von Nanna » Fr 3. Jun 2011, 11:35
Ich mag kein passiv-aggressives Verhalten, deshalb würde ich dir dazu eher nicht raten. Es ist in Situationen wie denen, die du beschreibst, sicher nicht einfach, den richtigen Ton zu treffen. Intellektuelle Schärfe und ein souverän-lockeres Auftreten ist in der Mehrzahl der Fälle eine Killerkombination, verlangt aber viel Übung und Selbstbeherrschung.
Einfach nur laut und beleidigend werden bringt nichts. Sowas wie "imaginärer Freund" würde ich an der Stelle daher gar nicht in den Mund nehmen. Die Irrationalität der Überzeugungen deines Gegenübers ist in der Situation nicht das Thema und du wirst nur Abwehrreflexe und eine Spiegelargumentation hevorrufen, bei der dein Gegenüber und du euch abwechselnd an den Kopf werfen werdet, dass eure jeweilige Position stimmiger sei, was in einer aufgeheizten Stimmung dann nach zwei Wortwechseln bei sinnloser Phrasendrescherei angekommen ist, bei der es nur noch darum geht, zu demonstrieren, dass man niemals nachgeben wird, und die Argumentation als solche nur noch Kulisse ist. In dem Fall hättest du tatsächlich eine Mitschuld daran, dass du der Gastgeberin den Abend vermiest hast.
Bevor du verbal zuschlägst, musst du grundsätzlich strukturiert haben, was du sagen möchtest und auf welchen zentralen Punkt du hinausmöchtest. Die meisten Leute quatschen einfach los und sagen, was ihnen gerade ungeordnet durch den Kopf schießt, deshalb ist Konversation ja meist auch so ziellos und langweilig. Der zentrale Punkt in der obigen Auseinandersetzung ist, dass zwei Gruppen von Personen die Bitte erhoben haben, dass ihre jeweiligen Überzeugungen beim Essen geachtet werden. Darum, und NUR darum geht es. Woher die jeweiligen Überzeugungen stammen, ist irrelevant, und es ist von zentraler Bedeutung, das sofort klarzumachen, sobald der Streit losgeht. Lass dir nie, nie, nie die Agenda eines Streites vorschreiben, sonst zieht dich der Gegner auf sein Territorium, wo du keine argumentative Handhabe hast. Das haben die Muslime ja offenbar auf dieser Veranstaltung gemacht, indem sie statt der Verletzung von Anstandsregeln so getan haben, als wäre es in Wirklichkeit um den höheren Wert des Islams gegangen.
In so einem Fall muss man sofort gegensteuern und klarmachen, dass es nicht um persönliche Ansichten geht, dass man auch kein Interesse an einer Diskussion über Weltanschauungen hat, sondern dass man einfach nur mit seinen persönlichen Ansichten geachtet werden will, aus Anstand und weil man sonst auch nicht bereit ist, das Gegenüber zu achten. Lass dich nicht in die Hilflosigkeit abdrängen, du hättest im Fall, dass die Muslime keinerlei Einsicht und Anstandsgefühl geäußert hätten, auch die sehr, sehr mächtige Drohung aussprechen können, dass du Nicht-Halal-Fleisch absichtlich zum Halal-Fleisch legst, wenn die anderen nicht bereit wären, auf dich Rücksicht zu nehmen. Du hättest etwaige Empörung dann kontern können, dass "Auge um Auge" ja eine auch im Koran bekannte Regel sei und du nicht zu Respekt gegenüber Menschen verpflichtet seist, wenn diese Menschen dir auch keinerlei Verständnis und Respekt gegenüberbringen würden. In jedem Fall, und das ist das schwierige, musst du ruhig und höflich bleiben, ganz besonders dann, wenn du drohst, und du darfst nie bluffen. Drohungen müssen glaubwürdig sein und es ist absolut legitim, Drohpotential auch auszuspielen, wenn Appelle an die Vernunft und Mitmenschlichkeit nicht fruchten (aber immer erst danach, sonst giltst du wieder als Fremdenfeind).
Gerade, wenn man sich im Kultursystem seines Gegenübers gut auskennt, kann es auch helfen, den anderen bei seinen eigenen Grundsätzen zu packen. In der islamischen Kultur gelten Gastfreundschaft und Gemeinschaftssinn sehr viel, du könntest in solchen Situationen auch Enttäuschung darüber äußern, dass du ausgerechnet von Muslimen so behandelt wirst, obwohl du ja immer dachtest, dass diese besonders großherzig gegenüber Gästen und Fremden und auch Andersdenkenden seien. Damit spielst du, gerade bei Konvertiten, direkt mit deren Angst, kein guter Muslim zu sein (aber Achtung, das kann sehr emotionale Reaktionen triggern und du darfst es nicht aus purer Lust an der Verletzung machen, außer du hast selbst eine krasse Beleidigung einstecken müssen). Das ist dann ein argumentum ab utili, bei dem dem Gegner klargemacht wird, dass er seine eigenen Interessen verletzt.
edit:
Ach ja, und wenn anderen nicht auffällt, was deine Intentionen sind (Selbstverteidigung, Forderung nach Gleichberechtigung), dann benenne das ganz offen. "Ich verlange nur, dass ich auch fair behandelt werde, so wie ich die Muslime hier ja auch behandele, oder etwa nicht?" ist gegenüber Leuten, die Konfliktvermeider und harmoniebedürftig sind, meist eine recht wirksame Motivation, in der Situation als Schlichter aufzutreten. Wenn man unfair behandelt wird und es bei den Umstehenden grundsätzlich sowas wie Gerechtigkeitssinn gibt, ist das Spielen des Opfers und der beleidigten Leberwurst auch eine mögliche Strategie, auch wenn ich, wie gesagt, passiv-aggressives Auftreten nicht mag und die offene Konfrontation bevorzuge.