von Nanna » Di 22. Feb 2011, 17:44
Erstmal ein kurzer Einwurf zur Demografie: Das Problem ist, dass die Katze sich da in den Schwanz beißt. Geburtenraten sinken erst dann signifikant, wenn ein gewisses Maß an Wohlstand erreicht ist. Wenn umgekehrt aber die Massen an Kindern einen effektiven WIrtschaftsaufschwung verhindern, dann wird auch der Wohlstand nicht erreicht, der nötig wäre, um die Vermehrung abzuwürgen (so wie das in der muslimischen (!) Türkei seit einigen Jahren analog zur europäischen Entwicklung in den 60ern/70ern passiert). Wie man das Problem löst? Ich habe keine Ahnung.
Zu stines Fragen:
Ich wäre erstmal vorsichtig mit Revolutionsromantik. Ob überhaupt halbwegs demokratische Staaten in den arabischen Ländern entstehen, ist abhängig von vielen Faktoren und nicht gerade eine notwendige Entwicklung. Ägypten ist tief zerfressen von klientelistischen und neopatrimonialen Strukturen und gerade das Militär hat in diesen Seilschaften tief seine Finger mit drin. Ich befürchte, dass die Ägypter sich da etwas vormachen, wenn sie auf das Militär als Transitionsmacht setzen. Aber wer weiß, es gibt in der Geschichte vereinzelte Beispiele, wo Personen und Institutionen entgegen eigener Interessen aus Vernunft und Patriotismus dem Wandel Platz gemacht haben. Vielleicht haben die Ägypter ja jetzt auch mal Glück.
Man muss sich außerdem klarmachen, dass politikwissenschaftliche Theorien und empirische Vergleiche für so arme Länder wie die im Nahen Osten komplizierte und langwierige Transitionsprozesse voraussagen und dass, ähnlich wie in Südostasien (Phillipinen, Indonesien, Thailand), wahrscheinlich erstmal defekte Demokratien entstehen werden, die Jahrzehnte brauchen, um sich zu konsolidieren und eine demokratische Kultur zu entwickeln (Stichwort "citoyen"). Wenn du also fragst, wie demokratisch diese Länder sind, dann kann die Antwort nur lauten: gar nicht. Wenn es dir darum ging zu fragen, welches Potential diese Länder haben, dann würde ich sagen, eines, das ausreichend sein könnte, aber sicherlich keines, das die alten halbseidenen Strukturen von heute auf morgen wegfegen wird und in kurzer Zeit eine westeuropäische Debattenkultur hervorbringen wird.
Religion spielt eine große Rolle in den nahöstlichen Gesellschaften und das wird auch noch auf absehbare Zeit so bleiben. Der Vergleich mit der CDU ist daher gar nicht so schlecht, wobei wir hier natürlich eher über die CDU der 50er Jahre reden als über die heutige, die mit Patchworkfamilien und Schwulen kein fundamentales Problem mehr hat. Diesen Wandel hat die CDU aber auch nur deshalb durchgemacht, weil sie immer wieder mit den Realitäten des politischen Alltags umgehen musste. Deshalb habe ich auch keine große Angst vor den Muslimbrüdern. Die sollen ruhig an der Regierung teilnehmen. Die Muslimbrüder sind in sich im Grunde ideologisch stark zersplittert, das fällt derzeit nur noch nicht auf, weil es im Regime einen gemeinsamen Feind gibt, der zusammenschweißt. Ich nehme aber an, dasss, sobald die Muslimbrüder an einem Parlament mit echter Macht teilnehmen, ein Entzauberungsprozess einsetzen wird, der vielleicht sogar zur Spaltung in mehrere religiöse Parteien führt. Die Hamas im Gazastreifen hat da eine ähnliche Geschichte hinter sich, seitdem sie da in der Regierungsverantwortung ist, finden die Leute sie gar nicht mehr so toll. Der politische Alltag frisst halt am Ende jeden Mythos.