ujmp hat geschrieben:Die Gründung des Staates Israel wurde niemals biblisch gerechtfertigt.
Naja, ich wäre da vorsichtiger mit einem Urteil. Es wird sogar in der israelischen Unabhängigkeitserklärung ein direkter Bezug zu biblischen Zeiten, Judentum und zu Gott hergestellt. Es wird auch von jüdisch-orthodoxer Seite genau so argumentiert, wie stine das hier skizziert und die religiösen Parteien erreichen regelmäßig 10-20% der Stimmen in Israel. Du machst einen Fehler, wenn du dich, was biblische Rechtfertigung angeht, nur darauf berufst, was offiziell in irgendwelchen Dokumenten festgehalten wurde (und selbst da gibt es, wie ich im Nachfolgenden kurz zeigen werde, so einige eindeutig-zweideutige Anspielungen). Entscheidend dafür, dass ein politisches Unternehmen, wie beispielsweise eine Staatsgründung gelingt, ist immer die politische Großwetterlage, die sich allzuoft zwischen den Zeilen und in öffentlich nicht klar sichtbarer Einflussnahme allerlei interessierter Gruppen äußert. Wenn für nicht-marginale politische Gruppen oder Bevölkerungsanteile irgendwo auf der Welt die Verbindung von Israels Existenzrecht und Bibel hergestellt wird, dann hat das einen politischen Einfluss, es gibt ein entsprechendes politisches Interesse und damit wäre stines These bestätigt.
Es ja auch nicht nur um die Staatsgründung, sondern auch um das Aufrechterhalten des Staates Israel, der sich de facto in einem Dauerkriegszustand mit seinen Nachbarn befindet (mit Syrien herrscht bis heute nur ein Waffenstillstand!) und dessen Existenzrecht daher permanent in Frage gestellt wird und neu begründet werden muss. Israels Zukunft wird maßgeblich auf der politischen und ideologischen und nicht nur der militärischen Bühne entschieden.
Nur auf die offiziellen Dokumente der UN und der 1948 zustimmenden Staaten zu blicken, macht keinen Sinn, die UN ist eine schwache Institution. Man muss sich schon ansehen, welche politischen Interessen den Staat Israel am Leben erhalten, und da darf man die religiöse Komponente nicht außer Acht lassen, die gerade beim einfachen Volk der Schutzmacht USA durchaus gut ziehen könnte. Gerade die Evangelikalen und die evangelischen Kirchen lassen sich von dem biblischen Kontext immer wieder durchaus beeindrucken, fast überflüssig hier auf US-Politiker vom Typ eines G.W. Bush hinzuweisen.
Die Unterstützung für Israel und die interne politische Auseinandersetzung dort, die sich stark um die Frage dreht, welchen Stellenwert Religion im politischen Kontext haben darf, sind ebenfalls Sachen, die immer wieder neu begründet und ausgefochten werden müssen. Man darf das nicht unterschätzen: In dem Augenblick, in dem einer politischen Gruppe oder einem Regime die Legitimationsgrundlage abhanden kommt, hat sie/es ein massives Problem. Von daher ist stines Grundthese durchaus zuzustimmen, die ja nicht mehr sagt, als dass es politische Gruppen gibt, die ein Interesse daran haben, die Bibel als eine Quelle höherer, überlegener Legitimation darzustellen und diese Überzeugung zu verbreiten.
Nun noch zu der Referenz auf "jüdische Identität", Rückbezug auf biblische Zeiten und Gott in offiziellem Zusammenhang:
Die
israelische Unabhängigkeitserklärung beginnt mit folgendem Absatz (
Hervorhebungen des religiösen und biblisch-historischen Kontextes durch mich):
ERETZ-ISRAEL [(Hebrew) - the Land of Israel, Palestine] was the birthplace of the Jewish people. Here their spiritual, religious and political identity was shaped. Here they first attained to statehood, created cultural values of national and universal significance and gave to the world the eternal Book of Books.
After being forcibly exiled from their land, the people kept faith with it throughout their Dispersion and never ceased to pray and hope for their return to it and for the restoration in it of their political freedom.
Impelled by this historic and traditional attachment, Jews strove in every successive generation to re-establish themselves in their ancient homeland.
Hier wird also sehr klar zum einen auf die religiös-spirituelle Verbindung zu diesem Stück Land hingewiesen, es wird sogar explizit die Bibel genannt, wenn auch nicht als direkte Rechtfertigung für den rechtmäßigen Besitz des Landes, sondern nur als eine Art Bestandteil des kulturellen Erbes - aber immerhin, die Bibel steht im zweiten Satz der Unabhängigkeitserklärung! Dann ist weiterhin sehr viel von Glaube, Gebet und von der Restauration und Wiedergründung der alten Heimat die Rede, es wird also sehr klar die Linie zu den biblischen Zeiten gezogen.
Auch wenn es hier nicht explizit gesagt wird, die Bibel (Thora) ist selbstverständlich DIE verbindende Komponente der Israelis bzw. Juden. Die gesamte nationale Identiät beruht auf dem Judentum (ergo auch auf der Bibel). Du musst nur mal in der Berichterstattung verfolgen, wie oft darauf hingewiesen wird, dass israelische Politiker, gerade die von der konservativen, religiös-orthodoxen Seite, eine Ein-Staat-Lösung, also eine Vereinigung mit den Palästinensischen Gebieten, ablehnen, weil dadurch der "Charakter als jüdischer Staat gefährdet" sei. So gut wie alle hohen israelischen Politiker haben diese Floskel bisher regelmäßig in den Mund genommen, wenn die Rede auf dieses Thema kam.
Eine einfache Methode, wie man die Bedeutung eines Faktors in politischen Systemen ermessen kann, ist, dass man ein Gedankenexperiment macht und so tut, als gäbe es den Faktor nicht. Stell dir vor, es gäbe die Bibel nicht oder keiner würde Notiz davon nehmen. Das Judentum wäre seiner zentralen Quelle beraubt und wäre eine selbst in den Maßstäben religiöser Wirrköpfe sinnlose Karnevalsveranstaltung. Israel, das sich selbst explizit als jüdischer Staat begreift und seine Politik stark an diesem Thema ausrichtet, kann, so wie es derzeit (!) verfasst ist, nicht ohne Judentum und damit auch nicht ohne Bibel als Legitimationsgrundlage und verbindendes Element existieren, das ist eine ziemlich triviale Erkenntnis. Natürlich hat der israelische Staat andere Quellen von Legitimation, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftlichen Erfolg und die Unterstützung anderer mächtiger Staaten, aber es wäre wesentlich komplizierter, eine gute Begründung vorzubringen, weshalb Israel unterstützt werden soll, wenn es den jüdischen Bezug nicht mehr gäbe.
Es gibt auch einen expliziten Gottesbezug in der Unabhängigkeitserklärung:
PLACING OUR TRUST IN THE "ROCK OF ISRAEL",...
Mit "Rock of Israel" ist Gott gemeint. Man hat sich auf diese verschlüsselte Form geeinigt, weil säkuläre und religiöse Juden sich nicht über eine explizite Aufnahme des Gottesbezuges in die Unabhängigkeitserklärung einig werden konnten. Im Grunde ist das auch nur zweitrangig; wesentlich ist, dass es tatsächlich Gruppen gab und gibt - und das sind in Israel keine Randgruppen -, die klar den Bezug auf die biblischen Zeiten und auch auf die Thora pflegen, beispielsweise die religiöse Partei Mafdal, die ultraorthodoxe Schas-Partei und natürlich die Extremisten von Agudat Jisra’el (Unser Haus Israel). Wie man sieht, hatten Personen dieser Gesinnung sogar einen spürbaren Einfluss auf die Unabhängigkeitserklärung und hätten sicherlich auch ähnliche Formulierungen in der Verfassung durchgesetzt, so Israel denn eine hätte.