindergärtnerInnen, Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern und was auch immer geben nicht nur Künstler und Showmaster. Sind der Schwanensee oder der Zauberberg weniger großartig, nur weil ihre Schöpfer schwul waren? Ist Dein Knie schlechter verbunden, wenn der Wickel von einem schwulen Pfleger gemacht wurde?
stine hat geschrieben:"Normal" im Alltag ist sicherlich für jeden etwas anderes. Für ein Staatsoberhaupt ist es normal nur noch mit Bodyguard und Chauffuer das Haus zu verlassen, während es für einen Arbeiter normal ist im Pulk mit der U-Bahn zu fahren.
Nein, normal meint das, was Arbeiter und Staatsoberhaupt gemeinsam haben. Beide werden müde, haben Hunger, Liebeskummer, kennen Eifersucht und haben bisweilen Alkoholprobleme.
stine hat geschrieben:Ich spreche von der "Normalität" als Ideal und meine damit aber auch die konventionelle Masse. Das Ausmitteln in der Masse funktioniert nämlich immer noch erstaunlich gut.
Klar funktioniert das gut, weil die konventionelle Masse per def relativ frei von einer eigenen Meinung in bestimmten Fragen ist. Insofern sagt es nicht viel aus, die Massen hinter sich zu haben, außer, dass man dadurch über eine große Streitmacht verfügt, die allerdings 10 Jahre später das Gegenteil gut und richtig findet, auch hier ohne so genau zu wissen, warum eigentlich.
Mich interessieren Menschen mehr, die wissen, warum sie für oder gegen etwas sind und mir das auch begründen können, weil ich dann ahne, dass sie ihre Meinung auch dennoch haben und vertreten, wenn der ideologische Wind sich mal dreht.
Aber welche Menschen mich mehr oder weniger interessieren, muss nun außer mir nun auch wieder keinen interessieren. Aber dennoch, ist die Wucht der konventionellen Massen eine gewaltige Kraft. Wenn man politisch unterwegs ist, muss man diese Kraft kennen und mit ihr spielen können und da ist ein Gregor Gysi begabter und besser geeignet, als ein dröger Onkel, der erzählt, wie die „Fakten“ sind. Vermutlich aber auch nicht gut genug, denn die Quirligkeit und Eloquenz und der Unterhaltungswert eines Gysi, macht ihn weniger geachtet, als den Altkanzler Schmidt, der als die moralische Autorität Deutschlands gilt, weit vor dem deutschen Papst, Habermas und sogar vor Dieter Bohlen.
Wenn es darum geht Argumente zu diskutieren, ist das aber ein anderes Spiel als eine öffentliche Polithow und wenn es darum geht die Argumente zu verhandeln, ist mit der Kunst der Diplomatie wieder ein anderer Menschenschlag gefordert. Hier muss man jemanden haben, der klug und einfühlsam ist, sich zurücknehmen kann und allen Seiten die Chance gibt, das Gesicht zu wahren.
Aber um auf die Antwort zurückzukommen: Du drückst Dich. Entweder Masse oder Ideal, beides geht nicht, es sein denn, Du sagst, die Meinung der konventionellen Masse sei stets Dein Ideal. Das ernst zu meinen ist m.E. ein schwieriger Standpunkt.