Beschneidung zu religiösen Zwecken und die Politik

Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Myron » Di 26. Jun 2012, 17:18

"Es ist ein Urteil mit großer Wirkung: Das Landgericht Köln hat entschieden, dass die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen strafbar ist. Es handelt sich um eine Körperverletzung, auch wenn die Eltern des Kindes einwilligen. Bislang agierten die Mediziner in einer rechtlichen Grauzone."

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/r ... 41084.html

:2thumbs:
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Darth Nefarius » Di 26. Jun 2012, 17:36

"Mediziner" ist eine nette Umschreibung für die Rabbis. Und die Begründung "auch wenn die Eltern einwilligten" kann ich nicht nachvollziehen, letztlich sollte immer der Betroffene gefragt werden. Aber das ist eine nette Anekdote, schon irgendwie witzig. :lachtot:
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon stine » Mi 27. Jun 2012, 07:22

Das Urteil ist überfällig.
Einzig bei einer diagnostizierten Phimose, darf (muss) der Arzt handeln.

Davon abgesehen finde ich auch, dass Ohrlochstechen bei Kleinkindern verboten werden muss. Das ist im Prinzip das gleiche, nämlich kultureller Wahnsinn. :irre3:

LG stine
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Nanna » Mi 27. Jun 2012, 17:13

Was mich verwundert, ist die krasse Reaktion aus den religiösen Lagern, die sich jetzt alle in ihrer Religionsfreiheit angegriffen fühlen. Da die Beschneidung irreversibel ist, d.h. ein Mensch auch dann beschnitten bleibt, wenn er als Erwachsener die Religion gewechselt hat oder areligiös wurde, verletzt man meines Erachtens mit der Beschneidung nicht nur den Körper, sondern genau ebenjene Religionsfreiheit des Kindes. Eltern sollen ihre Kinder zu mündigen Menschen erziehen und das bedeutet eben auch, Grenzen zu respektieren. Das Kind aus weltanschaulichen Gründen umoperieren zu lassen, auch wenn die Konsequenzen vielleicht nicht derart drastisch sind wie bei blutkonservenverweigernden Zeugen Jehovas, ist definitiv so eine Grenzüberschreitung. Und was bilden die Leute sich ein, dass ihre Religion über der Selbstbestimmung des Kindes stehen soll?
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Zappa » Mi 27. Jun 2012, 17:38

Das ist doch die übliche Betroffenheitslyrik der Gläubigen: Richtig ist was ich glaube, wer das nicht akzeptiert verletzt mich ganz doll in meinen Rechten und /oder Gefühlen. Der Leitspruch "Die Freiheit des Einzelnen endet in der Freiheit des Anderen" hat doch nach deren Einschätzung für die religiöse Freiheit keine Bedeutung; hier geht es um höheres, da kann die Freiheit des Individuums gut und gerne geopfert werden. Und wenn ich glaube, dass ich als Erziehungsberechtigter Körperteile meiner Kinder zur Ehre Gottes abzuschneiden habe, dann ist das so. Der Koordinationsrat der Muslime spricht ja in seiner Erklärung in diesem Zusammenhang ungeschminkt von einem "Elternrecht", da wird deren Menschenbild transparent.

Eigentlich ist es doch auch so, dass das "Argument" mit der Religionsfreiheit und den religiösen Gefühlen als Todschlagargument zur Aufkündigung eines Diskurses missbraucht wird. Vom Recht der Kinder habe ich aus der Ecke noch nichts gehört.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Vollbreit » Mi 27. Jun 2012, 17:59

Endlich hat das Sommerloch sein frühes Thema.

Hast am Pimmel du noch Haut
Ist der Himmel dir verbaut
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon stine » Mi 27. Jun 2012, 18:54

Gibts das auch auf Jiddisch?

:mg: stine
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Myron » Mi 27. Jun 2012, 19:35

Die religiösen Gründe für die Knabenbeschneidung sind aberwitzig, und die medizinischen Gründe dafür sind fadenscheinig und nicht stichhaltig. Es gibt keinen vernünftigen medizinischen Grund für eine vorsorgliche Vorhautentfernung bei einem gesunden Penis. Und was die Hygiene anbelangt, so ist regelmäßiges Waschen zu empfehlen.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon 1794 » Mi 27. Jun 2012, 19:51

Einer der besten Beiträge zum Thema ist:
Christoph Zimmer: Über die Beschneidung.
Free download: http://www.zmm.cc/Beschneidung.pdf
Ein paar Zitate daraus:

"Nachdem man inzwischen das Verbrechen der Beschneidung von Mädchen
(ἐκτομή), insbesondere bei muslimisch-negroiden Stämmen, mehr und mehr auf-
deckt und der Ächtung unterwirft, verhindert die Tatsache, daß die Beschneidung an
Knaben vor allem unter jüdisch-islamischem Schutz steht, die Verurteilung. Es be-
steht bei der Verquickung von Verstümmelung, Religion und Rasse, wie sie gerade
bei der Beschneidung derart negativ auffällt, heutzutage die Gefahr, daß die Verur-
teilung dieser Körperverletzung in verhetzender Weise als antisemitisch oder rassi-
stisch diffamiert wird, um damit jedwede Rechtsbeurteilung zu unterbinden – ein
grundsätzlich antihumaner Reflex." S. 1

"Wenn sich Erwachsene verstümmeln wollen, ist das ihre persönliche Freiheit.
Sie mögen das als religiös geboten oder als Mode auffassen, oder aus welchen Grün-
den auch immer an sich vornehmen lassen. Die auf Zwang und Gewalt sowie der
Ausnutzung von Schwäche und kindlicher Abhängigkeit beruhende Beschneidung
von Minderjährigen hingegen enthüllt gerade hierin ihr dekulturiertes, ignominiöses
Wesen." S. 1

"Da ferner die Täter meist selbst beschnitten sind, vermengen sich Opfer- und
Täterstatus in perfider Proliferation. Interessant auch die Mutterliebe, die in indolen-
ter Observanz des rohen Vorgangs offenkundig nichts zu beanstanden hat, wie über-
haupt die Schutzpflicht der Eltern von Anfang an in Beihilfe und Mittäterschaft um-
schlägt. Gewalt und Verstümmelung sind hier die erste charakteristische religiöse Er-
fahrung des Kindes." S. 1

"Gewerbsmäßig ist die Verstümmelung, da der Beschneider (‫ ,מוהל‬Sünnetçi oder Arzt) regelmäßig handelt und
bezahlt wird (in den USA z.B. $100 bis $200 pro Beschneidung), sich also durch die
wiederholte Begehung der Straftat eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle
verschafft." S. 2

"Überdies ist das blutige Manipulieren am kindlichen Genitale unzweifelhaft
auch Kinderschändung, auch deswegen, weil die Ausstellung des verstümmelten Or-
gans im Kreise einer feiernden Gemeinde einen besonders schweren Grad hem-
mungsloser Intimverletzung darstellt, was ebenfalls vollkommen unbeachtet bleibt,
obwohl andere Arten von Kindesmißhandlung und -schädigung durch die selektiv-
moralisierende öffentliche Berichterstattung zu gesellschaftlicher Empörung führen." S. 2

Und jetzt einer der vielen Höhepunkte:

"Während es sich demgegenüber die Gesellschaft angelegen sein läßt, aus
Gründen des Tierschutzes das Coupieren eines Hundeschwanzes zu verbieten, weil
dies dem Tier unnützen Schmerz verursacht, stellt sie gewerbsmäßige Genitalver-
stümmelung an Kindern unter den Schutz freier Religionsausübung. Der Schmerz ei-
nes Hundes ist ihr, gerade auch judikativ, wichtiger als die brutalen Beschneidungs-
schmerzen eines Kindes. Dieser Vergleich ist durchaus soziocharakteristisch, da er
die judikable Werthierarchie der Gesellschaft betrifft, und ihr zivilisatorisches Ni-
veau, gemäß dem jüdisch-muslimische Kinder hinsichtlich Verstümmelung schlech-
ter gestellt sind als Hunde. Es verwundert deshalb nicht, daß man durch Tabuisierung
das Beschneidungsunrecht zuzudecken hofft." S. 2

Solche Leute brauchen wir. Der Aufsatz von Zimmer stammt aus 2003. Wo waren da die Brights?
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 27. Jun 2012, 20:00

Das waren heftige aber zutreffende Formulierungen, dieser Autor ist mir schon jetzt sympathisch. :applaus: Von den Brights kannst du allerdings nicht erwarten, dass sie eine antireligiöse Lobby bilden, um auf deine Frage zu antworten. Soetwas kann nicht ohne gesellschaftlichen Rückhalt erfolgen, die Gesellschaft ist einfach nicht soweit. Und gerade religiöse Menschen neigen bei entsprechenden Reaktionen zum Trotz, halten sich für Märtyrer und sehen sich gerade dann im Recht. Mehr als ein Debattierclub und eine Vernetzungsbasis wird das wohl nie werden.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon stine » Do 28. Jun 2012, 06:57

1794 hat geschrieben:Dieser Vergleich ist durchaus soziocharakteristisch, da er die judikable Werthierarchie der Gesellschaft betrifft, und ihr zivilisatorisches Niveau, gemäß dem jüdisch-muslimische Kinder hinsichtlich Verstümmelung schlechter gestellt sind als Hunde.
Das gilt dann aber für die Erwachsenen nicht mehr?

:wink: stine
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Darth Nefarius » Do 28. Jun 2012, 16:02

Was denkst du? :up:
Ich denke, ab einem gewissen Alter wird ein derartiger Grad an psychischer Misshandlung vorrausgesetzt, dass sie sozusagen freiwillig ein Teil des Systems werden, wie die Frauen in Afrika, die im hohen Alter Mädchen verstümmeln, weil sie es ebenso erlitten haben.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon mat-in » Sa 30. Jun 2012, 09:12

Mir stößt da der Begriff "Rasse" arg negativ auf, dem Rest kann man zustimmen denke ich.

Nanna hat geschrieben:Was mich verwundert, ist die krasse Reaktion aus den religiösen Lagern, die sich jetzt alle in ihrer Religionsfreiheit angegriffen fühlen.

Aber das ist doch eine vorhersehbare Reaktion? "Die Religiösen" stehen da zusammen. Wenn wir heute genitalverstümmelung an Kindern verbieten, dann steht morgen wohl das singen im Chor an und man muß sich da gegen die bösen Säkularisten stemmen...

Wenn das Urteil wieder aufgehoben wird, gründen wir eine Religion, deren Regeln es vorsehen, mindestens 1x am Tag einem fremden kräftig (und ohne Einverständniss) auf den Fuß zu treten. Das treibt böse Geister aus und wir helfen damit dem gesamten Planeten... solchen Ideen kann man fast nur noch mit Satiere begegnen.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 30. Jun 2012, 10:42

Mich hat auch die aggressive Reaktion verwundert. Gestern habe ich zum ersten mal eine Diskussion im Fernsehen dazu gesehen und es wurde offen die Frage gestellt (von der Moderation!) welches Menschenrecht allenernstes mehr wiegt: körperliche Unversehrtheit des Kindes oder die Religionsfreiheit (nicht Glaubensfreiheit!). Kann man dazu noch etwas sagen, wenn soetwas gefragt wird? Letztlich ist man der Frage ausgewichen und spielte auf die Bluttransfusionsgeschichte mit den Zeugen Jehowas an (die lehnen sie ja ab, aber der Arzt hat da das Recht, die elterliche Emtscheidung aufzuwiegen). Diese Vergleiche seien aber nicht gerechtfertigt (hieß es indirekt), weil das eine ja in einer lebensbedrohlichen Situation entschieden wird und das andere doch so ein zentraler Teil vieler Glaubensgemeinschaften ist. Letztlich denke ich, ging es darum, dass die Zeugen Jehowas nur eine Sekte sind, während man in der anderen Situation 2 Weltreligionen brüskiert. Alles Ausflüchte.
Bis vor kurzem fand ich das ganze eigentlich nur amüsant und etwas lächerlich, aber bei der Reaktion unterbieten sich Religionen immer wieder in ihrer Ernsthaftigkeit.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon stine » Sa 30. Jun 2012, 13:40

Man muss nicht lange im I-net suchen:
http://www.babyvoten.de/forum/topic_2815/ohrloch_stechen.html

Ist für mich das selbe. Religiöser oder sonstig kultureller Wahn. Kinder gehören uns nicht, wir begleiten sie, bis sie selber zurecht kommen. Das Thema ist aber damit noch nicht ausgestanden, denn ob Genitalverstümmelung oder Ohrlochstechen, es ist alles eine kulturelle Frage. Man müsste daher viel weiter ausholen und fragen: Steht es uns überhaupt zu, Kinder in ein kulturelles Korsett zu zwingen? Und was gehört dazu und was nicht?

LG stine
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 30. Jun 2012, 14:28

Ach, bist du nicht normalerweise die, die alles für Kulturgut erklärt und es dann deswegen als schützenswert empfindet? Abgesehen davon ist das keine Frage, die sich nur auf kultureller Ebene abspielt, sondern auf einer höheren: Der Gesetzeslage und dem Konflikt von 2 sog. Menschenrechten.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon xander1 » Sa 30. Jun 2012, 19:36

stine hat geschrieben:Davon abgesehen finde ich auch, dass Ohrlochstechen bei Kleinkindern verboten werden muss.


Könnte es dann nicht sein, dass Ohrstechen generell verboten ist? Wenn da mal jemand klagt, könnte es passieren, dass die Regierung Gesetze ändert.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon 8atheist » Sa 30. Jun 2012, 21:20

kann ich mir nicht vorstellen. Warum soll man Ohrenstehen für Erwachsene Menschen verbieten. Eher kann ich mir vorstellen das ein Mindestalter vorgeschrieben wird.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon xander1 » So 1. Jul 2012, 07:50

Mag ja sein, aber was ist der Unterschied zwischen Beschneidung und Ohrstechen? Die Schwere des Eingriffs und der Ort und die Folgen.
Man müsste ins Gesetz schauen, was da steht. Kein Gesetz ist perfekt.
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Re: Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar

Beitragvon mat-in » So 1. Jul 2012, 08:56

Ich habe das Gefühl ihr redet aneinander vorbei: Es geht um Beischneidung im Säuglings und Kindesalter, nicht darum, was erwachsene Menschen tun.
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