stine hat geschrieben:Die Armutsdebatte ist politisches Kalkül, würd ich sagen.
Natürlich ist sie das, es geht darum, von der großen Umverteilung von unten nach oben abzulenken, die sich in der Schere aus Arm/Reich verdeutlicht. Man braucht kein Sozialist sein um das zu denken (und ich bin mit Sicherheit keiner).
Auch gibt der Staat unbestritten viel Geld für Sozialleistungen aus, doch wird der Versicherungsaspekt doch unterschlagen. Der Staat nimmt das Geld
genau dafür ein, damit es genau für diesen Zweck verwendet werden kann. Er schleust das Geld im Prinzip nur durch, jedenfalls war das mal die Idee. Die Krankenkasse nimmt Geld ein, damit es unter den krank gewordenen wieder ausgeteilt werden kann. Es ist (erstmal) nicht der Sinn der Sache damit Geld zu verdienen. Es kann sein, dass der Versicherungssatz nicht vernünftig bemessen ist und mehr ausgezahlt als eingezahlt wird etc. das spielt alles keine Rolle. Es ist ein fauler Trick, den Pott zu betrachten und dann zu sagen: siehe da! der Staat gibt so-und-so-viele Millionen dafür aus. Das ist arglistige Täuschung.
Da werden in den Medien ein paar Archetypen vorgestellt, die anscheinend nie einer geregelten Arbeit nachgegangen sind, die einen dann etwas von Solidarität erzählen wollen. Das Wort hat dadurch einen sehr negativen Beigeschmack erhalten, weil es praktisch nur noch in bestimmten Kreisen verwendet wird. Der Staat, die Gesellschaft, müsse für sie einspringen. Rein emotional geht es mir dann nicht anders als dem Rest der arbeitenden Bevölkerung — ich könnte kotzen. Doch haben die staatlichen Einrichtungen selbst Kriterien, nach denen jemand Leistungen erhält oder nicht. Demnach gibt es einen bestimmten Prozentsatz, soweit ich weiss um die 5%, der als notorisch Arbeitsunwillig gilt. Die Lösung wäre dann: wenn die Kriterien ungeeignet sind, muss man sie anpassen.
Ferner kann man Interessen der Medien bei alle dem nicht unterschlagen, zum einen sind Nachrichten nicht gleich Nachrichten (das ist eine Unschärfe von der die BILD profitiert), zum anderen mischen mittlerweile PR-Agenturen mit Agenda-Setting groß mit. Das Prinzip läuft so: die Agentur bereitet ein Thema auf, z.B. durch Studien, die gerne bei Stiftungen wie der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben werden. Diese wird dann an die Journalisten gefüttert. Das Material ist leichter zu haben als eigene aufwändige Recherche. Der Sinn besteht darin, bestimmte Interessen durchzusetzen die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
nicht DEINE Interessen sind. Zum Beispiel Riester-Rente von der tendenziell reiche profitieren. Der Staat zahlt drauf. Für Arme rechnet es sich in der Regel nicht. Schöner Effekt, man hat nun auch noch Mittelsmänner (Versicherungskonzerne) zwischengeschaltet, die kräftig die Hand aufhalten. Verarschung³.
In Wahrheit wäre das beste Mittel gegen Mißbrauch (egal wo) klarere Regeln. Da der Staat sich aber einbildet, jeden einzelnen individuell einstellen zu wollen, wird zur »Optimierung« eingeladen. So funktioniert Lobbyarbeit auf anderer Ebene anscheinend auch, genügend Sonderregeln generieren, die dann ausnutzbar werden (und ausgenutzt werden). Möchte man das umgehen, sollte der Staat im Falle von Arbeitslosen quasi als »Arbeitgeber« auftreten. Das »Gehalt« würde sich wie in der Wirtschaft auch nach Qualifikation, Alter usw. richten, wäre dann aber pauschal. Da hätten wir auch wieder die Sache mit der »Würde« für die Betroffenen in der Gleichung drin und der Nachbar kann zudem nicht neidisch werden, weil Miete oder kaputte Waschmaschine, Kleidergeld usw extra berechnet werden. Das passt eigentlich auch in das liberale Weltbild, denn der Arbeitslose muss dann selber zusehen wie er die Summe einteilt und wird nicht bevormundet. Das käme eventuell etwas teurer (da nicht auf jeden Einzelfall steuerbar),
könnte sich aber ausgleichen, da an Verwaltung gespart wird. Nebeneffekt, Intelligente Meschen hätten über diese Regeln tendenziell mehr auf dem Konto und das sollte auch donquijote überzeugen können, auch wenn die Zusammenhänge zur Evolution unkalkulierbar sind (→ anderes Thema).
Wie einseitig die Debatte abläuft zeigte das Drama um die vereisten Straßen von Berlin. Es ist zwar nur eine Anekdote, aber bestätigt meiner Meinung nach die Regel. Politiker der FDP hatten behauptet, die Arbeitslosen seien zu faul um Schnee zu schippen, die Straßen seien vereist aber niemand würde sich aufraffen. Das geisterte durch die Medien und malte wieder das altbekannte Bild vom faulen Arbeitslosen. In Wahrheit hatte die Stadt eine bestimmte Anzahl Stellen ausgeschrieben und es hat sich eine sensationell hohe Anzahl an Leuten gemeldet. Wenn ich die Zahlen finde, reiche ich sie gerne nach. Das war dann aber nur eine Fußnote wert.
Überhaupt werden die Arbeitslosen zu leichtfertig als homogene, dauerhafte Masse betrachtet. Gerade
suchte ich nach der hiesigen Langzeitarbeitslosenquote. Der erste brauchbare Treffer verweist auf Welt Online (bekanntermaßen konservativ), der Artikel nennt natürlich die obligatorische Bertelsmann-Stiftung als Quelle (wie zur Bestätigung des oben geschrieben) und behauptet es läge an den fetten Leistungen in Deutschland. Liest man weiter, entfaltet sich die Ideologie. Mal sind die Zahlen aus Österreich nicht aussagekräftig, weil die Arbeitslose aus der Statistik rausfallen, dann wird aber resümiert: »Positiv auf Österreichs Arbeitsmarkt habe sich allerdings auch eine seit den achtziger Jahren gestiegene Flexibilität der Löhne erwiesen« (
Quelle), schon bei der euphemistischen Wortwahl müsste man argwöhnisch werden.
Nur weil man skeptisch ist oder gar benennt, dass in Deutschland in großem Stil abkassiert wird und zwar nicht von Arbeitslosen sondern an ganz anderen Ecken, wird man nicht gleich Sozialist oder gar Kommunist.