pinkwoolf hat geschrieben:Bis zu einem gewissen Zeitpunkt würde ich nur von potentiellem menschlichem Leben sprechen.
Diese Aussage baut auf zwei Irrtümern auf.
Erstens ist Spezieszugehörigkeit keine ethisch relevante Eigenschaft. Die Frage, ob oder ab wann man einen Fötus als "Mensch" bezeichnen soll, ist unwichtig. Zum einen ist das eine reine Definitionsfrage. Substanzielle Probleme wie die der Abtreibung können aber nicht durch bloße Wortdefinitionen gelöst werden. Zum anderen hat es -- wie gesagt -- keine ethischen Konsequenzen, dass ein Wesen der Spezies Homo sapiens angehört. Hautschuppen gehören ebenfalls der Spezies Homo sapiens an. Soll ich sie nun besonders behandeln? Sind sie jetzt schützenswert?
Zweitens besitzt Potentialität keine moralische Bedeutung. Es gibt keinen Grund, einem potenitellen X die selben Rechte beizumessen wie einem realen X. Wenn ich ein Ei in kochendes Wasser werfe, mache ich etwas anderes, als wenn ich ein Huhn oder eine Ente töte. Auch hat die Auffassung, dass Potentialität von Bedeutung ist, äußerst spleenige Konsequenzen. Wenn das Potentialitätsargument richtig ist, dann müssten wir jede Form der Verhütung oder der Nicht-Zeugung verurteilen: Pille, Kondom, Zöllibat.
Um zu dem oben genannten Exkurs noch einmal zurückzukehren: Man müsste Hautschuppen auch eine ganz besondere Bedeutung beimessen, ihnen die Menschenrechte zusprechen. Schließlich wird man in absehbarer Zeit dazu in der Lage sein, aus Hautschuppen einen neuen Menschen zu schaffen. Bei Hautschuppen handelt es sich also auch um potentielle Menschen. Sollen wir sie jetzt wie solche behandeln?
Nun aber zu meiner Position:
Vor der Geburt ist kein Überlebensinteresse vorhanden. Ein ungeborenes besitzt keine Wünsche, Ziele, Absichten, die man mit seiner Tötung durchkreuzen könnte. Ohne ein solches Überlebensinteresse ist es auch unsinnig, dem Ungeborenen ein Recht auf Leben zuzusprechen. Ein Recht auf etwas hat nur dort Sinn, wo auch ein Interesse für dieses etwas besteht. Bei einer Abtreibung werden daher weder Interessen, noch Rechte verletzt. Es gibt daher keinen Grund, die Abtreibung
in irgendeiner Weise einzuschrenken.
Der Grund, warum so viele Menschen die Frage nach der Abtreibung für ein Dilemma halten und für unlösbar, liegt wohl -- sub specie evolutionis -- darin begründet, dass wir mit einem sehr beschrenkten moralischen Handlungsapparat ausgestattet sind, der mit einfachen, oberflächlichen, basalen Regeln funktioniert, und für das Leben im Urwald konzipiert wurde.