Orientalismus (Abendland-Morgenland-Dichotomie)
Verfasst: Mo 20. Feb 2012, 13:41
Fortführung der Diskussion, die in Wer wäre ein geeigneter Bundespräsident? entsprungen ist:
Ach du Schande, dass du derart offen auf den Knochen anspringst, hätte ich jetzt nicht gedacht.
Es geht übrigens nicht darum, dass er Imam wäre, sondern, dass er eine Brücke zwischen zwei Apparaten darstellt und damit ein potentielles Einfallstor für die Einmischung eines Apparates in die inneren Angelegenheiten des anderen - wobei die Kirchen das Pech haben, dass der Staat sich in ihre inneren Angelegenheiten einmischen darf, sie das aber nicht umgekehrt tun dürf(t)en. Mit Einmischen meine ich hier nicht simples Kommentieren irgendwelcher Politiken, sondern das ganz konkrete Einwirken über Verwaltungskanäle etc.
Na, wenn das nicht die Pauschalisierung des Monats ist.
Ein Südspanier hat tendentiell kulturell mehr mit einem Marrokaner gemein als mit einem Norweger, ein Süditaliener mehr mit einem Griechen als einem Briten, ein katholisches Dorf in Bayern vom Grad der Religiosität und Traditionalität mehr mit Malta, dem ländlichen Polen, der Türkei und Ägypten als mit München Innenstadt, das seinerseits in seiner urbanen Kultur wieder viel mehr mit Berlin, Paris und Istanbul gemein hat. Auch Frankreich und Deutschland haben trotz geografischer Nähe relativ starke kulturelle Unterschiede, beispielsweise haben die meisten Teile Frankreichs mehr mit Québec gemein als mit Schwaben und die Bretagne mehr mit Irland als mit dem Balkan.
Der Laizismus ist in der Türkei, in Syrien (naja, noch) und bis vor kurzem in Ägypten viel intensiver verfolgt worden als in Polen, sicherlich durch eine diktatorische Elite, die damit auch eigene Ziele verfolgte und nicht durch die breite Bevölkerung getragen, aber dass die Bevölkerung eher kirchenkritisch eingestellt ist, ist auch in Deutschland erst eine ehr junge Erscheinung. In Polen und Russland, beides christlich-konservative Kerngebiete, ist man ähnlich religiös wie in der Türkei, nur dass man eine etwas andere Version der im Kern auf derselben Kultur fußenden Offenbarungsschrift benutzt.
Dieser angebliche Orient-Okzident-Gegensatz ist schon 1978 von Edward Said als billiges koloniales Konstrukt entlarvt worden, mit der der rationale Westen als leuchtendes Gegenbeispiel gegenüber dem irrationalen Osten hochstilisiert wurde, alles Folge des eurozentrischen Weltbildes der Kolonialzeit, in der man solche Rechtfertigungen gebraucht und auch selbst geglaubt hat. Wer sich mal mit arabischer Geschichte auseinandergesetzt hat (was ich von mir behaupten kann), der weiß, dass vieles von der angeblichen kulturellen Rückständigkeit des Orients heillos übertrieben ist. Der Gegensatz lag, mit Ausnahme von größeren Teilen der Aufklärung, die in Europa aber auch immer eine Elitensache war und es im Grunde auch heute noch ist, fast durchgehend in technischer Überlegenheit, nicht in kultureller. Die größten Barbareien der Geschichte wurden durch den zivilisierten Westen begangen, der mit seinem Zivilisationsprozess den Entwicklungen auch immer Jahrzehnte hinterherhängt, so wie heute die muslimisch geprägten Nationen auch.
Konstruktive Kritik an den Verhältnissen im Nahen Osten (schon wieder so einego eurozentrischer Begriff) ist sicherlich angebracht und nützlich, herablassende Pauschalisierungen finde ich deplatziert. Auch uns ist die Demokratie von amerikanischen Panzern serviert worden...
stine hat geschrieben:Ja ganz sicher, aber die Schärfe wäre nicht deshalb angebracht, weil er Imam wäre, sondern weil seine religiöse Kultur eine ganz andere wäre, als die unsere.Nanna hat geschrieben:Stell dir vor, ein von der Türkei entsendeter und bezahlter Imam würde durch eine seltsame Begebenheit Bundespräsident. Die Frage, ob da nicht einer Diener zweier Herren ist, würde sicherlich mit ungekannter Schärfe gestellt werden.
Ach du Schande, dass du derart offen auf den Knochen anspringst, hätte ich jetzt nicht gedacht.
Es geht übrigens nicht darum, dass er Imam wäre, sondern, dass er eine Brücke zwischen zwei Apparaten darstellt und damit ein potentielles Einfallstor für die Einmischung eines Apparates in die inneren Angelegenheiten des anderen - wobei die Kirchen das Pech haben, dass der Staat sich in ihre inneren Angelegenheiten einmischen darf, sie das aber nicht umgekehrt tun dürf(t)en. Mit Einmischen meine ich hier nicht simples Kommentieren irgendwelcher Politiken, sondern das ganz konkrete Einwirken über Verwaltungskanäle etc.
stine hat geschrieben:Wahrscheinlich gibt es sogar weltweit keine größeren Kulturunterschiede als die, zwischen christlichem Abendland und muslemischen Morgenland. Das ist ein Sprung aus der Neuzeit ins Mittelalter - eine Zeitreise sozusagen.
Wir sind doch hierzulande dem Laizismus näher als wir denken, davon kann man im nahen Osten nur träumen (sofern man das möchte).
Na, wenn das nicht die Pauschalisierung des Monats ist.
Ein Südspanier hat tendentiell kulturell mehr mit einem Marrokaner gemein als mit einem Norweger, ein Süditaliener mehr mit einem Griechen als einem Briten, ein katholisches Dorf in Bayern vom Grad der Religiosität und Traditionalität mehr mit Malta, dem ländlichen Polen, der Türkei und Ägypten als mit München Innenstadt, das seinerseits in seiner urbanen Kultur wieder viel mehr mit Berlin, Paris und Istanbul gemein hat. Auch Frankreich und Deutschland haben trotz geografischer Nähe relativ starke kulturelle Unterschiede, beispielsweise haben die meisten Teile Frankreichs mehr mit Québec gemein als mit Schwaben und die Bretagne mehr mit Irland als mit dem Balkan.
Der Laizismus ist in der Türkei, in Syrien (naja, noch) und bis vor kurzem in Ägypten viel intensiver verfolgt worden als in Polen, sicherlich durch eine diktatorische Elite, die damit auch eigene Ziele verfolgte und nicht durch die breite Bevölkerung getragen, aber dass die Bevölkerung eher kirchenkritisch eingestellt ist, ist auch in Deutschland erst eine ehr junge Erscheinung. In Polen und Russland, beides christlich-konservative Kerngebiete, ist man ähnlich religiös wie in der Türkei, nur dass man eine etwas andere Version der im Kern auf derselben Kultur fußenden Offenbarungsschrift benutzt.
Dieser angebliche Orient-Okzident-Gegensatz ist schon 1978 von Edward Said als billiges koloniales Konstrukt entlarvt worden, mit der der rationale Westen als leuchtendes Gegenbeispiel gegenüber dem irrationalen Osten hochstilisiert wurde, alles Folge des eurozentrischen Weltbildes der Kolonialzeit, in der man solche Rechtfertigungen gebraucht und auch selbst geglaubt hat. Wer sich mal mit arabischer Geschichte auseinandergesetzt hat (was ich von mir behaupten kann), der weiß, dass vieles von der angeblichen kulturellen Rückständigkeit des Orients heillos übertrieben ist. Der Gegensatz lag, mit Ausnahme von größeren Teilen der Aufklärung, die in Europa aber auch immer eine Elitensache war und es im Grunde auch heute noch ist, fast durchgehend in technischer Überlegenheit, nicht in kultureller. Die größten Barbareien der Geschichte wurden durch den zivilisierten Westen begangen, der mit seinem Zivilisationsprozess den Entwicklungen auch immer Jahrzehnte hinterherhängt, so wie heute die muslimisch geprägten Nationen auch.
Konstruktive Kritik an den Verhältnissen im Nahen Osten (schon wieder so ein