Nanna hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Aber da sehe ich keine konkrete Prämisse, sondern nur die logische Gegenrechnung von einer Stammzelle ohne Bewusstsein gegen einen ausgewachsenen Organismus, der die Stammzelle benötigen könnte, um sich zu regenerieren. Das ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die für mich keine idealistische/ideologische Prämisse darstellt. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung ist für mich keine Meinung, sondern eine zu berücksichtigende Information.
Das ist sie definitiv. Nur ist eine Information für sich genommen ja aussagelos.
Keineswegs, sie gibt alles her was du zur Entscheidungsfindung brauchst - der Rest ist subjektive Meinung. Du kannst diese Info berücksichiten oder auch nicht, es hängt von deiner persönlichen Gewichtung dieser Information ab und ob du irgendwelche irrationalen Bedenken, die halbgar formuliert sind, eher berücksichtigst. Es hängt von deinen Prioritäten ab: Handelst du pragmatisch oder nach irrationalen Befindlichkeiten und Ängsten?
Nanna hat geschrieben: Beispielsweise ist der CO2-Ausstoß eines Fahrzeugs irrelevant für Leute, denen die Umwelt am Hintern vorbei geht. Die Zahl des CO2-Ausstoßes an sich ist die Information, aber ob dieser Ausstoß noch durch den Zweck des Fahrzeugs zu rechtfertigen ist, ist eine Meinungsfrage.
Ob dies zu rechtfertigen ist, hängt wieder von anderen Informationen und deren Gewichtung ab. Es geht immer darum, welchen Preis du wofür zu bezahlen bereit bist.
Nanna hat geschrieben:Ob man die Stammzellen erforschen soll, ist auch insofern eine Meinungsfrage, als dass man diskutieren kann, ob medizinischer Fortschritt zu jedem Preis wünschenswert ist. Ich weiß, dass du das gerne versuchst, über Nutzenkalküle zu objektivieren und finde es auch wichtig, dass aus dieser Richtung argumentiert wird, aber trotzdem ist es halt so, dass Informationen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich gewichtet werden.
Ist richtig; und was ich eben beobachte, ist die geringe Einstufung der biologischen Informationen durch Soziologen, wenn die einem gerade nicht passen. Und davor wird ein Faktum zu einer Meinung degradiert. Ich bitte deswegen um die konkrete Unterscheidung zwischen Info und Meinung - wenn diese Info schon nicht berücksichtig wird. Ihre Gültigkeit verliert diese dadurch ja nicht, sie macht es nur argumentativ leichter, sich mit ihr nicht auseinandersetzen zu müssen.
Nanna hat geschrieben:
Das ist übrigens auch ein Punkt, an dem wir häufig aneinander geraten, wenn es darum geht, wie Moral und Ethik zu betrachten sind. Da scheinst du häufig davon auszugehen, dass ethische Vorgaben und Empfehlungen eine Geschmacks- und Meinungsfrage wären, wohingegen ich sagen würde, dass das moralische Abwägen von wegen "was bringt dem Menschen mehr?" strukturell häufig gar nicht so weit weg von deinen Nutzenüberlegungen ist.
"Was bringt dem Menschen mehr?" IST sogar eine Nutzenüberlegung (noch keine primär egoistische, aber ein Anfang). Moral und Ethik fragt jedoch danach, was "richtig/gut" ist, und geht deswegen oft völlig ins Leere. Bei soetwas kommt auch übervorsichtiger Tierschutz raus, der nicht selten keinen Nutzen für den Menschen hat, außer, dass er sich dann besser fühlt (zumindest einige). Vegetarismus und Tierschutz haben fasst nie einen Nutzen für die Menschheit und sind nur Produkte einer wildgewordenen Moral. es gibt noch andere Beispiele, die völlig vom Nutzen entkoppelt sind und an pragmatischem Nutzenkalkül vorbeigehen, aber dieses reicht bereits aus, um zu zeigen, dass dies tatsächlich nur eine Geschmacks- und Meinungsfrage ist.
Nanna hat geschrieben:Es gibt Geisteswissenschaftler, wie beispielsweise o.g. Genderforscherin, die tatsächlich so vorgehen. Mit denen will ich nichts zu tun haben.
Meine Beschuldigung ist auch nicht aus der Luft gegriffen, immerhin siehst du diesen Punkt auch ein.
Nanna hat geschrieben:Problematisch wird es da, wo jemand glaubt, dass aus Informationen automatisch Sachen folgen würden.
Ist richtig, jedoch legen bei klarem Verstand gewisse Sachverhalte gewisse Handlungsweisen auch nahe. Das kann man aber leider nicht voraussetzen. Wie z.Bsp. die Akzeptanz eines Schmiergeldes bei Organtransplantationen, welches man gebrauchen könnte, um wichtige Geräte zu kaufen, die die Überlebenschancen vieler Menschen begünstigen könnte, anstatt stur nach Vorschrift vorzugehen. Das war bis vor kurzem ja auch noch gängige Realität - etwas, das ich davor im Philosophieunterricht mal prognostiziert habe, was aber abgelehnt wurde. Wenn unterm Strich mehr Leute überleben, war die Handlung gerechtfertigt. Ich kenne da auch diese dämlichen Moralszenarien, wo man einen Fettsack eine brücke runterschubsen könne, um einen fahrenden Zug mit mehreren Leuten zu retten, oder zuzusehen, wie der Zug entgleist und die Leute sterben. Die meisten entscheiden sich für die letztere Variante - völlig unsinnig und eindeutig der Beweis, dass Moral eine Geschmacksfrage ist und kein Nutzenkalkül.
Nanna hat geschrieben: Beispielsweise folgt aus dem Darwinismus keinerlei Gesellschaftsordnung, weil wir als denkende Wesen diese auch selbst zu einem erheblichen Grad gestalten können. Natürlich begrenzen die Naturgesetze unsere Gestaltungsmöglichkeiten, und das muss man auch anerkennen.
Mich würde wundern, wenn deine Kollegen so einsichtig wären wie du. Aber sobald man mit Darwin argumentiert, ist man bei den meisten Nicht-Naturwissenschaftlern unten durch. Das wäre auch nicht so schlimm, wenn sie nicht in der Überzahl wären und einem nicht permanent das Leben erschwerten mit ihren Sabotagen.
Nanna hat geschrieben:Was ich mit impliziten Annahmen meinte, ist genau das, wenn also z.B. jemand annähme, dass aus dem Darwinismus automatisch folgen würde, dass auch in der Gesellschaft darwinistische Prinzipien gelten müssten und man sich "gegen die Natur" stellen würde, wenn man das nicht zulassen würde.
Genau; allerdings steht neben dem Darwinismus auch noch eine weitere implizite Annahme bei solchen dämlichen Gedanken: Der Darwinismus würde ohne Zutun des Menschen gar nicht gelten. Vielleicht ist das jetzt missverständlich, kurz: Wenn die implizite Annahme besagt, dass diese Regeln in der Gesellschaft gelten "müssten", nimmt man auch an, dass sie es noch gar nicht tun oder es nicht automatisch tun.
Klar, das meintest du so nicht und du denkst auch nicht, dass es so ist (wobei du die diversen Selektionsarten ignorierst wie die sexuellen Selektionen), aber das sollte nur ein Hinweis auf die widersprüchlichen Annahmen bei solchen Leuten zeigen.
Nanna hat geschrieben:Ein bisschen muss ich die Soziologie hier aber in Schutz nehmen, denn sie ist nicht so ganz alleine Schuld daran.
Das erste Problem ist, dass wir mit Menschen schlecht Experimente machen können. Anders als Physiker, die Teilchen durch den LHC schicken, können wir nicht zehntausend Menschen auf eine Insel auslagern und dann unter kontrollierten Bedingungen testen, wie sie z.B. auf verschiedene Propagandaeinflüsse reagieren. Wir müssen immer sagen in real-life-Situationen ansehen und da lassen sich einfach keine kontrollierten Bedingungen schaffen.
Das Problem kennt in geringerem maße auch die Biologie. Die Lösung ist dann, dass man größere und unterschiedliche Gruppen miteinander vergleicht, um Unwägbarkeiten hauptsächlich auszuschließen (wie die kulturellen Einflüsse oder irgendwelche anderen lokalen Besonderheiten. Eine wichtige irrationale Komponente kann der Experimentator selbst sein, der vielleicht sogar unbeabsichtigt, zusätzliche Faktoren in die Sache mitreinbringt). Wenn es aber um irgendwelche "Umfragen" von 40 Leuten aus NRW geht und man daraus irgendetwas für ganz Europa oder ein Geschlecht oder einen Bildungs-/Berufsstand ableitet, kann ich nur den Kopf schütteln.
Nanna hat geschrieben: Außerdem gibt es jede Menge Situationen, wo es verdammt schwer ist, überhaupt an Daten zu kommen. Sexualverhalten, Zustimmung zu tabuisierten Meinungen oder finanzielle Situation sind so Sachen, wo man von Leuten entweder keine oder häufig gelogene Angaben erhält.
Da kommen wir auch zu einem weiteren Problem der Soziologen: Der angemessene Aufwand, um ordentliche Ergebnisse zu bekommen, ist häufig das Ergebnis nicht wert. Warum zur Hölle muss ein Soziologe mein Sexualverhalten wissen? Was will er bitte daraus ableiten? Oder prägnanter: Soziologie hat selten einen Nutzen, wenn sie das menschliche Verhalten so erforschen würde, wie sie es eigentlich müsste. Umfragen taugen schonmal gar nichts, da sie (beim Nicht-offensichtlichen) den Wahrheitsgehalt nicht abschätzen lässt und einen wichtigen Grundsatz verletzt: Die möglichst geringe Beeinflussung des beobachteten Systems, damit die Verfälschung gering bleibt.
Nanna hat geschrieben:Dazu kommt, dass soziologische Erhebungen häufig mit wenig Geld realisiert werden müssen. Die Geistes- und Sozialwissenschaften erhalten halt nicht dieselben Drittmittel wie die MINT-Fächer. Das sieht man häufig ja auch an der Uni: bei uns in Erlangen ist z.B. derzeit ein Philosophisches Seminargebäude wegen Einsturzgefahr gesperrt, während Chemie und Mathematik gerade ihre ultramodernen Neubauten feiern.
Ha! da stehen wir noch vergleichsweise schlecht dar, wenn man die unsinnigen Ausgaben mit den Jurastundenten in Teilen vergleicht. Ich habe gehört, dass es bei denen üblich ist, bei den öffentlichen Büchern die Seiten rauszureißen. Aber die Investitionen sollten auch den potentiellen Nutzen widerspiegeln, und da schuldet man den Naturwissenschaften bei weitem mehr.