Kriegst du deine Hände an eine SZ vom letzten Freitag (27.11.11)? Falls ja, lies mal auf S.14 das Interview "Megacitys sind unsere beste Chance" mit Doug Saunders, dem Autor von "Arrival City". Saunders hat weltweit sog. "Ankunftsviertel" (= "Arrival Cities") untersucht, in denen die Landbevölkerung zuerst Fuß fasst, nachdem sie in die Städte migriert ist. Saunders These, die offenbar auch ganz solide untermauern kann, ist, dass diese Einwanderer meist sehr motiviert und aufstiegswillig ankommen und, sofern sie halbwegs passable Integrationsmöglichkeiten vorfinden, schnell, d.h. in ein bis zwei Generationen, in die Mittelschicht aufsteigen und dann mehr Steuern abführen als sie Ausgaben verursachen. Das Interview ist recht lang, daher gebe ich jetzt nicht alles wieder.
Wichtig für unsere Diskussionsfrage hier ist folgender Zusammenhang: Die (fast immer arme) Landbevölkerung tendiert zu Kinderreichtum, weil a) in agrarisch geprägten Kulturen Kinder v.a. als Arbeitskräfte gesehen werden und b) Hungersnöte in ruralen Gegenden häufiger sind, weil Selbstversorgerwirtschaft mit geringer Arbeitsteiligkeit ineffizient ist. Die Folge ist, dass man viele Kinder bekommen muss, weil wahrscheinlich eh nicht alle durchkommen werden. Hat die Landbeverölkerung den Zuzug in die Stadt aber erstmal geschafft und ist sozial ein bisschen aufgestiegen, dann dreht sich das alles um. Das Stadtleben erfordert Expertentum, dort muss man gebildet sein, um wirklich Geld verdienen zu können. Die Folge ist, dass die Familien in Bildung für die Kinder investieren, und die ist nunmal zeitlich und monetär aufwändig, d.h. alle Anstrengungen werden auf ein oder zwei Kinder gebündelt. Die Folge ist, dass Verstädterung weltweit ziemlich eindeutig mit einem Rückgang der Geburtenrate korreliert. Auch jüngste Beispiele wie Südafrika, Brasilien oder die Türkei bestätigen diesen Trend.
Da nun weltweit ein Trend zur Verstädterung belegt ist (in Deutschland sind mittlerweile weniger als 3% der Bevölkerung in der Landwirtschaft engagiert und nur 15% leben noch auf dem Land) und steigender Wohlstand weniger Kinder bedeutet, sind die Hochrechnungen für 2100 relativ solide, sofern Katastrophen ausbleiben, die den Verlauf extrem beeinflussen würden. In jedem Fall wird es früher oder später zu einer konstanten Bevölkerungszahl kommen sowieso zu einem Rückzug der Menschheit in Großstädte, während das weitere Umland nur noch sehr dünn besiedelt und großteils automatisch bewirtschaftet sein wird.
xander1 hat geschrieben:Das sehe ich zunächst auch so. Was aber wenn ihre dadurch gewonnene Macht gegen uns eingesetzt wird oder wenn sie sich rächen wollen wegen der Kolonialzeit. Die Chinesen sind noch heute sauer auf die Europäer, was sie vor 100 Jahren angerichtet haben.
Richtig, aber die Chinesen sind ja auch keine Idioten. Gezielte Angriffe auf den Westen, welcher Art auch immer, sind irrational, von daher würde es sicher nie gezielte Racheaktionen eines chinesischen Staates gegen andere Länder geben. Eine rational agierende Regierung ist an einem gutem Ruf und guten Handelsbeziehungen interessiert, sowas kloppt man nicht in die Tonne, um andere Völker für die Taten von deren Vorfahren zu bestrafen. Problematischer wäre es schon, wenn man versuchen würde, innenpolitische Krisen durch außenpolitische Provokationen einzudämmen, was ja häufig getan wird. Wohlstand ist keine Immunisierung dagegen, wie man an den USA beobachten kann. Andererseits überdeckt Wohlstand auch frühere Wunden, weil er für Aufstiegsstolz und Zerstreuung durch Konsum sorgt.
In jedem Fall werden wir das Problem nicht dadurch lösen, dass wir versuchen, China und andere Staaten für alle Zeiten klein zu halten. Abgesehen davon, dass es dafür eh schon zu spät wäre, würde es auf Dauer nicht funktionieren und die Demütigung nur vertiefen. Man sehe sich den ruinierten Ruf des Westens in der arabischen Welt an, der viel zu lange autoritäre Regime geschützt hat, die sich u.a. durch die Eindämmung des islamistischen Terrorismus gerechtfertigt haben, den sie durch ihre Misswirtschaft selbst erzeugt haben. Hätte man vor 50 Jahren einen Marschallplan für den Nahen Osten aufgelegt, dann hätten wir vielleicht jetzt einen prosperierenden, demokratischen Mittelmeerwirtschaftsraum mit einer EU vom Nordkap bis zur Sahara. Stattdessen haben wir Dauerkrise und erleben nun endlich die Klärung von jahrzehntelang vergrabenen innergesellschaftlichen Konflikten. Von daher bleibe ich dabei, die einzige Chance auf eine dauerhafte Stabilität, sowohl politisch wie wirtschaftlich wie ökologisch liegt in der Schaffung weltweiten, ähnlich nivellierten Wohlstandes.