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Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Sa 20. Jun 2009, 06:15
von Twilight
Viele Leute schimpfen darüber, aber ich bin nicht sicher, ob dieser Prozess, dessen Ergebnis kaum noch zu überblicken ist, wirklich so negativ sein soll, wie er dargestellt wird.

In einem stabilen Gesellschaftssystem gibt es nur wenige Änderungen mit der Zeit. Dazu gehört die zunehmende Bürokratisierung. Diese scheint eine zwingende Begleiterscheinung von lange andauernder Stabilität zu sein, also wäre die einzige Möglichkeit ein totaler Umsturz. Da die Auslegung der vielen Gesetze dank zahlreicher Lücken und Ausnahmeregelungen praktisch Meinungssache der Richter ist, bleibt nur eine Möglichkeit, den Durchblick zu bewahren: Dies ist der gesunde Menschenverstand. "Tue nichts Böses, dann passiert auch nichts." Was als böse bezeichnet werden kann hängt vom Gesamtzustand der Gesellschaft ab. Diesen sollte man also schon kennen. Probleme gibt es dann nur, wenn man es darauf anlegt, die eigenen Rechte bis an die Grenzen des Machbaren auszureizen und die Pflichten bis an diese Grenzen zu vernachlässigen.

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Sa 20. Jun 2009, 11:47
von russellsteapot
Ich denke das ist ein schmaler Grad zwischen nötiger Bürokratie und ausufernder Überregulierung. Viel Kritik an der Eu geht darauf zurück (ich nehm jetzt mal die klassiche Gurkenkrümmungsverordnung als Beispiel) Wenn das Ganze in Regulierungswahn und Bevormundung ausartet (bei euch in D ja ganz arg: ich sag nur Killerspieldebatte - jetzt wollen sie sogar Österreichische Internethändler die indizierte Titel und FSK 18 Games nach Deutschland verschicken, bannen) sollte man dagegen oponieren...

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Sa 20. Jun 2009, 12:07
von stine
Was meinst du mit "Bürokratisierung" genau?

Twilight hat geschrieben:Was als böse bezeichnet werden kann hängt vom Gesamtzustand der Gesellschaft ab.
Genau hier sehe ich das Problem: Bin ich in einer Gesellschaft auch böse, wenn ich dunkelhaarig, statt blond, gläubiger Jude, statt Christ bin?
Ich denke, die Wogen können schnell mal umschlagen und dann bin ich plötzlich schuldig geworden, wo ich noch vor einem Jahr als unschuldig galt.

LG stine

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Sa 20. Jun 2009, 16:02
von Twilight
stine hat geschrieben:Was meinst du mit "Bürokratisierung" genau?

Ich meine eine andauernde Zunahme gesetzlicher Regelungen. Wenn im Grundgesetz neue Paragraphen eingeführt werden oder zu anderen Paragraphen neue Ausnahme- oder Zusatzregelungen ergänzt werden, wenn jedes Bundesland sein eigenes Baurecht bestimmt und jährlich verändert, wenn Gesetzgeber nicht mehr auf den gesunden Menschenverstand der Bevölkerung vertrauen (können/wollen) und im übertragenen Sinne jeden Pups gesetzlich regeln, dann spreche ich von Bürokratisierung.

stine hat geschrieben:
Twilight hat geschrieben:Was als böse bezeichnet werden kann hängt vom Gesamtzustand der Gesellschaft ab.
Genau hier sehe ich das Problem: Bin ich in einer Gesellschaft auch böse, wenn ich dunkelhaarig, statt blond, gläubiger Jude, statt Christ bin?
Ich denke, die Wogen können schnell mal umschlagen und dann bin ich plötzlich schuldig geworden, wo ich noch vor einem Jahr als unschuldig galt.


Genau! In der islamischen Gesellschaft bist du böse, wenn du als Frau unverhüllt, ohne männliche Begleitung aus der Familie zum Schweinefleischessen gehst, während du hierzulande böse bist, wenn du einen Ehrenmord aus religiösen Motiven begehst. Im dritten Reich wärst du als Judenbeschützerin böse gewesen, heutzutage (und hierzulande) durch die selbe Tat eine Heldin.

Aber wie ich schon im Eröffnungsbeitrag meinte: Dieser Prozess ist nur denen lästig, die sich tagtäglich in rechtlichen Grauzonen bewegen und immer auf dem neuesten Stand von dem, was erlaubt ist oder sein könnte und was nicht, sein müssen.

@russelsteapot:
Gutes Beispiel, wobei ich allerdings denke, dass dort weniger der natürliche Kontrolldrang als vielmehr die Lobbyisten für die Entwicklung verantwortlich sind.

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Sa 20. Jun 2009, 16:32
von stine
Twilight hat geschrieben:... und im übertragenen Sinne jeden Pups gesetzlich regeln, dann spreche ich von Bürokratisierung.
Ja, ich denke auch oft, dass uns die immer genaueren Einschränkungen bald auffressen.
Andererseits sind manche Menschen nicht im Stande, sich ordentlich zu benehmen, wenn es nicht gesetzlich geregelt wird.
Nimm die Metzger zB und den Einzelhandel. Wenn du denen nicht genau vorschreibst, was in der Wurst alles drin sein darf und wenn du nicht vorschreibst, dass abgelaufene Ware nicht umverpackt werden darf, dann tun die das einfach, weil ihr Verstand nicht ausreicht zu ermessen, dass das unter Umständen für jemanden tödlich verlaufen kann.

Das beliebteste Beispiel für überflüssige Regeln ist die Behindertentoilette beim Bäcker, weil er belegte Brötchen verkauft, die manche schon vor dem Laden essen wollen und der Bäcker deshalb den Laden schließen muss, weil er für solche Hygienestandards weder Platz noch Geld hat.

Vielleicht sollte der Bürokratismus durchforstet werden und nicht lebensbedrohlich endende Vorgänge eher wieder freigeben.
Andererseits: Der Beamte, der zweimal jährlich durch die Siedlung marschiert und nachschaut, wer seine Hecken nicht geschnitten hat, der wäre dann überflüssig. Wohin mit dem? :erschreckt:

LG stine

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: So 21. Jun 2009, 14:54
von platon
stine hat geschrieben:Das beliebteste Beispiel für überflüssige Regeln ist die Behindertentoilette beim Bäcker, weil er belegte Brötchen verkauft, die manche schon vor dem Laden essen wollen und der Bäcker deshalb den Laden schließen muss, weil er für solche Hygienestandards weder Platz noch Geld hat.

Nein, stine, der Bäcker muss seinen Laden natürlich nicht schließen. Wenn er Stehtische aufstellt und damit die Leute zum Verweilen einlädt, damit sie mehr verzehren, dann muss er wohl für eine Toilette sorgen, wenn er die Tische weglässt, darf er soviel belegte Brötchen verkaufen wie er will - ohne Toilettenzwang.

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: So 21. Jun 2009, 16:19
von stine
platon hat geschrieben:... wenn er die Tische weglässt, darf er soviel belegte Brötchen verkaufen wie er will - ohne Toilettenzwang.
O.K. Hatte ich wohl eine ältere Fernsehsendung im Kopf.
Es ging darum, dass ein Bäcker große Schaufenster hatte, an deren Außenseite tiefere Fensterbleche angebracht waren, auf denen man gut sitzen konnte. Und weil einige Kunden dort sitzend ihr Gebäck verspeisten, sollte der Bäcker eine behindertengerechte Toilette (wenn schon, denn schon) einrichten. Was dazu führte, dass der Bäcker auf den Schaufensterscheiben Schilder anbringen musste: "Hinsetzen verboten"!
Was die Kunden als ziemlich kleinlich empfanden und ihren Unmut erstmal bei dem Bäcker abluden.

LG stine

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Di 23. Jun 2009, 18:33
von JustFrank
Also ich finde mehr Bürokratie schadet gar nicht. Zumindest solange wir es auf Deutschland beziehen. Die meisten Deutschen hätten beispielsweise viel mehr Freude am Sex, wenn sie vorher ein Formular dafür ausfüllen müssten.

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Di 23. Jun 2009, 20:55
von Twilight
@Stine: Okay. Das ist wohl tatsächlich eine der negativen Seiten der Bürokratie. Aber ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass niedrige Fensterbänke als Sitze einem genauen Gutachten standgehalten hätten.
Das Schild war einfach der kürzere Weg.

@JustFrank: Auch wenn ich lachen muss, ist der Gedanke gar nicht so abwegig. Man stelle sich vor, dass ein Partner dem anderen ausführliche Informationen darüber, was und wie dieser es gern hätte, zukommen lässt... :applaus:

Re: Ist die zunehmende Bürokratisierung wirklich ein Problem?

BeitragVerfasst: Mi 24. Jun 2009, 06:59
von stine
Das Problem der zunehmenden Bürokratisierung ist ja nicht nur das Ausbremsen williger Aktivitäten, das größere Problem werden künftig mehr und mehr die Kosten sein, die Vater Staat aufgrund seiner Einmischung in Alles aufbringen muss.
Das wird teuer, wenn wir das bezahlen müssen.

LG stine