Das übertragbare Wahlrecht

Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Mark » Mi 28. Dez 2011, 00:54

Was haltet Ihr von einem System eines übertragbaren Wahlrechts ?
Dadurch könnten zB öffentliche Meinungsmacher (zB Blogger, berühmte Aktivisten etc) Unterstützer hinter sich versammeln, und grundsätzlich bei allen demokratischen Abstimmungen mit all den Stimmen der "eingetragenen Unterstützer" wählen. Dies würde vielen wahlfaulen Menschen ermöglichen ihre demokratische Pflicht ohne viel Dazutun zu erfüllen, aber ich spüre wie das Diskussionspotential um diese Idee gärt..
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon mat-in » Mi 28. Dez 2011, 12:22

Ehrlich? Nix. Das wahlrecht ist doch schon manipuliert genug durch millionen-euro-image-kampagnen. Wenn die Leute es nicht mal mehr schaffen, andere zur Abstimmung zu bewegen, haben sie auch keine Stimme verdient. Wir brauchen keine indirekt-indirekte Demokratie sondern eine direktere. Je weniger "Wahlleute" dazwischen, desto schwerer ist es "meinung zu machen".
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Nanna » Mi 28. Dez 2011, 14:49

mat-in hat geschrieben:Je weniger "Wahlleute" dazwischen, desto schwerer ist es "meinung zu machen".

Interessant. Ich glaube nämlich, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Je mehr Entscheidungskompetenzen Menschen haben, die neben ihrem Alltagsleben (Beruf, Familie, Freunde, Hobbies) eigentlich kaum Zeit und auch nicht zwangsweise die nötige Bildung, die für das schnelle Erfassen und Kategorisieren von komplexen Sachverhalten nötig ist, desto ausschlaggebender werden einfache Meinungen und Parolen, die das Informationschaos und die daraus resultierende Überforderung scheinbar (!) reduzieren und wieder alles anschaulich machen. Das führt dann leider zu einem Diskurs, der sich schnell auf das Niveau von BILD-Schlagzeilen herunterlässt.
Ich glaube, du sitzt da einer der großen Lebenslügen des liberalen Bürgertums auf: Wenn wir nur alle befreien (von schlechten Wahlsystemen, korrupten Medienmachern, irgendsowas), dann werden alle vernünftig und denken augenblicklich ganz genauso wie wir! Es ist nur genau andersherum: Direkte Demokratie ist DIE Arena schlechthin für Demogagogen und Charismatiker. Man kann das exemplarisch an dem Occupy-Protesten sehen: In den großen Versammlungen kamen Redner mit etwas differenzierteren Argumenten nicht durch, die Masse wollte einfach nicht zuhören. Einfache Slogans wurden dagegen nachgebrüllt. Nicht zuletzt deshalb hat Occupy Wall Street nach wie vor keine rechte Durchschlagskraft und genau aus demselben Grund ging die Basisdemokratie bei den Grünen nach kurzer chaotischer Zeit den Bach runter und wurde durch robustere, aber auch hierarchischere Parteistrukturen ersetzt.
Das heißt übrigens nicht, dass sie nicht funktionieren kann, aber sie hat halt - wie alle Demokratietypen - Defizite, denen man mit einem System aus checks and balances begegnen muss (z.B. indem man eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit und ggf. eine gewählte Expertenkammer als Gegenpol zur Volksmasse setzt und dann Blockade- und Vermittlungsmechanismen einbaut, die vor dem größten Blödsinn bewahren - kurz gesagt, man muss Spielregeln erfinden, die funktionieren).

Was das übertragbare Wahlrecht angeht, bin ich ganz mit dir einer Meinung: Schlechte Idee! Und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen:
  • Die Idee verlagert das Problem nur: Statt für einen Abgeordneten oder eine Partei muss man jetzt einen Aktivisten wählen, an den man sein Entscheidungsrecht delegiert. Was ist dabei bitte gewonnen?
  • Ähnlicher Punkt: Zersplitterung des politischen Systems durch die Schaffung außerparlamentarischer Delegierter (=> lieber die Aktivisten gleich ins Parlament wählen, was spricht dagegen?)
  • Gefahr der Korruption: a) Stimmen können sehr leicht käuflich gemacht werden, die entsprechende Strafverfolgung ist bei Stimmenkäufen im größeren Stil kaum umsetzbar. b) Aktivisten können gekauft werden, unterliegen aber nicht denselben strengen Kontrollmechanismen wie ordentliche Abgeordnete.
  • Entwertung des demokratischen Ziels des mündigen Staatsbürgers, der für sich selbst Verantwortung übernimmt.
  • Verzerrung der ohnehin schon schlechten Willensabbildung: Durch die Zuschaltung von Zwischeninstanzen wird der ursprüngliche Wille des Wählers weiter verzerrt, weil erst alle Stimmen auf einen Aktivisten vereinigt und damit auf dessen Ziele verengt werden, in Schritt 2 dasselbe mit dem Abgeordneten passiert und dann nochmal alles im parlamentarischen Kompromissgerangel verwaschen wird. In dem Punkt bin ich ganz bei mat-in: Lieber weniger Zwischenebenen, damit möglichst viel Wählerwille oben ankommt.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Celtic » Mi 28. Dez 2011, 17:02

Ich halte ebenfalls nichts von einem übertragbaren Wahlrecht. Es ist schon schwer genug, sich bei den Parteien einen Überblick zu verschaffen, wer warum welche Position zu einem wichtigen Thema hat. Durch die "Aktivisten" würde das ganze noch unübersichtlicher werden.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Mark » Mi 28. Dez 2011, 21:38

Nanna hat geschrieben:,
Was das übertragbare Wahlrecht angeht, bin ich ganz mit dir einer Meinung: Schlechte Idee! Und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen:
[list][*]Die Idee verlagert das Problem nur: Statt für einen Abgeordneten oder eine Partei muss man jetzt einen Aktivisten wählen, an den man sein Entscheidungsrecht delegiert. Was ist dabei bitte gewonnen?


Bitte mal ein klein wenig eingehender überdenken. Diesen Aktivisten oder Bürgerrechtler meines Vertrauens kann ich mir aussuchen, und jederzeit kann ich ihm meine Stimme wieder entziehen. Bei den Wahlen selber muss ich jedoch wählen was man mir vorsetzt.
Solche Stimmensammler würden als mächtigere Volksvertreter direkt mit den Parteien verhandeln, es gäbe Ausschüsse der Stimmreichsten Wahlmänner, eine gemeinsame Politik vor dem Level der Parteienwelt mit all ihrem Schranzentum. Das wäre eine ständig lebbare direkte Demokratie ohne wirklich etwas direkt demokratisch zu entscheiden. Ich finde die Idee grundsätzlich garnicht mal soo schlecht.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 28. Dez 2011, 21:49

Genaugenommen haben wir etwas wie das übretragbare Wahlrecht, das macht einen Volksvertreter aus, er stimmt theoretisch für das, was wir auch wollen.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Mark » Mi 28. Dez 2011, 22:35

genaugenommen eben nicht. Der Volksvertreter kommt zB evtl ohne Direktwahl auch über die Partei in den Bundestag, und wenn er dann mal dort ist dann versteckt er sich 4 Jahre lang hinter der Parteipolitik.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Nanna » Do 29. Dez 2011, 01:06

Mark hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:,
Was das übertragbare Wahlrecht angeht, bin ich ganz mit dir einer Meinung: Schlechte Idee! Und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen:
[list][*]Die Idee verlagert das Problem nur: Statt für einen Abgeordneten oder eine Partei muss man jetzt einen Aktivisten wählen, an den man sein Entscheidungsrecht delegiert. Was ist dabei bitte gewonnen?


Bitte mal ein klein wenig eingehender überdenken. Diesen Aktivisten oder Bürgerrechtler meines Vertrauens kann ich mir aussuchen, und jederzeit kann ich ihm meine Stimme wieder entziehen. Bei den Wahlen selber muss ich jedoch wählen was man mir vorsetzt.

Ich verstehe schon, was dir an der Idee sympathisch ist, aber die Vervielfachung der Wahlmöglichkeit tritt ja gar nicht ein. Bei den Wahlen müssen die "Stimmmänner" ja doch auch wieder aus den Parteien auswählen, der inhaltliche Flaschenhals wird also überhaupt nicht angetastet. Letztlich kann ein Blogger auch nicht mehr sagen als "Ich werde am Wahlabend Partei XYZ wählen" und das kann der Wähler nunmal selber auch machen. Noch problematischer: Während die Parteien in den Hauptnachrichten vertreten sind und jeder Interessierte selbst ohne gezieltes Vorgehen mitbekommt, was diese Partei ungefähr tut und während das Parteiprofil über Jahre gewachsen ist, können irgendwelche Aktivisten Fähnchen im Wind sein, die allenfalls zu ihrem Spezialthema etwas relevantes zu sagen haben. Kaum ein Blogger oder Aktivist hat aber (im Gegensatz zu einem arbeitsteiligen Parteiapparat!) die Ressourcen, sich zu allen relevanten Themen eine Meinung zu bilden und diese übersichtlich kundzutun. Der Aufwand für den Bürger bei der Auswahl eines Wahlmannes ist also wesentlich höher (!), als wenn er einfach direkt eine Partei wählen würde - was zu dem Problem führt, dass nur politisch äußerst versierte Bürger überhaupt sinnvollerweise von dieser Stimmübertragung Gebrauch machen könnten und das sind genau die, die am Wahltag ohnehin im Wahllokal aufmarschieren.

Mir ging es aber hauptsächlich um einen anderen Punkt: Du hast oben geschrieben, dass du im übertragbaren Wahlrecht ein Mittel gegen Politikverdrossenheit siehst. Die Zumutung der politischen Meinungsbildung wird dem Bürger aber nicht abgenommen, indem man ihm anbietet, den Pool an Wahlmöglichkeiten (und auch das nur scheinbar, s.o.) zu vergrößern. Das Übertragen des Wahlrechts wäre ein so komplizierter, genauso viel Denkarbeit verlangender Vorgang, wie das simple Meinungbilden und am Wahltag Wählen gehen. Und überhaupt ist das letzte, was gegen Politikverdrossenheit wirken wird, eine Verkomplizierung des politischen Systems.

Mark hat geschrieben:Solche Stimmensammler würden als mächtigere Volksvertreter direkt mit den Parteien verhandeln, es gäbe Ausschüsse der Stimmreichsten Wahlmänner, eine gemeinsame Politik vor dem Level der Parteienwelt mit all ihrem Schranzentum. Das wäre eine ständig lebbare direkte Demokratie ohne wirklich etwas direkt demokratisch zu entscheiden. Ich finde die Idee grundsätzlich garnicht mal soo schlecht.

Was dir vorschwebt ist die Bildung eines Parallelsystems, das in weiten Teilen recht stark an das Rätesystem erinnert. Dabei gibt es mehrere Probleme:

Ein prinzipielles Problem ist, dass du ein System mit einer Modifikation versehen willst, für die das ursprüngliche System nicht gedacht war. In der parlamentarischen Demokratie vertritt das Parlament als Volksvertretung direkt die Interessen des Volkes (Art. 38 GG!). Jetzt möchtest du ein völlig fremdes Element in diese Unmittelbarkeit einbringen, nämlich eine Art Wählerlobbyismus mit einem repräsentativem Schattensystem. Dadurch bringst du die klare Ordnung des parlamentarischen Systems und die Zuweisung von demokratischer Legitimation in ihm gehörig durcheinander. Legitimation ist in deinem System nicht mehr derart eindeutig zugewiesen, weil ein gewichtiger Teil der politischen Willensbildung plötzlich außerhalb des Parlaments stattfindet. Das ist mehr als ein kosmetisches Problem, weil das Parlament mit seinen angegliederten Ausschüssen in einer Demokratie nunmal DIE Arena der zentralen politischen Auseinandersetzung ist. Wenn nun plötzlich außerparlamentarische Delegierte existieren, ist das Parlament wahlweise auf halbseidene Art und Weise ausgeweitet worden (mit Halbabgeordneten, die nicht an institutionelle Kontrolle gebunden sind, was immense Transparenzprobleme nach sich zieht) oder aber in seiner Bedeutung entwertet worden. Beides kann keinesfalls wünschenswert sein!

Ein anderer großer Denkfehler ist die Wunschannahme, mit dem übertragbaren Wahlrecht ließe sich mit einfachen Mitteln eine direkte Demokratie realisieren, ohne all die Hässlichkeiten eines Totalumbaus des parlamentarischen Systems zu haben. Aber würde wirklich passieren, was du dir da erträumst? Für mich sehr klar: Nein, keineswegs!
Zuerstmal ein Hinweis auf ein gewichtiges Missverständnis: Du behauptest, die Stimmensammler wären "mächtige Volksvertreter", die "direkt mit den Parteien verhandeln" könnten. Autsch. Lass mich das mal umformulieren: "Mächtige Volksvertreter verhandeln direkt mit anderen mächtigen Volksvertretern und beide sind gewählt worden." BEIDE sollen sich kontern und BEIDE sollen GLEICHZEITIG den "echten" Wählerwillen zum Ausdruck bringen. Das kommt hoffentlich nicht nur mir hochgradig widersprüchlich vor. Man bekämpft Überschwemmungen nicht mit Wasser, oder?
Und da sind wir wieder beim Punkt, das sich in Wirklichkeit für den Wähler gar nichts ändert, außer dass das Repräsentationssystem gedoppelt wird: Du möchtest ein aus deiner Sicht dysfunktionales (parlamentarisches) politisches System dadurch kurieren, dass du ein anderes (rätedemokratisches) politisches System parallel dazu etablierst, ohne die Zuständigkeiten klar zu regeln, so dass am Ende ZWEI Instanzen, die direkt vom Volk bestimmt werden, erbittert streiten und keifen werden, wer mit mehr Legitimation gewählt wurde und wer das Recht hat, wem was abzutrotzen. Das ist ungefähr so, als würde man zwei Parlamente wählen lassen, wobei das erste nur dafür da ist, das zweite teilweise zu wählen. Anstatt daraus aber ein sauberes Zweikammersystem zu machen, bleiben Zuständigkeiten völlig im Ungefähren, was Tür und Tor für Blockadepolitik und damit den totalen politischen Stillstand inklusive damit einhergehender Hysterisierung der Debatten befördert (Paradebeispiel: USA) ODER zu einem Einpendeln in politische Lager aus Parteien und Wahlmännern führt, so dass am Ende wieder eine relativ stabile politische Arena besteht, in der die immergleichen Protagonisten die immergleichen Parolen ausgeben (überspitzt gesagt) und der Wähler außer Unübersichtlichkeit nichts dazugewonnen hat. Prost Mahlzeit!

Ich gehe davon aus, dass letzteres passieren würde: Rätesysteme haben den gravierenden Nachteil, dass sie keine Kontinuität zulassen. Partei XYZ hat keinerlei Gewissheit, dass sie, wenn sie sich auf Verhandlungen mit Blogger ABC einlässt, nicht in drei Wochen mit jemandem diskutiert, den keiner mehr relevant findet. Außerdem setzt du eine diskursorische Dynamik voraus, der viele Bürger und auch Aktivisten gar nicht folgen könnten, weil eben auch Verlässlichkeit wichtig ist und sich wahrscheinlich schnell ein eingefahrenes System wichtiger Volkstribunen bilden würde, die regelmäßig durch die Talkshows tanzen. Die Stimmsammler würden sich früher oder später wahrscheinlich auch irgendwie inhaltlich und auf die Wahlperioden abgestimmt an den Parteibetrieb ankoppeln. Die "Ausschüsse der Stimmreichsten Wahlmänner" erinnern ja schon vom Namen nach an irgendwelche Parteikommitees, gar keine Frage, dass bei denen mehr früher als später genau jenes Schranzentum einziehen würde, von dem du loskommen willst.
Mir ist schon klar, die Blogosphäre, die es ja erst ein paar Jahre gibt, atmet frischen Wind, alle sind jung und in Aufbruchstimmung, aber ich bin sicher, binnen zehn Jahren hätte sich ein stabiles Gleichgewicht an einigen wenigen einflussreichen Köpfen herauskristallisiert, die als eine Art Ein-Mann-Parteien (in Deutschland ist die innerparteiische Verfasstheit aus SEHR gutem Grund festgeschrieben und Ein-Mann-Parteien wie die von Geert Wilders in den Niederlanden sind zum Glück verboten) das mediale Geschehen dominieren würden - vermutlich wären nicht wenige davon erratische Quatschköpfe wie Guttenberg - und der parlamentarische Betrieb müsste sich neben Meinungsumfragen, Lobbyisten und strategischen Mehrheitsschätzungen mit einem weiteren unnötigen Störfaktor herumschlagen, der der jetzt schon geringen Planbarkeit den letzten Rest Gestaltungsspielraum nähme.

Zuguterletzt stellte sich die Frage, ob der in Art 38 Absatz 1 GG festgelegte Grundsatz der gleichen Wahl nicht verletzt wäre, wenn ein Wahlmann aufgrund seiner Stimmenakkumulation mehr für "seine" Wähler bei den Parteien herausschlagen könnte als ein Einzelwähler, dem keiner gesondert im Parteihauptquartier bei einer teuren Flasche Bordeaux zuhört. Der Grundsatz der geheimen Wahl wäre wahrscheinlich auch hinüber, der der unmittelbaren sowieso. Weitere verfassungsrechtliche Fragen wären die Vorschrift aus Art. 42, dass der Bundestag öffentlich zu verhandeln habe (mit dem Einfluss der Wahlmänner wäre ein weiterer Teil der politischen Verhandlungen der direkten Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen, was, wie schon gesagt, massive Transparenzprobleme und Einfallmöglichkeiten für Korruption mit sich bringt), auch die in Art. 43 und 44 dargelegten Verantwortungspflichten der Abgeordneten wären zumindest der Intention nach verletzt.

Ich habe das alles jetzt vielleicht nicht so übersichtlich dargelegt, wie ich zu ausgeschlafener Stunde gekonnt hätte, aber ich denke, das Grundproblem wird klar: Wir würden ein System, dessen Mängel wir kennen und die zumindest ich für überschaubar halte, eintauschen gegen eines, bei dem wir selbst im Idealfall wenig zusätzlichen Nutzen gewinnen würden und bei dem die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es anders und schlimmer kommt, als gewünscht. Ne, sorry, nein danke.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Darth Nefarius » Do 29. Dez 2011, 13:10

Mark hat geschrieben:genaugenommen eben nicht. Der Volksvertreter kommt zB evtl ohne Direktwahl auch über die Partei in den Bundestag, und wenn er dann mal dort ist dann versteckt er sich 4 Jahre lang hinter der Parteipolitik.

Doch, auch wenn nur indirekt, so ist der Volksvertreter derjenige, der uns repräsentieren sollte. Ich habe deshalb auch "theorethisch" geschrieben, dein Modell währe genauso "theoretisch". Das, stimmt, die Parteipolitik ist so ziehmlich ein Auslaufmodell, sie ist ohnehin Verhandlungssache und spiegelt auch nicht den Willen der Wähler wider. Es geht nur um die Ideologie, die noch irgendwie im Entferntesten zu erkennen sein soll (CDU, etc.)
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon mat-in » Fr 30. Dez 2011, 17:34

Zu mehr Wählerkompetenz: Natürlich sehe ich das Problem auch, das es vielen Leuten schnurz egal ist oder sie meinen ncihts bewirken zu können (nichtwähler) und von den Leuten die zur Wahl gehen sind einige total manipuliert (der FDP wählende kleine Angestellte, der sich dann plözlich über den Krankenkassenzusatzbeitrag ärgert, aber weiter unreflektiert FDP wählen wird).

Aber wenn ich mein Wahlrecht abgebe an jemanden der dann für mich wählt, dann wählt doch der für 4 Jahre, auch wenn ich ihm in der Woche danach meine Stimme wieder abnehme???

Wenn wir das konsequent weiterdenken... von der unmündigkeit / unlust des Wählers, führt uns das in eine Technokratie. Das muß per se nicht schlecht sein, wenn die Experten wirklich im Sinne des Menschen handeln. Meine Befürchtung ist aber, daß man einer Stellvertreterregierung wie auch eine Expertenregierung ebenso manipulativ beikommen kann wie "der Masse", also durch die "aufgabe der Demokratie" ncihts gewonne, und sogar noch ein Verlust an Kontrollorganen gegeben wäre.

Ausweg? Wir wählen echte "vertreter" in unseren Politikern, die ich ich schon ein par mal Vorgeschlagen habe Ziele zu vertreten haben, die aus einer klar formulierten Liste der Wähler selbst ankreuzt. Am besten gar ein System in dem die Person und die Ziele getrennt sind. DSDSP (deutschland sucht den superpolitiker) als Castingshow meinetwegen und dazu dann eine Wahl von zu erreichenden Zielen die derjenige vorgesetzt und mit Experten nach bestem Wissen und Gewissen versucht zu erreichen.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 30. Dez 2011, 19:07

mat-in hat geschrieben:Wenn wir das konsequent weiterdenken... von der unmündigkeit / unlust des Wählers, führt uns das in eine Technokratie. Das muß per se nicht schlecht sein, wenn die Experten wirklich im Sinne des Menschen handeln. Meine Befürchtung ist aber, daß man einer Stellvertreterregierung wie auch eine Expertenregierung ebenso manipulativ beikommen kann wie "der Masse", also durch die "aufgabe der Demokratie" ncihts gewonne, und sogar noch ein Verlust an Kontrollorganen gegeben wäre.

Also, es ist nicht gewährleistet, dass diejenigen, die an die Macht wollen, auch die Experten und Spezialisten sind. Das ist tatsächlich eher selten. Habt ihr euch den wahrscheinlichen Kandidaten der Republikaner in den USA mal angeguckt? Von Geographie keine Ahnung, homophob (aber die entsprechende Jacke tragend :lachtot: ), stotternd, trotzdem kann es knapp für Obama werden- ABER er hat wohl Charisma. :up:
Den Verlust an Kontrollorganen , oder den Verlust ihrer Bedeutung beobachten wir jetzt schon, Stichwort Schuldenkrise. Wie war das noch mit dem Budgetrecht? Der Bedeutung des Bundesrats und der europäischen Komission? wen hat man wohl öfter befragt, Barroso oder Merkel?
mat-in hat geschrieben:Ausweg? Wir wählen echte "vertreter" in unseren Politikern, die ich ich schon ein par mal Vorgeschlagen habe Ziele zu vertreten haben, die aus einer klar formulierten Liste der Wähler selbst ankreuzt. Am besten gar ein System in dem die Person und die Ziele getrennt sind. DSDSP (deutschland sucht den superpolitiker) als Castingshow meinetwegen und dazu dann eine Wahl von zu erreichenden Zielen die derjenige vorgesetzt und mit Experten nach bestem Wissen und Gewissen versucht zu erreichen.

Das mit den Listen ist wohl nett in der Idee, beseitigt aber nicht das Grundproblem: Die Unmündigkeit und die Bedeutungslosigkeit von Programmen und Programmpunkten. Die Person, so finde ich, sollte keine Rolle spielen, ansonsten wählen wir nach diesem System ein Aushängeschild und den Text, den es lesen soll. Einer der Kandidaten, der in einem solchen System wohl noch zu den kompetenteren Lieblingen gehören würde wäre Guttenberg, im schlimmsten Fall wäre es Germany`s next Topmodel, Merkel wäre nicht mal im Recall :/ . Mir wären beide nicht sonderlich recht, so eine Castingshow wäre aber wohl ganz unterhaltsam, war wohl auch als Witz gemeint, oder??
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon mat-in » Fr 30. Dez 2011, 19:41

Darth Nefarius hat geschrieben:Also, es ist nicht gewährleistet, dass diejenigen, die an die Macht wollen, auch die Experten und Spezialisten sind.

Nein. Das haben wir anderenorts festgestellt. Qualitäten für "gute" Politiker in unserem heutigen System sind: Unbestechlichkeit, die Fähigkeit die Meinungen von Experten abzuwägen, eine Entscheidung zu treffen, diese Entscheidung zu vertreten und dem Volk zu erklären. Politiker können gar keine Experten mehr sein, selbst wenn man einen Physiker (Und ich meine nicht: Physik Lehramt ;) ins Umweltministerium wählt, dann hat der immer noch keine Ahnung von Artenschutz oder der Wirtschaft die hier und da hinter steckt... wohl verlangen könnte man aber, daß Verbraucherschutzminister Verbraucher schützen statt von Lobbyisten umgeben ihr eigenes Süppchen zu kochen. Was uns zum nächsten Punkt bringt...

Darth Nefarius hat geschrieben:Den Verlust an Kontrollorganen , oder den Verlust ihrer Bedeutung beobachten wir jetzt schon, Stichwort Schuldenkrise. Wie war das noch mit dem Budgetrecht? Der Bedeutung des Bundesrats und der europäischen Komission? wen hat man wohl öfter befragt, Barroso oder Merkel?
Für mich ist ein deutliches Zeichen das wir uns keinen weiteren Kontrollverlust leisten können nicht die Finanzkriese (der man noch unüberschaubarkeit vorwerfen könnte, trotz des selbst für den Laien auf lange Sicht offensichtlichen Blödsinns der im Moment gemacht wird), sondern unsere "Terrorabwehrgesetzgebung". Wenn nur noch das Verfassungsgericht sich dem Willen einiger Politiker und deren geplanter Abschaffung der Demokratie entgegenstellt, dann kann was nicht stimmen. Angefangen von den Hirngespinsten in manchen Köpfen, über die Realitätsfremdheit von Beratern, usw.
Letzten Endes ist das Volk die "letzte Instanz". Wer unsinn macht (und den nicht zu mindest gut verkaufen kann) wird damit nicht weit kommen. Siehe occupy bewegung. Die wissen zwar nicht so wirklich was sie wollen, aber sie machen was. Weil sie es nicht mehr ertragen.

Darth Nefarius hat geschrieben:Mir wären beide nicht sonderlich recht, so eine Castingshow wäre aber wohl ganz unterhaltsam, war wohl auch als Witz gemeint, oder??

Eigentlich war das blanker zynismus, aber... je mehr ich drüber nachdenke, desto eher gefällt mir die Idee. Wir lassen nur noch "wollt ihr atomkraft? falls ja sind das, falls nein sind dies die konsequenzen)" oder "wollt ihr für eure krankenversicheung tiefer in die Tasche greifen? (blabla)" abstimmen und bestimmen die Politiker die o.g. Qualitäten haben in einer Castingshow. Ein par Quizfragen um die Entscheidungfindung und ein Grundwissen abzufragen, dann nach Charisma und SMS-Abstimmung wählen und ihnen die abgestimmten Aufgaben in die Hand drücken, vielleicht mit einem Gutschein für einen Wochenendkurs "wie beurteile ich die Qualität von Informatonsquellen udn wie denke ich kritisch". Fertig.

Wenn jemand dem Guttenberg auf die Finger haut wenn er Mist baut (und den baute er ja reichlich) oder der Merkel mal das Fähnchen im Wind festnagelt das es sich nicht als dreht wären mir eigentlich beide Recht. Obwohl ich denke das es erheblich bessere Kandidaten gibt.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 30. Dez 2011, 19:52

mat-in hat geschrieben:wohl verlangen könnte man aber, daß Verbraucherschutzminister Verbraucher schützen statt von Lobbyisten umgeben ihr eigenes Süppchen zu kochen.

Soetwas ist aber kein Experte, sondern eine Art Juror. Wenn er nur abwägen soll, dann kann er immer noch nicht entscheiden, welche Argumente ihm vorgesetzt werden. Wenn jemand hinter dem offiziellen Posten die bevorzugten Berater das sagen lässt, was auch der eigenen Linie entspricht, dann kann selbst der beste Juror nicht DIE objektiv richtige Entscheidung treffen.
mat-in hat geschrieben:Angefangen von den Hirngespinsten in manchen Köpfen, über die Realitätsfremdheit von Beratern, usw.
Letzten Endes ist das Volk die "letzte Instanz". Wer unsinn macht (und den nicht zu mindest gut verkaufen kann) wird damit nicht weit kommen. Siehe occupy bewegung. Die wissen zwar nicht so wirklich was sie wollen, aber sie machen was. Weil sie es nicht mehr ertragen.

Die "letzte Instanz" ist auch nicht so ein reiner Klumpen. Eben das Problem, dass sie nicht wissen, was sie wollen, macht diese Instanz zu einer schlechten und unfähigen. Wir beobachten doch auch den arabischen Frühling, wo bestenfalls der Diktator weg ist, dann fängt aber auch schon an, dass die einen einen Gottesstaat wollen, die anderen eine kommunistische Republik, die wenigsten eine Demokratie nach westlichem Vorbild. Etwas nicht mehr zu ertragen heisst nicht, dass sie es besser wissen, die NGOs in Ägypten erleiden gerade Razzien, die sie nicht mal zu Mubaraks Zeiten hatten.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon mat-in » Fr 30. Dez 2011, 22:41

Darth Nefarius hat geschrieben:Wenn er nur abwägen soll, dann kann er immer noch nicht entscheiden, welche Argumente ihm vorgesetzt werden. Wenn jemand hinter dem offiziellen Posten die bevorzugten Berater das sagen lässt, was auch der eigenen Linie entspricht, dann kann selbst der beste Juror nicht DIE objektiv richtige Entscheidung treffen.

Jeder Student muß, jeder Schüler sollte seine Ausbildung mit einer gewissen Kompetenz abschließen: gelernt haben, wie man Informationen gewichtet, je nach dem aus welcher Quelle sie kommen, wie verläßlich diese Quelle ist und welche Absichten sie damit verfolgt. Wenn man merkt, das man bei der Entscheidung über ein Rauchverbot in Gaststätten nur von 3 PR Leuten und 2 Anwälten von 2 großen Tabakkonzernen beraten wird, muß man das mitbekommen und weitere Meinungen einholen um eine Entscheidung die im Sinne der Wähler ist zu treffen. Wenn nichtmal daß passiert machen unsere Politiker gar keinen Job mehr außer dümmlich lächen, dann können wir uns das auch sparen.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Nanna » Fr 30. Dez 2011, 22:58

Darth Nefarius hat geschrieben:Soetwas ist aber kein Experte, sondern eine Art Juror. Wenn er nur abwägen soll, dann kann er immer noch nicht entscheiden, welche Argumente ihm vorgesetzt werden. Wenn jemand hinter dem offiziellen Posten die bevorzugten Berater das sagen lässt, was auch der eigenen Linie entspricht, dann kann selbst der beste Juror nicht DIE objektiv richtige Entscheidung treffen.

Was lässt dich glauben, dass es so etwas überhaupt gäbe?
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 31. Dez 2011, 12:55

mat-in hat geschrieben:Jeder Student muß, jeder Schüler sollte seine Ausbildung mit einer gewissen Kompetenz abschließen: gelernt haben, wie man Informationen gewichtet, je nach dem aus welcher Quelle sie kommen, wie verläßlich diese Quelle ist und welche Absichten sie damit verfolgt. Wenn man merkt, das man bei der Entscheidung über ein Rauchverbot in Gaststätten nur von 3 PR Leuten und 2 Anwälten von 2 großen Tabakkonzernen beraten wird, muß man das mitbekommen und weitere Meinungen einholen um eine Entscheidung die im Sinne der Wähler ist zu treffen. Wenn nichtmal daß passiert machen unsere Politiker gar keinen Job mehr außer dümmlich lächen, dann können wir uns das auch sparen.

Um gut abwägen zu können, muss man sich mit dem Stoff auskennen, du hast schon nicht mehr als notwendig erachtet, dass die politiker Experten sein müssen, aber gutes Abwägen erfordert viel Kompetenz, da kann man sich auch gleich die Berater sparen.
Leider läuft es aber genau so, wie du es befürchtest, zumindest beobachte ich, dass die Haltung zu bestimmten Krisenfragen permanent gewechselt wird (weil die Berater gewechselt werden). Ich muss da an "Fipsi" Rösler denken. :mg:

Nanna hat geschrieben:Was lässt dich glauben, dass es so etwas überhaupt gäbe?

Ließ den Text im Zusammenhang, ich habe mat-in zittiert. Politiker haben oft Berater, sie haben auch oft Freunde oder Vorgesetzte, die ihnen bestimmte Berater empfehlen.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon mat-in » Sa 31. Dez 2011, 13:00

Darth Nefarius hat geschrieben:Politiker haben oft Berater, sie haben auch oft Freunde oder Vorgesetzte, die ihnen bestimmte Berater empfehlen.
Die haben IMMER Berater, spätestens wenn sie überregional (also außerhalb vom ... sagen wir Stadtparlament) tätig sind. Ich wage mal zu sagen das *keiner* unserer Politiker ein fundiertes Wissen in dem Fach in dem er tätig ist mitgebracht hat, egal ob es jetzt gescheiterte Lehrer oder Rechtsanwälte sind.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 31. Dez 2011, 13:15

Du rennst bei mir offene Türen ein, diese Antwort, so dümmlich sie auch wirkt, musste gestellt werden, auf eine entsprechende Frage. Wir sind uns völlig einig, mat-in.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Nanna » Sa 31. Dez 2011, 14:28

Mir ging es eigentlich mehr um den Punkt, dass es DIE objektiv richtige Entscheidung ja nicht gibt. Es wäre schon ein ganz grundsätzliches Missverständnis, demokratische Politik primär als "Entscheiden zum größeren Wohle" anzusehen. Das suggeriert eine Objektivität, die es nicht geben kann, da jede Bewertung politischer Sachverhalte die Auswahl und Interpretation beinhaltet und somit immer und ausnahmslos auf subjektiven Einschätzungen beruht. Der Glaube an objektiv ideale Entscheidungen führt schnell auf die schiefe Ebene jakobinisch geprägter Totalitarismen, in der eine bestimmte Utopie als innerweltlicher Zweck und als angeblich erreichbares Ziel der Politik definiert wird.

Demokratische Politik ist zuallererst ein Modus zum Verhandeln von Interessen und Ansprüchen und erst auf nachgeschalteter Ebene ein Modus zur effektiven Problemlösung. Natürlich greifen diese Prozesse ineinander über, weshalb die UNO unter dem Stichwort "good governance" sowohl partizipatorische Möglichkeiten als auch technokratische Funktionalität auflistet (http://www.unescap.org/pdd/prs/ProjectA ... rnance.asp). Trotzdem sollte augenscheinlich sein, dass eine Demokratie zuallererst Partizipation erfordert und nicht effektiv sein muss (das zentrale Merkmal also die Bürgerbeteiligung ist, nicht die gute Entscheidung!), wohingegen eine Technokratie sich zuallererst am Ideal der technisch besten Entscheidung orientiert.

Ergo: Dass Personen, und das beinhaltet auch Experten, ihre eigene Meinung und ihre eigenen Interessen vertreten, ist grundsätzlich erstmal ok und urdemokratisch. Man hört sich in einer Expertenbefragung ja auch immer mehrere Experten an, um einen Meinungspluralismus zu haben. Dass manche von denen gekauft oder beeinflusst sein können, ist natürlich möglich und ab einem gewissen Punkt auch gefährlich für die Demokratie, gar keine Frage. Orientierung am Gemeinwohl muss schon sein, das will ich gar nicht bestreiten. Aber trotzdem ist Aufgabe der Experten in einem Expertengremium nunmal immer zuerst das Verfechten des eigenen Standpunktes, nicht das Abwägen - das müssen die Politiker machen und die sind dafür verantwortlich, dass die befragte Expertengruppe einigermaßen repräsentativ besetzt ist und dass sie im Grundansatz verstanden haben, was ihnen die Fachleute sagen.

Jetzt aber zur entscheidenden Pointe: Wenn es keine tatsächliche Objektivität gibt, sondern nur eine intersubjektiv hergestellte Objektivitätsähnlichkeit und wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass es jede Menge Studien gibt, die zeigen, dass so gut wie alle Menschen sich intuitiv eher mit Meinungen beschäftigen und ihnen größeres Gewicht beimessen, wenn die Meinung sich mit der ihrigen deckt, dann ist kein Skandal, sondern eine Selbstverständlichkeit, dass eine bestimmte Gruppe von Politikern eine Gruppe von Experten auswählt, die eine leichte thematische Schlagseite hat (kleiner Seitenhieb auf die Basisdemokraten hier: Das wird auch nicht besser, wenn noch mehr Köche in die Suppe spucken ;-) ). Es darf nur nicht zu extrem werden, weshalb Transparenz und kritische Berichterstattung notwendig sind (kleines Lob an die Basisdemokraten hier: Dabei können viele unabhängige externe Beobachter tatsächlich nützlich sein). Das ist aber ein anderes Fass.


So nebenbei noch zum Thema Standpunktänderung in der Krise: Das dass dauernd passiert, ist nicht gut, aber prozessorisch nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie extrem zeitkritisch diese Entscheidungen getroffen werden müssen. Auch ein ausgewiesener Fachmann kann in der derzeitigen Krise nicht mehr glaubhaft behaupten, dass er auch nur die Hälfte überblickt und ich möchte die ganzen Bescheidwisser, die jetzt wieder so gönnerhaft durch die Talkshows tingeln, gerne mal für einen Tag an derselben Position sehen. Das Problem mit der Krise ist uns allen - ausnahmslos! - über den Kopf gewachsen und es schadet nicht, das im Hinterkopf zu behalten, wenn man Politiker beurteilt, die in diesem Chaos Entscheidungen herbeiführen müssen. Sowas sieht - wie vieles! - von außen immer leichter aus, als es ist, wenn man drinsteckt.
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Re: Das übertragbare Wahlrecht

Beitragvon Darth Nefarius » So 1. Jan 2012, 12:00

Mir ist natürlich klar, dass es nicht DIE objektiv richtige Entscheidung gibt. Ich wollte nur die Ebene der Diskussion vereinfachen. In dieser Diskussion geht es letztlich um die Erörterung eines besseren Kontrollmechanismusses für Politiker. Dabei ist die Diskussion sehr theoretisch geworden, weil nicht realitätsnah. Ja, es liegt in der Natur eines Politikers parteiisch zu sein und eine grundsätzliche Meinung ohne Vorwissen zu haben, eine irrationale Einstellung, die aber gewollt und nicht änderbar ist. Der Fokus lag bei dieser Diskussion aber auf dem Vorwissen, das benötigt werden würde und die Fähigkeit abzuwägen, der Faktor der vorherigen Einstellung wurde nicht berücksichtigt. Als jemand, der von sich selbst meuint, dass er einem Nihilisten sehr nahe kommt, braucht man mich nicht dessen zu belehren, das es keine objektiven Wahtrheiten gibt, auch wenn es in gewissem Maße dazu Anlass gab. Dass bestimmte Fakten nunmal das Demokratiekonstrukt untergraben, habe ich auch schon in einem anderen Thema diskutiert, ich halte die Demokratie für eine Illusion. Aber wie gesagt, das war nicht Bestandteil der Diskussion, die man sich dann auch gleich hätte sparen können, da der Politiker immer parteiisch sein wird und deswegen sein Urteilsvermögen niemals nicht getrübt sein wird. Niemals nicht, nein, nein, nein! :nein:
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