Moralische Grenzen des Marktes

Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon Vollbreit » Do 3. Jan 2013, 21:48

provinzler hat geschrieben:Es geht eigentlich nur darum, dass es in der Interaktion von Menschen (in diesem Fall der wirtschaftlich motivierten) bestimmte "Grundgesetze", deren Infragestellen ähnlich zielführend ist, wie ein Anzweifeln der Gravitation. ... Ein weiteres ist, dass der Mensch (und darauf wollte ich hinaus) aus der Summe seines Handelns einen Nutzen ziehen will.
Kein Mensch wird freiwillig einen Job gut machen, an dem er weder Spaß hat noch dass er ihn materiell erheblich besser stellt, als er das ohne den Job wäre.


Leider falsch und gar nicht sooo selten, die Abweichung.
Die Abweichung heißt z.B. depressiv-masochistische Persönlichkeit, das entspricht in weiten Teilen einer depressiven Charakterneurose.
Diese Menschen bestrafen sich selbst und sabotieren, manchmal in eklantanter Weise, ihr eigenes Vorankommen. Sie verlieben sich in vollkommen inadäquate Partner, die entweder sozial oder von der Attraktivität her weit unter ihrem Niveau sind oder/und sabotieren einen möglichen beruflichen Aufstieg, mitunter in etwas skurriler Art, etwa indem sie sich, so halb bewusst, halb unbewusst bei einem Vorgesetzten unmöglich machen usw.

Die verhalten sich nach Marktgesichtspunkten völlig idiotisch.
Natürlich „haben“ sie auch was davon, also ein übergeordnetes Motiv lässt sich auch hier finden, aber das ist eben nicht marktkonform in diesem Sinne.

provinzler hat geschrieben:Wie das geht, haben die Menschen in der DDR gezeigt. Man fährt nen Gang zurück, arbeitet bissl schwarz und züchtet Kaninchen.


Klar, die Leute sind ja nicht blöd und die Formen die ziviler Ungehorsam annehmen kann, sind mitunter ungeheuer kreativ. (Um mal in der Psychoschiene zu bleiben, Rücken und Depressionen sind ja in gewisser Weise auch nichts anderes als unbewusster Widerstand.)

provinzler hat geschrieben:Als eine Astrid Lindgren in Schweden einen Steuersatz von 102% berappen musste, hatten viele Arztpraxen nur ein oder zwei Mal die Woche geöffnet. Mehr lohnte sich nicht. Schätze mal der graue Arbeitsmarkt trägt in durchaus erheblichem Maß zur Wertschöpfung und mithin zum allgemeinen Wohlstand bei. Und das dürfte egal wo auf der Welt nicht anders funktionieren...


Sehe ich auch so.
Das ist ja auch eine Ebene, die durchaus Kalkül hat und berechtigt ist.
Ich hab mal vor Jahren von einer Untersuchung gehört, in der man erforscht hat, was Leute die Sozialhilfe beziehen wieder an die Schippe bringt. Jenseits aller Individualität, konnte man das auf ein simple Zahl, eindampfen 1,5. (Wurde die 1.5-Regel – Amiland – genannt, habe ich aber nie mehr wiedergefunden.) Kurz und gut, wer das 1,5-fache dessen, was er aus dem Sozialtopf bekommt, durch eigene Arbeit kriegt, geht arbeiten, wer weniger bekommt, nicht.
Deshalb ist auch dieses dämliche Einkassieren der Kohle bei Dazuverdienern die Hartz 4 beziehen so idiotisch...
Naja, also, das gibt es und ich glaub auch dran, aber eben nicht auf allen Ebenen des Lebens, das war eigentlich alles, was ich dazu beitragen wollte.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon Nanna » Do 10. Jan 2013, 00:25

Gerade in der ZEIT entdeckt, hat zumindest teilweise mit den Grenzen des Marktes zu tun und klingt für mich als Laien alles recht nachvollziehbar: Zu Unrecht vergessen: Wolfgang Stützel und seine Saldenmechanik
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon provinzler » Do 10. Jan 2013, 04:32

Die mathematischen Ableitungen sind auch richtig, nur kann man sie verschieden interpretieren.

Die Guthaben des einen sind die Schulden des andren. Das ist richtig, weil unser Geldsystem vollständig kreditbasiert ist.
Wenn wir beide einen Kreditvertrag abschließen, hast du Schulden und ich eine Forderung auf Rückzahlung (Guthaben).
In einem andren Geldsystem (sagen wir einem Goldstandard) wäre auch ein erheblicher Teil des Geldes kreditbasiert, aber nicht alles. Der Besitz des physischen Goldes oder eines entsprechenden Lagerscheins (Banknote) ist dann eine Rückzugsmöglichkeit ohne Kontrahentenrisiko.
In unserm Geldsystem hat Geld letztlich immer ein Kontrahentenrisiko. Ein Geldschein in deiner Brieftasche ist nix andres als ein Schuldschein der Zentralbank zur Herausgabe von gar nichts. Kontrahent ist in diesem Fall die Zentralbank.
Das Problem mit den Staatsschulden ist weniger ihr Vorhandensein, als vielmehr wofür sie verwendet werden, nämlich nicht für Investitionen, also Schaffung zusätzlicher Sicherheiten und Erhöhung des Kapitalstocks, sondern für den Konsum.
Seit 1971 sind mit Ausnahme zweier Jahre nach der Wiedervereinigung ausnahmslos über 100% der Staatsausgaben Konsumausgaben, d.h. es werden nicht mal die notwendigen Ersatzinvestitionen getätigt, um den infrastrukturellen Status quo zu erhalten.
Der entscheidende Punkt ist immer die Relation der aufgenommenen Kredite im Vergleich zu den zugehörigen Sicherheiten, ob beim Staat, bei einem Unternehmen oder beim Privatmann.

Dann die Geschichte mit dem Import/Export. Die Lösung ist nicht, wie der Artikel suggeriert, dass der Süden Europas weiter auf Pump, oder durch Transfers und staatlich verordneten Bonitätsexport subventioniert weit mehr konsumieren sollte, als er produziert. Im Süden müssen die Reallöhne sinken (im Moment tun sie das über Arbeitslosigkeit), und bei uns überproportional steigen. Dann kaufen wir unsere Produkte schlichtweg selber. Export ist kein Selbstzweck. Ohne den Euro würde durch DM-Aufwertung auch genau das passieren, weil dann Urlaub in Spanien wieder so richtig billig wäre. So muss es halt über offene Lohnsenkungen in Spanien gehen. Zumindestens einen Teil unserer Forderungen an den Süden werden wir abschreiben müssen.

Niemand, kein Individuum, keine Organisation, keine Firma und kein Land, und erst Recht nicht die Welt als ganzes kann auf Dauer mehr konsumieren als produzieren. Außer man schafft es "politische Renten" zu Lasten andrer einzutreiben. Nur für die Welt insgesamt haben wir das irgendwie noch nicht hingekriegt.
Beim Individuum nennt man das ganze "staatliche Leistung" (ob nun Arbeitslosenhilfe oder Beamtenpension), bei der Organisation nennt man das "Förderung" (etwa ein NGO), bei der Firma nennt man das "Subvention", beim Land "Kolonialismus".
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon mat-in » Do 10. Jan 2013, 10:28

Auch wenn ich nicht alles lese, vielleicht taugt das als Impuls für die Diskutierenden hier:

Es gibt Glühbirnen die seit über 100 Jahren brennen. Es gab Patente für Glühbirnen die über 100000 Stunden brennen sollen. Die ersten Glühbirnen auf dem markt brannten im Schnitt 1500 Stunden, ein par Jahre später 2500. Es gab internationale Kartelle (und ich vermute es gibt sie noch), die Brenndauer auf 1000 Stunden zu limitieren. Heute brennen alle Glühlampen 1000 Stunden im Schnitt. Meine Vermutung wäre - da egal von welchem Hersteller man kauft - Energiesparlampen auch "geplant" nur 15000... mal schauen wann das 5000 werden. Quecksilber ist ja billig. Und so wird mehr gekauft und der Markt kann "wachsen" (auf kosten von Ressourcen und Müll).
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon stine » Do 10. Jan 2013, 13:16

Energiesparlampen brennen in der Regel nicht halb so lang, wie der Hersteller angibt. Die Herstellerangabe bezieht sich auf einmal einschalten und dann brennen lassen. An - und Ausschalten mögen diese Leuchtörper nämlich gar nicht. :doh:

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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon mat-in » Do 10. Jan 2013, 14:08

Stimmt. Und wenn wir 100000 Stunden Glühlampen bauen können bin ich mir fast sicher, daß da ein "Höchsthaltbarkeitsdatum" eingebaut ist. So ähnlich wie Nylonstrümpfe auch, die ohne UV Schutz verkauft werden damit sie an der Sonne schnell kaputt gehen und man neue kaufen muß.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Do 10. Jan 2013, 16:03

Nimm eine 60-Watt-Glühlampe und betreibe sie so, dass sie nur 4 Watt konsumiert. Nutzt dann halt nicht mehr viel, dafür wird sie 100 Jahre lang Energie verbrauchen und immer noch brennen, zumindest wenn sie nie aus- und eingeschaltet wird. Aber zur Erklärung der Weltverschwörung und der Nostalgie an die gute alte Zeit wird es reichen.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon mat-in » Do 10. Jan 2013, 17:23

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Aber zur Erklärung der Weltverschwörung und der Nostalgie an die gute alte Zeit wird es reichen.
Also ich würde real existierende, Gerichtlich bekannte und rechtskräftig verurteilte Kartelle nicht ins Land der Märchen und Verschwörungstheorien verbannen... :motz: http://de.wikipedia.org/wiki/Phoebuskartell
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Do 10. Jan 2013, 18:37

Das eine hat mit dem anderen doch nur wenig zu tun. Das "Jahrhundertbirnchen" brennt mit und wegen absolut mangelhafter, unbrauchbarer Lichtausbeute so lange. Kein Mensch würde so eine Funzel wirklich haben wollen, außer zum Beleg für krude Thesen. Dass Kartelle ganz allgemein und auch Unternehmen jeweils ihr Interesse und nicht unbedingt die Interessen der Kunden zuallererst im Fokus haben, sollte als bekannt sein und als gegeben angesehen werden können. Das Kartelle selten bis nie für die "andere Seite" einen Positiven Effekt haben auch. Aber ein Kartell, welches keinen unmittelbaren Zwang auf mögliche Konkurrenten ausüben kann, kann seinen Markt nur "etwas", je nach dem wie hoch die technischen Hürden sind, zu seinen Gunsten beeinflussen.
Das Kartell hat ja in einer Art "Selbstverpflichtung" unter anderem 'nur' festgelegt, dass die angepeilte Lebensdauer von 1000 Stunden als das Optimum für Lichtausbeute und Stromverbrauch behauptet und angepeilt wird, eine Art Normung, die auch den Effekt hat, dass eine 60-Watt-Glühbirne (unter normalen Umständen) von allen Mitgliedern des Kartells ähnlich hell leuchtet. Eine Glühbirne (fußend auf gleicher Technik) die deutlich länger brennt würde dunkler leuchten oder mehr Strom brauchen.
Wenn es technisch möglich (gewesen) wäre, signifikant (= sehr deutlich) als Gesamtprodukt bessere Produkte herzustellen, dann findet sich eigentlich immer nach einiger Zeit ein - zumeist - "Quereinsteiger", der seine Chance sieht. Eine "ewige" Lebensdauer bei ähnlicher Leistung, wie gerne in Märchen behauptet, existiert ja nicht wirklich. Lebensdauer ins extrem wird nur mit deutlich geringer Helligkeit (= geringer Verschleiß) erkauft.
Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ist das behauptete Optimum zwischen Wirkungsgrad und Langlebigkeit nicht dort wo es das Kartell hingesetzt hat, es dürfte sicher darüber liegen - sonst hätte es ja auch diesen Passus nicht gebraucht, dann hätte die Gebietsaufteilung gereicht -, aber es dürfte nicht extrem viel höher liegen. Wobei hier natürlich die Frage ist, was ist in diesem Fall "extrem". Es gibt aber meines Wissens keine Beweise dafür, dass die Lebenserwartung einer normalen Glühlampe ein deutlich Vielfaches bei ähnlichem Wirkungsgrad (Stromverbrauch und Helligkeit) betragen kann.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon mat-in » Fr 11. Jan 2013, 13:42

Natürlich ist die 100-jahre-birne ein Extrembeispiel. Es ist jedoch ein Fakt, daß Glühbirnen mit 2500 Stunden und mehr "Halbwertzeit" verkauft wurden vor der Kartellgründung und es gibt belege über Strafzahlungen unter den Kartellmitglieder falls geprüfte Birnen länger hielten und was den Markt angeht, diese Firmen waren damals über 90% des Marktes.
Mit den Nylon-Strumpfhosen verhält es sich ähnlich, mit Telefonen und Computern die fest montierte Akkus haben ebenfalls. Bei Apple ist das sogar gerichtlich festgestellt, daß der iPod Akku mit dem Designziel entworfen wurde, eine kurze Lebensdauer zu haben und so das Gerät irreparabel kaputt gehen zu lassen. Austauschakkus von Apple für diese Geräte bzw. einen teuren Akkutauschservice gibt es erst seit dem Gerichtsurteil.

So funktioniert eben Markt :)
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Fr 11. Jan 2013, 17:17

mat-in hat geschrieben:Natürlich ist die 100-jahre-birne ein Extrembeispiel. Es ist jedoch ein Fakt, daß Glühbirnen mit 2500 Stunden und mehr "Halbwertzeit" verkauft wurden vor der Kartellgründung und es gibt belege über Strafzahlungen unter den Kartellmitglieder falls geprüfte Birnen länger hielten und was den Markt angeht, diese Firmen waren damals über 90% des Marktes.
Und? Werden heute auch noch. Sind teurer und brauchen bei gleicher Helligkeit mehr Strom (und produzieren mehr Wärme). Wo ist da die Sensation? (Bitte mal eine Quellenangabe für "über 90%")
Und dass Anbieterkartelle selten Vorteile für den Nachfrager bieten, ist auch keine Sensation.
"Natürlich" ist und war die Festlegung auf 1000 Stunden weder "für den Verbraucher" ein Vorteil, noch eine technische Herausforderung für die Hersteller. Es war aber wohl hoch genug, dass kein Quereinsteiger ein lukratives Geschäft gesehen hat und das bei einem austauschbarem Gut, bei dem der Hersteller beim Betrieb nicht sichtbar ist, das Image also bei der Benutzung keine Rolle spielen kann.

Auf was willst du heraus?
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon stine » Fr 11. Jan 2013, 18:24

Ich finde es schon eine moralische Grenze, wenn man sogenannte Sparlampen zur Pflicht macht, die soviel Quecksilber benötigen, dass man die ganze Welt damit vergiften könnte. Da wird Energiesparen zum ökologischen Desaster. Ich finde es auch blöd, wenn ich immer eine Stunde warten muss, bis diese Dinger ihre volle Leuchtkraft entwickelt haben. Da bin ich meistens schon wieder raus aus dem Zimmer. Das Thema Sparlampen ist für mich das Paradebeispiel einer übergeordneten Öko-Lüge zugunsten des Marktes.

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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon Nanna » Fr 11. Jan 2013, 19:14

Wenn du eine anständige (d.h. leider auch teure) Energiesparlampe kaufst, entwickelt die ihre volle Leuchtkraft sofort oder zumindest innerhalb von Sekunden. Ich habe schon vor Jahren alles auf Energiesparlampen (präziser: Kompaktleuchtstofflampen) umgestellt, neuerdings z.T. auch auf LEDs, und bislang habe ich nur einmal einen durch Zeitmangel bedingten Fehlkauf beim Discounter gemacht -> nie wieder.

Das mit dem Quecksilber ist blöd, stimmt, allerdings ist die Bilanz da durchwachsen. Wer Kohlestrom für konventionelle Glühbirnen verwendet, verursacht sogar mehr Quecksilberemissionen als jemand, der Kohlestrom für Kompaktleuchtstofflampen verwendet, weil beim Kohleverbrennen Quecksilber in die Atmosphäre freigesetzt wird, selbst wenn man die Lampe in den Hausmüll werfen würde. Es ist also nicht so, dass wir von heute auf morgen irrsinnige Quecksilberemissionen dazugewinnen, v.a. da die Grenzwerte laufend sinken und eine gute Leuchte mittlerweile die Hälfte des Grenzwerts erreichen kann und das Quecksilber bei hochwertigen Lampen auch beim Zerbrechen nicht entweichen kann, weil es in Legierungen gebunden ist. Das heißt jetzt alles nicht, dass Kompaktleuchtstofflampen die Lösung des Problems sind, ich sehe die eher als Brückentechnologie zu den LEDs und OLEDs, aber ein ökologisches Desaster sehe ich nicht am Horizont. Die Frage, wie viel man effektiv gewonnen hat, wenn man Stromsparen durch Sondermüll erkauft, sollte natürlich diskutiert werden. Meine persönliche Ansicht ist, dass jeder, der es sich leisten kann, beim Lampenkauf gefälligst LEDs anschaffen soll, damit die möglichst schnell für die breite Masse erschwinglich werden. Wenn die sich mal durchgesetzt haben will eh keiner mehr etwas anderes, an der Stelle entfaltet der Markt mal eindeutig seine heilenden Kräfte.

Übrigens ist das in meinen Augen eher ein Paradebeispiel für eine sinnvolle Marktsteuerung: Man gibt das, teilweise sicherlich moralisch begründete, Verbot vor, billige und umweltschädliche Glühbirnen zu verbieten und überlässt dann dem Markt die Ermittlung der Alternativen. Die Kompaktleuchtstofflampe ist nur eine Zwischenstation, langfristig setzen sich die LEDs durch, die, wenn man Lebensdauer, Energieverbrauch und fallende Kosten berücksichtigt, wahrscheinlich in ein paar Jahren spottbillig sein werden und volkswirtschaftlich gesehen riesige Mengen an Ressourcen sparen werden. So stelle ich mir auch eine sinnvolle Kooperation von Staat und Markt vor: Der Staat ermittelt, demokratisch legitimiert und kontrolliert, welche Grenzen der Gesellschaft und Wirtschaft gesetzt werden, und die finden dann selbst heraus, wie sie damit umgehen wollen. Perfekte Symbiose von normativen Vorgaben und marktwirtschaftlicher Effizienz, finde ich.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon stine » Fr 11. Jan 2013, 19:38

Aber wenn der Staat schon richtungsweisend verbietet, dann sollte er das bei den billigen Alternativ-Produkte vom Discounter ebenfalls tun. Die LEDs werden noch lange nicht günstiger, wenn Aldi zweimal im Jahr seine Stromsparlampen aus Asien auf den Wühltisch wirft. Das selbe gilt für Ikea und dergleichen.
Die LEDs sind mir wirklich auch sympatischer, da sie heller leuchten, noch weniger Strom brauchen, sich gar nicht mehr erwärmen und wunderbar variabel einsetzbar sind. An mancher Stelle gar nicht mehr wegzudenken.

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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon Nanna » Fr 11. Jan 2013, 20:11

Da gebe ich dir gerne recht.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon mat-in » Sa 12. Jan 2013, 08:52

O.k. ich nehme die 90% Marktanteil zurück, ich finde nur Belege für "Über 80% Marktanteil" des Phoebuskartells und ganz exakte Zahlen auf die verkaufte Glühbirne runter gibt es von den Jahren nicht.

Was das "Quecksilber aus Kohle" angeht: Die Rechnung beruht auf 0,016 mg Quecksilber pro kWh. Diese Zahl stammt aus einer Umweltstudie und ist die Zahl für die emmissionssträksten Kohlekraftwerke der USA. Was tatsächlich an Emission entsteht ist abhängig von der Kohle und vom Kraftwerk, im Europäischen Schnitt sind es 0,005 mg / kWh, also weniger als 1/3 und auch nur 30% unseres Stroms kommen aus der Kohle. Hausmüllverbrennung setzt wohl sogar noch mehr Quecksilber frei, da konnte ich aber keine verläßlichen Zahlen finden. Mal abgesehen davon, das wir dann ja auch die Quecksilberlämpen verbrennen wenn sie im Müll landen. Damit spart die Energiesparlampe kein Quecksilber mehr. Mal abgesehen davon, daß man in ein Kraftwerk zentral Filter einbauen kann (siehe Schwefelwasserstoff) was eine ganz andere Situation ist als eine im Betreib befindliche Energiesparlampe / Leuchtstoffröhre die im Kinderzimmer kaputt geht und den hei0en Dampf verteilt.

Ich persönlich nutze fast ausschließlich LED. Dort wo ich nicht nur sofort, sondern auch viel Licht haben möchte habe ich Halogenlampen. Ich bin also kein "Fan der Glühlampe", es geht hier doch um den Markt.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon fopa » Sa 12. Jan 2013, 14:59

Nanna hat geschrieben:Übrigens ist das in meinen Augen eher ein Paradebeispiel für eine sinnvolle Marktsteuerung.
Das sehe ich anders. Die alte Glühbirne hat trotz ihrer schlechten Effizienz ihre Daseinsberechtigung, denn: sie hat ein kontinuierliches Farbspektrum, ist sofort leuchtstark, sie ist billig und einfach zuentsorgen. Damit ist sie beispielsweise in Kellerräumen oder vor der Haustür, wo das Licht nur für wenige Sekunden gebraucht wird, den anderen Leuchtmitteln gegenüber im Vorteil. LEDs wären für diesen Einsatz viel zu teuer.
Meiner Auffassung nach müsste sich mangelnde Effizienz ganz von allein unrentabel machen. Wenn das nicht der Fall ist, sind die Energiekosten einfach zu niedrig. Bei entsprechend höherem Strompreis kommen die Menschen schon ganz von selbst auf die Einsparmöglichkeiten - manche früher, manche später. Deswegen aber ein Produkt zu verbieten, für das in einigen Anwendungsbereichen keine sinnvollen Alternativen gibt, kann nicht der richtige Schritt sein. Es war schlicht Aktionismus, nachdem Australien damit angefangen hatte. Wenn ich mich richtig erinnere, war das kurz nach der Meldung, dass der Klimawandel nur noch aufzuhalten wäre, wenn man bis 2013 die CO2-Emissionen um soundsoviel Prozent senken würde. Abgesehen vom Glühbirnenverbot ist aber nicht viel passiert. Was das Ganze noch grotesker erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass Beleuchtung in deutschen Haushalten 18% des Stromverbrauchs und 2% des Gesamtenergieverbrauchs ausmacht. Welches CO2-Einsparpotenzial bestünde, wenn man sämtliche LKWs und Geländewagen verböte, kann man sich nicht einmal ausmalen. Warum wird das nicht gemacht? Richtig, man braucht sie. :wink:

Für mich ist das Glühbirnenverbot wieder mal ein Beispiel dafür, dass von staatlicher Seite ein völlig falsches Instrument gewählt wurde. Es bringt wenig für das (lobenswerte) Ziel, aber schränkt den Verbaucher unnötig ein und belastet ihn in mehrfacher Hinsicht (finanziell und gesundheitlich). Eine Erhöhung der Stromsteuer wäre weitaus wirkungsvoller gewesen und hätte sich auf Effizienzverbesserungen bei allen elektrischen Verbauchern ausgewirkt. Glühbirnen wären von selbst dort verschwunden, wo sie sinnvoll ersetzt werden können. Dasselbe Prinzip gilt für Mobilität: statt den Kauf von Elektroautos direkt zu fördern oder eine CO2-Emissionsobergrenze für Neuwagen einzuführen, müsste lediglich die Mineralölsteuer kräftig steigen, um für weniger CO2-Emissionen zu sorgen. Das wäre auch gerechter in dem Sinne, dass eine höhere Emission direkt und proportional mehr finanzielle Belastung bedeutet.

Was die demokratische Legitimation der EU-Kommission angeht... das ist noch mal ein ganz anderes Thema.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 12. Jan 2013, 15:36

fopa hat geschrieben:Damit ist sie beispielsweise in Kellerräumen oder vor der Haustür, wo das Licht nur für wenige Sekunden gebraucht wird, den anderen Leuchtmitteln gegenüber im Vorteil. LEDs wären für diesen Einsatz viel zu teuer.
Halogenglühlampe für Zweifünfzig - ist allerdings auch nicht so energieeffizient wie Leuchtstofflampe oder LED.
Der Preisunterschied bei prognostizierter längeren Lebensdauer :mg: ist für einen Privathauhalt zu verkraften.
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon fopa » Sa 12. Jan 2013, 15:54

[MOD]Unnötiges Vollzitat des kompletten Vorbeitrags entfernt, 1v6,5M[/MOD]
Halogenlampen mit mehr als 80W sind auch jetzt schon verboten. Ab 2016 werden auch Halogen-Leuchtmittel mit Effizienzklasse schlechter als B verboten sein.
Spätestens dann werden wohl auch etliche (vollkommen intakte) Lampen ersetzt werden müssen, weil die neuen Leuchtmittel aufgrund des falschen Sockels oder ungeeigneter Form nicht mehr passen. Wunderbare Wegwerfgesellschaft. :kopfwand:
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Re: Moralische Grenzen des Marktes

Beitragvon Nanna » Sa 12. Jan 2013, 16:55

fopa hat geschrieben:Meiner Auffassung nach müsste sich mangelnde Effizienz ganz von allein unrentabel machen. Wenn das nicht der Fall ist, sind die Energiekosten einfach zu niedrig.

Der durchschnittliche deutsche Singlehaushalt könnte heute bereits um die 150€ durch Energiesparmaßnahmen einsparen, bei Dreipersonenhaushalten kratzt das Einsparpotential an der 500€-Grenze. Das ist eine Menge Schotter, aber nicht jedem ist das klar und anscheinend ist vielen Leuten die Bequemlichkeit das wert. Das bedeutet, dass man die Energiekosten stark anheben müsste, wirklich stark, um eine Einstellungsänderung zu erreichen. Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden, außer diesem:
Wenn du die Energiekosten drastisch anhebst (die Diskussion haben wir wegen dem EEG doch jetzt schon seit Wochen) bekommen die energieintensiven Branchen Probleme im internationalen Wettbewerb und die Verbraucher mit geringem Einkommen haben Probleme, ihre Energieversorgung zu bezahlen. Um wirklich zu drastischem Energiesparen zu motivieren, müsstest du auch drastische Steuererhöhungen durchführen, wahrscheinlich in der Gegend von höheren zweistelligen Aufschlägen an Prozentpunkten. Damit würgst du natürlich die Industrie ab - aus emissionstechnischer Sicht sogar günstig - und du drehst den einkommensschwachen Haushalten mehr oder weniger den Strom ab. Das führt natürlich zu Energieeinsparungen, nur fragt sich halt, ob das die Art von Einsparungen sind, die wir wollen (ICH wäre anstelle eines Arbeiters ziemlich sauer, wenn ich erst meinen Industriearbeitsplatz verlieren und dann mit meiner Familie abends im Dunkeln sitzen würde).
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