Occupy Wall Street - We are 99%

Re: Occupy Wall Street - We are 99%

Beitragvon Teh Asphyx » So 13. Nov 2011, 18:23

Ich denke, das Hauptproblem an der ganzen Sache ist, dass eine Lösung gesucht wird, die mit dem Wort „Demokratie“ in irgendeiner Weise vereinbar sein muss. Von einem Begriff möchte ich hier nicht sprechen, denn es gibt unzählige Demokratie-Begriffe. Die Menge an Demokratie-Begriffen führt mitunter auch dazu, dass kaum einer noch versteht, was los ist. So ungefähr als würden ein Pantheist, ein Christ und ein heidnischer Germane über „Gott“ reden, ohne dass der eine weiß, wovon der andere spricht.

Was ich an der Demokratie bemängele ist vor allem, dass fast jeder, der davon spricht, das irgendwie mit der idealen Gesellschaft verbindet. Was aber, wenn Demokratie nicht ideal ist und somit diese Vorstellung nur zu Fehlschlüssen führen kann? Eines ist jedenfalls für mich klar, nämlich dass die Demokratie die alten Herrschaftsformen in keiner Weise überwunden hat, sondern die selben etablierten Sachen in noch krasserer Form mit einer anderen Legitimierung weiterführt. Gewaltmonopol, räuberische Erpressung (Steuern) etc. werden alle „zum Wohl des Volkes“ weiter betrieben anstatt hinterfragt. Und wenn jemand mal nur ein Gedankenspiel macht, dass das System hinterfragt, wie zum Beispiel Peter Sloterdijk mit seiner „Revolution der gebenden Hand“ (wobei der Titel nicht auf seinem Mist gewachsen ist), dann wird gleich von allen Seiten geschossen, anstatt mal wirklich darüber reflektiert, was er eigentlich damit meint.
Die Frage ist für mich somit – und damit wird es in der Tat sehr komplex – nicht, welches Herrschaftssystem optimal ist, sondern was für Gesellschaften jenseits von Herrschaft denkbar sind („Anarchie“ sagt nichts aus, deswegen spreche ich auch nicht davon) und wie eine Gesellschaft sich aus der Herrschaft und der Ideologie hinaus bewegen kann.

Mit der kapitalistischen „freiheitlichen“ Demokratie ist die Herrschaft als solche in eine Sackgasse geraten. Das ist sozusagen meine neue Interpretation von Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“, da diese Geschichte quasi wirklich damit zu ende geht.

Eine denkbare Möglichkeit wäre eine Gesellschaft, die nicht hierarchisch aufgebaut ist, sondern wie das Rhizom-Modell von Gilles Deleuze und Felix Guattari. Dann wäre die Frage nicht mehr „Globalisierung – ja oder nein?“, sondern „wie viele Globalisierungen?“.
Gerade durch das Internet bieten sich unvorstellbare Möglichkeiten und mir ist bisher kein Soziologe bekannt, der da auch nur den leisesten Anschein von Verständnis darüber zeigt.
Da ich selbst Philosophie und Sozialpsychologie studiere, hab ich da ein besonders starkes Interesse an solchen Themen und möchte selbst auch gerne in diese Richtung forschen, vorzugsweise nicht nur zur Unterhaltung einiger Akademiker, sondern so, dass es auch was bewirkt. Von daher bin ich über jeden differenzierten Austausch zu diesem Thema sehr froh.
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Re: Occupy Wall Street - We are 99%

Beitragvon Nanna » Mo 14. Nov 2011, 12:43

Ich beteilige mich Ende der Woche gerne intensiver, wenn ich wieder einen annehmbaren Internetanschluss habe. Nur so viel:

Ich finde es gut, dass du dich differenziert mit dem Demokratiebegriff auseinandersetzt, das ist nämlich tatsächlich ein fundamentales Versäumnis der gegenwärtigen Diskussion. Allerdings tendierst auch du in deinem Beitrag dazu, Behauptungen ohne Begründung aufzustellen: Wird das Gewaltmonopol wirklich nicht hinterfragt? Impliziert deine Formulierung, dass "wird nicht hinterfragt" gleichbedeutend mit "muss abgeschafft werden" ist? Was meint Sloterdijk denn wirklich, wenn er so missverstanden wird? Und worin besteht das Missverständnis? Was ist überhaupt "die Herrschaft" oder "die Ideologie" und warum habe ich den Eindruck, dass du die Begriffe normativ und abwertend benutzt? Warum ist die derzeitige Demokratie "kapitalistisch" und warum setzt du "freiheitlich" in Anführungszeichen? Was ist genau deine Interpretation von Fukuyama (etwas elaborierter und analytischer bitte, Schlagworte kann ich auch aneinanderreihen)? Inwiefern ist unsere Gesellschaft hierarchisch aufgebaut und inwiefern könnte sie es nicht sein? Wie willst du das Rhizom-Modell (ein Modell zur Organisation von Wissen, fundamental andere Kategorie!) auf Gesellschaften übertragen und inwiefern sind Gesellschaften denn baumartig anstatt netzwerkartig organisiert? Wie sollen sich Hierarchien vermeiden lassen, wenn jemand im Rhizom-Netzwerk zentrale Knoten besetzt, die sich nicht umgehen lassen (Ressourcenkontrolle beispielsweise)? undsoweiter...

Du darfst gerne etwas mehr ausholen und Zusammenhänge erläutern, auch und gerade für die Nicht-Sozialwissenschaftler unter uns. Und tapp bitte nicht in die Falle, dem Internet, dem Rhizommodell oder irgendeinem anderen Begriff oder einer Theorie eine Heilslehre zu implantieren. Geht nur schief, wie alle Utopien. Deshalb hat auch das Internet zwar unvorstellbare, aber bei weitem nicht unbegrenzte Möglichkeiten. Das sollte man im Hinterkopf behalten, bevor man zu euphorisch wird. ;-) Ich verstehe zwar, dass du gerne "wirklich etwas bewirken" willst, aber für gute Ergebnisse muss man in der Analyse größtmögliche Distanz zum Gegenstand bewahren, sonst kommt früher oder später (meist früher) Wunschdenken ins Spiel.

Was mich auch interessieren würde ist, was du dir von deiner freieren, hierarchielosen bzw. sagen wir mal, hierarchieärmeren (verglichen zur jetzigen) Gesellschaft erwartest. Inwiefern wird das Leben dort besser, wo liegen die konkreten Vorteile dieser gesellschaftlichen Organisationsform? Ich will das deshalb so genau wissen, weil Freiheit häufig zum Selbstzweck gefordert wird, als pathetisch überhöhte Erlösungshoffnung ohne vorsichtig-distanzierte Analyse der Konsequenzen, nicht als tatsächlich realistischer und vor allem realistisch durchkalkulierter Lösungsvorschlag für ein konkretes Problem.
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Re: Occupy Wall Street - We are 99%

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 14. Nov 2011, 15:16

Stimmt, die Begründungen sind alle in meinem Kopf, aber natürlich müsste ich sehr weit ausholen, um das hier alles fundiert aufzuschreiben. Die Verlockung ist da, es jetzt zu machen, aber es warten noch einige andere Aufgaben auf mich, die ich nur all zu gerne verschiebe. Ich werde aber versuchen nach und nach zu allen Fragen eine Antwort zu formulieren und diese dann hier zu posten. Da ich nicht darauf angewiesen bin, morgen eine Zeitung in Druck zu geben und unbedingt da was schlaues stehen muss, habe ich natürlich den Vorteil, mir einfach Zeit lassen zu können, mir auch vernünftige Antworten zu überlegen, die nicht nur noch konfuser machen. Momentan kann ich nämlich überhaupt keine aktuellen Nachrichten zu dem Thema lesen, weil mir da vor laute Irrungen und Wirrungen nur noch der Schädel brummt. :/
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Re: Occupy Wall Street - We are 99%

Beitragvon Lumen » Di 15. Nov 2011, 16:36

Wie es wirklich ist.

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Re: Occupy Wall Street - We are 99%

Beitragvon Gandalf » Di 15. Nov 2011, 21:41

Nanna hat geschrieben:Dein Beitrag war also dahergesagt und unreflektiert?

Induktivistische Schlüsse können "überraschend in die Hose" gehen ;-)
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Re: Occupy Wall Street - We are 99%

Beitragvon tanjaw » So 27. Nov 2011, 21:39

Ich denke, das Hauptproblem an der ganzen Sache ist, dass eine Lösung gesucht wird, die mit dem Wort „Demokratie“ in irgendeiner Weise vereinbar sein muss. Von einem Begriff möchte ich hier nicht sprechen, denn es gibt unzählige Demokratie-Begriffe. Die Menge an Demokratie-Begriffen führt mitunter auch dazu, dass kaum einer noch versteht, was los ist. So ungefähr als würden ein Pantheist, ein Christ und ein heidnischer Germane über „Gott“ reden, ohne dass der eine weiß, wovon der andere spricht.
Genau so ist es:)
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