Kinderarmut in Deutschland

Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon webe » Mi 8. Aug 2012, 16:01

stine:
Rechne bitte mal für Dich Deine Lebenskosten und einschliesslich des Kulturlebens. Setze die mal auf ein Hartz-Einkommen eingeschränkt herunter. Könntest Du mit einem solchem sozialniedrigen Einkommen für Dich eine lebenswerte Gestaltung wahrnehmen; wenn sie auch nur 24 Monate dauern würde, ohne dann Hilfe von Familie, Erspartem anzunehmen, hätten diese Einschränkungen für Dich nicht der Geschmack vom Abstossemdem?

Die Armutskids fallen oft auf durch schlechte Bekleidung und fehlende Technikbesitz wie hochgezüchtete Handymodelle, Telefoniereinschränkung, PC und begrenzte, oft einseitige Nahrungseinnahme, Teilnahmeverlust an kulturiellen Ereignisse, kaum oder schmales Taschengeld unsw..

Oft werden bei Hartz-Familien die Elterninteressen wie Zigaretten-, Alkoholkonsum, Bekleidung, über das Konsumwohl gestellt. Dann kann im Haushalt eine Maschine, Waschmaschine u.a., defekt werden und deren Ersatz bereitet der Haushaltskasse oft starke Einschnitte.

Die Tafelläden haben auch oft ein Eigenleben: Da suchen sich die wo dort im Personal aus Förderungsmassnahmen bilden und oft selbt in Armut leben, die erste Qualität heraus. -Dies solte man so sagen dürfen-. Dann ist das Haltbarkeitsdatum abgelaufen und wenn dann die Nahrung vom Hersteller versaut war und dadurch Folgeerscheinungen auftreten, ist die Haftung passe. Also hat man noch ein Risiko als Tafelladenkunden zutregen.

Die Armutgesellschaftsschicht ist so begrenzt, dass sie nur eine Randstellung hat und kaum eine Lobby. Selbst die Religiösen wohlen hauptsächlich verdienen und nicht verschenken: Der Umsatz bestimmt das Soziale, dass nur einen Bruchteil wohl ausmacht.-Auch dies sollte man so sagen dürfen-.
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon ganimed » Mi 8. Aug 2012, 22:55

stine hat geschrieben:Die Augen auf machen UND diverse Forschungsergebnisse miteinander vergleichen, das ist das Beste was man tun kann.

Wieso das denn nochmal? Die eigenen Augen sind doch, wie ich darlegte, eine schlechte Quelle (wobei du ja insofern zustimmst, als du die Wahrnehmung ebenfalls als individuell interpretiert und verfälscht beschreibst.
Du hast, vereinfacht ausgedrückt, zwei Datenquellen: Unicef-Studie und deine eigenen Beobachtungen in Gemeinden, im Stau und in Möbelhäusern. Die erste Datenquelle ist weitestgehend objektiviert (eine wissenschaftliche Studie) und die einzige Verunreinigung, das Interpretieren, passiert beim Lesen darüber. Aber die Fakten der Studie sind ja erstmal klar: in Deutschland ist die Kinderarmut größer als in Nachbarländern, obwohl diese Länder weniger Bruttosozialprodukt haben. Das kann man jetzt unterschiedlich interpretieren, wie groß ist das Problem, ist es überhaupt eines, wer ist schuld, etc. Aber das Faktum selber ist relativ klar.

Nun mixt du aber die erste Datenquelle mit deiner zweiten, den eigenen Beobachtungen. Diese Beobachtungen sind alles andere als wissenschaftlich, beispielsweise werden Zusammenhänge zwischen Stau und Armut wild herbeiinterpretiert. Nach allem was die Hirnforschung über Wahrnehmung weiß sind es also hoffnungslos verfälschte Daten, die aus dieser zweiten Quelle kommen.

Und tatsächlich, der Mix aus guten Fakten und falschen Fakten ergibt bei dir tatsächlich ein X für ein U. Aus dem Faktum Kinderarmut wird bei dir plötzlich ein "kann ich mir nicht vorstellen, die spinnen alle oder lügen interessengesteuert, bauschen auf, sind alle viel zu verwöhnt, das liegt alles am Werteverlust..."
Aus meiner Sicht ist es so gesehen sehr logisch, dass du Dinge faselst, für die ich keinerlei Grundlage sehe (weil diese Grundlage genau deine eigenen, verqueren Eigenbeobachtungen und Eigeninterpretationen sind) und du Fakten ignorierst und als falsch ansiehst, die von großen, anerkannten Organisationen erhoben wurden und durch alle Medien gegangen sind, ohne dass andere Stellen, Fachleute oder Institutionen dagegen spürbar widersprochen hätten.

stine hat geschrieben:Ich schließe nicht aus, dass es keine armen Menschen gibt, aber ich glaube nicht, dass Kinder in Deutschland finanzielle Sorgen haben müssen.

Ich glaube jetzt also verstanden zu haben, wie du zu dieser abstrusen Meinung kommst, nämlich durch Nutzung falscher Datenquellen. Was ich noch nicht verstehe ist, wie du zu dieser anderen abstrusen Ansicht kommst, nämlich, dass es gut sei, die falsche Datenquelle der eigenen Beobachtung zu nutzen. Hast du das etwa auch selber beobachtet, dass die eigene Beobachtung doch oft richtig liegt? Ist das ein unheilvoll sich selbst verstärkender Mechanismus?
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon stine » Do 9. Aug 2012, 08:18

Was beobachtest du denn, @ganimed?

@webe beobachtet folgendes (wobei er/sie seine/ihre Quelle auch nicht preis gibt):
webe hat geschrieben:Die Armutskids fallen oft auf durch schlechte Bekleidung und fehlende Technikbesitz wie hochgezüchtete Handymodelle, Telefoniereinschränkung, PC und begrenzte, oft einseitige Nahrungseinnahme, Teilnahmeverlust an kulturiellen Ereignisse, kaum oder schmales Taschengeld unsw..

Oft werden bei Hartz-Familien die Elterninteressen wie Zigaretten-, Alkoholkonsum, Bekleidung, über das Konsumwohl gestellt. Dann kann im Haushalt eine Maschine, Waschmaschine u.a., defekt werden und deren Ersatz bereitet der Haushaltskasse oft starke Einschnitte.


Was schlagt ihr beide denn vor?
Mehr Geld für die Hartz4-Empfänger?
Oder die Gutscheine, die Frau vdL schon mal Testweise ausgegeben hat?

Gutscheine für Reitstunden hätte meine Tochter übrigens auch gerne, weil wir uns den Reitunterricht nicht leisten können.

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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon stine » Do 9. Aug 2012, 10:43

webe hat geschrieben:Dann kann im Haushalt eine Maschine, Waschmaschine u.a., defekt werden und deren Ersatz bereitet der Haushaltskasse oft starke Einschnitte.

Hartz4-Empfänger bekommen defekte Geräte und fehlendes Mobiliar übrigens gratis übers zuständige Amt ersetzt. Wenn man den Medien, denen @ganimed so gerne Glauben schenkt, trauen kann, dann wandert eine Gerätschaft auch gerne mal ins Ausland, um dann hier wieder ersetzt zu werden.

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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon provinzler » Do 9. Aug 2012, 14:27

ganimed hat geschrieben: in Deutschland ist die Kinderarmut größer als in Nachbarländern, obwohl diese Länder weniger Bruttosozialprodukt haben

Das liegt daran, dass Armut hierzulande gerne relativ zu irgendeinem Durchschnitt berechnet wird. Ziehst du als Deutscher "Armer" nach Portugal bist du mit deinem Einkommen "Mittelschicht", gehst nach Rumänien bist du qua Statistik reich, auch wenn dein absoluter Lebensstandard völlständig identisch ist. Man kann die Definition nun für sinnvoll halten oder nicht, aber man sollte es bei der Bewertung von Aussagen der Marke "BIP ist hier höher, trotzdem gibts genauso viele/mehr 'Arme'" im Hinterkopf behalten.
P.S.: Spannende Frage übrigens. Wieviele relativ "Arme" bleiben in D eigentlich über, wenn wir als statistische Grundbasis alle EU-Bürger nehmen? Oder gar alle Weltbürger? Da würde sich so manches relativieren...
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon Nanna » Do 9. Aug 2012, 16:08

provinzler hat geschrieben:P.S.: Spannende Frage übrigens. Wieviele relativ "Arme" bleiben in D eigentlich über, wenn wir als statistische Grundbasis alle EU-Bürger nehmen? Oder gar alle Weltbürger? Da würde sich so manches relativieren...

Das ist definitiv richtig, nur bist du, wenn du als Handwerkerkind im Banker- und Botschafterviertel wohnst und wir mal exemplarisch annehmen, dass dieses Viertel verdammt groß ist und du nicht einfach mit der U-Bahn rausfahren kannst, aufgrund deiner zu den reichen Nachbarn relativen Armut u.U. trotzdem ausgeschlossen und benachteiligt. Du kannst nicht auf die Parties, wo du die Getränke nicht bezahlen kannst, kriegst keines der Diplomatenkinder als Freund(in) ab, hast in der Schule nichts mitzureden, wenn die anderen über die Schweizer Skiressorts und karibischen Strände fachsimpeln, wo sie in den letzten Ferien waren usw.

Relative Armut mag kein moralisch derart drängendes Problem sein wie absolute Armut, wo die Leute wirklich GAR keine Chancen haben, aber trotzdem schließt relative Armut aus. Und ich halte es nicht für ein valides Argument, zu sagen, dass es im Vergleich zu einem Armenviertel in Bangladesch ja gar nicht so schlimm sei. Mit dem Argument kann man in Deutschland im Prinzip jede Kritik abschmettern, egal ob man die Pünktlichkeitsstatistik der Bahn, unmotivierte Lehrer oder schlechte Arbeitsbedingungen bei Discountern kritisiert. So ein allanwendbares Pauschalargument sagt halt nicht besonders viel aus.

Herzlich willkommen in der Diskussionsrunde übrigens! ;-)
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon provinzler » Do 9. Aug 2012, 17:23

Nanna hat geschrieben:Das ist definitiv richtig, nur bist du, wenn du als Handwerkerkind im Banker- und Botschafterviertel wohnst und wir mal exemplarisch annehmen, dass dieses Viertel verdammt groß ist und du nicht einfach mit der U-Bahn rausfahren kannst, aufgrund deiner zu den reichen Nachbarn relativen Armut u.U. trotzdem ausgeschlossen und benachteiligt. Du kannst nicht auf die Parties, wo du die Getränke nicht bezahlen kannst, kriegst keines der Diplomatenkinder als Freund(in) ab, hast in der Schule nichts mitzureden, wenn die anderen über die Schweizer Skiressorts und karibischen Strände fachsimpeln, wo sie in den letzten Ferien waren usw.

Zweifelsohne. Nur wo ziehen wir angemessene Grenzen? Ist es nicht schon ein Irrsinn Bayern und Mecklenburg-Vorpommern in einen statistischen Topf zu schmeißen?.
Oder ums noch extremer zu machen, München Innenstadt und Hinterkleinkleckersdorf in Sachsen-Anhalt, wo absolut gleiche Einkommen einen völlig verschiedenen Lebensstandard bedeuten? Es handelt sich hier um ein prinzipielles Methodenproblem. Zweitens ging es mir um die Widersinnigkeit der Aussage "so viele Arme in einem reichen Land" die unsinnig ist vor dem Hintergrund, dass die hiesige Armutsdefinition allenfalls Aussagen über die relative interne Verteilung, nicht aber über einen absolut vorhandenen oder nicht vorhandenen Lebensstandard trifft. Selbst wenn wir es schaffen den Lebensstandard für alle zu verfünffachen, werden wir die in der Statistik nicht los...
Drum schrieb ich ja auch, dass es für die von mir angestellte Betrachtung egal ist, ob man diese Definition nun persönlich sinnvoll findet oder nicht...
Und die Beispiele sollten die Funktionsweise des Prinzips verdeutlichen...
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon xander1 » Do 9. Aug 2012, 17:43

Ja wenn alle fünffachen Lebensstandard haben werden wir immer noch Armut haben, weil immer jemand ärmer ist, als jemand der reicher ist.

@Nanna
Das Problem als Armer unter Reichen hat man aber auch als Reicher unter Armen, was du beschreibst.
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon stine » Do 9. Aug 2012, 19:33

Hallo provinzler, willkommen im Forum!

@Nanna, bei deinen Beispielen, dreht sich mir der Kopf. Und siehe: Wir sind ab heute auch arm und das obwohl wir 24 Stunden am Tag im Hamsterrad laufen, wir werden es trotzdem nicht in deine Zielgruppe schaffen, wir werden höchstwahrscheinlich immer relativ arm bleiben und das obwohl Linke und SPD beschlossen haben, dass man Besserverdiener ab 60 000 € brutto im Jahr ist.
Es ist übrigens nichts Neues, dass es auch hier ein Kastensystem gibt. Ob man das jemals abschaffen kann, weiß ich nicht und wenn es denn abgeschafft wäre, ob es dann allen besser ginge, das weiß ich auch nicht, weil per (Natur)Gesetz, alles nach oben zum Besseren strebt und wäre alles oben und alles besser, müssten wir uns den ganzen Tag langweilen.
Ob Kinder, die alles haben, deswegen glücklicher sind, weil sie alles haben, das bleibt ohnehin in Frage gestellt und ist natürlich kein Grund, das Armsein besser zu finden.
Aber wie gesagt, Armut ist relativ und die englische Königin ist víel ärmer als die norwegische oder die dänische.

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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon Nanna » Fr 10. Aug 2012, 01:56

Erstmal das Gute: Einen gewissen Lebensstandard muss man ja auch gar nicht haben (wollen). Die Menschen in der Oberschicht kochen auch nur mit Wasser und den sprichwörtlichen verwöhnten Sozialversager ohne Manieren und Hirn, wie er Protagonist in manchen Serien und Filmen ist, gibt's da tatsächlich (hab da schon die ein oder andere unangenehme Begegnung machen dürfen). Hat man ein bestimmtes Niveau erreicht, sind die Zugewinne für das Befinden häufig nur noch marginal. Allerdings liegt das Niveau relativer Armut häufig eben darunter, auch wenn man sich über das konkrete Errechnen sicherlich streiten kann, wie provinzler völlig korrekt ausgeführt hat (und nirgendwo in den Sozialwissenschaften, zu denen man auch die Ökonomie rechnen darf, auch wenn die ein Spezialfall ist, ist es anders, sozialwissenschaftliche Indizes sind nunmal immer etwas arbiträrer als eine Temperaturmessung in Kelvin).

Allerdings ist es eben auch so, dass Gesellschaften mit stark unterschiedlicher Besitzverteilung zu psychischem Stress führen. Bei denen, die nichts haben, weil sie ihre Ohnmacht und die fehlenden Gestaltungsspielräume täglich vorgeführt bekommen, und bei denen, die alles haben, weil sie das Misstrauen der Besitzlosen spüren und fürchten, eines Tages selbst alles zu verlieren und dazuzugehören (das führt dann zu gated communities, Stadtvierteln, die für bestimmte Leute off-limits sind und ähnlichen Sachen, die einer freiheitlichen Gesellschaft gar nicht gut tun). Relative Armut führt für die Betroffenen zu ganz massiven Einschränkungen ihrer Lebenschancen, egal, wie sehr sie sich anstrengen (die paar Leute, die es doch schaffen, sind statistisch zu erwartende Ausreißer und keine Widerlegungen). Und dagegen sollten wir als Gesellschaft sehr wohl etwas tun. Was das nun genau heißt, ist wieder eine andere Frage. Ich bin ja in Zeiten wachsender Automatisierung und großer Produktionsüberschüsse der Meinung, dass man - vielleicht nicht heute, aber bei fortgesetztem Trend in einigen Jahren - über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachdenken muss, weil viel gundlegende Arbeit von Systemen erledigt werden wird, die nicht finanziell entlohnt werden muss, sondern "nur" noch mit Energie gefüttert, die sich auch in zunehmendem Maße von selbst produzieren wird. Aber das ist natürlich noch teilweise science-fiction. Bis wir so weit sind, sollten wir über sinnvolle Nachteilsausgleiche nachdenken und da gehört für mich dazu, dass wir jedem jungen Bürger des Landes eine ausreichende Ernährung, ein Dach über dem Kopf, ausgleichende (d.h. u.U. zusätzliche oder zumindest spezielle) Förderungsmaßnahmen und ausreichend Freizeitgestaltungsmöglichkeiten (über die man ja auch lernt und an der Gesellschaft teilnimmt, zu der man später etwas beitragen und mit ihr solidarisch sein soll) garantieren. Wo man die entsprechende Linie zieht, ist sicherlich eine schwierige Definitionsfrage, aber ich finde, dass die relative Armut nach derzeitiger Definition zumindest ein Anfang ist. Vielleicht hat jemand bessere Vorschläge?
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon provinzler » Fr 10. Aug 2012, 07:04

Nanna hat geschrieben:Allerdings ist es eben auch so, dass Gesellschaften mit stark unterschiedlicher Besitzverteilung zu psychischem Stress führen. Bei denen, die nichts haben, weil sie ihre Ohnmacht und die fehlenden Gestaltungsspielräume täglich vorgeführt bekommen, und bei denen, die alles haben, weil sie das Misstrauen der Besitzlosen spüren und fürchten, eines Tages selbst alles zu verlieren und dazuzugehören (das führt dann zu gated communities, Stadtvierteln, die für bestimmte Leute off-limits sind und ähnlichen Sachen, die einer freiheitlichen Gesellschaft gar nicht gut tun). Relative Armut führt für die Betroffenen zu ganz massiven Einschränkungen ihrer Lebenschancen, egal, wie sehr sie sich anstrengen (die paar Leute, die es doch schaffen, sind statistisch zu erwartende Ausreißer und keine Widerlegungen).

Ich persönlich vermute allerdings sehr, dass es nicht an der Besitzverteilung liegt, sondern eigentlich um ganz etwas andres geht. Nämlich den sozialen Status und der wird nicht zwangsläufig übers Geld definiert. Deshalb wirst du dieses Problem auch nicht los, wenn du die Erträge einer Volkswirtschaft absolut gleichmäßig auf alle verteilst. (von den Negativeffekten über idiotische Anreizsysteme mal ganz abgesehen). Denn dann gibts halt immer noch Klügere, Schönere, Größere, Stärkere usw. Ich prophezeie dir, dass du die soziale Hackordnung damit nicht abschaffen wirst, sondern nur die Sortierkritierien geändert werden. Willst du dann in letzter Konsequenz das zwangsnivellieren, weil es für Andrea psychisch belastend ist, dass Sabine größere Brüste hat? Merkst du in welchen Irrsinn wir da rein kommen?
Der Hickhack ums Geld ist doch letztlich nur ein Stellvertreterkrieg um etwas ganz andres.

Ich prophezeie übrigens auch, dass das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in der von den Befürwortern angedachten Höhe nicht funktionieren wird. Anhand der Anreizstrukturen lässt sich ziemlich gut vorhersagen, wie sich die Dinge früher oder später entwickeln. Und je höher die Lohnersatzleistungen angesetzt werden, desto unattraktiver wird Erwerbstätigkeit. Das perpetuum mobile gibts auch in der Ökonomie nicht :D
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon Nanna » Fr 10. Aug 2012, 14:12

provinzler hat geschrieben:Ich persönlich vermute allerdings sehr, dass es nicht an der Besitzverteilung liegt, sondern eigentlich um ganz etwas andres geht. Nämlich den sozialen Status und der wird nicht zwangsläufig übers Geld definiert. Deshalb wirst du dieses Problem auch nicht los, wenn du die Erträge einer Volkswirtschaft absolut gleichmäßig auf alle verteilst.

Richtig, das Problem loswerden ist annähernd unmöglich, da sind wir uns einig. Die Frage ist aber, ob wir deshalb aufhören sollten, das Problem einzudämmen. Ich würde ganz klar sagen: Nein. Wir investieren ja auch nicht in immer sicherere Autos oder Flugzeuge, weil wir glauben, das Problem von Verkehrsunfällen zu 100% lösen zu können, aber wir fühlen uns in einem nagelneuen A320 einfach wohler als in einer abgehalfterten, 30 Jahre alten 737 irgendwo über Afrika.

Und dann wird der soziale Status eben auch und vorrangig übers Geld definiert, da brauchen wir uns doch keine Illusionen zu machen. Besitz ist vielleicht keine hinreichende, aber eine durchaus notwendige Bedingung für einen gewissen sozialen Status. Wir reden vielleicht nicht immer gleich über besonders viel Besitz, aber die meisten Leute mit gesellschaftlichem Status sind normalerweise einkommenstechnisch schon in der gehobenen Mittelschicht oder darüber anzusiedeln. Natürlich gibt es Ausnahmen, ein olympischer Goldmedaillengewinner in einer Randsportart oder ein Theaterregisseur mit Kunstverstand als ökonomischen Fähigkeiten mag im Einzelfall eher bescheiden leben, aber das ist eben nicht die Mehrheit. Wer ein ordentliches Professorengehalt hat, verdient schon deutlich über 50.000€ im Jahr, das ist zwar noch lange kein Chefarztgehalt, aber schlecht leben lässt sich davon nicht. Man hat also häufig entweder sozialen Status, weil man Geld hat, oder hat Geld, weil man sozialen Status hat.

provinzler hat geschrieben:(von den Negativeffekten über idiotische Anreizsysteme mal ganz abgesehen).

Schwierig. Viele Langzeitarbeitslose haben ja durchaus den Willen zu arbeiten - sofern sie die Arbeitslosigkeit nicht schon völlig depressiv und apathisch gemacht hat -, sind aber nicht vermittelbar, weil sie in der Wirtschaft keiner haben will. Nun kann man es natürlich à la Gandalf bequem machen und behaupten, dass wir in einem freieren Wirtschaftssystem, wo der böse Staat nicht reinfuhrwerkt, das Problem überhaupt nicht hätten, aber das bringt uns zum einen nicht weiter (die Realität schert sich nunmal nicht um unsere Idealvorstellungen und verlangt konkretere Lösungsansätze, die näher am Gegenstand sind) und umgeht das Problem, anstatt es lösen. Wenn wir uns z.B. die USA ansehen, haben wir dort signifikante Arbeitslosigkeit, obwohl die USA in den letzten Jahrzehnten liberalisiert haben, wo es nur geht. Ich sehe das Problem mit den Anreizsystemen schon, andererseits gibt es Wohlfahrtsstaaten wie die skandinavischen Länder, die ihren Bürgern ziemlich viel hinterherschmeißen und trotzdem wirtschaftlichen Erfolg haben, und eben stark liberalisierte wie die USA oder das UK, die mit ernsthaften Problemen kämpfen. Die richtigen Anreizsysteme scheinen also in einer wirtschaftlich liberalisierten Gesellschaft nicht automatisch besser zu sein als in einer mit mehr staatlichem Interventionismus.
Natürlich kommt man um große Reparaturen am gesamten ökonomischen System nicht herum, wenn man das Problem der Arbeitslosigkeit lösen will, aber den Weg der reinen Liberalisierung zu gehen scheint so pauschal nicht zu helfen.

provinzler hat geschrieben:Denn dann gibts halt immer noch Klügere, Schönere, Größere, Stärkere usw. Ich prophezeie dir, dass du die soziale Hackordnung damit nicht abschaffen wirst, sondern nur die Sortierkritierien geändert werden.

Ich will die soziale Hackordnung gar nicht abschaffen. Aber wenn wir mal bei dem Beispiel mit der Körbchengröße bleiben: Es ist unwahrscheinlich, dass Sabine im Leben dauernd mehr Möglichkeiten hat, weil sie zwei BH-Größen größer kauft als Andrea. Hat sie aber doppelt so viel Geld, sieht die Sache anders aus. Wir reden nicht über die soziale Hackordnung und wir reden auch nicht darüber, die Oberschicht oder die "niederen" sozialen Schichten abzuschaffen, wir reden (oder sollten reden) über die Herstellung persönlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Das Gefühl von Ohnmacht entsteht, wenn man das Gefühl hat, an seinem Schicksal nichts ändern zu können, das gilt für den Armen, der keinen Beruf ergreifen kann, für den Reichen, der vor lauter Angst vor den besitzlosen Horden und der Kriminalität in seinem goldenen Käfig festsitzt und für den Wutbürger, der sich vom politischen Prozess nicht wahrgenommen fühlt.
Die Existenz einer Hackordnung ist ok, wegen ihrer Ordnungs- und Orientierungsfunktion sogar wünschenswert, solange es gegenseitigen Respekt und gegenseitiges Vertrauen gibt, was bei leichter Ungleichverteilung viel einfacher zu bewerkstelligen ist als bei krassen ökonomischen Missverhältnissen - und wenn ein Kind zu Weihnachten, Geburtstag etc. jeweils Geschenke im Wert mehrerer hundert oder gar tausend Euro erhält (durchschnittlich geben deutsche Eltern über 300 Euro pro Kind für Weihnachtsgeschenke aus!), während andere froh über eine warme Mahlzeit oder eine Extrahose von takko sind, sind das Missverhältnisse!

Es geht also nicht ums nivellieren, sondern um's Vermeiden zu großer und vor allem zu breiter Spitzen. Ein paar sehr Arme und ein paar sehr Reiche steckt die Gesellschaft locker weg, aber wenn ganze Gruppen unter systematischer Ohnmacht leiden (z.B. Kinder alleinerziehender Mütter), hat langfristig eine Fragmentierung der Gesellschaft mit wachsenden sozialen und monetären Kosten zur Folge. Die Zersplitterung einer Gesellschaft ist immer teuer!

provinzler hat geschrieben:Ich prophezeie übrigens auch, dass das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in der von den Befürwortern angedachten Höhe nicht funktionieren wird. Anhand der Anreizstrukturen lässt sich ziemlich gut vorhersagen, wie sich die Dinge früher oder später entwickeln. Und je höher die Lohnersatzleistungen angesetzt werden, desto unattraktiver wird Erwerbstätigkeit. Das perpetuum mobile gibts auch in der Ökonomie nicht :D

Ich bin ja kein Ökonom, das weißt du (für die anderen: provinzler und ich kennen uns schon eine Weile von wo anders), aber mein Gedanke ist der, dass sich die Güter, die durch stark automatisierte Massenproduktion gefertigt werden, im Prinzip größtenteils einfach ohne Gegenleistung verteilen ließen, sofern die Energieversorgung der Fabriken und Infrastruktur und die Finanzierung der Wartungsarbeiten gesichert sind (z.B. über Steuerfinanzierung, profitieren ja auch alle davon). Man könnte beispielsweise vereinbaren, dass automatische Fabriken nach zehn oder fünfzehn Jahren verstaatlicht werden, so dass sich Investitionen weiterhin lohnen, so dass auch die modernsten Modelle durchaus kostenpflichtig wären. Das BGE würde dann niemandem das Wasser abgraben, weil ja in komplett maschinisierten Produktionszweigen kein Konkurrenzverhältnis mehr zu Menschen besteht, anders gesagt, würden Autos nur noch durch Maschinen gebaut, wären die Autoarbeiter eh arbeitslos, völlig egal, ob die Autos hinterher zugunsten des Fabrikbesitzers verkauft oder einfach vergeben werden.
Allerdings ist klar, dass wir da über Zustände reden, die vielleicht mal eintreten, wenn wir beide unseren fortgeschrittenen Lebensabend feiern, für den Augenblick sehe ich auch im BGE noch nicht des Rätsels Lösung. Aber vielleicht kann man ein über Jahrzehnte gestaffeltes Einführungsprogramm machen oder es in irgendeiner Region einfach mal konkret ausprobieren. Der entscheidende Punkt, was die Anreize angeht, ist meines Erachtens nämlich, dass man durch das Bezahlen von Gehalt keine faule Person fleißig und keine fleißige Person faul macht. Wer jetzt schon gern arbeitet und gebraucht werden will, tut das auch weiterhin und wer schon immer Arbeit als Zumutung empfand, ja, der wird dann halt gehen, aber wie viele Leute das dann konkret sind, müsste man ausprobieren. Das sollten wir aber in einem anderen Thread besprechen.
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon provinzler » Fr 10. Aug 2012, 16:09

Nanna hat geschrieben:Und dann wird der soziale Status eben auch und vorrangig übers Geld definiert, da brauchen wir uns doch keine Illusionen zu machen. Besitz ist vielleicht keine hinreichende, aber eine durchaus notwendige Bedingung für einen gewissen sozialen Status. Wir reden vielleicht nicht immer gleich über besonders viel Besitz, aber die meisten Leute mit gesellschaftlichem Status sind normalerweise einkommenstechnisch schon in der gehobenen Mittelschicht oder darüber anzusiedeln. Natürlich gibt es Ausnahmen, ein olympischer Goldmedaillengewinner in einer Randsportart oder ein Theaterregisseur mit Kunstverstand als ökonomischen Fähigkeiten mag im Einzelfall eher bescheiden leben, aber das ist eben nicht die Mehrheit. Wer ein ordentliches Professorengehalt hat, verdient schon deutlich über 50.000€ im Jahr, das ist zwar noch lange kein Chefarztgehalt, aber schlecht leben lässt sich davon nicht. Man hat also häufig entweder sozialen Status, weil man Geld hat, oder hat Geld, weil man sozialen Status hat.

In unserer westlichen Gesellschaft ist das vielfach so. Aber auch in materiell weitgehend homogenen Gruppen bilden sich Unterschiede heraus, nur dass dann die Kriterien andre sind. Wenn in einer Gruppe alle ungefähr gleich viel oder wenig haben, werden andre Kriterien herangezogen. Teilweise kommt es auch auf den Kontext an. Sozialer Status kann auch kontextbezogen sein. Ein Philosophieprofessor mag in einem gewissen Umfeld hohen Status und hohes Ansehen genießen. Nehm ich ihn aber aus diesem Kontext raus und stell ihn beispielsweise als Trainer vor eine Fußballmannschaft, dann kann der gute Mann im neuen Kontext ganz schnell im Status sinken, falls er den Fehler macht, Profifußballern irgendwas zu erzählen, was mit FUßball zu tun hat.

Nanna hat geschrieben:Schwierig. Viele Langzeitarbeitslose haben ja durchaus den Willen zu arbeiten

Ich behaupte, dass sich das nicht wirklich feststellen lässt, genausowenig wie das Gegenteil. Grund ist, dass uns im Grunde nix übrig bleibt, als die jeweiligen LEute zu befragen. Und da auch diese soziale Wesen sind, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Antwort geben, die allgemein von ihnen erwartet wird, unabhängig davon wie es wirklich aussieht.

Nanna hat geschrieben: Wenn wir uns z.B. die USA ansehen, haben wir dort signifikante Arbeitslosigkeit, obwohl die USA in den letzten Jahrzehnten liberalisiert haben, wo es nur geht.

"wo es nur geht" aber auch nur aus der versozialdemokratisierten europäischen Warte heraus. Sag das mal einem amerikanischen Libertären. Für die wär ich vermutlich noch ein Sozialist...
Abgesehen davon haben auch die Amerikaner durchaus planwirtschaftliche Elemente in ihrem System. Teile davon haben kräftig zur Entstehung der Finanzkrise beigetragen.


Nanna hat geschrieben:Ich sehe das Problem mit den Anreizsystemen schon, andererseits gibt es Wohlfahrtsstaaten wie die skandinavischen Länder, die ihren Bürgern ziemlich viel hinterherschmeißen und trotzdem wirtschaftlichen Erfolg haben, und eben stark liberalisierte wie die USA oder das UK, die mit ernsthaften Problemen kämpfen. Die richtigen Anreizsysteme scheinen also in einer wirtschaftlich liberalisierten Gesellschaft nicht automatisch besser zu sein als in einer mit mehr staatlichem Interventionismus.
Natürlich kommt man um große Reparaturen am gesamten ökonomischen System nicht herum, wenn man das Problem der Arbeitslosigkeit lösen will, aber den Weg der reinen Liberalisierung zu gehen scheint so pauschal nicht zu helfen.


Ich will die soziale Hackordnung gar nicht abschaffen. Aber wenn wir mal bei dem Beispiel mit der Körbchengröße bleiben: Es ist unwahrscheinlich, dass Sabine im Leben dauernd mehr Möglichkeiten hat, weil sie zwei BH-Größen größer kauft als Andrea.

Die Attraktivität eines Menschen hat durchaus Auswirkungen auch die beruflichen Chancen. Nicht nur bei Frauen. Menschen die wir als attraktiv empfinden trauen wir unbewusst höhere Leistungen zu. Wenn nun eine MEhrheit größere Brüste attraktiver findet, dann ergibt sich daraus ein nachteiliger sozialer Status.
Und Norwegen hat dazu noch das Öl...


Nanna hat geschrieben: Das Gefühl von Ohnmacht entsteht, wenn man das Gefühl hat, an seinem Schicksal nichts ändern zu können, das gilt für den Armen, der keinen Beruf ergreifen kann, für den Reichen, der vor lauter Angst vor den besitzlosen Horden und der Kriminalität in seinem goldenen Käfig festsitzt und für den Wutbürger, der sich vom politischen Prozess nicht wahrgenommen fühlt.
[/quote]
Und dem getriezten Schulpflichtopfer, das sich seinen Peinigern nicht entziehen darf? *SCNR



Was das BGE angeht, so glaube ich im Übrigen nicht, dass dann von jetzt auf gleich alles kaputt geht. Falsche Anreizsysteme wirken viel subtiler und es kann verdammt lange gar nicht auffallen. Deshalb werden sie oft unterschätzt. Von Unternehmern was ihre Angestellen angeht (und auch da gehts im Übrigen nicht nur um Geld), von Politikern was sie mit ihren Entscheidungen letztlich anrichten, usw. usf.
Es wäre ein gradueller Prozess.
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon stine » Sa 11. Aug 2012, 10:01

Die Sache mit dem BGE hat mE auch noch einen anderen Haken: Wer sich was dazu verdient, weil er fleißig ist, dem wird das BGE über kurz oder lang gestrichen werden, denn irgendwo muss man dann auch wieder einsparen. Dann hat man im Prinzip, das gleiche wie jetzt: Lohn oder Gehalt, Arbeitslohn mit Aufstockung oder Sozialhilfe. Es würde sich nicht wirklich was ändern.

In den Beiträgen wird auch klar: die Kluft wird nicht größer, weil die Menschen ärmer werden, sondern sie wird größer, weil viele Menschen viel reicher werden. Da ist also eine Schicht, die nicht mitwachsen kann und eine, die abhebt. Die daraus resultierende Frage, warum ist das so, würde ich mit der Verschiebung der Ansprüche die ein Arbeitsplatz heute an seine Bewerber stellt beantworten und damit, dass wir als Gesellschaft ordinäre Dienstleistung nicht mehr wertschätzen. Menschen, die im Dienstleistungssektor arbeiten sind unterbezahlt, das heißt aber nicht, dass in diesem Sektor nichts verdient wird oder gar, dass er nicht mehr benötigt wird. Die Arbeitsleistung soll so billig wie möglich sein und der Handel mit der Arbeitsleistung so viel wie möglich einbringen.
Bevor man zum BGE greift, sollte hier dringend nachgebessert werden.

Der nächste Punkt ist, dass die abhebende Mittelschicht mit ihren vielseitigen Ansprüchen zwar alles haben will, aber nicht bereit ist, dafür ordentlich zu bezahlen. Es soll alles günstig sein und dabei wird nicht überlegt, ob man damit Arbeitsplätze vernichtet. Man sägt sozusagen am Ast, auf dem man selber sitzt.

Nanna hat geschrieben:Es geht also nicht ums nivellieren, sondern um's Vermeiden zu großer und vor allem zu breiter Spitzen.
Das ist vollkommen richtig, aber das wird schwer zu vermeiden sein, weil sich die Schichten nicht mehr vermischen. Es paart sich vielleicht noch der Großverdiener mit Sabine, wegen ihrer Körbchengröße (oder wars die andere? :mg: ) aber ansonsten bleibt man gerne Bildungsniveau mäßig oder Einkommenstechnisch unter sich. Das, zugleich mit der Tatsache, dass Bildungsferne heute nur schwer vermittelbar sind und deswegen fast immer nur einer das Geld heimbringt und die Tatsache, dass bei den Gebildeten in der Regel beide arbeiten, lässt die Kluft endlos wachsen. Politik kann dagegen eigentlich nichts tun, das ist ein rein menschliches Problem und es war auch nie anders.

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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon webe » Sa 11. Aug 2012, 10:12

stine, es gibt wirklich viele Arbeitslose, die gerne wieder in Beschäftigung stehen würden, es dürfte die überwiegende Mehrheit sein. Hier sehe ich den Stat gefordert, und zwar in jener Richtung: Er könnt efür jene Betroffene einen zweiten Arbeitsmarkt errichten, indem Fortbild und Zurückfliessung auf den ersten Markt möglich wäre.
Der künstliche Arbeitsmarkt wäre ein, ich sage wohlgemerkt!,sogenannter freiwilliger Arbeitsdienst mit passiabler Entlohnung: Umweltschutz, Pflegeheime, Behindertenbetreuung, Senioreneinkäufe unsw., wären da z.B. die Beriche, wo man vernünftig abdecken könnte!

Die Familie der Langzeitarbeitslosen hätten, wie die selber, wieder ein Hauch des vernüftigen Daseins: Weg von den Tafelläden, hin zur Normaität!
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon provinzler » Sa 11. Aug 2012, 13:33

stine hat geschrieben:In den Beiträgen wird auch klar: die Kluft wird nicht größer, weil die Menschen ärmer werden, sondern sie wird größer, weil viele Menschen viel reicher werden. Da ist also eine Schicht, die nicht mitwachsen kann und eine, die abhebt.

Die Frage ist, warum taucht dieses Phänomen nicht in der Statistik auf? Betrachtet man den Einkommensanteil des obersten Einkommensdezils am Gesamteinkommen, so schwankt dieser seit Jahrzehnten um einen relativ stabilen Mittelwert.
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon stine » Sa 11. Aug 2012, 13:35

webe hat geschrieben:Der künstliche Arbeitsmarkt wäre ein, ich sage wohlgemerkt!,sogenannter freiwilliger Arbeitsdienst mit passiabler Entlohnung: Umweltschutz, Pflegeheime, Behindertenbetreuung, Senioreneinkäufe unsw., wären da z.B. die Beriche, wo man vernünftig abdecken könnte!
Das ist ein großer Trugschluss. Wenn ein künstlicher Arbeitsmarkt für genannte Bereiche geschaffen wird, braucht es für diese Arbeiten keinen echten Arbeitsmarkt mehr. Es gibt bereits Beispiele dafür, wie staatlich subventionierte Betriebe die freien unterbieten: ATU, ABBA und ähnliche. Hier arbeiten Menschen, die auf dem freien Arbeitsmarkt nicht mehr beschäftigt werden konnten, dafür ist ihre Leistung günstiger zu haben. Das macht allerdings den freien Werkstätten billige Konkurrenz. Und: staatlich bezahlte Lohnarbeit kostet nur und leert die Kassen, schafft kein wirkliches Wirtschaftswachstum.
Dass es viele Arbeitslose gibt, die gerne arbeiten würden, glaub ich dir. Das Problem ist aber, dass niemand mehr bereit ist für Dienstleistung Geld auszugeben. Nicht direkt (Handwerker beschäftigen) und nicht indirekt (höhere Kosten für Konsumgüter). Wir geizen uns eben zu Tode. Die einzige politische Konsequenz wäre, ein Sparlimit einzurichten. Niemand darf mehr auf seinen Sparkonten haben, als, sagen wir mal, 50 000€, alles darüber muss innerhalb eines Jahres im eigenen Land wieder ausgegeben werden. :mg:

Nanna hat geschrieben: Der entscheidende Punkt, was die Anreize angeht, ist meines Erachtens nämlich, dass man durch das Bezahlen von Gehalt keine faule Person fleißig und keine fleißige Person faul macht.
Das galub ich nicht. Ich denke sehr wohl, dass ein BGE auch viele Fleißige etwas fauler machen würde :wink: .

LG stine
Zuletzt geändert von stine am Sa 11. Aug 2012, 13:40, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon stine » Sa 11. Aug 2012, 13:37

provinzler hat geschrieben:
stine hat geschrieben:In den Beiträgen wird auch klar: die Kluft wird nicht größer, weil die Menschen ärmer werden, sondern sie wird größer, weil viele Menschen viel reicher werden. Da ist also eine Schicht, die nicht mitwachsen kann und eine, die abhebt.

Die Frage ist, warum taucht dieses Phänomen nicht in der Statistik auf? Betrachtet man den Einkommensanteil des obersten Einkommensdezils am Gesamteinkommen, so schwankt dieser seit Jahrzehnten um einen relativ stabilen Mittelwert.

Dann betrachte eben nicht die obersten Einkommen, sondern die mittleren.

LG stine
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon provinzler » Sa 11. Aug 2012, 14:20

stine hat geschrieben: Die einzige politische Konsequenz wäre, ein Sparlimmit einzurichten. Niemand darf mehr auf seinen Sparkonten haben, als, sagen wir mal, 50 000€, alles darüber muss innerhalb eines Jahres im eigenen Land wieder ausgegeben werden. :mg:

Und für eine größere Investition muss man dann zwangsläufig auf Kredite zurückgreifen? Und was ist mit meinen Aktienpaketen? Die darf ich aber schon behalten oder?
Oder mein Nachbar seinen Bausparer und seine Lebensversicherung?
Nötig sind aus meiner Sicht zweierlei.
Entlastung der kleinen und mittleren Betriebe. Gar nicht so sehr von Geld, sondern von unnötigen Auflagen und Bürokratie. Für einen Arbeitgeber mit 3 Angestellten ist eine juristisch wasserdichte Stellenausschreibung unverhältnismäßig teuer, also behilft er sich mit Überstunden seiner bestehenden Kräfte oder verweigert Aufträge.
Zweitens eine positive Einstellung zu Unternehmertum innerhalb der Bürokratie
Ich kenne auch eine Firma die im deutsch-tschechischen Grenzgebiet eine Fabrik bauen wollte (120 sowie eine mittelfristige Aufstockung auf 200 ARbeitsplätze angedacht), mehrere Jahre erfolglos mit GEmeinden und Behörden diskutierte, um dann zermürbt ihr Glück in Tschechien zu versuchen. Dort war man sehr zuvorkommend und nach wenigen Wochen rollten die Bagger an. Man vertreibt hierzulande auch teilweise gezielt Arbeitsplätze, wenn das Unternehmen für die Gemeinde nicht "repräsentativ" genug ist oder wichtige Meinungsbildner dem Eigentümer den zusätzlichen Gewinn aus der Fabrik nicht gönnen.
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Re: Kinderarmut in Deutschland

Beitragvon provinzler » Sa 11. Aug 2012, 14:26

stine hat geschrieben:Dann betrachte eben nicht die obersten Einkommen, sondern die mittleren.

LG stine


Und was sollte das ändern. Leute die sich am unteren Rand des obersten Dezils bewegen gehören nach allgemeiner Wahrnehmung eigentlich noch zur Mittelschicht. Wenn ich das richtig im Kopf habe brauchts dazu nicht ganz 70.000€ brutto p.a. Das oberste Dezil ist das mit Abstand am inhomogenste, was das Einkommen und das Vermögen betrifft. Deshalb verschätzt man sich oft, wenn man pauschal auf die "oberen 10%" schimpft. Deren Vermögen und Einkommen werden nämlich von einem relativ kleinen Teil dieser Gruppe vereinnahmt.
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