von Nanna » Fr 1. Apr 2011, 19:49
Ich könnte zwar jetzt eine lange Reihe von Überlegungen, Gegenüberlegungen und einem Fazit schreiben. Aber bevor ich damit anfange, fände ich es sinnvoll, erstmal gewisse Rahmenlinien zu klären. In dem Zusammenhang würde mich interessieren, was denn realistischerweise überhaupt möglich ist an "alle sich selbst überlassen". Und dazu habe ich eine Menge Fragen:
- Was bedeutet das konkret? Dass wir uns nur grundsätzlich nicht militärisch einmischen? Oder dass wir auch keine Wirtschaftssanktionen verhängen?
- Wie sieht die langfristige Perspektive aus? Wie viele Terroranschläge und kriminelle Machenschaften sind wir beispielsweise pro Jahr bereit hinzunehmen, wenn Terroristen und Mafiosi noch freier agieren können, als sie dank der Globalisierung sowieso schon tun?
- Was täten wir, wenn ganze Staatenreihen kippen würden, weil wir den Brandherd nicht früh genug eingedämmt haben? Wie weit dürfen kriegerische Auseinandersetzungen an Europa heranrücken, damit wir eingreifen? Ist Libyen noch ok, ist der Balkan noch ok, oder muss es tatsächlich erst in unseren eigenen Plattenbauslums flächendeckend brennen? Worst-case-Szenarien sind manchmal ganz brauchbar, um Prinzipien zu testen.
- Was tun wir, wenn wir von einem Land oder einem Teil der dortigen Bevölkerung konkret um Hilfe gebeten werden? Ändert das die Rahmenbedingungen?
- Was tun wir mit unserer Wirtschaft? Sind wir bereit, gesperrte Handelswege in Kauf zu nehmen, etwa, wenn die Passage durch das Rote Meer dank zweier failed states (Somalia und Jemen) nicht mehr befahrbar ist? Investieren wir dann in Russland, um endlich die Transsib auszubauen? Aber was, wenn in Russland Chaos ausbricht? Wo investieren wir, wenn weite Teile der Welt wegen fehlender Infrastruktur, fehlender Schulbildung der Bevölkerung, fehlender Rechtssicherheit für Investitionen nicht geeignet sind? Bauen wir den Waffensektor aus, damit der Tod wieder ein Meister ist, der aus Deutschland kommt?
- Wie gehen wir mit den Medienbildern von Hunger, Tod, Gewalt und Verzweiflung um? Wie mit moralischen Forderungen nach Hilfe, Mitleid und Empathie?
Ich bin kein grundsätzlicher Interventionist. Ich bin im Zweifel eher dafür, die Betroffenen das selber ausfechten zu lassen und sie ihre Lektion selbst lernen zu lassen. Es gibt dafür gute Beispiele z.B. China. Allerdings gab es da seit Jahrzehnten auch keinen Bürgerkrieg, sondern nur "normale" Misswirtschaft, in die wir uns sowieso nie eingemischt haben. Bei Fragen der Interventionen geht es ja doch meist eher um Völkermord und brutale Unterdrückung. Man kann tatsächlich fragen, inwiefern der Irak und Afghanistan sich tatsächlich für humanitäre Interventionen qualifiziert haben. Der Irak wohl nicht und Afghanistan war eine komplizierte Frage in einer aufgewühlten Zeit, in der man besser nochmal nachgedacht hätte. Aber ich weiß nicht, ob es den meisten Verfechtern humanitären Interventionsmus' um diese beiden Fälle wirklich geht, oder ob da nicht eher Bilder von Ruanda und Darfur im Kopf schwirren. Und ich glaube schon, dass die Libyen-Frage auch mit der Angst zu tun hat, nochmal ein Ruanda zuzulassen.