Vegan33 hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Wodurch hast du denn einen Anspruch auf mein Geld erworben?
Jeder wird zu Steuerabgaben gezwungen. Gegenfrage: Wodurch hat der Staat sich einen Anspruch auf mein Geld erworben?
Ich versuche es mal mit einer historischen Antwort. Die Steuer ist im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Bewässerungssystemen aufgekommen, in Ägypten, Mesopotamien, der Induskultur und China gleichermaßen. Große Infrastrukturen wie diese sind für den Einzelnen oder für Kleingruppen nicht mehr zu stemmen und müssen deshalb kollektiv aufgebaut und gewartet werden, sind aber für alle Beteiligten von Nutzen. Der Staatsapparat (nicht der Staat, der ist hier genau genommen nicht gemeint) erwirbt sich den Anspruch, Geld einzutreiben und umzuverteilen, dadurch, dass er Infrastrukturen bereitstellt, wozu meines Erachtens in entwickelten, komplexen Gesellschaften auch Sozialsysteme gehören, die die Grundlage für einen erhöhten Produktionsausstoß bilden. In frühen Zivilisationen sind das höhere landwirtschaftliche Erträge durch Bewässerungswirtschaft, in modernen Zivilisationen ist das eine Vielzahl von Steigerungen des Bildungsniveaus, der sozialen Absicherung (wodurch der Staat sich Loyalität erwirbt und eine höhere Beschäftigungsquote und andere Formen der Arbeitsteilung ermöglicht) und der Bereitstellung umfangreicher Infrastrukturdienstleistungen. Starke Staaten entstehen nicht zufällig überall da, wo die Bevölkerungsdichte hoch ist, weil dort ein Zusammenleben überhaupt nur möglich ist, wenn ein Staatsapparat regelnd eingreift und ein Wirtschaften nur mit starker Arbeitsteilung möglich ist, was ebenfalls einen Staat erfordert, der die nötige Infrastruktur und die Rechtssicherheit garantiert.
Das muss finanziert werden und da ausnahmslos jeder davon profitiert, wird eben eine Abgabe erhoben. Diese muss aber erst erwirtschaftet werden, um dann vom Staat in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden zu können, mit dem Ziel, dort erneut volkswirtschaftlichen Nutzen zu entfalten. Reine Verkonsumierung bringt keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, weshalb das BGE auch nur funktionieren würde, wenn genügend Leute bereit wären, weiter zu arbeiten. Wäre das nicht der Fall, würden sich schlagartig viele Güter und Dienstleistungen verteuern, also eine Inflation stattfinden, die das BGE wertlos machen würde. Das lässt sich mit absoluter Sicherheit aber im Grunde erst herausfinden, wenn es mal im großen Stil ausprobiert wurde.
Vegan33 hat geschrieben:Es geht nicht um Manipulation, es geht auch nicht um eine Verschwörung, hör auf Mir esoterisches Gelaber zu unterstellen, mach Mich nicht zum fanatischen Kämpfer für 'das Wahre'.
Warum argumentierst du dann derart extrem-idealistisch? Mag ja sein, dass Arbeit nicht jedem Spaß macht und viele nicht erfüllt, sie ist aber notwendig, um den derzeitigen Lebensstandard zu halten. Ein Tipp: Argumentiere mal nicht immer von der Seite her, dass das System irgendwie blöd ist, das ist nämlich eine alte und reichlich beliebige Kritik, weil jedem etwas anderes missfällt, sondern erkläre, warum DEIN Alternativvorschlag 1. durchführbar und 2. für die Mehrheit vorteilhaft ist.
Dass etwas moralisch falsch ist, heißt nicht, dass man immer darauf verzichten kann. Ich finde die Todesstrafe barbarisch und bin der Meinung, dass jeder Staat der Welt heute darauf verzichten kann und es deshalb auch muss. Wären wir aber in einer anderen historischen Ära, irgendwo im finstersten Mittelalter in irgendeinem unterentwickelten Landstrich, mit einer geringen Reichweite der Justiz und keinerlei Ressourcen, die man in jahrzehntelange Gefängnisstrafen und Wiedereingliederungsprogramme stecken könnte, wäre ich auch dafür, Verbrecher in die Verbannung zu schicken oder sie gleich an Ort und Stelle umzubringen - einfach, weil's anders nicht ginge. Und ich bin wirklich unbeschreiblich dankbar, in solchen Zeiten nicht leben zu müssen, wo der Mangel derartige Entscheidungen diktiert. Aber um sich eben "besser" verhalten zu können, muss man erstmal aufzeigen, wie dieser Weg praktisch durchführbar ist. Ich kann die Todesstrafe nicht abschaffen, wenn ich nicht erklären kann, wer für den Unterhalt der Gefängnisinsassen oder deren Transport in die Verbannung oder deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft bezahlt. Wenn ich keine Möglichkeiten finde, so einen Kultursprung zu finanzieren, kann ich noch so sehr mit dem Fuß aufstampfen, das ändert GAR nichts und ist deshalb verschwendete Zeit, die man besser in das Finden einer tatsächlichen Lösung investiert hätte.
Vegan33 hat geschrieben:Es geht darum: Arbeit kann sinnvoll sein, in den wenigen Arbeitsplätzen ist sie es auch, aber dann gibt es eben die Produktion im Übermaß, die Erschaffung von Arbeit dort, wo gar keine gebraucht wird, nur um einen Arbeiter zu beschäftigen, nur um einem Menschen das Recht auf seine Lebensgrundlage zu gewähren, durch Arbeit.
Gibt's für diese Behauptung auch sowas wie Belege? Muss ja keine volkswirtschaftliche Seminararbeit werden, aber kannst du vielleicht wenigstens ein paar konkrete Beispiele geben, wo Menschen Arbeiten verrichten, die, einigermaßen objektiv gesagt, unnötig sind? Wo sind sie denn, die Löcher, die ausgehoben werden, um Erde von einem anderen Loch hineinzuschaufeln?
Ist es etwas das hier:
Vegan33 hat geschrieben:Der Mensch möchte sinnvolles leisten, da widersprechen wir uns nicht und Maschinen zum ernten sind durchaus etwas sinnvolles, aber ein unverkauftes Übermaß an Autos und Atomkraft? Sind das noch sinnvolle Arbeitsplätze, sind wir dem Scheiß nicht längst entwachsen?
Keine Ahnung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Rechner, von dem du schreibst und das Brights-Forum teilweise mit Atomkraft oder zumindest anderen problematischen Energiequellen betrieben werden. Oder hast du supersauberen Ökostrom? Und können wir den auch jedem geben (letztes Mal, als ich nachgesehen habe, stand da, dass wir das ungefähr um 2050 herum können)? Und das unverkaufte Übermaß an Autos? Das ist eine der Sachen, die der Markt früher oder später regeln wird. Denn natürlich müssen Produkte nachgefragt werden. Wenn keiner seine Arbeitsleistungen (= sein Geld) mehr gegen Autos eintauschen möchte, werden auch keine mehr hergestellt werden. Solange aber Leute bereit sind, für Autos zu bezahlen, sehe ich keinen Grund, deren Herstellung als sinnlos zu bezeichnen. Man kann entsprechende Umweltauflagen und Steuern erheben, um die zu erwartenden Umweltschäden abzufangen, klar, aber zu sagen, dass Autos "sinnlos" sind, wird hier selbst schon zur sinnentleerten Aussage. Was ist denn sinnvoll, was sinnlos? Schwingen da nicht zu einem enormen Anteil deine persönlichen Bewertungen - vulgo: Vorurteile - mit? Abgesehen von empirisch nachweisbaren Schäden, etwa an der Umwelt, ist es nicht eine reine Geschmacksfrage, ob der Besitz eines Autos "sinnvoll" ist? Wer gibt dir das Recht, für Andere zu entscheiden, dass sie etwas Sinnloses tun, indem sie Autos herstellen? Von mir aus kannst du sagen, dass sie etwas umweltschädliches tun, aber dann sind wir in einer komplett anderen Diskussion!
Ich verstehe schon, worauf du hinaus willst, du bist der Meinung, dass bestimmte unserer Bedürfnisse gesättigt sind und jetzt mal gut sein sollte. Aber ich wage zu behaupten, dass du das von der Warte eines deutschen Mittelstandsabkömmlings aus sagst, dem der eigene Wohlstand irgendwie suspekt geworden ist. Nur, bedeutet die Tatsache, dass dein persönliches Leben sich irgendwie materiell gesättigt anfühlt, dass es dem Rest der Menschheit ähnlich gehen muss? Warum ist dein persönliches Unwohlsein gegenüber der Wohlstandsgesellschaft ein legitimes Messinstrument dafür, was sinnlos oder sinnvoll ist?
Vegan33 hat geschrieben:Warum wird jeder, auch der keine Sicherheit verlangende, dazu genötigt seine Beiträge zur Unterstützung von Polizei und Militär zu leisten?
Ähm, keiner hält dich hier. Du kannst gern gehen. Es gibt noch mehr auf der Welt als deutsches Staatsgebiet, das von deutschen Sicherheitskräften beschützt wird. In Somalia ist sicher noch ein Plätzchen frei für dich, wenn du Polizeikräfte partout nicht finanzieren willst. Aber so lange du hier bist und die Vorzüge eines geschützten Gebiets in Anspruch nimmst - was du durch deine Anwesenheit per definitionem tust - zahlst du auch dafür. Sicherheit ist multidimensional und vor allem sehr stark territorial. Es geht schlichtweg nicht, eine Polizeistreife für ein Wohnviertel zu finanzieren, die dann nur diejenigen Leute schützt, die dafür bezahlen. Allein die Anwesenheit der Polizei, die das Gebiet überwacht, sorgt schon für Sicherheit und zwar egal, wer sich dort aufhält. Auch ein chinesischer Tourist, der in Deutschland nie Steuern gezahlt hat, ist neben einer deutschen Polizeistreife sicherer als in einer düsteren Hinterhofgasse. Es gibt hier schlichtweg keine anderen opt-out-Möglichkeiten als das geschützte Gebiet zu verlassen - was dir, wie gesagt, auch frei steht.
Vegan33 hat geschrieben:Warum wird jeder dazu genötigt behinderte Menschen für fehlende Leistung aufgrund von Unfähigkeit zu bezahlen? Es wurde entschieden diese Beiträge wären eine Art Solidarität dem Mitmenschen gegenüber, sozusagen zum Wohle der Gemeinschaft. Nun, in diesem Sinne könnten auch Beiträge für Arbeitsverweigern eine Art Solidarität dem Mitmenschen gegenüber sein, sozusagen zum Wohle der gesamten Gemeinschaft. Die Logik stammt übrigens nicht von Mir, so funktioniert das Steuersystem.
Du pervertierst diese Logik aber. Unfähigkeit ist ja im Fall von Arbeitsverweigerung gar nicht gegeben. Bei Behinderten berufen wir uns auf das Gebot der Menschenwürde und die Notwendigkeit der Solidarität, weil anders ein Überleben für Behinderte schlichtweg nicht zu sichern ist. Bei Arbeitsverweigernden gäbe es aber die Alternative, dass sie selber etwas zu ihrem Lebensunterhalt beitragen. Und wehe du kommst jetzt auf die Idee, Faulheit als so was wie eine Behinderung hinzustellen...
Vegan33 hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Eine ehrliche und offene, aber auch die unreifste und unselbstständigste Antwort, die ich hier seit langem gelesen habe.
Und Du kennst die gesamten Hintergründe politischer Vorgänge und hast nach dem treffen von Entscheidung bezüglich jedes einzelnen Themas im Parteiprogramm gewählt oder jedes Detail abgewogen? Wahrscheinlich nicht, denn wenige besitzen Kenntnisse über Wirtschaft, Jura, Philosophie und Politik zugleich um bei jeder Überzeugung ihrerseits genau erklären zu können wie es ablaufen könnte, so wählt die Mehrheit auch gar nicht.
Ich gebe mich zumindest nicht damit zufrieden, mir eine Position herauszusuchen, dann mit Rosinenpickerei mehr oder weniger geeignete Argumente zusammenzuklauben, die vorgeblich meine Ansicht untermauern um dann, wenn Andere die Realitätsferne dieser Argumentation kritisieren, zu behaupten, dass mich die praktischen Implikationen meiner theoretischen Vorstellungen irgendwie nichts angehen würden - zumal ja schon die "Theorie" erhebliche Mängel aufweist, wie eben den, dass sie komplett ausklammert, woher das Geld kommen soll, dass es zu verteilen gibt, wenn ein zu großer Teil der BGE-Empfänger das Arbeiten einstellen würde.
Es ist das eine, nicht alles über eine bestimmte Sachfrage zu wissen (tut keiner), aber aus Prinzip auf einer Meinung zu beharren, der gewichtige Gegenargumente gegenüberstehen und sich zu weigern, sich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen, ist sinnlos, es bringt keinen irgendwie voran. Noch dazu ist es wenig überzeugend, erst wolkige Theorien zu entwerfen und dann, auf den Hinweis hin, dass es viele empirische Beobachtungen gibt, die dem entgegenstehen, zu sagen "So genau kann man das alles nicht wissen, es hat ja eh keiner einen Überlick - also hab ich recht." HÄ?

Da ist die Logik aber schon weit den Jordan runtergegangen...
Ich bin hier nicht derjenige, der irgendeine Utopie vorschlägt und umsetzen will. Ich habe, in dieser Diskussion als Verteidiger des status quo, natürlich den Vorteil, dass ich die Beweiskraft des Faktischen anführen kann: Dass unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem funktioniert, ist seit Jahrhunderten, trotz mancher Krise, empirisch belegt (man muss es deshalb nicht mögen). Dass ein BGE-basiertes System funktionieren könnte, hat niemand bisher empirisch belegen können. Umso überzeugender sollten aber die Argumente und die Theorie sein. Wenn man schon mit einfachsten Nachfragen bei Befürwortern des BGE Argumentationsnöte und den Rückgriff auf Moralisieren auslösen kann, braucht sich keiner wundern, dass das BGE bislang keine Mehrheit überzeugen konnte. Versuch es doch mal weniger mit normativen Argumenten, sondern mit konkreteren Überlegungen dazu, wie der Lebensstandard gehalten werden kann, wenn ein erheblicher Teil der Erwerbsbevölkerung wegfällt.