Moralische Grenzen des Marktes
Verfasst: Di 1. Jan 2013, 13:53
Bin fast mit dem Buch "Was man für Geld nicht kaufen kann" von Michael J. Sandle durch, dass ein paar anregende Ideen beinhaltet.
Sandel kritisiert libertäre Ansätze und das übergreifen ökonomischer Grundideen auf nicht-öknomische Felder mit folgendem Grundargument: Der Markt ist nicht immer in der Lage zwischenmenschliche Aktivitäten und Güteraustausch fair zu regulieren, das ist eine libertäre Mär. Darüber hinaus ist der Marktmechanismus nicht wertneutral, er kontaminiert bzw. korrumpiert gewisse Werte was manchmal sehr schädlich sein kann.
Sandel unterscheidet zwischen dem Austausch materieller Güter, die in der Tat über den Markt am besten zu regeln sind - wobei auch hier ja die Konsumideologie problematisch sein kann - und anderen "Gütern". Er argumentiert anhand von Beispielen, was das Buch sehr lesenswert macht, ich bringe mal die plakativsten:
1. Ehrungen sind prinzipiell nicht über den Markt zu handeln, man kann einen Nobelpreis nicht kaufen, bzw. wenn man dies tut, wird durch den Akt des Verkaufes der Wert der Wahre ruiniert. Es gab da durchaus mal einen "Schwarzmarkt" für Oskars, weil einige verarmte Stars ihre verhökert haben, aber natürlich hat der Oskar für den Käufer nicht den Wert einer Ehrung. Man kann aber z.B. auch Reden für Hochzeiten und andere Ehrungen kaufen, ein Graubereich. Nur wird der Kauf natürlich verheimlicht, da das persönliche Wort eines guten Freundes als Ehrung mehr Wert hat als eine noch so gut gekaufte Lobpreisung. Offensichtlich ändert sich am Wert des Gutes etwas, wenn man es auf dem Markt handelt.
2. Korruption ist der Verkauf eines Gutes (z.B. Insiderinformationen, Bauaufträge, Gerichtsurteile), die nach Meinung (fast) aller nicht verkauft werden dürfen. Hier hat der Markt nichts zu suchen. Korrumpierbarkeit geht für Sandel aber darüber hinaus. Auch der Wert jeder anderen Wahre wird mehr oder weniger durch den Markt verändert/korrumpiert.
3. Ökonomen meinen, dass knappe Wahren am besten über den Markt reguliert weiter gegeben werden, aber es gibt auch andere Möglichkeiten: Eine Option ist die Warteschlange: Kostenlose Tickets für Theateraufführungen oder die Teilnahme an Kongreßanhörungen nennt Sandel als Beispiel. Nun gibt es in Amerika mittlerweile bezahlte "Schlangensteher", die sich anstellen um die Tickets dann an gutbetuchte Theaterliebhaber bzw. an Lobbyisten verkaufen, damit die den Anhörungen beiwohnen können und nicht anstehen müssen. Das Problem dabei: Die Ethik der Warteschlange ("Immer der Reihe nach") ist eine Anderer als die des Marktes ("Man bekommt wofür man bezahlt"). Es gibt ein Fairnessproblem (die Idee des kostenlosen Theatertickets ist ja grade, das auch weniger betuchte in den Genuss kommen können, dies wird durch die Ökonomisierung des Anstehens konterkariert). Mag man das noch durchgehen lassen, wird es bei anderen "Warteschlangen" problematischer. In China ist es sehr schwer an Termine bei guten Ärzten zu kommen, da muss man manchmal über Tage anstehen, die Termine selbst sind kostenlos. Auch hier gibt es mittlerweile einen Schwarzmarkt, der über Ansteher bedient wird. Nun kann man sich einen raschen Termin kaufen. Das ist unfair, der betuchte wird vor dem weniger betuchten, aber möglicherweise ernster Krankem behandelt, und hat noch anderer Probleme: Hier macht z.B. nicht der medizinische Experte den Profit, was evtl. noch nachvollziehbar wäre, sondern ein wildfremder Spekulant.
4. Eine Ökonomisierung kann auch anders korrumpieren. Ein Beispiel kam aus Israel: Ein öffentlicher Kindergarten hatte das Problem, dass Kinder vereinzelt zu spät abgeholt wurden und dadurch Überstunden anfielen. Das Problem sollte eine Strafzahlung lösen, das Ergebnis: Die Kinder wurden im Durchschnitt noch später abgeholt, denn schließlich zahlte man ja für das Privileg des später Abholens! Die soziale Stigmatisierung des Egoistes, der auf Kosten anderer sein Kind zu spät abholt, hatte offenbar eine bessere Steuerungswirkung als die nun als "Gebühr" empfundene Zahlung. Diese "Gebührenmentalität" gibt es bekanntermaßen ja auch bei Ordnungswidrigkeiten im Verkehr, der betuchte SUV-Fahrer zahlt einfach seine Straf"gebühren" und ignoriert ungeniert die Verkehrsregeln (die Finnen haben reagiert und dort zahlt man anteilig zum Vermögen. Rekordbuße für zu schnelles Fahren derzeit 170.000 € )
5. Darf man gegen einen happigen Geldbetrag bedroht Tiere schießen? Sandel bringt hier ein tückisches Beispiel: Das Schwarze Nashorn Afrikas ist vom Aussterben bedroht, alle Maßnahmen zum Schutz der Tiere konnten nicht verhindern, das die Tiere durch illegalen Abschuss weiter dezimiert wurden. Nun kam man auf die Idee Farmern zu erlauben eine gewisse Zahl an Abschüssen zu verkaufen, die Idee dahinter war, dass die Farmer dann ein Interesse an den Tieren hätten uns sich um die Tiere kümmern würden. Das passierte auch, das Projekt ist erfolgreich, die Zahl der Tiere steigt und die bekloppten Großwildjäger zahlen bis zu 150.000 € für einen Abschuss. Wo ist das Problem, fast alle scheinen ja davon zu profitieren: Die Art, der Jäger, der Farmer (nur das arme einzelne Opfer nicht)? Ökonomen sagen auch ganz ungeniert: Es gibt hier kein moralische Problem, der Markt regelt das doch optimal! Sandel sieht das moralische Problem darin, dass hier natürlich das Tier zur Ware degradiert wird. Mag man dass als Fleischesser noch hinnehmen, wie sieht es dann mit Leihmutterschaften aus? Organhandel? Gezielte Geburten als mögliches Organlager? Für alles (bis auf das letzte Beispiel, hoffe ich) gibt es längst funktionierende Marktmodelle, nur hier versucht der Markt etwas zu regeln, was offensichtlich außermarktliche moralische Fragen berührt.
Es gibt noch viele andere Beispiele, ich höre hier erst einmal auf. Sandel zeigt an diesen Beispielen meiner Meinung nach ganz gut auf, wo der Markt in einer menschlichen Gesellschaft als Steuerungsinstrument nicht funktioniert und warum der Markt deshalb nicht alles regeln soll und kann. Die Argumente, die es abzuwägen gilt, sind dabei immer die Fairness und die Korrumpierbarkeit des Gutes durch die Marktlogik. Und deshalb sagt Sandle: Ökonomen kommen eben nicht um die Diskussion der moralischen Dimension von Marktverhalten herum, Libertäre springen moralphilosophisch regelmäßig zu kurz.
Sandel kritisiert libertäre Ansätze und das übergreifen ökonomischer Grundideen auf nicht-öknomische Felder mit folgendem Grundargument: Der Markt ist nicht immer in der Lage zwischenmenschliche Aktivitäten und Güteraustausch fair zu regulieren, das ist eine libertäre Mär. Darüber hinaus ist der Marktmechanismus nicht wertneutral, er kontaminiert bzw. korrumpiert gewisse Werte was manchmal sehr schädlich sein kann.
Sandel unterscheidet zwischen dem Austausch materieller Güter, die in der Tat über den Markt am besten zu regeln sind - wobei auch hier ja die Konsumideologie problematisch sein kann - und anderen "Gütern". Er argumentiert anhand von Beispielen, was das Buch sehr lesenswert macht, ich bringe mal die plakativsten:
1. Ehrungen sind prinzipiell nicht über den Markt zu handeln, man kann einen Nobelpreis nicht kaufen, bzw. wenn man dies tut, wird durch den Akt des Verkaufes der Wert der Wahre ruiniert. Es gab da durchaus mal einen "Schwarzmarkt" für Oskars, weil einige verarmte Stars ihre verhökert haben, aber natürlich hat der Oskar für den Käufer nicht den Wert einer Ehrung. Man kann aber z.B. auch Reden für Hochzeiten und andere Ehrungen kaufen, ein Graubereich. Nur wird der Kauf natürlich verheimlicht, da das persönliche Wort eines guten Freundes als Ehrung mehr Wert hat als eine noch so gut gekaufte Lobpreisung. Offensichtlich ändert sich am Wert des Gutes etwas, wenn man es auf dem Markt handelt.
2. Korruption ist der Verkauf eines Gutes (z.B. Insiderinformationen, Bauaufträge, Gerichtsurteile), die nach Meinung (fast) aller nicht verkauft werden dürfen. Hier hat der Markt nichts zu suchen. Korrumpierbarkeit geht für Sandel aber darüber hinaus. Auch der Wert jeder anderen Wahre wird mehr oder weniger durch den Markt verändert/korrumpiert.
3. Ökonomen meinen, dass knappe Wahren am besten über den Markt reguliert weiter gegeben werden, aber es gibt auch andere Möglichkeiten: Eine Option ist die Warteschlange: Kostenlose Tickets für Theateraufführungen oder die Teilnahme an Kongreßanhörungen nennt Sandel als Beispiel. Nun gibt es in Amerika mittlerweile bezahlte "Schlangensteher", die sich anstellen um die Tickets dann an gutbetuchte Theaterliebhaber bzw. an Lobbyisten verkaufen, damit die den Anhörungen beiwohnen können und nicht anstehen müssen. Das Problem dabei: Die Ethik der Warteschlange ("Immer der Reihe nach") ist eine Anderer als die des Marktes ("Man bekommt wofür man bezahlt"). Es gibt ein Fairnessproblem (die Idee des kostenlosen Theatertickets ist ja grade, das auch weniger betuchte in den Genuss kommen können, dies wird durch die Ökonomisierung des Anstehens konterkariert). Mag man das noch durchgehen lassen, wird es bei anderen "Warteschlangen" problematischer. In China ist es sehr schwer an Termine bei guten Ärzten zu kommen, da muss man manchmal über Tage anstehen, die Termine selbst sind kostenlos. Auch hier gibt es mittlerweile einen Schwarzmarkt, der über Ansteher bedient wird. Nun kann man sich einen raschen Termin kaufen. Das ist unfair, der betuchte wird vor dem weniger betuchten, aber möglicherweise ernster Krankem behandelt, und hat noch anderer Probleme: Hier macht z.B. nicht der medizinische Experte den Profit, was evtl. noch nachvollziehbar wäre, sondern ein wildfremder Spekulant.
4. Eine Ökonomisierung kann auch anders korrumpieren. Ein Beispiel kam aus Israel: Ein öffentlicher Kindergarten hatte das Problem, dass Kinder vereinzelt zu spät abgeholt wurden und dadurch Überstunden anfielen. Das Problem sollte eine Strafzahlung lösen, das Ergebnis: Die Kinder wurden im Durchschnitt noch später abgeholt, denn schließlich zahlte man ja für das Privileg des später Abholens! Die soziale Stigmatisierung des Egoistes, der auf Kosten anderer sein Kind zu spät abholt, hatte offenbar eine bessere Steuerungswirkung als die nun als "Gebühr" empfundene Zahlung. Diese "Gebührenmentalität" gibt es bekanntermaßen ja auch bei Ordnungswidrigkeiten im Verkehr, der betuchte SUV-Fahrer zahlt einfach seine Straf"gebühren" und ignoriert ungeniert die Verkehrsregeln (die Finnen haben reagiert und dort zahlt man anteilig zum Vermögen. Rekordbuße für zu schnelles Fahren derzeit 170.000 € )
5. Darf man gegen einen happigen Geldbetrag bedroht Tiere schießen? Sandel bringt hier ein tückisches Beispiel: Das Schwarze Nashorn Afrikas ist vom Aussterben bedroht, alle Maßnahmen zum Schutz der Tiere konnten nicht verhindern, das die Tiere durch illegalen Abschuss weiter dezimiert wurden. Nun kam man auf die Idee Farmern zu erlauben eine gewisse Zahl an Abschüssen zu verkaufen, die Idee dahinter war, dass die Farmer dann ein Interesse an den Tieren hätten uns sich um die Tiere kümmern würden. Das passierte auch, das Projekt ist erfolgreich, die Zahl der Tiere steigt und die bekloppten Großwildjäger zahlen bis zu 150.000 € für einen Abschuss. Wo ist das Problem, fast alle scheinen ja davon zu profitieren: Die Art, der Jäger, der Farmer (nur das arme einzelne Opfer nicht)? Ökonomen sagen auch ganz ungeniert: Es gibt hier kein moralische Problem, der Markt regelt das doch optimal! Sandel sieht das moralische Problem darin, dass hier natürlich das Tier zur Ware degradiert wird. Mag man dass als Fleischesser noch hinnehmen, wie sieht es dann mit Leihmutterschaften aus? Organhandel? Gezielte Geburten als mögliches Organlager? Für alles (bis auf das letzte Beispiel, hoffe ich) gibt es längst funktionierende Marktmodelle, nur hier versucht der Markt etwas zu regeln, was offensichtlich außermarktliche moralische Fragen berührt.
Es gibt noch viele andere Beispiele, ich höre hier erst einmal auf. Sandel zeigt an diesen Beispielen meiner Meinung nach ganz gut auf, wo der Markt in einer menschlichen Gesellschaft als Steuerungsinstrument nicht funktioniert und warum der Markt deshalb nicht alles regeln soll und kann. Die Argumente, die es abzuwägen gilt, sind dabei immer die Fairness und die Korrumpierbarkeit des Gutes durch die Marktlogik. Und deshalb sagt Sandle: Ökonomen kommen eben nicht um die Diskussion der moralischen Dimension von Marktverhalten herum, Libertäre springen moralphilosophisch regelmäßig zu kurz.