Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Mi 1. Aug 2012, 08:52

blauregen hat geschrieben:Das ist ja der Punkt des wissenschaftlichen Ansatzes. Man beobachtet etwas, versichert sich dass Beobachtete tatsächlich auch von Anderen beobachtet wird, dass also ein Konsens besteht, dass es tatsächlich geschieht, entwickelt ein Modell ( Karte ) des Vorgangs, und macht überprüfbare Voraussagen. Erlaubt das Modell überprüfbare Voraussagen und treffen die Voraussagen zu, nimmt man an dass es die Realität beschreibt.


Ja.

blauregen hat geschrieben:Theoretisch könnte die Realität auch gänzlich anders geartet sein als unsere Modelle, aber die wahrgenommene Realität verhält sich zumindest unseren Voraussagen entsprechend. Tut sie das nicht, ist unser Modell für den gedachten Anwendungszweck ungeeignet. Wenn dich die objektive Realität da stört, bin ich gerne bereit über die Konsensusrealität zu reden.


Ich denke, das trifft es besser.

blauregen hat geschrieben:Ich kann das sogar weiterspielen und Regeln definieren, nach denen natürliche Zahlen manipuliert werden können wie Addition, Multiplikation, usw. und mit denen kann ich dann was sinnvolles anfangen, weil wir Menschen irgendwie so verdrahtet sind, dass wir in der Konsensusrealität beobachtbare Objekte zu Mengen zusammenfassen, und eine Eigenschaft dieser Mengen ist ihre Kardinalität, über die ich mit meinem aus den Fingern gesogenen Modell zutreffende Voraussagen machen kann.


Interessant ist die Frage, warum man über rein mathematische Wege überhaupt zutreffende Prognosen über die Welt machen kann. Denn grundlegend logisch-mathematisch scheint unsere Welt nicht aufgebaut zu sein, wenn man zu den Quanten vorstößt. Bist Du zufällig Physiker?

blauregen hat geschrieben:Man kann Theismus auch in dieser Art beschreiben. Die Riten, Befolgung der Gebote und Gebete sind dabei die Regeln zur Manipulation des Gottes. Es werden auch Voraussagen gemacht, aber die Bilanz bei der Überprüfung sieht eher schlecht aus, so dass die Religionen dazu übergegangen sind unüberprüfbare Voraussagen zu machen.


Ich glaube nach wie vor, dass Religion keine Funktionsanleitung Gottes ist, aber natürlich gibt es Immunisierungstendenzen – wenn man es so nennen will – in der Religion. Eigentlich müsste, wenn man immer betet, Gott dies oder das tun, aber Gottes Wege sind sonderbar und der beste „Trick“ der Religionen war vermutlich die Jenseitskarte. Klappt es hier nicht, klappt es drüben und das nur umso besser.
Gegen zu irratonale Formen der Gläubigkeit – und gegen zu rationale – sind aber auch innerhalb der Religionen immer schon Leute aufgestanden.
Die Religion fürs Volk ist natürlich seicht, aber die Unterhaltung fürs Volk eben auch.

blauregen hat geschrieben:Die Bewertungsfunktion um zu bestimmen was 'nützlich' ist, kann natürlich auch kompliziert werden, und wir müssen die Abwägung entsprechend unserer recht willkürlich gefassten Prämissen also z.B. Menschenwürde und die anhängigen Menschenrechte, treffen. Diese sind natürlich im Endeffekt ebenfalls Glaubenssätze, die wir teilweise evolutionär und teilweise kulturell erworben haben.


Und es könnte auch ein Mythos sein, dass Welt unterm Strich immer nur aus Nützlichkeiten besteht.
Die tote Welt (falls der Kosmos in Gänze tot ist, auch das wissen wir nicht; falls der Begriff des Ganzen überhaupt zutreffend ist, auch das Wissen wir nicht) kennt diese Nützlichkeiten nicht, das ist unsere Projektion. Da passieren einfach Ereignisse und erst ab der biologischen Welt machen Nützlichkeiten Sinn. Reduziert man das menschliche Miteinander allein auf Nützlichkeiten, kommen diese üblen Biologisierungstendenzen dabei heraus, mit denen buchstäblich alles und nichts zu rechtfertigen ist (und so gut wie nichts zu prognostizieren).

blauregen hat geschrieben:In der angewandten Psychologie oder in der Psychiatry haben wir eine ganze Reihe von Problemen mehr. Nicht nur dass die Weitergabe der Beobachtung das Objekt verändert, dass ethische Vorannahmen oft Experimente in den verwandten Forschungszeugnissen be- oder verhindern, nein, unsere Bewertungsfunktion ist extrem stark von auch religiös gegründeten Faktoren bestimmt. Deshalb ändern die sich auch weniger mit neuen Erkenntnissen, sondern mehr mit dem gesellschaftlichen Wertewandel.


Richtig, bzw. beides durchdringt einander. Es ist schon oft so, dass die Ergebnisse vorhanden sind, nur werden sie von wissenschaftlichen Mainstream erst mal unterdrückt. Die Unterdrückung ist institutionalisiert, da hängen Forschungsgelder, Fachzeitschriften, Posten und Eitelkeiten dran.

blauregen hat geschrieben:Im letzten Jahrhundert fand zum Beispiel ein gesellschaftlicher Wandel statt, der es durch einfaches Weglassen der Homosexualität aus dem IDC-10 und DSM-IV ermöglichte einen großen Teil der Weltbevölkerung nicht mehr für krank zu halten.


Völlig richtig. Die Einstellung zur Psychologie der Frau, zur Psychologie der Homosexualität und zur Psychologie der Religion haben sich grundlegend und vollständig gewandelt.

blauregen hat geschrieben:Religiöse Organisationen sind da oft etwas langsamer, weil sie ihre Glaubenssätze sehr ungern auf Relevanz oder auch nur Nähe zur wahrgenommenen Realität prüfen.


Die wissen das schon, aber sie ignorieren mitunter bewusst die neuen Ergebnisse, weil die nicht in ihr Weltbild passen.

blauregen hat geschrieben:In den USA gibt es z.B. immer noch diverse Organisationen, die ihren Mitgliedern einreden, dass eine nach gängiger Lehrmeinung völlig normale Ausprägung menschlicher Sexualität behandlungsbedürftig ist.


Leider auch in Deutschland, nur werden diese Leute oft nicht ernst genommen.
Im Internetzeitalter haben allerdings alle Splittergruppen die Möglichkeit Gleichgesinnte zu treffen.

blauregen hat geschrieben:Ich kann mir nicht vorstellen, dass diejenigen damit in ihrer Lebensführung gefördert werden. Andere religiöse geprägte Staaten mit einer weniger säkulären Tradition sparen sich das mit dem für krank erklären und nehmen es gleich ins Gesetzbuch auf.


Das hat mehr mit patriarchalen Weltbildern zu tun, als mit religiösen, was dadurch verwischt wird, dass religiöse Weltbilder oft patriarchal sind. Aber eine Angst vor insbesondere männlicher Homosexualität findest Du auch in typischen Männerrunden. Darum ist beim Bund, bei den Neonazis und in der Fußballbundesliga auch „niemand“ schwul.

blauregen hat geschrieben:Hier in Deutschland hat die katholische Kirche meines Geschichtswissens nach auch kräftig gerudert um den § 175 zu halten. Das wäre übrigens ein Beispiel für die stabilisierende Wirkung von Religionen. Der Einfluss der katholischen Kirche hat die gesetzliche Kriminalisierung und Ungleichbehandlung einer verfolgten Gruppe für Jahrzehnte erhalten.


Das ist einer der Punkte, die ich auch so sehe. Ich würde ihn dahingehend erweitern, dass einige Religionen, generell in Fragen der Sexualität so ziemlich die schlechtesten Ratgeber sind.
Man kann das Thema natürlich breiter diskutieren, aber das ist hier nicht der Rahmen dafür.


blauregen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Komplizierterweise kann es aber der Lebensführung des einen nutzen und die des anderen behindern. Dann kommen Konzepte wie die dickeren Arme, die größere Zahl oder die besseren Argumente oder mehr Rücksicht (und dann irgendwann auch die Würde) überhaupt erst ins Spiel.


Normalerweise würde ich jetzt sagen dass wir wohl unser Modell verfeinern müssten, um genau herauszufinden was and welcher Religion unter welchen Umständen der Lebensführung nutzt, aber warum sollich Dennett wiederholen? :)


Ich finde es, um mal in der Psychopathologie zu bleiben, etwas paranoid, wenn das Ergebnis schon feststeht und die Begründungen noch gesucht werden – und gewiss wird man welche finden.

blauregen hat geschrieben:Warum sollte ich ein bereits anerkannt willkürliches Konzept mit Genen und Hirngewitter begründen wollen? Die Gene und das Hirngewitter können mir eventuell irgendwann sagen wie ich zu diesem Modell gekommen bin, oder warum ich möglicherweise prädisponiert bin so ein Modell anzunehmen. Aber soweit sind wir noch nicht.


Ich glaube, so weit werden wir auch niemals sein. Alle Konzepte sind an ihrer Wurzel willkürlich gesetzt, die Idee, dass man mit einem Empirismus überhaupt in Theorie reinkäme ist schon absurd.

blauregen hat geschrieben:Ich könnte zum Beispiel erst dann anfangen überprüfbare Voraussagen über den Vollbreit als komplexes System zu machen, wenn ich ein dem Vollbreit hinreichend ähnliches Modell habe. Habe ich aber nicht. Hat noch niemand. Deshalb wird auch kein ernsthafter Naturwissenschaftler in seiner Eigenschaft als Naturwissenschaftler solche Voraussagen über den Vollbreit machen.

Genauso ist es mit einem gen-orientierten Modell, und in seiner Eigenschaft als Biologe wird zum Beispiel der Dawkins sich hüten Aussagen über die Ursache von Religionen zu machen, weil er da kein biologisches Modell hat.


Soweit ich weiß, wird von Dawkins und Dennett da gerade kräftig spekuliert, dass und warum etwas, was natürlich weiterhin falsch ist (das ist ja eine Größe, die zum Gründungsmythos der Brights gehört und darum nicht zur Disposition steht), aber dennoch nützlich sein kann.
Die ganze nette Idee von der natürlichen Auslese kippt hier gehört.
Darwins Kriterium für erfolgreiche Evolution ist einfach nur Nachkommen zu produzieren, die ihrerseits Nachkommen produzieren. Niemand tut das so erfolgreich und stabil wie religiöse Gruppen, nimmt man das ernst, sieht es übrigens für Homosexualität alles andere als rosig aus.
Und auch egoistische Gene werden wohl kein Interesse daran haben, dass sich ihr egoistisches Muster ganz einfach gar nicht fortpflanzt.
Nicht zuletzt waren es ja lange Zeit die Religionen, die sich selbst des Argumentes bedienten, Homosexualität sei widernatürlich … bis man sich „die Natur“ dann mal etwas genauer angeschaut hat.
Aber wie auch immer, man versucht gerade zu rechtfertigen, wieso Religionen fehlerhaft, aber dennoch erfolgreich sein können, d.h. einmal mehr passt man nachträglich die Theorie den Fakten an, mit Blick auf die Prognosen, die ja die eigentliche Stärke der Wissenschaft sind, eine Katastrophe, aber eben ein gut geölter Mythos der Neuzeit.

blauregen hat geschrieben:Aber wir sind ja nicht nur unser Fachgebiet. Und in seiner Eigenschaft als denkender Mensch und gesellschaftskritischer Autor, steht es dem Dawkins frei Analogschlüsse zu seinem Fachgebiet zu ziehen und über Ähnlichkeiten zu spekulieren.


Absolut, ich kritisiere ihn auch nicht dafür. Das tue ich, weil er die Ergebnisse anderer, die nicht nur Analogieschlüsse ziehen, sondern deren ureigenstes Geschäft es ist, sich hier zu bewegen, so weitreichend ignoriert.

blauregen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich halte die Fähigkeit zu glauben nicht für pathologisch, sondern für gesund.
Soweit ich das verstanden habe, entspringt der Glaube derselben Quelle die Moral, Wissenschaft, Liebe, Kunst. Im Wesentlichen geht es dabei um die Beobachtung Winnicotts, dass ein kleines Kind in der Lage ist die momentane (an sich bedrohliche) Abwesenheit der Mutter zu kompensieren, indem es andere Objekte (Decke, Stofftier oder so etwas) emotional (libidinös) besetzt.


Oh die Fähigkeit zu glauben hat durchaus positive Anwendungen. Bei guter Suggestibilität kannst du dir zum Beispiel die meisten lokalen Anästhesien sparen.Gar nicht zum Reden vom Placeboeffekt, der klinisch unwirksame Antidepressiva jahrelang in der Ökonomie gehalten hat.


Jepp.

blauregen hat geschrieben:Mir hat mal wer eine Pille gegen Krampfneigung als Kopfwehtablette angedreht. Was es war hat wurde mir erst ein paar Stunden später gesagt, aber das Ding hat mein Kopfweh hervorragend kuriert, und das ohne dass es meines Wissens relevante Wirkstoffe enthalten hätte.

Was mir mehr Sorgen macht ist die Anwendung dieser Fähigkeit in organisierten Religionen.


Warum? Das funktioniert doch nicht nur dort, sondern in der gesamten Gesellschaft.
Der Trugschluss liegt darin, es könne am Ende eine illusionsfreie, vollkommen aufgeklärte, rein rationale Gesellschaft geben. Ich lasse man die Frage offen, ob dies wünschenswert oder ein Albtraum ist, aber wenn „unsere Natur“ irgendwas verhindert, dann das.
Kulturprodukte wie Religion und anderes sind immer der Versuch da in Richtung Triebunterdrückung und Rationalität gegenzusteuern, das gelingt mal mehr, mal weniger, aber noch das paranoideste und regressivste System, bekommt regelmäßig seine Grenzen aufgezeigt und wird immer anfälliger, gegen subversive Elemente.

blauregen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das wird oft so gesehen und ist auch einsehbar, dieses Konzept versagt aber oft beim Praxistest.


Ich hab ja oben ein Beispiel für den stabilisierenden Effekt von Religionen erwähnt. Ich bin nicht begeistert davon. Vielleicht sollten wir das konkretisieren. Such dir bitte eine Religion und einen Staat und erläutere mir die positiv stabilisierende Wirkung der Religion, dann les ich über den Fall nach, und wir können das diskutieren.


Lass uns das Christentum nehmen, das kennen wir alle am besten und von innen.
Der stabilisierende Effekt ist bspw. eine größere Solidarität innerhalb der Gruppe, die obendrein den Vorteil hat, dass man ihr leicht beitreten kann. Geschlecht, Hauptfarbe, Nationalität usw. kann man nicht mal eben verändern. Innerhalb der Gemeinschaft sind es dann die sehr Gläubigen, die sich auch für Leute außerhalb der Gruppe interessieren und engagieren, die weniger Gläubigen sind unterdurchschnittlich an anderen interessiert.
Insgesamt fördert Religion eine konventionelle moralische Einstellung, die ist zwar nicht hoch entwickelt, aber nötig, damit eine Gesellschaft funktioniert. Der Weg nach oben, in die Postkonventionalität ist dann auch keine Aufkündigung der moralischen Grundlagen der Gemeinschaft mehr, sondern eine Ausdifferenzierung.

blauregen hat geschrieben:Das ist durchaus wahr, aber ich schrieb nicht von Hunger oder Dummheit, sondern von steigendem Lebensstandard und verbesserter Erziehung, entsprechend dem Verhalten in den westlichen Industrieländern.


Ich glaube das ist der nächste Mythos der gepflegt wird.
Europa, so meint man, solle zum Modell der Welt werden. In Amerika kann schon längst niemand mehr Präsident werden, der nicht auf die Bibel schwört und innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft gibt es durchaus religiöse Staaten und Tendenzen.
Aber, man muss sehen, dass sich die Welt nicht sonderlich für den europäischen Weg interessiert.
China hat zwar den Kapitalismus importiert, aber die totalitären Tendenzen und kommunistische Versatzstücke beibehalten. Vor allem Indien wird man beachten müssen, bald das bevölkerungsreichste Land der Erde. Für uns vermutlich kaum zu verstehen. Das Modell Europa, ist kein Exportschlager, selbst der arabische Frühling wird nicht in diese Richtung gehen, zumal wir in Europa zig Sorgen haben. Depressive Einwohner, die inmitten des Wohlstandes keinen Sinn in ihrem Leben sehen. Ein m.E. oft schlechter Umgang mit den Nichtleistungsträgern der Gesellschaft. Drastisch sinkende Geburtenraten. Hausgemachte Wirtschaftsprobleme und so weiter.
Die Länder der Welt werden den einen oder anderen Teil importieren, auch Russland ist nicht wahnsinnig viel westlicher geworden in den letzten 20 Jahren, nie alles. Warum denn auch?

blauregen hat geschrieben:Unwissenheit ist nicht Dummheit. Fanatismus und Weltfremdheit sind auch nicht Dummheit. Dann sind religiöse motivierte Fanatiker nicht die grosse Menge der Gläubigen, sondern Extremfälle, für die tatsächlich andere Erklärungsmodelle versucht werden. Das macht dein Gegensbeispiel ein bischen fragwürdig.


Ich bin da zwar in der Minderheit, aber für mich erklärt Gunnar Heinsohn dieses Phänomen hervorragend. Kurz und knapp: Wo es relativ zur Gesamteinwohnerzahl viele Jugendliche gibt (im Alter von 15 – 30), da ist gesellschaftlicher Sprengstoff da, weil die Menschen in diesem Alter die Welt erobern wollen, ab 30 wird man, hormonell, ruhiger. Ist die Zahl der „überzähligen Söhne“, jener, denen keine definierte soziale Rolle zukommt, groß, sind gesellschaftlichen Unruhen gewiss.
Auch der Hetzer braucht die Masse, eine junge obendrein. Wir habe ein Durchschnittsalter von knapp vor Mitte 40, da gibt es schlicht kein revolutionäres Potential, seinen einzigen Sohn, oft das einzige Kind, verheizt man nicht. Wenn es ein religiöser Führer hinbekommt, die Geburtenregulation zu umgehen und ein ensprechend paranoides Klima schafft (oder vorfindet) hat er eine Waffe in der Hand, die stärker ist als alle anderen.
Man kriegt, mal ganz militärtechnisch gesprochen, eine Gesellschaft nicht klein, in der jede Frau 8 oder 10 Kinder bekommt. Man kann gar nicht so schnell gucken, wie neue Kämpfer da sind und ein erneuter Genozid ist zwar in den Planspielen der Amerikanischen Militärs durchaus vorgesehen, wie letztens mal durchsickerte, macht aber, eine schlechte Presse und ist ganz nebenbei auch geächtet.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon xander1 » Mi 1. Aug 2012, 10:53

Ich seh jetzt nicht so die Verbindung von Überschrift und Text.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon blauregen » Mi 1. Aug 2012, 15:38

Vollbreit hat geschrieben:Interessant ist die Frage, warum man über rein mathematische Wege überhaupt zutreffende Prognosen über die Welt machen kann. Denn grundlegend logisch-mathematisch scheint unsere Welt nicht aufgebaut zu sein, wenn man zu den Quanten vorstößt. Bist Du zufällig Physiker?


Nein,ich bin kein Physiker, und ich bin nicht tief genug in der Quantenmechanik drin, um dir da eine definitive Antwort zu geben.Persönlich ziehe ich einen instrumentalischen Ansatz vor. Es ist mir im Grunde egal wie die Welt 'tatsächlich' aufgebaut ist, solange unsere Modelle zutreffende Voraussagen erlauben.

Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube nach wie vor, dass Religion keine Funktionsanleitung Gottes ist, aber natürlich gibt es Immunisierungstendenzen – wenn man es so nennen will – in der Religion. Eigentlich müsste, wenn man immer betet, Gott dies oder das tun, aber Gottes Wege sind sonderbar und der beste „Trick“ der Religionen war vermutlich die Jenseitskarte. Klappt es hier nicht, klappt es drüben und das nur umso besser.


Ebenso, zumal ich nicht davon ausgehe dass irgendwas was sich als Gott beschreiben lässt existiert. Aber es ist ein (zugegeben sehr einfaches) Modell mit dem sich theistische Religionen in Teilbereichen beschreiben lassen, unabhängig davon ob das Objekt der Anbetung tatsächlich existiert.

Vollbreit hat geschrieben:Und es könnte auch ein Mythos sein, dass Welt unterm Strich immer nur aus Nützlichkeiten besteht.
Die tote Welt (falls der Kosmos in Gänze tot ist, auch das wissen wir nicht; falls der Begriff des Ganzen überhaupt zutreffend ist, auch das Wissen wir nicht) kennt diese Nützlichkeiten nicht, das ist unsere Projektion. Da passieren einfach Ereignisse und erst ab der biologischen Welt machen Nützlichkeiten Sinn. Reduziert man das menschliche Miteinander allein auf Nützlichkeiten, kommen diese üblen Biologisierungstendenzen dabei heraus, mit denen buchstäblich alles und nichts zu rechtfertigen ist (und so gut wie nichts zu prognostizieren).


Das ist kein Mythos, das ist eine Hilfsvorstellung. Die Aufgabe der Bewertungsfunktion ist nicht die Welt zu beschreiben, sondern zu bestimmen ob eine Veränderung für uns wünschenswert ist. Meine ist im wesentlichen anthropozentrisch , und teilweise egozentrisch. Was du damit rechtfertigen kannst hängt von ihrem Aufbau und der Gewichtung der einzelnen Faktoren ab.

Nehmen wir zum Beispiel an es würde ein Verfahren entwickelt, dass es einem Menschen erlaubt zäh wie Leder ( körperlich resistenter ), schnell wie Lumpi ( körperlich effizienter ) und schlau wie Hawking (erhöhte Intelligenz) zu werden,ohne nennenswerte Nachteile zu haben. Es ist allerdings so teuer, dass nur die Reichsten es sich leisten können. Es steht zu erwarten dass die Anwendung des Verfahrens genug Mittel zur Verfügung stellt, um den Prozess zu verbilligen, so dass er in 30 Jahren Allgemeingut würde. Weiterforschen ohne diese Mittel bis es Allgemeingut ist, würde 80 Jahre benötigen.

Wenn du jetzt dem Gleichheitsgrundsatz einen sehr hohen Wert beimisst, würdest du sofort erkennen dass die Anwendung des Verfahrens jetzt eine Elite schaffen würde, und damit die Ungleichheit verstärkt. Entsprechend würdest du wohl dafür stimmen dass alle zu warten haben.

Würdest du dagegen der Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten einen höheren Stellenwert zuordnen, dann steht zu erwarten, dass du die vorübergehend verstärkte Ungleichheit in Kauf nimmst, um die Zeit bis zur allgemeinen Verfügbarkeit des Mittels zu verkürzen.

Das hat direkt nichts mit Biologisierungstendenzen zu tun. Welches Gewicht wir welchen Faktoren beimessen, ist unsere bewusste Entscheidung. Die naturwissenschaftliche Argumentation kann uns da nur sagen warum wir bestimmte Präferenzen haben, aber solange du dich nicht dem Determinus verschreiben willst, was die ganze Ethik-Diskussion sowieso ad absurdum führen würde, zwingt dich niemand entsprechend deiner möglichen 'natürlichen' Präferenzen zu handeln.

Es besteht allerdings in einigen Fällen die Gefahr dass du sehr unglücklich wirst, aber ich nehme mal an dass z.B. der Sexualtrieb eine eher starke natürliche Präferenz ist, und ich bin überzeugt dass der eine oder andere katholische Priester das mit dem Zölibat trotzdem ernst meint, und durchhält. Und das ohne sich auf eine gute rationale Begründung stützen zu können. Es geht also.

blauregen hat geschrieben:Religiöse Organisationen sind da oft etwas langsamer, weil sie ihre Glaubenssätze sehr ungern auf Relevanz oder auch nur Nähe zur wahrgenommenen Realität prüfen.


Was ich für einen grundsätzlichen Makel halte. Religiöse Weltanschaungen sind,soweit ich sehe weitgehend dogmatisch. Wenn sie sich an veränderte Gegebenheiten anpassen sollen, dann müssen sie versuchen die neuen, wünschenswerten Ansichten mit dem alten Dogma in Einklang zu bringen. Die heiligen Schriften ( trotz einiger Aufhebungen im Koran, die aber vom Propheten selbst vorgenommen wurden ) sind das unabänderliche Wort Gottes, der ja als vollkommenes Wesen keine Fehler machen kann. Die Dogmen der großen monotheistischen Religionen leiten sich daraus ab. Jeder Versuch sie zu ändern würde einen Irrtum des angemommenen vollkommenen Wesens implizieren, dass sich definitionsgemäß nicht irren kann. Daher beziehen sie ihre 'Stabilität'.

Da haben auf menschlichen Weltanschaungen beruhende Systeme einen Vorteil. Wir dürfen uns irren. Im Wissenschaftsbetrieb gilt als Grundsatz dass wenn man ein besseres Model findet, man das auch zu nehmen hat. Machen natürlich nicht alle. Mancher Wissenschaftler verteidigt seine Lieblingstheorie mit Zähnen und Klauen bis ins Grab, und im politischen Bereich lässt sich sicher noch der eine oder andere Altmarxist finden, der die Verelendung der Arbeiterklasse erwartet, aber der entscheidende Punkt ist die Vorgabe. Wenn der Papst ein Dogma ändern will, dann muss er oft ziemliche Interpretationsverrenkungen ausführen. Wenn ein Imam einen neuen Satz einführen will, dann hat er entsprechend seiner Tradition Kasuistik in einem Maß zu betreiben, die einen durchschnittlichen Bundesrichter neidisch machen würde.

Wir einfachen Leute ohne Absolutheitsanspruch dürfen uns ändern. Wir dürfen sagen 'Leute, was der Typ vor ein paar Jahrhunderten gesagt hat passt weder mit unserem Erkenntnisstand, noch mit unseren Gegebenheiten zusammen. Vergessen wir es.'



Vollbreit hat geschrieben:Das hat mehr mit patriarchalen Weltbildern zu tun, als mit religiösen, was dadurch verwischt wird, dass religiöse Weltbilder oft patriarchal sind. Aber eine Angst vor insbesondere männlicher Homosexualität findest Du auch in typischen Männerrunden. Darum ist beim Bund, bei den Neonazis und in der Fußballbundesliga auch „niemand“ schwul.


Oh sicher, die Ursprünge liegen größtenteils im Patriarchat. Das Beharrungsvermögen des Paragraphen 175 hier in Deutschland war war jedoch entscheidend dem Einfluß der katholischen Kirche geschuldet. Wobei das Patriarchat ja wenig gegen Homosexualität an sich hat. Nur dagegen dass man nicht topped. Weil sich ficken lassen ist ja 'wie eine Frau' sein, und in irgendeiner Weise frauenähnlich zu sein ist gegen die Vereinsregel.

Vollbreit hat geschrieben:Ich finde es, um mal in der Psychopathologie zu bleiben, etwas paranoid, wenn das Ergebnis schon feststeht und die Begründungen noch gesucht werden – und gewiss wird man welche finden.


Die Begründunge stehen noch nicht fest. Da wird, nicht zuletzt aufgrund kritischer Fragen von Atheisten wie Dennett gerade kräftig dran geforscht. Es gibt ja immer noch gesellschaftliche Tabus dagen Religion in Frage zu stellen, die ich übrigens für abbauenswert halte. Meine Ablehnung von organisierten Religionen ( speziell monotheistischen ) ist politisch, nicht wissenschaftlich. Ich sehe meine Interessen (und die vieler anderer Menschen ),unabhängig von ihrer Funktionsweise, durch sie gefährdet.

Vollbreit hat geschrieben:Die ganze nette Idee von der natürlichen Auslese kippt hier gehört.
Darwins Kriterium für erfolgreiche Evolution ist einfach nur Nachkommen zu produzieren, die ihrerseits Nachkommen produzieren. Niemand tut das so erfolgreich und stabil wie religiöse Gruppen, nimmt man das ernst, sieht es übrigens für Homosexualität alles andere als rosig aus.
Und auch egoistische Gene werden wohl kein Interesse daran haben, dass sich ihr egoistisches Muster ganz einfach gar nicht fortpflanzt.


Ich glaube das ist etwas zu sehr vereinfacht. Evolution ist, wie ich es verstanden habe, nicht teleologisch. Die ganze Sache mit dem egoistischen Gen ( das sich übrigens auch gerne in der Nebenlinie verbreitet ) ist was Dennett die intentionale Haltung nennt. Die natürliche Auslese ist ein Mechanismus der Evolution,nicht etwa ein Zweck.

Was Homosexualität betrifft gibt es ein paar nette evolutionsbiologische Ansätze. Zum einen ist sie selten exklusiv. Auch ich hab ein Jahr mit einer Frau zusammengelebt, und alles was mich an der Verbreitung meiner Grene gehindert hat waren Verhütungsmittel. Es ist auch möglich dass es die Gruppenfitness verbessert. Das Pärchen ohne Kinder kann ja auf die der anderen Familien, die wahrscheinlich nah verwandt sind und das Gen-oder die Genkombination auch tragen aufpassen, und die damit entlasten. Es ist auch möglich dass das Gen das Männer schwul werden lässt,bei Frauen die Fortpflanzungschancen steigert. Oder es könnte auch fortpflanzungstechnisch neutral sein und einfach mitgeschleppt werden.

Und dann gibt es noch die ganzen nicht-genetischen, biologischen Erklärunsgversuche, wie zum Beispiel Hormonlevel der Mutter während der Schwangerschaft und ihr Einfluß auf die Entwicklung des Gehirns zugunsten typisch männlicher oder weiblicher Strukturen. Zur Zeit weiss niemand genau was davon inwieweit stimmt.

Vollbreit hat geschrieben:Aber wie auch immer, man versucht gerade zu rechtfertigen, wieso Religionen fehlerhaft, aber dennoch erfolgreich sein können, d.h. einmal mehr passt man nachträglich die Theorie den Fakten an, mit Blick auf die Prognosen, die ja die eigentliche Stärke der Wissenschaft sind, eine Katastrophe, aber eben ein gut geölter Mythos der Neuzeit.


Die Theorie den beobachteten Fakten anzupassen, ist tatsächlich gute wissenschaftliche Methode. Was ist daran katastrophal?

Vollbreit hat geschrieben:Absolut, ich kritisiere ihn auch nicht dafür. Das tue ich, weil er die Ergebnisse anderer, die nicht nur Analogieschlüsse ziehen, sondern deren ureigenstes Geschäft es ist, sich hier zu bewegen, so weitreichend ignoriert.


Das mag daran liegen, dass die Leute die du zitierst unterschiedliche Ansätze verfolgen. Dawkins zieht Analogschlüsse von der Biologie auf die Funktionsweise des Bewustseins und die Kommunikation und Verabeitung von Ideen. Ausgehend von dem sehr wenigen dass ich beispielsweise von Habermas weiss, ist sein Ansatz axiomatisch basierend auf der Verwendung von Sprache, und er betrachtet die ethischen Konsequenzen derKommunikation. Das scheinen mir komplett unterschiedliche Betrachtungen zu sein,


Vollbreit hat geschrieben:Kulturprodukte wie Religion und anderes sind immer der Versuch da in Richtung Triebunterdrückung und Rationalität gegenzusteuern, das gelingt mal mehr, mal weniger, aber noch das paranoideste und regressivste System, bekommt regelmäßig seine Grenzen aufgezeigt und wird immer anfälliger, gegen subversive Elemente.


Prinzipiell ja. Die Frage ist ob Religionen, speziell organisierte monotheistische Religionen, (noch) ein praktikables Verfahren sind, oder ob sich ihre Nützlichkeit angesichst der mannigfaltigen Probleme die sie versursachen nicht überlebt hat.


Vollbreit hat geschrieben:Lass uns das Christentum nehmen, das kennen wir alle am besten und von innen.
Der stabilisierende Effekt ist bspw. eine größere Solidarität innerhalb der Gruppe, die obendrein den Vorteil hat, dass man ihr leicht beitreten kann. Geschlecht, Hauptfarbe, Nationalität usw. kann man nicht mal eben verändern. Innerhalb der Gemeinschaft sind es dann die sehr Gläubigen, die sich auch für Leute außerhalb der Gruppe interessieren und engagieren, die weniger Gläubigen sind unterdurchschnittlich an anderen interessiert.


Bis hierher unterscheidet sich die katholische Kirche kaum von einem normalen Star Wars-Fanverein. Die haben auch einen Kanon den sie interpretieren und das Wort von George Lucas ist 'Word of God'. Der Unterschied liegt hauptsächlich darin, dass sie Star Wars keine Relevanz in unserem Universum zumessen, was wohl der Grund ist dass sich die Religionskriege aufs Verbale beschränken, und die einzige schwere Sünde ( ausser Star Wars zu lästern ) im Schreiben nicht-kanonkonformer Fanfiction besteht. In dieser Form hätte ich keine Einwände.

Was die Kosten der Relion angeht: Ja, der Eintritt is billig.Für den Islam besteht er z.B. darin zwei Sätze Arabisch vor zwei Zeugen zu zitieren. Die Religionsausübung ist eher teuer,mit den ganzen Gebeten, der Teilnahme an Gottesdiensten, den Reinheitsgeboten, usw.. Von Abgaben an die Religionsgemeinschaft gar nicht zu reden.

Vollbreit hat geschrieben:Insgesamt fördert Religion eine konventionelle moralische Einstellung, die ist zwar nicht hoch entwickelt, aber nötig, damit eine Gesellschaft funktioniert. Der Weg nach oben, in die Postkonventionalität ist dann auch keine Aufkündigung der moralischen Grundlagen der Gemeinschaft mehr, sondern eine Ausdifferenzierung.


Und da halte ich dogmatische Organisationen für ein suboptimales Modell. Es sieht nicht so aus als könnten sie mit dem heutigen Fortschrittstempo noch mithalten, und sie erzeugen in ihrer Funktion als 'soziale Bremse' ein erschreckend hohes Mass an Reibung. Dann kommt noch dazu dass die vermittelten Werte nicht gerade mit meinen kompatibel sind. Durch die starre Aufteilung in gottgefälliges und sündhaftes Verhalten, gehört zu den vermittelten Werten zwangsläufig Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und allen Minderheiten die zufällig im Laufe der Kirchengeschichte für sündig erklärt worden sind. Das Beste was ich darüber sagen kann ist, dass es einfache Sündenböcke liefert.


Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube das ist der nächste Mythos der gepflegt wird.
Europa, so meint man, solle zum Modell der Welt werden. In Amerika kann schon längst niemand mehr Präsident werden, der nicht auf die Bibel schwört und innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft gibt es durchaus religiöse Staaten und Tendenzen.


Konnte in Amerika jemals wer Präsident werden ohne auf die Bibel zu schwören? Die Statistiken über die meistgehassten Gruppen dort (Atheisten scheinen zu führen) geben ein gutes Beispiel für die vermittelten Werte bei starkem religiösem Einfluss auf die Öffentllichkeit ab. Das wäre für mich nur ein weiterer Grund mich für säkuläre, rational begründete Alternativen einzusetzen. Im Übrigen möchte ich nicht dass Europa zum Modell der Welt wird. Ich habe nur auf eine Entwicklung am Beispiel Europa hingewiesen, nämlich dass mit steigendem Bildungsstand und Lebensstandard die Relevanz von organisierten Religionen zu sinken scheint.

Vollbreit hat geschrieben:Aber, man muss sehen, dass sich die Welt nicht sonderlich für den europäischen Weg interessiert.
China hat zwar den Kapitalismus importiert, aber die totalitären Tendenzen und kommunistische Versatzstücke beibehalten. Vor allem Indien wird man beachten müssen, bald das bevölkerungsreichste Land der Erde. Für uns vermutlich kaum zu verstehen.


China ist in Sachen Religionen eher pluralistisch, mit einem leichten Übergewicht beim Buddhsimus, der im Kern eine atheistische und in einigen Ausprägungen eine polytheistische Religion ist, gefolgt von der dortigen Volksreligion. Christentum und Islam hängen da mit 1-3% rum, bekennende Atheisten bei 15%. Der Staat selbst ist laizistisch.

Indien ist 80% polytheistisch. Obwohl..je nach Sichtweise könnten man den Hinduismus auch henotheistisch nennen. Aber Hinudismus ist so integrationsfreudig, die haben es sogar geschafft eine Form des Atheismus zu integrieren. :mg:
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Do 2. Aug 2012, 08:43

blauregen hat geschrieben:Es ist mir im Grunde egal wie die Welt 'tatsächlich' aufgebaut ist, solange unsere Modelle zutreffende Voraussagen erlauben.


Ja, eine Einstellung die man vertreten kann.

blauregen hat geschrieben:Ebenso, zumal ich nicht davon ausgehe dass irgendwas was sich als Gott beschreiben lässt existiert. Aber es ist ein (zugegeben sehr einfaches) Modell mit dem sich theistische Religionen in Teilbereichen beschreiben lassen, unabhängig davon ob das Objekt der Anbetung tatsächlich existiert.


Das ist vielleicht sogar eine Stärke, man kann Glauben von schlicht bis anspruchsvoll auskleiden.

blauregen hat geschrieben:Das [Nützlichkeit – V.] ist kein Mythos, das ist eine Hilfsvorstellung.


Soweit okay, wenn diese technischen Hilfsvorstellung nicht zum Weltbild erweitert wird, in dem nun alles auf Nützlichkeit abgeklopft wird und vor allem unterstellt wird, die Welt sei so, würde irgendwie nach Nützlichkeit schauen.

blauregen hat geschrieben:Religiöse Weltanschaungen sind,soweit ich sehe weitgehend dogmatisch. Wenn sie sich an veränderte Gegebenheiten anpassen sollen, dann müssen sie versuchen die neuen, wünschenswerten Ansichten mit dem alten Dogma in Einklang zu bringen. Die heiligen Schriften ( trotz einiger Aufhebungen im Koran, die aber vom Propheten selbst vorgenommen wurden ) sind das unabänderliche Wort Gottes, der ja als vollkommenes Wesen keine Fehler machen kann. Die Dogmen der großen monotheistischen Religionen leiten sich daraus ab. Jeder Versuch sie zu ändern würde einen Irrtum des angemommenen vollkommenen Wesens implizieren, dass sich definitionsgemäß nicht irren kann. Daher beziehen sie ihre 'Stabilität'.


Ja, es ist wohl so, dass mitunter gesagt wird, die Kirche habe sich 1000 Jahre nicht geändert und wird sich auch in 1000 Jahren nicht ändern. Glaube ich nicht, zumal sie sich immer wieder anpassen konnte.

blauregen hat geschrieben:Da haben auf menschlichen Weltanschaungen beruhende Systeme einen Vorteil. Wir dürfen uns irren. Im Wissenschaftsbetrieb gilt als Grundsatz dass wenn man ein besseres Model findet, man das auch zu nehmen hat.


Idealerweise.

blauregen hat geschrieben:Machen natürlich nicht alle. Mancher Wissenschaftler verteidigt seine Lieblingstheorie mit Zähnen und Klauen bis ins Grab, und im politischen Bereich lässt sich sicher noch der eine oder andere Altmarxist finden, der die Verelendung der Arbeiterklasse erwartet, aber der entscheidende Punkt ist die Vorgabe. Wenn der Papst ein Dogma ändern will, dann muss er oft ziemliche Interpretationsverrenkungen ausführen. Wenn ein Imam einen neuen Satz einführen will, dann hat er entsprechend seiner Tradition Kasuistik in einem Maß zu betreiben, die einen durchschnittlichen Bundesrichter neidisch machen würde.

Wir einfachen Leute ohne Absolutheitsanspruch dürfen uns ändern. Wir dürfen sagen 'Leute, was der Typ vor ein paar Jahrhunderten gesagt hat passt weder mit unserem Erkenntnisstand, noch mit unseren Gegebenheiten zusammen. Vergessen wir es.'


Das ist richtig, führt aber zu eigenen merkwürdigen Vorstellungen die auch nicht aussterben. Bspw. kann man sich so einer lästigen historischen Kontinuität und Verantwortung entledigen. Es waren durchaus nicht nur die Kirchen, die rassistisch, schwulenfeindlich, frauenfeindlich usw. waren, was heute gerne abfällig als Proto-, Para-, After- und Pseudowissenschaft diskreditiert wird, war zu seiner Zeit Wissenschaft, Standard. Während „die Kirche“ dann regelmäßig (und auch zurecht) für die Inquisition verantwortlich gemacht wird, hat „die Wissenschaft“ schon mit dem dritten Reich nichts mehr zu tun und auch nicht mit den oben genannten Aspekten.

Insofern entsteht das völlig schräge Bild, die Wissenschaft habe eigentlich nie etwas falsch gemacht, sei immer auch der Höhe der Zeit, sei die potenzielle Lösung für alle Probleme und es hafteten ihr auch kaum Verfehlungen an. Ich glaube, dass schlicht nichts davon stimmt.

blauregen hat geschrieben:Oh sicher, die Ursprünge liegen größtenteils im Patriarchat. Das Beharrungsvermögen des Paragraphen 175 hier in Deutschland war war jedoch entscheidend dem Einfluß der katholischen Kirche geschuldet. Wobei das Patriarchat ja wenig gegen Homosexualität an sich hat. Nur dagegen dass man nicht topped. Weil sich ficken lassen ist ja 'wie eine Frau' sein, und in irgendeiner Weise frauenähnlich zu sein ist gegen die Vereinsregel.


Stimmt, die Kirche hat unlängst noch zu der einigermaßen merkwürdigen Definition gefunden, man habe nichts gegen Homosexuelle, lediglich gegen Homosexualität. Ist mir nie so ganz klar geworden, was das heißen könnte.

blauregen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich finde es, um mal in der Psychopathologie zu bleiben, etwas paranoid, wenn das Ergebnis schon feststeht und die Begründungen noch gesucht werden – und gewiss wird man welche finden.


Die Begründunge stehen noch nicht fest. Da wird, nicht zuletzt aufgrund kritischer Fragen von Atheisten wie Dennett gerade kräftig dran geforscht. Es gibt ja immer noch gesellschaftliche Tabus dagen Religion in Frage zu stellen, die ich übrigens für abbauenswert halte. Meine Ablehnung von organisierten Religionen ( speziell monotheistischen ) ist politisch, nicht wissenschaftlich. Ich sehe meine Interessen (und die vieler anderer Menschen ),unabhängig von ihrer Funktionsweise, durch sie gefährdet.


Das würde ich gerade Dawkins und Dennett vor allem dann abnehmen, wenn sie auch, sagen wir 5% ihrer Energie, die darin liegt, Religionen von A bis Z durch den Kakao zu ziehen, dafür nutzen würden, die positiven Seiten derselben auch mit herauszuarbeiten, die heute durchaus bekannt sind, oder es zumindest sein könnten. Danach könnte man ja immer noch entscheiden, ob die Nachteile die Vorteile so weit überragen, dass man sich von der Veranstaltung verabschiedet.
Eine politisch oder weltanschauliche Ablehnung ist ja etwas anderes, aber diese wissenschaftlich verbrämte Mischung der führenden Brights finde ich ziemlich ungenießbar. Es ist kein Zufall, dass man damit schöne Argumente gegen die Kreationisten und IDler an die Hand bekommt, da sich die Argumentation auf dem selben Niveau bewegt, einer kruden Vermischung von Mythen, Wissenschaft, Politik, Weltanschauung und so weiter. Dawkins & Co. prügeln sich auch gerne mit Kreationisten rum, für eine anspruchsvollere Auseinandersetzung reicht es dann oft nicht mehr.
Dennett ist noch mal ein Sonderfall, er kommt auch in den Fachwelt besser an, ich kann allerdings nicht den Vorteil darin sehen, von allen Begriffen zu behaupten, sie hätten überhaupt keinen Sinn. Dennett kann ja mit Intersubjektivität nichts anfangen, für ihn scheint es eine objektive Wahrheit zu geben und den Wert des Subjekts sieht er offenbar darin, diesem nachweisen zu können, dass seine Andersartigkeit, schlicht ein Wahrnehmungsfehler ist. Hier holt er sich dann die Wahrnehmungspsychologie zur Hilfe, bei der ich nicht verstehe, warum ausgerechnet die so wahnsinnig weiterhelfen soll, ich denke, es gibt schon in der Psychologie bei weitem geeignetere Disziplinen, aber von denen liest man dann bei Dennett buchstäblich kein einziges Wort.

blauregen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die ganze nette Idee von der natürlichen Auslese kippt hier gehört.
Darwins Kriterium für erfolgreiche Evolution ist einfach nur Nachkommen zu produzieren, die ihrerseits Nachkommen produzieren. Niemand tut das so erfolgreich und stabil wie religiöse Gruppen, nimmt man das ernst, sieht es übrigens für Homosexualität alles andere als rosig aus.
Und auch egoistische Gene werden wohl kein Interesse daran haben, dass sich ihr egoistisches Muster ganz einfach gar nicht fortpflanzt.


Ich glaube das ist etwas zu sehr vereinfacht.


Ich auch. ;-)

blauregen hat geschrieben:Evolution ist, wie ich es verstanden habe, nicht teleologisch. Die ganze Sache mit dem egoistischen Gen ( das sich übrigens auch gerne in der Nebenlinie verbreitet ) ist was Dennett die intentionale Haltung nennt. Die natürliche Auslese ist ein Mechanismus der Evolution,nicht etwa ein Zweck.


Ja, das habe ich schon kapiert. Kein letzter Zweck, nur momentane Anpassung in irgendwelche sich mehr oder wenigr zufällig ergebende Nischen. Soweit hätte ich kein Problem damit, das kommt genau dann ins Spiel, wenn diese simple Mechanismus nun auch bewusste Wesen übertragen wird, die eben nicht mehr nur intentional sind, sondern darüber hinaus (Brandom hat diese Erweiterung 1994 eingeführt) diskursiv. Und diskursive Wesen haben Ziele, mindestens eine minimale Teleologie muss man allein dem gelingenden Diskurs schon unterstellen, bestünde nicht die Absicht etwas klären zu wollen, würde ein Diskurs überhaupt nicht zustande kommen.
Und auch Menschen haben Ziele, die allerdings durch die Sprache der Biologie, in der es keine Ziele gibt, überhaupt nicht zu fassen ist. Daher diese schrägen Konstrukte all das seien nur Illusionen eines an sich biologischen Systems, das Ich eine Illusion, die Teleologie eine Illusion und so weiter.
Apel diskutiert auch durchaus anspruchsvolle Weise die Frage, ob es nicht qua rationaler Fragestellungen und ethischer Gebäude unweigerlich Letztbegründungen geben müsse – die nichts mit Religion zu tun haben, hier handelt es sich ja eher um Erstbegründungen –, Habermas widerspricht ihm, ohne dabei je in einen plumpen Biologismus abzugleiten.

blauregen hat geschrieben:Was Homosexualität betrifft gibt es ein paar nette evolutionsbiologische Ansätze. Zum einen ist sie selten exklusiv. Auch ich hab ein Jahr mit einer Frau zusammengelebt, und alles was mich an der Verbreitung meiner Grene gehindert hat waren Verhütungsmittel. Es ist auch möglich dass es die Gruppenfitness verbessert. Das Pärchen ohne Kinder kann ja auf die der anderen Familien, die wahrscheinlich nah verwandt sind und das Gen-oder die Genkombination auch tragen aufpassen, und die damit entlasten. Es ist auch möglich dass das Gen das Männer schwul werden lässt,bei Frauen die Fortpflanzungschancen steigert. Oder es könnte auch fortpflanzungstechnisch neutral sein und einfach mitgeschleppt werden.


Genau das ist das Problem, die Evolutionstheorie schließt buchstäblich nichts aus. Man könnte z.B. spekulieren, dass die Homosexualität eine natürliche Reaktion auf die Überbevölkerung ist und sich in einem dynamischen Gleichgeweicht einpendelt, aber es ist eben genauso gut möglich, Mord und Vergewaltigungen evolutionstheoretisch zu rechtfertigen und das wurde noch in letzter Zeit gemacht.

blauregen hat geschrieben:Und dann gibt es noch die ganzen nicht-genetischen, biologischen Erklärunsgversuche, wie zum Beispiel Hormonlevel der Mutter während der Schwangerschaft und ihr Einfluß auf die Entwicklung des Gehirns zugunsten typisch männlicher oder weiblicher Strukturen. Zur Zeit weiss niemand genau was davon inwieweit stimmt.


Und darüber hinaus gibt es gute Ansätze der modernen Psychoanalyse, die noch eine ganze Menge anderer Faktoren ins Boot holt. Es gibt Evidenzen dafür, dass so etwas Grundlegendes wie die Kern-Geschlechtsidentität, also das Empfinden, ob man sich für einen Jungen oder ein Mädchen hält, fundamental von sozialen Komponenten anhängt und nicht besonders von den Genen oder der Testosteronmenge. Das hat jetzt allerdings nichts mit Homosexualität zu tun, das ist noch einmal eine andere Geschichte.

blauregen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber wie auch immer, man versucht gerade zu rechtfertigen, wieso Religionen fehlerhaft, aber dennoch erfolgreich sein können, d.h. einmal mehr passt man nachträglich die Theorie den Fakten an, mit Blick auf die Prognosen, die ja die eigentliche Stärke der Wissenschaft sind, eine Katastrophe, aber eben ein gut geölter Mythos der Neuzeit.


Die Theorie den beobachteten Fakten anzupassen, ist tatsächlich gute wissenschaftliche Methode. Was ist daran katastrophal?


Unter Beibehaltung ideologischer Prämissen. Dass die Religion z.B. schädlich und gaga ist, ist bei Dawkins und Dennett mit Sicherheit gesetzt. Nun ist kaum zu leugnen, dass die Religion, mindestens für religiöse Gruppen Vorteile haben. Sie ist auch ungeheuer robust, vielleicht sind wir Menschen evolutionär betrachtet gerade erst auf der Welt, aber dafür ungeheuer ausdifferenziert und erfolgreich und während fast der ganzen Zeit ist Religion ein recht stabiles Phänomen.
Die Kritik von Dawkins ist m.E. wesentlich freudianisch, wie überhaupt die meiste Religionskritik freudianisch geprägt ist, ohne, dass das die Kritikern immer bewusst sein muss.
Mit freudianisch meine ich die Einstellung Religion sei eine Haltung von Menschen, die nicht erwachsen werden wollen oder können und die eine Vaterfigur brauchen oder sich sogar in den Mutterleib, jenes ozeanische Paradies, zurückwünschen.
Kurz und gut, ist genau das einer der wesentlichen Punkte, in denen sich Freud irrte. Er irrte sich weitaus weniger, als man oft meint, hier ist einer der Punkte, die widerlegt sind, ich habe versucht das beim letzten Mal begründet auszuführen. Es braucht keine perfekte Mutter, sondern nur eine genügend gute. Darum ist auch nicht alles als kindlich-regressive Flucht in eine geträumte heile Welt zu verstehen, sondern werden die religiösen Gebote heute als Idealisierungen verstanden, als Potential was anzustreben möglich ist.

Die Evolutionstheorie ist ja auch innerhalb der Wissenschaft ein Sonderfall, ihr prognostischer Wert ist so gut wie gar nicht vorhanden und nachträglich rechtfertigen, kann man mit ihr eben alles. Das könnte ich allerdings auch mit dem unerklärlichen Willen Gottes.
Zuletzt geändert von Vollbreit am Do 2. Aug 2012, 08:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Do 2. Aug 2012, 08:44

Vollbreit hat geschrieben:Absolut, ich kritisiere ihn auch nicht dafür. Das tue ich, weil er die Ergebnisse anderer, die nicht nur Analogieschlüsse ziehen, sondern deren ureigenstes Geschäft es ist, sich hier zu bewegen, so weitreichend ignoriert.


Das mag daran liegen, dass die Leute die du zitierst unterschiedliche Ansätze verfolgen. Dawkins zieht Analogschlüsse von der Biologie auf die Funktionsweise des Bewustseins und die Kommunikation und Verabeitung von Ideen. Ausgehend von dem sehr wenigen dass ich beispielsweise von Habermas weiss, ist sein Ansatz axiomatisch basierend auf der Verwendung von Sprache, und er betrachtet die ethischen Konsequenzen derKommunikation. Das scheinen mir komplett unterschiedliche Betrachtungen zu sein,[/quote]

Die aber denselben Themenbereich berühren. Und es geht ja nicht um Habermas allein. Philosophen, Soziologen, Psychologen haben sich schon lange an der Thematik abgearbeitet, nebenbei sind auch Biologen mitunter anderer Auffassung als Dawkins, damals Eibl-Eibesfeldt, heute de Waal und andere. (Das spieltheoretische Szenario, das die Waagschale letztlich zugunsten von Dawkins Konzept der egoistischen Gene hat entscheiden lassen, ist übrigens gespickt mit Ansätzen, die einem hohen Maße an Willkür unterliegen, aber das fürhrt vermutlich wirklich zu weit.)
Selbstverständlich wäre auch gegen Dawkins‘ Beschreibung des reziproken Altruismus (als eine Konsequenz aus dem Konzept der egoistischen Gene) nichts einzuwenden, wenn er erklären, würde, der reziproke Altruismus beschriebe die ersten Grundlagen, bis hierhin würde eine biologische Betrachtung reichen, weiter nicht. Das wäre schön und ein sinnvoller Baustein in einem Konzept, in dem man zeigen kann, wie bis zu einem gewissen Grad eine blinder Mechanismus Frühformen von Moral erzeugen kann, die sich durchaus mit den Erforschungen der Moralpsychologie decken.

Aber das lesen wir nicht und statt dessen gibt es die Tendenz von Biologen und ihren Fans, die ganze Moralbetrachtung auf dieses wirklich dürre Konzept zu reduzieren, mit einer ideologischen Wut, über die man sich manchmal nur wundern kann, mit den üblichen Wendungen, alles was nicht Naturwissenschaft sei, sei ja eigentlich keine echte Wissenschaft, nur die Naturwissenschaft sei exakt (und dann ausgerechnet die Evolutionstheorie), es gibt den eigenartigen Hang bei den Brights zu denken, die Welt sei irgendwie besser, wenn man auf Moral generell verzichtet, m.a.W. man dehnt die Biologie weit über den Bereich derselben aus, mit einem recht nachdrücklichen Anspruch. Nimmt man noch die Koalition mit den Neurowissenschaften dazu verstärkt sich diese Strömung, ohne dass die Qualität ansteigt.

blauregen hat geschrieben:Prinzipiell ja. Die Frage ist ob Religionen, speziell organisierte monotheistische Religionen, (noch) ein praktikables Verfahren sind, oder ob sich ihre Nützlichkeit angesichst der mannigfaltigen Probleme die sie verursachen nicht überlebt hat.


So etwas kann man nicht verordnen, darüber wird mit den Füßen abgestimmt. Weltweit mit Sicherheit, europaweit sieht die Lage etwas anders aus. Da ich zwar nicht glaube, dass das Prinzip Europa zum Exportschalger wird, aber das Prinzip Europa durchaus für gut und schützenswert halte – und sei’s nur, weil ich hier sozialisiert wurde – habe ich ein Interesse am Erhalt der europäischen Idee und in meiner Version funktionierte Europa vor allem dann gut, als sich Religionen und Wissenschaft und andere Gruppen respektvoll ignorierten, d.h. die Frage ob und wie jemand religiös war, nahezu keine Bedeutung außerhalb des religiösen Kontextes hatte.

blauregen hat geschrieben:Was die Kosten der Relion angeht: Ja, der Eintritt is billig.Für den Islam besteht er z.B. darin zwei Sätze Arabisch vor zwei Zeugen zu zitieren. Die Religionsausübung ist eher teuer,mit den ganzen Gebeten, der Teilnahme an Gottesdiensten, den Reinheitsgeboten, usw.. Von Abgaben an die Religionsgemeinschaft gar nicht zu reden.


Ja, und es gibt Untersuchungen, dass genau das Religionen attraktiv macht. Man sollte meinen es sei andersrum, aber gerade eine Religion die Opfer verlangt, kommt an. Wir haben das Beispiel in Deutschland, die Kosten katholisch zu sein, sind sicher höher, als evangelisch zu sein, dennoch treten fast regelmäßig mehr Leute aus der evan. Kirche aus.

blauregen hat geschrieben:Und da halte ich dogmatische Organisationen für ein suboptimales Modell. Es sieht nicht so aus als könnten sie mit dem heutigen Fortschrittstempo noch mithalten, und sie
erzeugen in ihrer Funktion als 'soziale Bremse' ein erschreckend hohes Mass an Reibung. Dann kommt noch dazu dass die vermittelten Werte nicht gerade mit meinen kompatibel sind. Durch die starre Aufteilung in gottgefälliges und sündhaftes Verhalten, gehört zu den vermittelten Werten zwangsläufig Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und allen Minderheiten die zufällig im Laufe der Kirchengeschichte für sündig erklärt worden sind. Das Beste was ich darüber sagen kann ist, dass es einfache Sündenböcke liefert.


Sehe ich unterm Strich anders, in Teilbereichen kann ich Deine Kritik teilen.
Der Bedeutungsverlust der Religionen in Deutschland, kann zumindest über einige Jahrzehnte schwer bestritten werden. Die Frage ist, geht es der Gesellschaft durch die Befreiung aus einem Wertekorsett nun entscheidend besser. Das ist nicht auf die Frage Religion oder nicht zu reduzieren, aber die denke, Religion ist ein Baustein. Die oft angepriesene Sinnentleerung, der Anstieg von Depressionen und so weiter, fällt durchaus noch in eine Zeit, die man nicht der Sorge um die Wirtschaft in die Schuhe schieben kann und widerspricht der Ansicht, hier sei eine Gesellschaft dabei sich nun endgültig freizuschwimmen.
Wenn Du suboptimal wörtlich meinst, würde ich durchaus zustimmen, es wären vielleicht bessere Modell denkbar, aber bei einer großenteils narzisstischen Regression, bei der die soziozentrische Sicht der Religionen noch unterboten wird, ist die Kur eben nicht das Optimum, sondern die nächste anstehende Stufe muss wieder trainiert werden und das ist die soziozentrische.

blauregen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube das ist der nächste Mythos der gepflegt wird.
Europa, so meint man, solle zum Modell der Welt werden. In Amerika kann schon längst niemand mehr Präsident werden, der nicht auf die Bibel schwört und innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft gibt es durchaus religiöse Staaten und Tendenzen.


Konnte in Amerika jemals wer Präsident werden ohne auf die Bibel zu schwören?


Das weiß ich nicht, aber wenn es buchstäblich nie so war, scheint Religion auch kein Hindernis zu sein, gute moralische Überzeugungen in die Welt zu tragen. Amerikas Ruf vor allem als moralische Großmacht hat sicher zurecht gelitten, aber die meisten werden zustimmen, dass das durchaus mal anders war, Deutschland profitierte davon vielleicht sogar in besonderer Weise.

blauregen hat geschrieben:Die Statistiken über die meistgehassten Gruppen dort (Atheisten scheinen zu führen) geben ein gutes Beispiel für die vermittelten Werte bei starkem religiösem Einfluss auf die Öffentllichkeit ab. Das wäre für mich nur ein weiterer Grund mich für säkuläre, rational begründete Alternativen einzusetzen. Im Übrigen möchte ich nicht dass Europa zum Modell der Welt wird. Ich habe nur auf eine Entwicklung am Beispiel Europa hingewiesen, nämlich dass mit steigendem Bildungsstand und Lebensstandard die Relevanz von organisierten Religionen zu sinken scheint.


Das spricht vermutlich so viel dagegen, wie dafür.
Die Situation in Deutschland ist bspw. so, dass christlich religiöse Gruppen, sowohl wohlhabender als auch gebildeter sind und zwar je stärker umso mehr sie religiös sind.
Bei den Moslems in Deutschland ist es gerade anders herum.

Weltweit sprechen die Zahlen zwar wieder dafür, dass Deine Deutung stimmt, andererseits kann man die Staaten schlecht als zurückgebliebene Bananenrepublik bezeichnen, wenn gleichzeitig die überwiegende Zahl der Nobelpreisträger, die Masse an Erfindungen und dergleichen aus diesem Land kommen. Die Kleinigkeit Internet kommt nun mal auch von den Amis.

blauregen hat geschrieben:China ist in Sachen Religionen eher pluralistisch, mit einem leichten Übergewicht beim Buddhsimus, der im Kern eine atheistische und in einigen Ausprägungen eine polytheistische Religion ist, gefolgt von der dortigen Volksreligion. Christentum und Islam hängen da mit 1-3% rum, bekennende Atheisten bei 15%. Der Staat selbst ist laizistisch.


Ja, aber das ist doch gar nicht das Thema gewesen. China ist, wie alle kommunistischen Regime, sogar eher religionsfeindlich, so ganz klar sind die Zahlen da ja nie.

blauregen hat geschrieben:Indien ist 80% polytheistisch. Obwohl..je nach Sichtweise könnten man den Hinduismus auch henotheistisch nennen. Aber Hinudismus ist so integrationsfreudig, die haben es sogar geschafft eine Form des Atheismus zu integrieren. :mg:


Naja, es gibt auch einen nicht zu unterschätzenden Hindufundamentalismus, aber vermutlich fokussiert der sich vor allem auf die Auseinandersetzung mit Pakistan, zwei Länder mit rasantem Wachstum, vielen jungen Leuten und Atomwaffen, im Falle Pakistan mit einem harten religiösen Fundamentalismus, da kann man sich nur guten amerikanische Einflussnahme und eine Militärdiktatur wünschen.
Aber stimmt schon die indische Kraft diverse Strömungen aufzunehmen ist schon fast legendär, auch Jesus haben die irgendwie assimiliert, ein Land wirklich merkwürdiger Gegensätze, soweit man hört.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Lumen » So 5. Aug 2012, 02:57

Vollbreit hat geschrieben:Das würde ich gerade Dawkins und Dennett vor allem dann abnehmen, wenn sie auch, sagen wir 5% ihrer Energie, die darin liegt, Religionen von A bis Z durch den Kakao zu ziehen, dafür nutzen würden, die positiven Seiten derselben auch mit herauszuarbeiten, die heute durchaus bekannt sind, oder es zumindest sein könnten. Danach könnte man ja immer noch entscheiden, ob die Nachteile die Vorteile so weit überragen, dass man sich von der Veranstaltung verabschiedet.


Darin steckt die Annahme, dass Menschen sich zumindest pro forma mit Religionen (einer spezifische) befassen sollen. Diese Annahme ist aber falsch, oder zumindest unbegründet. Warum beschäftigst du dich nicht mit der alten Religion der Mongolen, dann der Kelten, Slawen und Zoroastrier ... um herauszufinden, ob Vor- oder Nachteile überwiegen. Bitte, bevor du den Gedanken wieder abtust: warum sollte jemand sich genau mit Religion X befassen, wenn es der Religion nicht auf Anhieb gelingt, jemanden hinreichend zu überzeugen? Es ist auch nicht so, dass diese Idee abwegig wäre: Stichwort "(christliche) Leitkultur". Atheismus ist erstmal: nicht überzeugt worden zu sein, wie ein Nichtwähler.

Als nächstes sei darauf hingewiesen, dass selbst Dawkins die King James Bibel (mehrfach explizit) für ihre schönen Beiträge zur englischen Sprache lobte und hie und da auch religiös motivierte Kunst von Bach bis Michelangelo lobend Erwähnung findet. Der Kerngedanke von Religion, nach Dennetts Definition in etwa "ein Glaubensystem dessen Zweck es ist, Anerkennung eines übernatürlichen Wesens zu gewinnen", kann prinzipiell nie(!) gutgeheißen werden. Denn religiöser Glaube ist ein Glaube an unbelegbare Behauptungen, die zum Teil unter Kontrolle wildfremder Menschen sind—die mitunter andere Interessen verfolgen. Nachweislich, z.B. einerseits als professionelle Gott-Gläubige Medien mit effektiver Macht über Gläubige. Hier wird eine bloße Meinung eines Menschen wird als "Gottes Wort" (des Schöpfers des Universums) zur ultimativen Trumpfkarte. Es ist das ultimative, nicht mehr steigerungsfähige Autoritätsargument, sofern die beiden Prämissen durchkommen (1. es gibt Gott, 2. Priester ist sein Sprecher). Damit wurde genügend Schindluder betrieben, um diese Idee ganz eindeutig für schlecht zu befinden.

Andererseits gelten Priester und Ähnliche dann wieder als Repräsentanten einer "Gemeinschaft" die angeblich bestimmte politische Ansichten hat, allein weil sie sich mit dem religiösen Etikett identifiziert. Sagen wir "gegen Verhütung, weil das unchristlich ist" und was deshalb berücksichtigenswert sein soll, weil es X% Christen gibt, obwohl die Mehrheit der tatsächlichen Christen garkeine starke Meinung gegen Verhütung vertritt.

Kurzum, es ist nie gut, irgendeinen unbelegbaren Quatsch zu glauben, dessen Zügel andere in der Hand halten. Die emotionale, oftmals kitschige Schiene sollte schon als anrüchig und verdächtigt, an Fackelmarsch und Propaganda-Tantam erinnernde Masche verdächtig erscheinen, und die vollkommene Unfähigkeit, irgendwetwas echt brauchbares zu erzeugen, sollte hinreichend sein, die albernen Fantasien in die Tonne zu treten. Von der Neigung bald jeder großen Religion, einen Mangel zu proklamieren (Karma, Sünde, Thetans) den die Religion beheben kann, ganz zu schweigen (Marketing 1x1). Achja: Placebo, geht auch einfacher. Zumal Studien bislang nicht darauf hindeuten, dass Religion ein Wunderwaffe für irgendwas ist: weder neigen religiöse Menschen zu weniger Straftaten, noch sind moderat religiös Menschen glücklicher—sondern sogar unglücklicher als Nichtgläubige. Streng Gläubige sollen etwas glücklicher sein. Ich gebe jetzt nicht viel auf irgendeinen Gallup Poll, aber irgendein echter Nutzen wurde bisher nirgendwo festgestellt.

Vollbreit hat geschrieben:Eine politisch oder weltanschauliche Ablehnung ist ja etwas anderes, aber diese wissenschaftlich verbrämte Mischung der führenden Brights finde ich ziemlich ungenießbar. Es ist kein Zufall, dass man damit schöne Argumente gegen die Kreationisten und IDler an die Hand bekommt, da sich die Argumentation auf dem selben Niveau bewegt, einer kruden Vermischung von Mythen, Wissenschaft, Politik, Weltanschauung und so weiter. Dawkins & Co. prügeln sich auch gerne mit Kreationisten rum, für eine anspruchsvollere Auseinandersetzung reicht es dann oft nicht mehr.
Dennett ist noch mal ein Sonderfall, [...].
Die Kritik von Dawkins ist m.E. wesentlich freudianisch, wie überhaupt die meiste Religionskritik freudianisch geprägt ist, ohne, dass das die Kritikern immer bewusst sein muss.
Mit freudianisch meine ich die Einstellung Religion sei eine Haltung von Menschen, die nicht erwachsen werden wollen oder können und die eine Vaterfigur brauchen oder sich sogar in den Mutterleib, jenes ozeanische Paradies, zurückwünschen.
Kurz und gut, ist genau das einer der wesentlichen Punkte, in denen sich Freud irrte. [...]


Das ist auch kein sauberes Argument. Du sagst es sei Freudianisch (deine Bewertung), dann willst du die Meinung das abrahamitische Religionen infantil sind damit wiederlegen, dass sich Freud in seinem Kontext (psychisch/medizinisch) geirrt haben mag. Dumm nur, dass der "Liebe Gott" trotzdem eine Vaterfigur ist, Leute sich dennoch ratsuchend an ihn wenden, es also auch ohne Freud sehr infantil aussieht. Weiterhin fehlt mir noch der Beleg, warum die Kritik "ungenügend" sein soll, und warum das wichtig sein soll, was ein wohlmöglich religiöser Sprecher "findet".

Mich ärgert, warum Kritik an Religion überhaupt ungenügend sein kann, wo es sich doch mittlerweile so darstellt, dass Religionen überall abgehängt sind, es aber noch immer darum geht die Tentakel loszuwerden, die überall drin stecken. Unsere Werte sollen religiös sein, wir sollen Respekt haben und Toleranz üben, dürfen uns aber nie emanzipieren und immer noch kaum laut lachen, über die absurd-lächerlichen Behauptungen: von Gebäck, dass sich in den Laib eines Juden des ersten Jahrhunderts verwandeln soll, alberne Hüte, sprechende Schlangen oder in den "Himmel auffahren" (was soll da passiert sein? Jesus gabs doch angeblich. Dematerialisiert? Flügel gewachsen?). Das Vexierbild aus symbolisch und faktischen Behauptungen, Stolz der Theologen, Scholastiker und Intellektuellen fällt in sich zu zusammen. Die "Rettet den Glauben" Aktion ist einzig ideologisch motiviert. Deja Vu auch mal wieder.

Vollbreit hat geschrieben:Die Evolutionstheorie ist ja auch innerhalb der Wissenschaft ein Sonderfall, ihr prognostischer Wert ist so gut wie gar nicht vorhanden und nachträglich rechtfertigen, kann man mit ihr eben alles. Das könnte ich allerdings auch mit dem unerklärlichen Willen Gottes.


Auch das stimmt nicht. Du hättest das gerne so, aus ideologischen Gründen. In wieviele Teile wird ein Glas zerspringen, wo werden diese landen, wie genau werden die Schnittkanten und Risse verlaufen? Ist die Physik dazu also ein "Sonderfall"? Die Evolutionstheorie hat, wie dir bereits erklärt wurde, durchaus prognostischen Wert.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » So 5. Aug 2012, 09:51

Lumen hat geschrieben:Darin steckt die Annahme, dass Menschen sich zumindest pro forma mit Religionen (einer spezifische) befassen sollen. Diese Annahme ist aber falsch, oder zumindest unbegründet. Warum beschäftigst du dich nicht mit der alten Religion der Mongolen, dann der Kelten, Slawen und Zoroastrier ... um herauszufinden, ob Vor- oder Nachteile überwiegen.


Weil diese Religionen bei uns irrelevant sind und ich kein Religionshistoriker bin.

Lumen hat geschrieben:Bitte, bevor du den Gedanken wieder abtust: warum sollte jemand sich genau mit Religion X befassen, wenn es der Religion nicht auf Anhieb gelingt, jemanden hinreichend zu überzeugen? Es ist auch nicht so, dass diese Idee abwegig wäre: Stichwort "(christliche) Leitkultur". Atheismus ist erstmal: nicht überzeugt worden zu sein, wie ein Nichtwähler.


Ich bin nicht der Auffassung, dass sich jemand genauer mit Religion befassen sollte, wenn er keine Neigung dazu hat oder andere Gründe dagegen sprechen.

Lumen hat geschrieben:Als nächstes sei darauf hingewiesen, dass selbst Dawkins die King James Bibel (mehrfach explizit) für ihre schönen Beiträge zur englischen Sprache lobte und hie und da auch religiös motivierte Kunst von Bach bis Michelangelo lobend Erwähnung findet. Der Kerngedanke von Religion, nach Dennetts Definition in etwa "ein Glaubensystem dessen Zweck es ist, Anerkennung eines übernatürlichen Wesens zu gewinnen", kann prinzipiell nie(!) gutgeheißen werden.


Dann wäre der Buddhismus in den meisten Spielarten ja schon mal keine Religion.
Aber die wichtigere Frage ist, ob und inwieweit Religion ausreichend damit beschrieben ist, dass ein übernatürliches Wesen anerkannt wird.
Die nächste Frage wäre, ob und warum dieser Glaube, dort wo er besteht, unbedingt ein Nachteil sein muss. Denn was genau ist ein übernatürliches Wesen, was wird mit dem Glauben daran evtl. verhindert und was evtl. erst erzeugt.

Lumen hat geschrieben:Denn religiöser Glaube ist ein Glaube an unbelegbare Behauptungen, die zum Teil
unter Kontrolle wildfremder Menschen sind—die mitunter andere Interessen verfolgen.


Sowas wie Geheimdienste?

Lumen hat geschrieben:Nachweislich, z.B. einerseits als professionelle Gott-Gläubige Medien mit effektiver Macht über Gläubige. Hier wird eine bloße Meinung eines Menschen wird als "Gottes Wort" (des Schöpfers des Universums) zur ultimativen Trumpfkarte. Es ist das ultimative, nicht mehr steigerungsfähige Autoritätsargument, sofern die beiden Prämissen durchkommen (1. es gibt Gott, 2. Priester ist sein Sprecher). Damit wurde genügend Schindluder betrieben, um diese Idee ganz eindeutig für schlecht zu befinden.


Ich sehe das nicht so. Ich glaube, dass Menschen sich stufenweise entwickeln, die Phase der Gläubigkeit (auch an übermächtige „Wesenheiten“) dabei ganz natürlich ist, Freud erklärt sie, der ist nun tatsächlich über jeden Verdacht der Religionsnähe erhaben.
Wie auch immer, die Menschen, die über diese Stufen des konventionellen Glaubens oder allgemein, des konventionellen Befolgens von Regel hinaus wachsen, die werden auch die Form simpler Gläubigkeit überwinden, das ist nichts besonderes, unsere Einstellungen verändern sich laufend.
Diejenigen, die sich in konventionellen Welten wohl fühlen, haben dort eine Orientierung.

Die Frage in dem von Dir dargestellten Kontext ist eigentlich, ob konventionelle Menschen, dadurch dass sie z.B. an die Jungfrauengeburt oder die Schöpfung in 6 Tagen glauben – falls das tatsächlich zentral für sie ist – in ihrem Leben Schaden nehmen, wenn sie daran glauben.
Das kann ich so nicht sehen, weil ich eine Orientierung zu haben, für eine wichtige Größe im Leben halte.

Lumen hat geschrieben:Andererseits gelten Priester und Ähnliche dann wieder als Repräsentanten einer "Gemeinschaft" die angeblich bestimmte politische Ansichten hat, allein weil sie sich mit dem religiösen Etikett identifiziert. Sagen wir "gegen Verhütung, weil das unchristlich ist" und was deshalb berücksichtigenswert sein soll, weil es X% Christen gibt, obwohl die Mehrheit der tatsächlichen Christen garkeine starke Meinung gegen Verhütung vertritt.


Also, ich habe durchaus schon Priester erlebt, die zu einer lebensnahen Auslegung der Religion fähig sind.

Lumen hat geschrieben:Kurzum, es ist nie gut, irgendeinen unbelegbaren Quatsch zu glauben, dessen Zügel andere in der Hand halten.


Ja, Rentenversicherungen mit Fondspakten sind ein Problem, das sehe ich auch so.
Insbesondere wenn das Fonds aus der Waffenindustrie und Atomkraft bei sind. ;-)

Lumen hat geschrieben:Die emotionale, oftmals kitschige Schiene sollte schon als anrüchig und verdächtigt, an Fackelmarsch und Propaganda-Tantam erinnernde Masche verdächtig erscheinen, und die vollkommene Unfähigkeit, irgendwetwas echt brauchbares zu erzeugen, sollte hinreichend sein, die albernen Fantasien in die Tonne zu treten.


Ich finde die Entwertung der Emotionalität schlicht dumm.
Der Mensch muss auch emotional gefüttert werden.

Lumen hat geschrieben:Von der Neigung bald jeder großen Religion, einen Mangel zu proklamieren (Karma, Sünde, Thetans) den die Religion beheben kann, ganz zu schweigen (Marketing 1x1).


Scientology als große Religion?
Karma ist übrigens kein Mangel, sie wird im Buddhismus einfach als Tat, was Karma auch wörtlich heißt, verstanden, die Konsequenzen hat. Natürlich ist, wie immer, auch das Karmakonzept heterogen.
Und selbst die Erbsünde, die ja jedem zufällt, besagt ja nicht, dass man ein besonders mieser Mensch ist – vor allem, wenn man noch gar keine Gelegenheit hatte, etwas „Böses“ zu tun, sondern der Erlösung bedarf. Finde ich an sich interessant, Du vermutlich nicht so.

Lumen hat geschrieben:Achja: Placebo, geht auch einfacher. Zumal Studien bislang nicht darauf hindeuten, dass Religion ein Wunderwaffe für irgendwas ist: weder neigen religiöse Menschen zu weniger Straftaten, noch sind moderat religiös Menschen glücklicher—sondern sogar unglücklicher als Nichtgläubige. Streng Gläubige sollen etwas glücklicher sein. Ich gebe jetzt nicht viel auf irgendeinen Gallup Poll, aber irgendein echter Nutzen wurde bisher nirgendwo festgestellt.


Doch, natürlich, es ist einfach die Frage, ob man sich informieren will.
Dein Urteil steht fest, darum ist Dein Bedürfnis auch eines nach Informationen allein aus einer Richtung. Ansonsten findest Du in dem Buch „Die Vermessung des Glaubens“ von Ulrich Schnabel jede Menge Informationen, auch dazu.

Lumen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Die Kritik von Dawkins ist m.E. wesentlich freudianisch, wie überhaupt die meiste Religionskritik freudianisch geprägt ist, ohne, dass das die Kritikern immer bewusst sein muss.
Mit freudianisch meine ich die Einstellung Religion sei eine Haltung von Menschen, die nicht erwachsen werden wollen oder können und die eine Vaterfigur brauchen oder sich sogar in den Mutterleib, jenes ozeanische Paradies, zurückwünschen.
Kurz und gut, ist genau das einer der wesentlichen Punkte, in denen sich Freud irrte. [...]


Das ist auch kein sauberes Argument. Du sagst es sei Freudianisch (deine Bewertung), dann willst du die Meinung das abrahamitische Religionen infantil sind damit wiederlegen, dass sich Freud in seinem Kontext (psychisch/medizinisch) geirrt haben mag. Dumm nur, dass der "Liebe Gott" trotzdem eine Vaterfigur ist, Leute sich dennoch ratsuchend an ihn wenden, es also auch ohne Freud sehr infantil aussieht. Weiterhin fehlt mir noch der Beleg, warum die Kritik "ungenügend" sein soll, und warum das wichtig sein soll, was ein wohlmöglich religiöser Sprecher "findet".


Das ist mir zu viel auf einmal.
Ich bin ja generell gerne bereit über alles und nichts zu diskutieren, aber ich sehe wenig Sinn darin mir die Finger wund zu schreiben, wenn ich den dringenden Verdacht habe, dass der andere kein größeres Interesse hat.
Du kannst doch meine Angaben prüfen. In welche Richtung geht denn die Kritik von Dennett und Dawkins? Traditionell spricht man von den vier großen Atheisten und meint damit Feuerbach, Marx, Nietzsche und Freud. M.E. ist die Kritik die man aus dem Lager der Brights hört zu mehr als 80% von Freud geprägt. Wie ist denn Dein Eindruck?
Dann kannst Du bei Interesse daran gehen, zu prüfen, inwieweit diese Kritik berechtigt ist, ich würde Dir entsprechende Hinweise geben können.

Lumen hat geschrieben:Mich ärgert, warum Kritik an Religion überhaupt ungenügend sein kann, wo es sich doch mittlerweile so darstellt, dass Religionen überall abgehängt sind, es aber noch immer darum geht die Tentakel loszuwerden, die überall drin stecken.


Religionen sind in keiner Weise überall abgehängt, sondern dominieren weltweit, sind als ein mehr oder weniger selbstverständlicher Zustand.

Lumen hat geschrieben:Unsere Werte sollen religiös sein, wir sollen Respekt haben und Toleranz üben, dürfen uns aber nie emanzipieren und immer noch kaum laut lachen, über die absurd-lächerlichen Behauptungen: von Gebäck, dass sich in den Laib eines Juden des ersten Jahrhunderts verwandeln soll, alberne Hüte, sprechende Schlangen oder in den "Himmel auffahren" (was soll da passiert sein? Jesus gabs doch angeblich. Dematerialisiert? Flügel gewachsen?). Das Vexierbild aus symbolisch und faktischen Behauptungen, Stolz der Theologen, Scholastiker und Intellektuellen fällt in sich zu zusammen. Die "Rettet den Glauben" Aktion ist einzig ideologisch motiviert. Deja Vu auch mal wieder.


Der Glaube braucht nicht gerettet zu werden, er ist doch gar nicht in Gefahr.
Und warum sollte man sich nicht emanzipieren dürfen, von religiösen Einstellungen?
Fang doch mal damit an, Du hängst doch voll in dem Thema drin. Lass es hinter Dir, dann hast Du überhaupt mal Chancen zu einer entspannten Haltung bei diesem Thema zu gelangen.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Lumen » Fr 10. Aug 2012, 00:56

Vollbreit hat geschrieben:Ich bin nicht der Auffassung, dass sich jemand genauer mit Religion befassen sollte, wenn er keine Neigung dazu hat oder andere Gründe dagegen sprechen. [...] Aber die wichtigere Frage ist, ob und inwieweit Religion ausreichend damit beschrieben ist, dass ein übernatürliches Wesen anerkannt wird. Die nächste Frage wäre, ob und warum dieser Glaube, dort wo er besteht, unbedingt ein Nachteil sein muss. Denn was genau ist ein übernatürliches Wesen, was wird mit dem Glauben daran evtl. verhindert und was evtl. erst erzeugt. [...] Ich finde die Entwertung der Emotionalität schlicht dumm. Der Mensch muss auch emotional gefüttert werden. [...]


Mir wird nur nicht klar, was das konkret bedeutet. Deinen bisherigen Aussagen nach zu urteilen, würdest du dir einen milderen oder unvoreingenommenen Umgang mit Religion wünschen. Auch Dennett und Dawkins sollen sich stärker bemühen eventuelle positive Aspekte herauszuarbeiten. Die Frage ist jetzt: aus welchem Grund sollte das so sein? Die Annahme, dass eine Beschreibung eines Sachverhalts nur dann "fair" ist, wenn sich Pro und Contra die Waage halten, ist verkehrt. Es mag unter Umständen nützlich sein, sich einzubilden, Blutegel würden alle Krankheiten heilen. Der Kranke würde den Placebo-Effekt nutzen. Ein regelmäßiger Aderlass könnte vielleicht sogar wirklich einige Risiken senken und gegen bestimmte Krankheiten durchaus ("zufällig") helfen. Aber es ist eine eindeutig schlechtere Idee, als geeignetere (neuere) Methoden anzuwenden. Besser und vernünftiger wäre es, herauszufinden, wo Aderlass brauchbar ist und wo es besser als andere Alternativen ist. Man würde die Anwendung dann auf diese Bereiche beschränken.

Der Dogmatiker kapiert nicht, dass Wissenschaften und auch Schulmedizin doch "offen" sind. Gäbe es Belege für Energiezentren im Körper, deren Ungleichgewicht oder Blockade maßgeblich die Verfassung des Patienten beeinflussen, wäre ein Chakra-Mediziner sehr bald Alltag. Man würde dann nicht nur den Internisten sondern auch den Energie-Arzt konsultieren. Käme heraus, dass 5x mal am Tag hinknien und Gedichte aufsagen das Wohlbefinden merklich steigert, dann ließe sich diese Technik konzentriert ausnutzen. Dafür braucht man dann keine Frauenfeindlichkeit zu übernehmen und kann vielleicht andere Gedichte lernen. Zum Beispiel, welche die dem jeweiligen Menschen etwas bedeuten, er sie schön oder nützlich findet.

Genauso ist es in allen anderen Bereichen. Das Theater, zum Beispiel. Es ging aus religiösen Ritualen hervor und war auch später wiederholt in erster Linie ein religiöses Spektakel, von dem noch Passionsspiele zeugen. Menschen mögen szenische Darstellungen auch über die reine Unterhaltung hinaus (siehe Katharsis). Aber eine Darstellung muss sich um nicht bestimmte festgelegte Inhalte, z.B. religiöse Geschichten drehen. Auch braucht man keine Religion um ein Gemeindehaus zu bauen, dass einen hübschen Turm hat, der einmal die Stunde läutet. Eine Gepflogenheit nach der sich Leute am Sonntag treffen und ein Redner aus der Gemeinde etwas erzählt, ist auch ohne religiösen Kontext denkbar und so weiter. Genauo sieht es mit der emotionalen Seite aus, mit Spritualität und allen anderen denkbaren Elementen, die in Religionen vorkommen. Schließlich gibt es zehntausende verschiedene Religionen und Konfessionen die allesamt menschengemachte Phänomene sind. Es gibt keine Wunderzutat, somit entfällt der Grund eine Besonderheit einzuräumen. Daher wird der Religionsbegriff ansonsten auch weiter gefasst und kann alles mögliche von Apple bis Fussball-Kult enthalten. Dennett ist einer der wenigen, der die engere Definition (etwa: Glaubenssystem mit dem Zweck, übernatürlichen Mächten zu imponieren) favorisiert.

Was du willst, nannten die Nazis "Gleichschaltung". Emotionalität wird ja nicht entwertet, wie du behauptest, auch verdammt niemand Kunst und Gesang oder will Paraden mit Fackeln verbieten. Das alles findet sich in unserer Kultur wieder und kann nach Belieben gemischt und für gut befunden werden. Aber wir wollen eine Ideologie nur noch in begrenztem Maß mit Fackelmarsch, stimmungsvollen Filmchen, Paraden und Pathos verkauft sehen, die dann wohlmöglich behauptet, wie eine Frau sich zu verhalten hat, was getan werden muss, um ein richtiger Jünger zu sein, usw. alles "aus einer Hand". Gleichschaltung: Ein feines Büchlein, kann Rot sein, oder vom Führer (auch einem himmlischen) stammen und ist dann das Regelwerk für Alles: Was wer anzuziehen hat, wer mit wem ins Bett darf und es bietet auch Politik und Welterklärung in einem, auch Kunst und Unterhaltung. Die muss natürlich auch gleichgeschaltet sein, soll den feinen Herr Jesus zeigen oder einen anderen Mann mit Bart, der hübsch an der Wand hängen kann. Wo Argumente fehlen, soll es die Kantate und der Prachtbau richten. Und da Kinder empfänglicher sind als Erwachsene für Geschichten und auch für Angst, ist es essentiell eine Jugend heranzuzüchten.

Auch das wird offenbar von dir nicht verstanden: manche dieser Dinge (z.B. die ganze Gemeinde jeden Sonntag versammeln) sind schwer in einer freien Gesellschaft. Leute gehen zu Veranstaltungen aus allen möglichen Gründen, aber doch verhältnismäßig freiwillig. Die Anstrengen und Leistungen der Religionen, z.B. alle Leute des Dorfes in die Kirche zu kriegen, basierten hingegen zu einem größeren Anteil auch auf Zwang. Mir ist dabei bewusst, dass der Sachverhalt komplizierter ist. Wie auch in anderen Bereichen, sind Bräuche und Traditionen gewachsen. Es gibt oft keinen "Startschuss" sondern nur mehr oder weniger krude Vorläufer. In einem langweiligen mittelalterlichen Leben, z.B. war der Kirchenbesuch bestimmt ein Highlight der Woche. Trotzdem stand dahinter eine andere Motivation und Freiwilligkeit als der abendliche Besuch in der Schenke.

Und mit "abgehängt" war gemeint, dass Religionen (engere Dennett Definition) nichts mehr beitragen können, da alles Brauchbare längst anderswo zu haben ist. Nur das totalitäre Gesamtpaket eben nicht. Das kann man aber genausowenig wollen wie eine Gleichschaltung anderer Art. Es ist ja eine Sache, wenn z.B. ein Punk Modevorstellungen, Musikgeschmack und politische Einstellungen "abgleicht", aber eine andere wenn jetzt noch der fucking Schöpfer des Universums und seine irdischen Sprecher Vorgaben machen die sich bis ins Schlafzimmer und über Tod hinaus erstrecken. Das wären dann totalitäre Tendenzen.

Kann Wissenschaft emotionaler sein? Kann nicht schaden, denn da gibts in erster Linie Fakten. Sollte man gutheißen, wenn Leute bar jedes Beleges irgendeinen Unsinn behaupten, und damit durchkommen, indem sie nur Emotionalität ausnutzen? Ganz entschieden: Nein.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Fr 10. Aug 2012, 09:22

Lumen hat geschrieben:Mir wird nur nicht klar, was das konkret bedeutet. Deinen bisherigen Aussagen nach zu urteilen, würdest du dir einen milderen oder unvoreingenommenen Umgang mit Religion wünschen.


Ja.

Lumen hat geschrieben: Auch Dennett und Dawkins sollen sich stärker bemühen eventuelle positive Aspekte herauszuarbeiten.


Also, so viel Naivität brauchst Du mir nun wirklich nicht zu unterstellen. Ich erwarte auch nicht, den Papst auf dem Christopfer-Street-Day zu erleben. Ich habe auch nichts gegen extreme Positionen, weil man dann ein breites Spektrum hat, aus dem man sich bedienen kann, ich wundere mich nur, dass platte und fundamentale Einstellungen immer beliebter werden.

Lumen hat geschrieben:Die Frage ist jetzt: aus welchem Grund sollte das so sein? Die Annahme, dass eine Beschreibung eines Sachverhalts nur dann "fair" ist, wenn sich Pro und Contra die Waage halten, ist verkehrt.


Du meinst man braucht im Angesicht von KZs nicht auf den Nutzen von Autobahnen hinzuweisen?
Durchaus. Man sagt ja auch Kritik habe auch als solche ihren Wert, was mich interessiert, ist dann irgendwann aber auch mal die Intention der Kritiker. Und ich finde Hetze halt unsympathisch, wenn sie auch noch dumm ist, noch unsympathischer.

Lumen hat geschrieben:Es mag unter Umständen nützlich sein, sich einzubilden, Blutegel würden alle Krankheiten heilen. Der Kranke würde den Placebo-Effekt nutzen. Ein regelmäßiger Aderlass könnte vielleicht sogar wirklich einige Risiken senken und gegen bestimmte Krankheiten durchaus ("zufällig") helfen. Aber es ist eine eindeutig schlechtere Idee, als geeignetere (neuere) Methoden anzuwenden. Besser und vernünftiger wäre es, herauszufinden, wo Aderlass brauchbar ist und wo es besser als andere Alternativen ist. Man würde die Anwendung dann auf diese Bereiche beschränken.


Ein guter Ansatz, aber falsch aufgearbeitet. Du hast Recht mit allem was Du sagst, aber kritisch wird es in dem Moment, wo doch der besseren Methode letztlich der Vorrang gegeben wird.
Wenn Du möchtest können wir einen Thread zum Placeboeffekt aufmachen, oder einen alten nutzen, ich möchte das nicht so im Vorbeigehen abhandeln.

Lumen hat geschrieben:Der Dogmatiker kapiert nicht, dass Wissenschaften und auch Schulmedizin doch "offen" sind.


Sind sie das? Sicherlich mehr als vor einigen Jahren. In der Tat gibt es eine neue Generation junger pragmatischer Ärzte, die kein großes Interesse an Glaubenskriegen haben, ich weiß nicht, wie es ist, wenn sie älter sind, es separiert sich natürlich im Zusammenhang mit der Fachrichtung in der man tätig ist.

Lumen hat geschrieben:Gäbe es Belege für Energiezentren im Körper, deren Ungleichgewicht oder Blockade maßgeblich die Verfassung des Patienten beeinflussen, wäre ein Chakra-Mediziner sehr bald Alltag. Man würde dann nicht nur den Internisten sondern auch den Energie-Arzt konsultieren. Käme heraus, dass 5x mal am Tag hinknien und Gedichte aufsagen das Wohlbefinden merklich steigert, dann ließe sich diese Technik konzentriert ausnutzen. Dafür braucht man dann keine Frauenfeindlichkeit zu übernehmen und kann vielleicht andere Gedichte lernen. Zum Beispiel, welche die dem jeweiligen Menschen etwas bedeuten, er sie schön oder nützlich findet.


Diese Ansätze gibt es doch durchaus, wie gesagt heute viel pragmatischer als noch vor 10 Jahren.
Auf Druck von unten, weil die Patientin es wünscht.
Und andersrum wird ein Schuh draus. Wäre „die Schulmedizin“ so ein perfektes System, das kurz und gut in allem besser und effizienter ist, als alles andere, wie könnte überhaupt der Wunsch aufkommen, nach anderen, angeblich dubiosen Verfahren?

Lumen hat geschrieben:Genauso ist es in allen anderen Bereichen. Das Theater, zum Beispiel. Es ging aus religiösen Ritualen hervor und war auch später wiederholt in erster Linie ein religiöses Spektakel, von dem noch Passionsspiele zeugen. Menschen mögen szenische Darstellungen auch über die reine Unterhaltung hinaus (siehe Katharsis). Aber eine Darstellung muss sich um nicht bestimmte festgelegte Inhalte, z.B. religiöse Geschichten drehen. Auch braucht man keine Religion um ein Gemeindehaus zu bauen, dass einen hübschen Turm hat, der einmal die Stunde läutet. Eine Gepflogenheit nach der sich Leute am Sonntag treffen und ein Redner aus der Gemeinde etwas erzählt, ist auch ohne religiösen Kontext denkbar und so weiter.


Diese Argumente sind natürlich alle bekannt und schwach. Und das weißt Du vermutlich auch.
Einfach nur mal so, trifft man sich nicht regelmäßig und unterhält sich nett bei Bier und O-Saft über eine Verbesserung der Welt.
Ganz praktisch sieht man es bei Altenheimen. In meinem Umfeld gibt es etliche davon und wenn die Dinger noch halbwegs akzeptabel sind, dann wirklich deutlich bevorzugt dort, ich habe mich bei etlichen Stellen informiert , wo der Träger eine kirchlicher ist.
Dieses, man könnte doch… und bräuchte doch kein… erscheint mir lebensfern.

Lumen hat geschrieben:Genauo sieht es mit der emotionalen Seite aus, mit Spritualität und allen anderen denkbaren Elementen, die in Religionen vorkommen. Schließlich gibt es zehntausende verschiedene Religionen und Konfessionen die allesamt menschengemachte Phänomene sind. Es gibt keine Wunderzutat, somit entfällt der Grund eine Besonderheit einzuräumen. Daher wird der Religionsbegriff ansonsten auch weiter gefasst und kann alles mögliche von Apple bis Fussball-Kult enthalten. Dennett ist einer der wenigen, der die engere Definition (etwa: Glaubenssystem mit dem Zweck, übernatürlichen Mächten zu imponieren) favorisiert.


Wie gesagt, dann sind viele Buddhisten nicht mehr religiös.
Ich würde das auch trennen, ich sehe den Glauben als etwas fundamental anderes an, als spirituelle Techniken, wie die Meditation. An mythische Inhalte muss man glauben, eine Technik muss man ausführen, üben, nur schließt sich beides auch nicht kategorisch aus.
Dass Meditation usw. einen Wert haben, ist unbestritten, aber auch der Glaube hat eben einen Wert.
Er hat auch seine Schattenseiten, die man nicht verschweigen sollte, aber irgendwo beginnt auch die Eigenverantwortung, an die man gelegentlich mal appellieren darf.
Wenn eine Frau in den Staaten, per Gerichtsurteil, eine mordsmäßig hohe Entschädigung bekommt, weil ihr beim Anfahren im Drive in einer großen Fresskette der Kaffee, den sie sich zwischen die Beine stelle überschwappte und sie schmerzhaft verbrannte, weil der Hersteller den Kaffee zu heiß machte – wer kann auch damit rechnen, dass Kaffee heiß sein könnte? – dann halte ich das nicht mehr für Fürsorge, sondern für Irrsinn.

Lumen hat geschrieben:Was du willst, nannten die Nazis "Gleichschaltung".


Vielen Dank! Es sind Sätze wie diese, die Dich so sympathisch machen.

Lumen hat geschrieben:Emotionalität wird ja nicht entwertet, wie du behauptest, auch verdammt niemand Kunst und Gesang oder will Paraden mit Fackeln verbieten. Das alles findet sich in unserer Kultur wieder und kann nach Belieben gemischt und für gut befunden werden. Aber wir wollen eine Ideologie nur noch in begrenztem Maß mit Fackelmarsch, stimmungsvollen Filmchen, Paraden und Pathos verkauft sehen, die dann wohlmöglich behauptet, wie eine Frau sich zu verhalten hat, was getan werden muss, um ein richtiger Jünger zu sein, usw. alles "aus einer Hand". Gleichschaltung: Ein feines Büchlein, kann Rot sein, oder vom Führer (auch einem himmlischen) stammen und ist dann das Regelwerk für Alles: Was wer anzuziehen hat, wer mit wem ins Bett darf und es bietet auch Politik und Welterklärung in einem, auch Kunst und Unterhaltung. Die muss natürlich auch gleichgeschaltet sein, soll den feinen Herr Jesus zeigen oder einen anderen Mann mit Bart, der hübsch an der Wand hängen kann. Wo Argumente fehlen, soll es die Kantate und der Prachtbau richten. Und da Kinder empfänglicher sind als Erwachsene für Geschichten und auch für Angst, ist es essentiell eine Jugend heranzuzüchten.


Das ist wieder der Singsang, den ich kenne.
Wehret den Anfängen, der Feind ist überall und wartet nur darauf Scheiterhaufen zu errichten.
Sagt halt mehr über Dich aus, als Dir bewusst ist.

Lumen hat geschrieben:Auch das wird offenbar von dir nicht verstanden: manche dieser Dinge (z.B. die ganze Gemeinde jeden Sonntag versammeln) sind schwer in einer freien Gesellschaft. Leute gehen zu Veranstaltungen aus allen möglichen Gründen, aber doch verhältnismäßig freiwillig. Die Anstrengen und Leistungen der Religionen, z.B. alle Leute des Dorfes in die Kirche zu kriegen, basierten hingegen zu einem größeren Anteil auch auf Zwang. Mir ist dabei bewusst, dass der Sachverhalt komplizierter ist. Wie auch in anderen Bereichen, sind Bräuche und Traditionen gewachsen. Es gibt oft keinen "Startschuss" sondern nur mehr oder weniger krude Vorläufer. In einem langweiligen mittelalterlichen Leben, z.B. war der Kirchenbesuch bestimmt ein Highlight der Woche. Trotzdem stand dahinter eine andere Motivation und Freiwilligkeit als der abendliche Besuch in der Schenke.


Und wo ist das Problem?
Wer hingehen will geht hin, wer nicht, der bleibt halt weg.

Lumen hat geschrieben:Und mit "abgehängt" war gemeint, dass Religionen (engere Dennett Definition) nichts mehr beitragen können, da alles Brauchbare längst anderswo zu haben ist. Nur das totalitäre Gesamtpaket eben nicht. Das kann man aber genausowenig wollen wie eine Gleichschaltung anderer Art. Es ist ja eine Sache, wenn z.B. ein Punk Modevorstellungen, Musikgeschmack und politische Einstellungen "abgleicht", aber eine andere wenn jetzt noch der fucking Schöpfer des Universums und seine irdischen Sprecher Vorgaben machen die sich bis ins Schlafzimmer und über Tod hinaus erstrecken. Das wären dann totalitäre Tendenzen.


Und warum erzählst Du mir das?
Ich kann doch nichts dazu, wenn Du nicht über Deinen Schatten springen kannst und in jedem der nicht gegen Religionen geifert, nicht mehr als einen heimlichen religiösen Fanatiker erkennen kannst.
Das ist Dein Problem Lumen, nicht meins. Vermutlich wirst Du es auch nicht in den Griff kriegen, aber das ist auch nicht mein Problem.

Lumen hat geschrieben:Kann Wissenschaft emotionaler sein? Kann nicht schaden, denn da gibts in erster Linie Fakten. Sollte man gutheißen, wenn Leute bar jedes Beleges irgendeinen Unsinn behaupten, und damit durchkommen, indem sie nur Emotionalität ausnutzen? Ganz entschieden: Nein.


Was möchtest Du denn damit sagen? Wissenschaft ist Wissenschaft und keine Religion.
Ich kann ein Auto nicht essen, ich kann es drehen und wenden wie ich will, es ist einfach nicht nahrhaft. Und Bananen bewegen mich nicht von A nach B. Nur manche benutzen halt Nahrung zum Essen und Autos zum Fortbewegen. Andere schreiben Beiträge in denen sie immer wieder erklären, dass Autos aber wirklich kein geeignetes Nahrungsmittel sind.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Lumen » Fr 10. Aug 2012, 14:10

Vollbreit hat geschrieben:Diese Ansätze gibt es doch durchaus, wie gesagt heute viel pragmatischer als noch vor 10 Jahren.
Auf Druck von unten, weil die Patientin es wünscht. Und andersrum wird ein Schuh draus. Wäre „die Schulmedizin“ so ein perfektes System, das kurz und gut in allem besser und effizienter ist, als alles andere, wie könnte überhaupt der Wunsch aufkommen, nach anderen, angeblich dubiosen Verfahren?


Das hast du hier mißverstanden. Gemeint ist nicht, dass Wirksamkeit durch Popularität entschieden wird, sondern dass nachweislich wirksame Methoden Eingang finden werden. Homöopathie ist nicht wirksam und daher auch keine Schulmedizin, sondern Quacksalberei. Wer dumm genug ist, dafür Geld auszugeben, hat selber Schuld. Auch da versuchen Betrüger und ehrlich Verblendete die Grenzen zu verschmieren, obwohl die ganze Angelegenheit unseriös ist. Wäre es echt wirksam, würde es über kurz oder lang Schulmedizin werden. Käme heraus, das Gebete Geist-Strahlen aussenden die z.B. heilende Funktion haben, wären Wissenschaftler daran interessiert, diese Geist-Strahlen zu erforschen. Gäbe es wirklich Magie, gäbe es einen wissenschaftlichen Zweig, der sich seriös damit auseinandersetzt. Ich weiß schon was kommt: das Fehlen einer entsprechenden wissenschaftlichen Disziplin ist kein schlagender Beweis für das Nicht-Vorhandensein eines Phänomens. Allerdings. Umgekehrt wird ein Schuh draus: magische Vorstellungen, Gebete, obskure Heilmethoden und anderes Para- und Eso-Zeugs gibt es nicht erst seit gestern. Fortwährend versuchen sich Interessierte daran, und es ist bis heute nicht gelungen, irgendetwas halbwegs belastbares nachzuweisen. Ganz offenbar und maximal vorsichtig ausgedrückt, treten die Effekte niemals dann auf, wenn jemand mitschneidet und sei es noch so versteckt (sodass weder Betroffene noch das Phänomen selbst "wissen" können, dass jemand aufzeichnet). Wenn ich alles einrechne, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass "klassische" Para- und esoterische Phänomene und Theorien auf Selbst-Täuschungen oder auf Betrug basieren. Die Wahrscheinlichkeit hierfür liegt zwar nicht in allen Fällen bei 100%, aber ist derartig hoch, dass ein anderes Ergebnis äußerst unwahrscheinlich ist. Mit Gott ist es genauso. Die theoretische Möglichkeit besteht, dass wir Teil eines Traums, einer Simulation sind, von unsichtbaren Mächten gesteuert werden oder ganz klassisch ein menschartiger Universumsgeist über uns wacht. Aber auch hier geht diese Wahrscheinlichkeit gegen Null. Mit Sicherheit ist aber alles "Wissen" was Menschen von diesen Dingen haben garantiert unwahr. Das lässt sich mittlerweile, 2012, ganz selbstbewusst so sagen, denn religiöse Behauptungen haben sich mit erschreckender Regelmäßigkeit als falsch herausgestellt. Auch hier ist es vernünftig anzunehmen, dass der Rest auch Käse ist.

Vollbreit hat geschrieben:Und warum erzählst Du mir das? Ich kann doch nichts dazu, wenn Du nicht über Deinen Schatten springen kannst und in jedem der nicht gegen Religionen geifert, nicht mehr als einen heimlichen religiösen Fanatiker erkennen kannst. Das ist Dein Problem Lumen, nicht meins. Vermutlich wirst Du es auch nicht in den Griff kriegen, aber das ist auch nicht mein Problem.


Das wieder eine Vertauschung von Leuten und Glaubensansichten. Religion wird von Leuten wie dir immer möglichst glitschig gehalten, damit man praktisch nichts zu fassen bekommt. Religionen haben einen starken Effekt auf unser Kultur, aber sobald sich jemand nähert um irgendeine Aussage dazu machen, kommen die Beschützer und behaupten dann dreist, religiöse Ansichten gäbe es ja garnicht (die lösen sich in Luft auf, sobald man hinguckt), niemand glaube X wirklich, niemand wolle eine Mauer bauen usw. Alles erstunken und erlogen von Dawkins und Co. die nur Zerrbilder zeichnen und sich nicht mit dem "wahren" Glauben befassen, wie er von Lieschen Müller nebenan praktiziert wird, die natürlich keine evangelikale Terroristin ist. Jaja. Kenn ich doch. Natürlich ist ein Pastor kein Faschist. Aber die Ansichten, die er hat, können totalitäre Züge tragen, an die wir nur bestens gewohnt sind und deshalb nicht so sehen. Der Diktator der Erde ist halt ein netter Mann mit einem langen weißen Bart, der niemandem etwas böses will, alle liebhat und auch nicht wirklich ins Schlafzimmer spannert... nicht wahr? Trotzdem. Das Design sieht ihn doch so vor, dass er Allwissend und Allmächtig ist, dass jeder sich wie ein Kumpel fühlen kann, er aber dennoch —Markenzeichen des echten Tyrannen— jederzeit zuschnappen kann (siehe Hiob, achja, ist ja nur symbolisch gemeint...). Wäre Gott eine Person und Herrscher eines irdischen Reiches, würde man ihn als totalitären Herrscher bezeichnen. Wenn das nicht so ist, dann bring Argumente.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Fr 10. Aug 2012, 15:54

Lumen hat geschrieben: Auch da versuchen Betrüger und ehrlich Verblendete die Grenzen zu verschmieren, obwohl die ganze Angelegenheit unseriös ist. Wäre es echt wirksam, würde es über kurz oder lang Schulmedizin werden.


Wie kommst Du auf die Idee, dass etwas Schulmedizin würde, nur weil es wirkt?
Schulmedizin wird etwas in erster Linie, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Wenn etwas wirkt und billig ist, werden vielleicht noch die Patentrechte gekauft und dann auf Eis gelegt.
Vor Jahren hat ein gutgläubig naiver Erfinder einen neuen Dosierer für Asthmasprays konzipiert und getestet und er hat funktioniert. Der Mann war ganz begeistert, weil er aus der Sicht des Patienten dachte. Der Sprühknopf vernebelte einfach viel besser, so das der Patient mit der halben Dosis auskam. Super Idee, dachte der Mann, die Pharmaindustrie dacht das auch, kaufte das Patent und schloss es in der Tresor, wo es immer noch liegt. Ja, das war’s.

Lumen hat geschrieben:Wenn ich alles einrechne, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass "klassische" Para- und esoterische Phänomene und Theorien auf Selbst-Täuschungen oder auf Betrug basieren.


Dann rechnen wir anders, das soll es geben.

Nebenbei vermischt Du hier viele Bereiche. Du vermischt den Glauben, mit der alternativen Medizin und die Frage des Placeboeffektes ist davon auch noch einmal getrennt.
Du behauptest, was der Fall wäre, wenn, ohne dabei über allzu viel Wissen zu verfügen, das ist mir zu kunterbunt.
Du wirst damit sicher bei denen Punkten, die Deiner Meinung sind.

Lumen hat geschrieben: Wenn das nicht so ist, dann bring Argumente.


Ich weiß wo meine Grenze sind, Lumen. ;-)
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Lumen » Fr 10. Aug 2012, 23:35

Vollbreit hat geschrieben:Nebenbei vermischt Du hier viele Bereiche.


Sagst du, schaun wir mal ...

Vollbreit hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben: Auch da versuchen Betrüger und ehrlich Verblendete die Grenzen zu verschmieren, obwohl die ganze Angelegenheit unseriös ist. Wäre es echt wirksam, würde es über kurz oder lang Schulmedizin werden.


Wie kommst Du auf die Idee, dass etwas Schulmedizin würde, nur weil es wirkt? Schulmedizin wird etwas in erster Linie, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Wenn etwas wirkt und billig ist, werden vielleicht noch die Patentrechte gekauft und dann auf Eis gelegt. Vor Jahren hat ein gutgläubig naiver Erfinder einen neuen Dosierer für Asthmasprays konzipiert und getestet und er hat funktioniert. Der Mann war ganz begeistert, weil er aus der Sicht des Patienten dachte. Der Sprühknopf vernebelte einfach viel besser, so das der Patient mit der halben Dosis auskam. Super Idee, dachte der Mann, die Pharmaindustrie dacht das auch, kaufte das Patent und schloss es in der Tresor, wo es immer noch liegt. Ja, das war’s.


Ein klassischer roter Hering. Wenn es keiner wäre, würdest du hier behaupten, dass Gebete und Kristallstrahlen und was-weiß-ich funktioniert, aber Konzerne sich verschworen haben, dieses Wissen unter Verschluss zu halten. Das ist offenkundig nicht der Fall. Patentierpraxis oder mögliche Uneinsichtigkeit einer Generation von Leuten (Wissenschaftlern, Ärzten ...etc), Kritik von Kuhn und soweiter sind Nebelkerzen. Wenn Handauflegen, Kristallstrahlen, Gebet (Telepathie) wirklich funktionieren würde, wäre dies mittlerweile belegt. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber diese Kräfte scheinen ja immer dann zu versagen, sobald jemand genauer hinguckt.

Vollbreit hat geschrieben:Nebenbei vermischt Du hier viele Bereiche. Du vermischt den Glauben, mit der alternativen Medizin und die Frage des Placeboeffektes ist davon auch noch einmal getrennt.


Das passt schon zusammen. Der Placebo-Effekt ist vereinfacht ein psychosomatischer Effekt, der durch Erwartungshaltung eintritt. Dabei kann die Erwartungshaltung (und der Effekt) durch tatsächlich wirksame Behandlung oder durch eine Scheinbehandlung eintreten. Somit ist der eigentliche auslösende Inhalt vernachlässigbar. Es ist also egal ob die Erwartungshaltung durch Glaube an seriöse Medizin, Edelstein-unter-Kopfkissen oder Gebet begünstigt wird. Die einzige relevante Trennung ist, ob eine (Be)handlung darüberhinaus "wirklich" funktioniert. Das wird im Falle von Medizin in Doppelblind-Studien überprüft.

Und somit ist Glaube ohne Belege an etwas einerseits verschieden von tatsächlichen Phänomenen, die belegt sind, und andererseits sind Engel, Edelsteine und Erdstrahlen damit prinzipiell gleichwertig—nicht belegt, nicht belegbar, mit dem derzeitigen Kenntnisstand nicht vereinbar und überwiegend auf Vorstellungen aufbauend, die als überholt gelten, zum Beispiel aus Alchemie, Religion oder Astrologie stammen.

Es gibt aus meiner Sicht kein stichhaltiges Kriterum, dass eine Religion wie das Christentum von Alien-Entführungsfantasien oder Esoterik abgrenzt. Das wichtige Kriterium für mich ist, zu welchem Grad eine Theorie/Ansicht/Wahrheit/Hypothese glaubhaft ist. Glaubhaftigkeit wird durch gesunden Menschenverstand, Konsistenz, Belege, unabhängige Nachweise Dritter usw. hergestellt. Ein Fund wie ein Higgs-Boson hat daher eine höhere Glaubhaftigkeit als Erdstrahlen, obwohl das eine weit "entrückter", schwerer Nachweisbar usw. ist. Eine These, wonach Planetenkonstellationen zur Geburt die Persönlichkeit eines Menschen bestimmen "passt" buchstäblich nicht ins Bild (aber eben anders als der Vorwurf der selektiven Wahrnehmung, confirmation bias und kognitive Dissonanz vermuten lässt). Es müsste dafür ein grosses Hilfskonstrukt gedacht werden, wie das funktionieren soll und dieses müsste dann irgendwo durchscheinen. Auch eine Gottheit ist nicht unsichtbar oder verschwindet per Deklaration. Die Frage ist ja viel vordringlicher dann, wie ein solches Wesen existieren kann, wie es sich "wirklich" verhält, woher es kommt usw. Alles zieht weitere Fragen und weitere Konstruktionen nach sich, so deucht mir, der Inhalt von Theologen-Wälzern sein muss.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Aug 2012, 08:23

Lumen hat geschrieben:Aber diese Kräfte scheinen ja immer dann zu versagen, sobald jemand genauer hinguckt.


Welche Kräfte meinst Du denn? Was versagt denn?
Was versagt denn nicht? Woher weißt Du das alles?

Lumen hat geschrieben:Das passt schon zusammen. Der Placebo-Effekt ist vereinfacht ein psychosomatischer Effekt, der durch Erwartungshaltung eintritt. Dabei kann die Erwartungshaltung (und der Effekt) durch tatsächlich wirksame Behandlung oder durch eine Scheinbehandlung eintreten. Somit ist der eigentliche auslösende Inhalt vernachlässigbar. Es ist also egal ob die Erwartungshaltung durch Glaube an seriöse Medizin, Edelstein-unter-Kopfkissen oder Gebet begünstigt wird. Die einzige relevante Trennung ist, ob eine (Be)handlung darüberhinaus "wirklich" funktioniert. Das wird im Falle von Medizin in Doppelblind-Studien überprüft.


Und was geschieht dann? Bei den führenden Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI Präparate gab es ungefähr 20 Studien, die die Wirksamkeit belegten, während nur 2 belegten, dass die Wirkung nicht ganz so groß sei. Man brachte die Präparate auf den Markt und die funktionierten über Jahre prächtig. Irgendwann kam das raus, dass in weiteren knapp 20 Studien, die Präparate so gut wie gar keinen Nutzen hatten, das wurde nur nie veröffentlicht. Es kam dann 2009 oder so raus.

Du wirst, wie ganimed, glauben, dass das Einzelfälle sind und dieser Glaube ist gut für Dich.
Was ich damit nicht sagen will, ist, dass in der Schulmedizin alles Betrug ist. Das System Medizin, ist ein System, das primär auf Gewinn ausgerichtet ist. Es ist eine bunte Mischung an reiner Profitorientierung und verschiedenen Stellen der Korruption, bei der Medikamentenforschung und -vermarktung, bei der Zuschreibung von Zertifikationen, bei der Wahl der Implantate, bei vollkommen unnötigen, aber gefährlichen medizinischen Eingriffen, bei der Vergabe von Posten und so weiter.

Im Gegensatz dazu, gibt es, im selben System, phantastische und engagierte Ärzte, die oft genug selbst Opfer des Systems sind, sich gegen die übermächtige Pharmalobby mit bescheidensten Mitteln zur Wehr setzen, ich glaube es sind 0,1% der Ärzte, die dort organisiert sind, bedeutend mehr Ärzte, versuchen das Beste aus der Situation, in der sie sich befinden, zu machen. Manche Ärzte zahlen zu, wenn Patienten im Quartal mehrfach kommen und auch das ist ein Irrwitz. Es gibt begnadete Operateure oder einfach nur welche, die sehr solide Arbeit machen und denen man Vertrauen darf.

Und es gibt natürlich Ärzte aus dem alternativen Bereich, die super sind. Es gibt genügend, die ganz pragmatisch mischen.

Lumen hat geschrieben:Es gibt aus meiner Sicht kein stichhaltiges Kriterum, dass eine Religion wie das Christentum von Alien-Entführungsfantasien oder Esoterik abgrenzt.


Zwingt Dich denn irgendwer zum Arzt für Erdstrahlen zu gehen oder Dich einer Religion anzuschließen? Schlecht wird es dann, wenn irgendwelche Reihenuntersuchungen vorgeschrieben werden und Du Dich nicht mehr wehren kannst, aber ein gesetzlicher Zwang zum Geistheiler zu gehen, wird meines Wissens aber nicht diskutiert.
Organspenden musst Du immerhin bald schon aktiv ablehnen. Mammographien, die nur in einer sehr begrenzten Anzahl von Fällen etwas bringen, aber in jedem Fall das Krebsrisiko erhöhen, sollen nach Meinung einiger auf immer wieder mal eingeführt werden.

Ich kenne auch niemanden der mit Erdstrahlen behandelt und auch die Gruppe der Behandler mit Edelsteinen erscheint mir nicht zum gesellschaftlichen Problem auszuarten, wenn man überhaupt welche findet.

Über die einzelnen Verfahren die dann wirklich angewendet werden und nicht nur in der Phantasie irgendwelcher Menschen, könnte man reden, allerdings bist Du da zu wenig kompetent und zu ideologisch. Die Antworten kann ich zur Not auch selbst schreiben, weil Menschen wie Du immer bei den gleichen abschreiben. Ich glaube 1 von 6,5Milliarden wäre da ein besserer Kandidat, für die Diskussion, wenn es denn unbedingt sein muss.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon xander1 » Sa 11. Aug 2012, 11:29

Wenn man sich wirklich mit dem Thema beschäftigen will, das in der Überschrift steht, und nicht das über das hier diskutiert wird, dann muss man schaun was für Weltanschauungen alles gibt und diese dann unterteilen. Darüber kann man sicher ne große wissenschaftliche Arbeit schreiben über da Thema - könnte allerdings interessant werden. 1. Was Chancen und Gefahren sind ist ne subjektive Frage und damit stellt sich die Frage wie wissenschaftlich die Themenwahl ist.
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Lumen » So 12. Aug 2012, 22:42

Vollbreit hat geschrieben:Welche Kräfte meinst Du denn? Was versagt denn?
Was versagt denn nicht? Woher weißt Du das alles?


Ein Zitat sollte stellvertretend für die Position sein und zumindest nicht derartig dusselig entstellt werden, dass es Nonsense wird. Ich schrieb "diese Kräfte" was sich unschwer erkennbar auf den vorangegangen Teil bezog, den du aber abgeschnitten hast. Ich behauptete, dass Gebete oder Kristallstrahlen und ähnliche Effekte noch nie belegt wurden. Wenn mir entgangen sein sollte, dass Forscher doch schon Emissionen von Gebetsstrahlen-Partikeln an Kirchensonntagen messen, reichen mir Belege dafür. Gebete übrigens wirken nach einer großen Studie eher wie ein "Nocebo". Wenn dem Patienten gesagt wurde, dass eine Kongregationn für ihn bete, wurde die Sorge um die eigene Verfassung größer!

Aber egal. Die durch Fakten und Belege gestützte Position kommt bei dir immer schlecht weg. In dieser Episode die böse Schulmedizin. Es hat mit Erkenntnisgewinn wenig zu tun, ob ein —auch kommerzielles System— auch korrupt sein kann, was es nicht ist. Das sind nur deine üblichen Diskreditierungsversuche. Tatsächlich ist es für den Sachverhalt hier egal.

Du bist doch ein Troll, oder? Wie liesse sich sonst der bemerkenswerte Anti-Intellektualismus erklären, oder ist das Elfenbeinturmkrankheit eines Geisteswissenschaftlers einer verschmähten Gedankengrütze-Disziplin wie der Theologie?
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Mo 13. Aug 2012, 10:35

Lumen hat geschrieben: Wenn mir entgangen sein sollte, dass Forscher doch schon Emissionen von Gebetsstrahlen-Partikeln an Kirchensonntagen messen, reichen mir Belege dafür.


Hm, das ist natürlich eine wirklich harte Nuss.
Ich frage mich gerade welche Partikel das Grundgesetz aussendet, so dass es wirkt.
Es wirkt doch, oder?
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Lumen » Di 14. Aug 2012, 23:23

Vollbreit hat geschrieben:Hm, das ist natürlich eine wirklich harte Nuss. Ich frage mich gerade welche Partikel das Grundgesetz aussendet, so dass es wirkt. Es wirkt doch, oder?


Mit dem Stuka in Deepity Territorium. Die Geschichte von "Alice im Wunderland" hat auch einen Effekt, denn sie existiert als kulturelles Artefakt. Sie hat einen Einfluss auf Menschen und Umwelt, ein paar Bäume wurden für Bücher gefällt, vielleicht haben Caroll's Geschichte einen Mathematiker zu einer genialen Lösung inspiriert. Sieh an, ein Buch kann die Welt verändern. Doch gibt es offenbar einen Unterschied zwischen der Art der Inhalte zwischen "Alice in Wonderland" und "Origin of the Species".

An der Stelle kommt dann dein magisches Denken mit hinein. Der Placebo-Effekt, oder verallgemeinert jeder Effekt auf Menschen ist schon interessant. Aber auch legitimes Medikament entfaltet einen Placebo-Effekt, auch eine Batman-Premiere hat Effekte auf Leute. Also die alte Frage an dich: Was ist die Zutat, die du so beschützen möchtest?

Für dich ist ja alles Einerlei, aber wobei mystische Quacksalberei dann doch einen höheren Stellenwert bei dir geniesst. Für mich ist es umgekehrt, bestimmte Sachen sind wahr-(!)-scheinlicher als andere und diese zeichnen sich durch weitere Qualitäten aus, die zusätzlich dazu kommen. Alice in Wunderland könnte ja eine als Beispiel eine wahre Welt darstellen, und wenn das so wäre und es wäre nachprüfbar, und der Zauberer von Oz hat diese Qualität nicht (konnte nicht bestätigt werden), dann habe ich dennoch zwei bezaubernde, gewissermaßen vergleichbare Geschichten, die ansonsten alles genausogut können: Kinder und Erwachsene unterhalten, inspirieren, eine Erkältung vergessen machen, Mädchen Mut machen sich zu behaupten usw. aber Alice in Wunderland wäre zusätzlch noch "wahr".
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Re: Chancen und Gefahren von Weltanschauungen

Beitragvon Vollbreit » Mi 15. Aug 2012, 11:19

Lumen hat geschrieben: Sieh an, ein Buch kann die Welt verändern. Doch gibt es offenbar einen Unterschied zwischen der Art der Inhalte zwischen "Alice in Wonderland" und "Origin of the Species".


Genau, ein Buch kann die Welt verändern, Mythen können die Welt verändern, Überzeugungen und unausgesprochene Gebote können die Welt verändern. Was man dazu braucht, sind gesellschaftlcihe Praktiken als geronnener Ausdruck von Überzeugungen. Normative Festlegungen, nennen die Magier das, oder sind es doch die mordernen Philosophen?

Lumen hat geschrieben: An der Stelle kommt dann dein magisches Denken mit hinein. Der Placebo-Effekt, oder verallgemeinert jeder Effekt auf Menschen ist schon interessant. Aber auch legitimes Medikament entfaltet einen Placebo-Effekt, auch eine Batman-Premiere hat Effekte auf Leute. Also die alte Frage an dich: Was ist die Zutat, die du so beschützen möchtest?


Wenn Du es schaffst psychologischen Deutungen aus Deinen Betrachtungen zu streichen und einfach mal zuhörst gelingt es Dir vielleicht besser. Es braucht nicht zwingend kleine Klötzchen zur Erklärung von Wirkungen, das ist doch ein Ergebnis, das man schon mal festhalten kann.

Da Du unten Wahrheit ansprichst: Welcher Wahrheitstheorie folgst Du denn?
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