Pro & Contra: Banken

Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon provinzler » Di 4. Jun 2013, 15:23

Nanna hat geschrieben:Da hätte ich gern harte Zahlen und nicht nur anekdotische Berichte von Arzthelferinnen. Dass es bei den EU-Verordnungen auch einiges an Fehlentscheidungen und tatsächlicher Überregulierung gibt, ist klar, das ist die normale Folge bürokratischer Vorschriften, die gekontert werden muss, aber dass das "systematisch" geschieht und den Mittelstand "ausrottet" sind schon sehr starke Behauptungen.

Die Eu prodziert täglich Gesetzes und Vorschriftenmengen, die schon schwer vorzustellen sind. Ich kann nur noch mal den Verfassungsrechtler Kirchoff zitieren, der vorschlägt die Zahl der Rechtsnormen in jedem Bereich auf die Menge zu reduzieren, die der jeweilige Staatssektretär im Kopf behalten kann. Ich war in den letzten drei Jahren in zwei Firmengründungen selber involviert, bei einer dritten war ich ganz nah mit dabei, eine vierte scheitert bis auf Weiteres an den für ein Startup definitiv nicht tragbaren regulatorisch festgeschriebenen Bürokratiekosten. Ich weiß also, was man so an Steinen in den Weg gelegt kriegt, von massiven Liquiditätsschwierigkeiten, weil das Finanzamt die Gewinne des Vorjahrs für die Steuervorauszahlung(!) ansetzt, auch wenn die Auftragsbücher leer sind, und der Gewinn der ersten 3 Quartale 90% unter Vorjahr liegt. Ich kenne genug all dieser Auflagen und Vorschriften, von denen die allermeisten mittelgroßer bis gigantischer Schwachsinn sind, weil ich mich damit schon befasst habe bzw. befassen musste. Und dann erzählt mir ein Beamtenkind, das damit nie was zu tun hat, das wär alles Einbildung. Sorry, aber das ist extrem schwach. Denn Beamte unterliegen keinerlei Haftung oder Risiko (denn selbst bei Staatspleiten sind das die Letzten die noch Geld kriegen).
Wie gesagt, vielleicht hilft dir ja die Einschätzung des ehmaligen Verfassungsrichters Kirchoff, der wie gesagt äußerte, diese Gesetzesflut sei selbst für Spezialisten kaum noch handhabbar. Glaub mir, selbst Steuerberater sagen mir, dass ihr Job inzwischen keinen Spaß mehr macht, weil überspitzt gesagt, Gesetze schon heute veraltet sind, wenn sie morgen im Bundesgesetzblatt stehen (rückwirkend gültige Gesetzgebung ist juristisch sowieso ein ganz heißes Eisen).


Nanna hat geschrieben:Was niemand beabsichtigte. Die EU in ihrem halbfertigen Zustand erzeugt momentan massive Probleme, weil sie in manchen Teilen weiter integriert ist, als in anderen. Das hake ich persönlicher aber unter "dumm gelaufen" und nicht unter "sozialistischer Verschwörung" ab.

Es wurde befürchtet und die Situation vertraglich eindeutig geregelt. Das BVerfG hat damals nur unter Verweis auf diese Regelung die Euroeinführung für verfassungskonform erklärt. Eine Situation, für die es eine eindeutige Regelung gibt, kann definitiv nicht unter "unerwartet" fallen. Das ist bewusste Rechtsbeugung...
Mit Verschwörung hat das übrigens nichts zu tun, das ist eine Unterstellung deinerseits. Die Funktionäre und Politiker verfolgen alle nur andre Ziele, nämlich die Ausweitung der eigenen Macht. Ähnliche Interessen und deswegen wird auch tendentiell am gleichen Strang gezogen. Und die Judikative pennt schon seit geraumer Zeit ganz gewaltig, wenn es darum geht, die Exekutive auf Normalmaß´zurechtzustutzen. Da haben sich einige Relationen gewaltig verschoben.



Nanna hat geschrieben:Ich frag mal andersherum: Willst du das vielleicht unbedingt sehen? Du bist so voller Emotionen zu diesem Thema, dass sich für mich die Frage stellt, ob du da überhaupt noch anders als stark selektiv wahrnehmen kannst.

Ich glaube es liegt einfach am Grundsätzlich unterschiedlichen Umfeld. Das Lebensumfeld eines Angestellten oder noch schlimmer eines Beamten oder Funktionärs liegt mittlerweile Lichtjahre von dem eines Unternehmers oder Investors entfernt. Mein Umfeld hat sich die letzten paar Jahre massiv(!) in Richtung der letzteren Gruppe verschoben. Sind zwei verschiedene Welten. Es ist definitiv kein Zufall, dass es in libertären Boards vor Freiberuflern und Unternehmern grad so wimmelt.

Nanna hat geschrieben:Seit der Finanzkrise geht es meines Erachtens aber erst mal darum, das Dach zu löschen und erst in einem zweiten Schritt das Fundament neu zu legen.

Aber das was grad passiert ist, ist so als würde die Feuerwehr Streubomben auf die umliegenden Häuser abwerfen, statt das Feuer zu löschen, mit dem Argument, dass die Nachbarn sich dann nicht wegen eines Übergreifens des Feuers zu sorgen brauchen.
Direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank ist in Deutschland nicht nur verfassungswidrig (wenigstens soweit mir bekannt), sondern sie ist auch ökonomisch zumindest mal schwer umstritten.

Nanna hat geschrieben:Es kann, gerade unter dem Eindruck von Krise und aufkeimendem Regionalnationalismus in der EU ein Zeichen dafür sein, dass ein paar Übereifrige eigentlich nur den Laden zusammenhalten wollen. Das ist dann missglückt und bedarf der Korrektur mit kühlem Kopf.

Ich habe wie gesagt eher den Eindruck, dass die gehobene Funktionärsschicht (wozu auch Lobbyverbände und dergleichen zählen) schlicht jeglichen Realitätssinn verloren haben bzw. davon nix mitkriegen, was außerhalb des Wolkenkuckucksheims öffentlicher Dienst so vor sich geht. Die EU ist irgendwann vor ca. 15 Jahren an ner Kreuzung mal komplett verkehrt abgebogen und als das Navigationssystem "wenn möglich bitte wenden" sagte (Finanzkrise, Eurokrise), hat man mal erst Recht VOllgas gegeben um mit dem Motorjaulen das nervige Navi zu übertönen.
Mit dem derzeitigen Personal sehe ich keine Perspektiven, dass da gewisse Dinge wieder ins Lot kommen.
Ob man den Untergang des Abendlandes deshalb ausrufen muss ist fraglich. Immerhin hat das schon den 30-jährigen Krieg und zwei Weltkriege überstanden.
Zuletzt geändert von Nanna am Di 4. Jun 2013, 18:43, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Gandalf » Di 4. Jun 2013, 21:18

Nanna hat geschrieben:[

Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union hat geschrieben:Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

Das klingt ja sehr bedrohlich...



Es klingt so, wie wenn man den Krümmungsradius von Gurken schriftlich festhalten müsste.In einer freiheitlichen Gesellschaft heisst es nur: Alle sind vor dem Gesetz gleich! Und daher klingt es bedrohlich wenn es eine undemokratisch angelegte Legislative etwas mittels Gesetzestexten genau ein- (und aus-)grenzen muss, was selbstverständliches (Menschen-)Recht ist, das 'außerhalb/oberhalb der Legislative' steht (wie war das nochmal mit den Menschenrechten gemäß Verfassung der DDR?)

Wenn also in einer freiheitlich rechtlichen Grundordnung 'gleiches (Verfahrens-)Recht für alle' gilt, - warum muss ich dann separat auf "Nichtdiskriminierung", "Solidarität" - und den ganzen Schmonzes separat eingehen?

Das hier macht dann schon deutlicher, - was auf Initiative der Sozialisten - beschlosssen werden soll und offenba rauf "Strafen für falsche Meinungen" hinausläuft:

http://www.europarl.europa.eu/registre/ ... 499_DE.pdf
Es müssen Grundsätze und Mindestanforder
ungen hinsichtlich der Verfassung und der
internen Organisation europäis
cher politischer Parteien
festgelegt werden, um zu
gewährleisten, dass sie einem
hohen Standard interner Part
eidemokratie verpflichtet
sind. Die Satzung einer europäischen politis
chen Partei oder einer europäischen
politischen Stiftung sollte auch einige gr
undlegende administrative und juristische
Bestimmungen umfassen
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon NeoTron » Mi 5. Jun 2013, 13:57

stine hat geschrieben:Ich frage mich in der letzten Zeit sowieso immer öfter, ob wir es merken würden, wenn wir schleichender Weise in einen neuen Sozialismus alá DDR verfallen würden...


Jawoll! Und die amerikanische Tea-Party-Bewegung ist die Gerechtigkeitsliga und Anders Breivik ist der neue Superman!

:ironie:
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Nanna » Fr 7. Jun 2013, 01:08

Ich versuch mal etwas anderes, weil das Hin- und Hergeschmeiße von Fakten ja nun irgendwie nicht zu viel führt hier. Ich möchte versuchen, die Problematik offen zu legen, die in dem Mechanismus begründet liegt, wie Menschen (Individuen als auch Gruppen) ihre Identität konstruieren, und warum in diesem Zusammenhang wer was sagt. Also warum betont die EU die Grundwerte, warum betonst du die Verwerflichkeit dieser EU-Statements und warum kommt es da notwendigerweise zum Clash?

Mein Kompliment übrigens an jeden, der sich das komplett durchliest und nicht den Faden verliert. Es ist eine komplizierte Materie, die ich manchmal selbst schwer zu verbalisieren finde.

Gandalf hat geschrieben:In einer freiheitlichen Gesellschaft heisst es nur: Alle sind vor dem Gesetz gleich! Und daher klingt es bedrohlich wenn es eine undemokratisch angelegte Legislative etwas mittels Gesetzestexten genau ein- (und aus-)grenzen muss, was selbstverständliches (Menschen-)Recht ist, das 'außerhalb/oberhalb der Legislative' steht (wie war das nochmal mit den Menschenrechten gemäß Verfassung der DDR?)

Du argumentierst im Grunde wie ein Befreiungstheologe: Sobald man das Ungerechte zerstört hat, stellt sich automatisch das Gute ein - das ist die Grundannahme, die deiner libertären Utopie zugrunde liegt. Ich kann dazu nur sagen - und du kannst selbst entscheiden, ob du damit etwas anfangen kannst -, dass das eine Sichtweise ist, die in ihrer Unbestimmtkeit keine praktische Anwendungsfähigkeit besitzt und die den Fragen nach a) ihrer eigenen Anwendbarkeit und b) der Garantie der eigenen Voraussetzungen ausweicht (sprich: wenn Freiheit einerseits bedeutet, den Menschen möglichst wenig zu beeinflussen (etwa durch normative Regeln), und gleichzeitig aber auch bedeutet, normative Regeln von sich aus einzuhalten (Verträge, Achtung der Rechte des Anderen), wie bekommt man dann die Leute zu einer freiheitlichen Gesinnung, wenn man sie nicht auffordern darf, freiheitlich zu sein? - also: kann der Libertarismus hier seine eigenen Voraussetzungen schaffen oder vampirisiert er hier die Bildungs- und "Propaganda"einrichtungen der, nennen wir sie mal, "Gesellschaften mit organisierter Freiheit").

Auch auf die Gefahr, in weiten Teilen miss- oder gar nicht verstanden zu werden, hole ich mal weiter aus. Ich gebe zu, die entscheidende Rolle, die Identitätskonstruktion in unseren politischen Debatten spielt, ist auch dem interessierten Laien möglicherweise nicht so wahnsinnig schnell/leicht zugänglich:

Jede Gesellschaft braucht (d.h. strebt nach) einer Verortung in der Welt, sprich, nach Identität. Identität macht sich maßgeblich an dem fest, was man nicht ist. Das kannst du an dir selbst beobachten, du bist ja auch den ganzen Tag damit beschäftigt, die EU und den Staat als "das Andere" zu konstruieren, weil du eine Spiegelfläche für deine Identität als Libertärer brauchst. Bei den Brights ist es die Dauerbeschäftigung mit Religion, die als identitätsstiftendes Merkmal ritualisiert wiedergekäut wird. Es muss dabei nicht um konkrete andere Menschen(gruppen) gehen, aber es muss bestimmt sein, wer wir sind und wer wir nicht sind.
Freiheit z.B. ist als Begriff in der Diskurstheorie ein sog. "leerer Signifikant"*, ein Begriff, der nicht positiv definiert werden kann (eigentlich gilt das für alle Begriffe, aber ich vereinfache jetzt mal stark, um mir nicht die Finger wund schreiben zu müssen). Das heißt, "Freiheit" wird in Abgrenzung zu "Unfreiheit" definiert. Das kannst du auch an dir selbst beobachten, wenn du einfach mal zählst, wie oft du Freiheit in Zusammenhang mit Knechtschaft, Raub, Bevormundung etc. nennst.
Nun hast du persönlich das Pech, dass deine Identität darauf beruht, in Opposition zum Staat zu stehen, weil du diesen als Antagonisten der Freiheit auffasst. Der Staat selber beruft sich auch auf Freiheit, stellt dieser aber andere Antagonismen gegenüber. Etwas überspitzt sagt der (demokratisch-rechtsstaatliche) Staat, dass er als Wächter existiert gegen die Tyrannei (eines Einzelnen oder der Mehrheit), gegen die Ungleichbehandlung, gegen Kriminelle und generelle Widrigkeiten des Lebens. Der Staat rechtfertigt sich dadurch, dass er durch seine Existenz die Abwesenheit dieser Dinge garantiert. Nun ist immer die Frage, welcher Deutung man sich anschließt: Sieht man den Staat selber als Teil der Ungerechtigkeiten oder als Verdränger dieser Ungerechtigkeiten. Wie man auch entscheidet, was man/du verstehen sollte(st), ist, dass der Staat eine Definition dessen, wofür er da ist, wirklich existenziell braucht. In der BRD (wie in der DDR) ist das der Gründungsmythos als antifaschistisches Projekt. Es ist kein Wunder, dass das "nie wieder" so sakrosankt ist in Deutschland, weil die bundesrepublikanische Identität ihre Existenzberechtigung stark aus dem Anspruch bezieht, den Nationalsozialismus zu überwinden.

Generell berufen westliche Staaten sich heute immer stärker auf die Menschenrechte. Wenn ich jetzt davon schreibe, dass diese Staaten den Kampf für die Menschenrechte als identitätsstiftendes Merkmal brauchen, befürchte ich, dass du das missverstehst als Akt der Propaganda und Desinformation, als Willkür sozusagen. Damit würdest du aber den wichtigen Punkt übersehen, dass ein Staat, der sich nicht glaubwürdig für seinen Identitätskern einsetzt auf Dauer nicht überleben kann. Die DDR ist da das beste Beispiel. Denn wie du selbst sagst, hatte die DDR (einige) Menschenrechte tatsächlich in der Verfassung. Sie konnte aber den Anspruch nicht erfüllen und hat damit ihre Daseinsberechtigung verloren. Es reicht also nicht aus, einfach nur zu behaupten, man sei für irgendetwas; insbesondere vor der (im Vergleich) ziemlich mündigen westlichen Öffentlichkeit können nur überzeugende Projekte langfristig bestehen.

Was meine ich damit jetzt (Versuch eines Fazits)?
1. Es ist gut und sogar notwendig, dass die EU definiert, wer sie ist und wofür sie steht. Wenn sie die Menschenrechte durchsetzen will, reicht es nicht einfach aus - so wie du behauptest - Recht zu praktizieren, sondern es muss auch Recht im entsprechenden Geiste gesprochen werden. Es ist ohne weiteres möglich, Gesetze so zu erlassen, dass sie völlig diskriminierungsfrei sind (also nicht "Schwarze dürfen keine Autos kaufen" drin steht), aber faktisch trotzdem zu Ungleichbehandlung führen. Ein menschenrechtlich interessierter Gesetzgeber bezieht solche Fragen mit ein, und genau an diesem Anspruch muss die EU sich ja auch messen lassen.
2. Jeder hat eine Identität (eigentlich mehrere), die sich grundsätzlich über Ab- und Ausgrenzungen definiert. Auch für Libertäre gilt das. Die EU grenzt beispielsweise mit der genannten Gesetzgebung radikale Elemente (solche, die wohl auch du zum Kotzen fändest) aus. Ehrlich gesagt weiß ich bei der EU da deutlich besser, woran ich bin, als bei dir, weil die Identität, die die EU sich gibt, deutlich schärfer umrissen ist. Zudem schafft die EU Fakten, die man gegenüber ihrem Anspruch abgleichen kann. Eine gute Identität, nennen wir es hier mal nicht gleich Utopie, zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie Anspruch und Wirklichkeit auf Deckung bringen kann. Hier hat die EU dem Libertarismus einiges voraus, der harret nämlich noch seiner empirischen Überprüfung.
(3. Die Frage ist, ob man dem Problem der "Bevormundung" überhaupt durch die Abschaffung des Staates entkommen kann. Die Hoffnung der Libertären ist ja, dass die Gesellschaft sich dann so organisiert, dass die verschiedenen Identitäten nebeneinander friedlich existieren. Abgesehen von der Fragmentierung, die das für die Gesellschaft recht sicher bedeuten würde, stellt sich die Frage, inwiefern das Problem dadurch nicht einfach nur eine Ebene nach unten transformiert würde (weiterhin existierende Zwangsgemeinschaften wie Stadtbevölkerungen oder Familien gäbe es ja weiterhin) und ob die Fragmentierung, die durch das fehlende überwölbende Narrativ entstünde, nicht gleichzeitig eine schärfere Abtrennung, quasi eine Parzellierung der Gesellschaft, bedeuten würde, mit all den hässlichen Gruppendynamiken wie interne Dogmatisierung, Abschottung, Loyalitätszwang etc. So abwegig es dem Libertären scheinen mag, aber das Fehlen eines die Gesellschaft überwölbenden, moderierenden Narrativs könnte das Gegenteil dessen herbeiführen, was gewünscht war).

Gandalf hat geschrieben:Wenn also in einer freiheitlich rechtlichen Grundordnung 'gleiches (Verfahrens-)Recht für alle' gilt, - warum muss ich dann separat auf "Nichtdiskriminierung", "Solidarität" - und den ganzen Schmonzes separat eingehen?

Wie ich lang und umständlich (Verzeihung für mögliche Unklarheiten) zu erklären versucht habe, ist "freiheitlich" erstmal ein nichtssagender Begriff, wenn er nicht scharf umrissen wird. Das geht, diskursorisch, nur über Abgrenzungen (sprach- bzw. diskurstheoretisch gibt es ja eigentlich gar keine Positivdefintionen). D.h. ich muss erst mal festlegen, dass Freiheit z.B. impliziert, niemanden zu diskriminieren. Für dich, der jeden Tag in einer starken Identität mit einem starken Antagonismus lebt, ist das ironischerweise unverständlich, weil dir "freiheitlich" als vollkommen klar, offensichtlich, beinahe natürlich erscheint. Das ist normal für jemanden, der sich scharf gegen seine Umwelt abgrenzen kann, da erscheint vor der mächtigen Projektionsfläche (staatlich geprägtes Lebensumfeld) auch der antagonistische Begriff ("Freiheit") besonders deutlich definiert zu sein. Für jemanden wie mich, der aus einer anderen Perspektive kommend nicht dasselbe unter Freiheit verstehen kann (weil ich andere Grenzen um den Begriff ziehe, ihn de facto also anders definiere), ist das nicht so einfach. Aus meiner Perspektive ist es offensichtlicher, warum wir Definitionen brauchen, die Begriffe wie "Nichtdiskriminierung" und "Solidarität" beinhalten.

Du wirst dich vermutlich nicht geschmeichelt fühlen, wenn ich die Libertären mit den Muslimbrüdern vergleiche, aber ich bringe das Beispiel trotzdem mal: Die Muslimbrüder meinten in all den Jahren der Unterdrückung sehr genau zu wissen, was sie meinten, wenn sie "Islam" sagten (deren Pendant zu dem, was für die "Freiheit" als zentraler Begriff ist). Seit sie an der Macht sind, geht nun aber plötzlich das Taktieren und Herumgestreite los - weil man nämlich den säkularen Staat als antagonistische Projektionsfläche teilweise verloren hat. Je mehr aber der identitätsstiftende Antagonismus verloren geht, desto unklarer wird, was man eigentlich meint. Vor dem Hintergrund kann man euch Libertären nur wünschen, dass ihr nie in die Verlegenheit kommen werdet, eure Utopie in einer staatsarmen Umgebung tatsächlich umsetzen zu müssen. Die massiven Sprach- und Definitionsprobleme, die damit einhergingen, könntet ihr, ähnlich wie der rechte Flügel der amerikanischen Gesellschaft das heute mit dem Waffengesetz vormacht, nur umgehen, indem ihr ritualisiert einen Strohmann bekämpft - sozusagen das ritualisierte Schlachten des Monsters "Staat", ohne das ihr gar nicht mehr wüsstet, wer ihr eigentlich seid als "Libertäre".
Der bittere Witz an der Geschichte ist ja, dass auch eine libertäre Gesellschaft das Narrativ des Libertarismus bräuchte, um zu funktionieren - falls dieses Narrativ nämlich nicht das hegemoniale Narrativ wäre, würde sich irgendwo ein anderes Narrativ aufschwingen, die diskursorische Hegemonie zu gewinnen, vermutlich eines, bei dem die Effektivität kollektiven disziplinierten Handelns im Vordergrund stünde. Und da müsst ihr zugeben, man kann noch so tolle Produktivität schaffen durch Freihandel, gegen einen organisierten Kollektivismus ist kein libertäres Kraut gewachsen, dazu ist er zu mächtig und aggressiv. Schon blöd: Um die Hegemonie des staatlichen Hegemons abzuschaffen, muss man selbst die Hegemonie anstreben, was man wegen grundsätzlicher Ablehnung von Hegemonien aber eigentlich nicht will.

Gandalf hat geschrieben:Das hier macht dann schon deutlicher, - was auf Initiative der Sozialisten - beschlosssen werden soll und offenba rauf "Strafen für falsche Meinungen" hinausläuft:

http://www.europarl.europa.eu/registre/ ... 499_DE.pdf
Es müssen Grundsätze und Mindestanforderungen hinsichtlich der Verfassung und der internen Organisation europäischer politischer Parteien festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass sie einem hohen Standard interner Parteidemokratie verpflichtet sind. Die Satzung einer europäischen politischen Partei oder einer europäischen politischen Stiftung sollte auch einige grundlegende administrative und juristische Bestimmungen umfassen

Das ist lustigerweise eine harmlose Formulierung im Vergleich zu all dem Kleinklein des deutschen Parteiengesetzes. Es klingt in meinen Ohren auch überhaupt nicht bedrohlich, eher als Feststellung von Selbstverständlichkeiten in Bezug auf eine Parteiengesetzgebung.
Für dich zählt das aber zu dem Bereich, der in deiner Identität dem Antagonismus zugeordnet ist, über den du dich (leider sehr stark und zentral) definierst. Daher muss das wohl bedrohlich klingen, einfach weil es anders schlecht in die Art passt, wie du den Input der Realität prozessierst. Du müsstest wortwörtlich ein Anderer werden, um in diesen Sätzen keine Bedrohung mehr wahrnehmen zu können (nicht unbedingt ein radikal Anderer, aber ein Anderer als jetzt).

Mir geht's, bei all dem Theoriegeschwafel, eigentlich vor allem darum: Dass du möglicherweise erkennen kannst, dass Perspektiven hier eine Rolle spielen; dass der o.g. EU-Entwurf nicht zensorisch ist, sondern dass dies deine Interpretation ist, die von den Interpertationen Anderer abweicht.

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*: siehe dazu z.B. Ernesto Laclau (Postmarxist, Poststrukturalist): "Emancipation(s)"
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon provinzler » Fr 7. Jun 2013, 11:15

Du hast vollkommmen Recht. Und wer nicht gutfindet und das auch kundtut, was die Mehrheit so treibt, der ist halt mehr oder weniger vogelfrei. Das war in der Geschichte noch nie anders. Von daher fährt sicherlich der zynisch-analytische Opportunist besser, wenn er die im System möglichen Vorteile gnadenlos für sich ausnutzt. Das hieße in meinem Fall beispielsweise eine Karriere als europäischer Beamter sagen wir bei der EZB anzustreben. Dazu bräuchte ich ein Parteibuch (z.B. der CSU), ein bisschen Zeit (fürs politische Netzwerkeln), die Bereitschaft mich intellektuell zu prostituieren (also Dinge zu predigen die gegen meine Überzeugungen sind), die Bereitschaft nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Mein Gewissen müsste ich durch Vorschriften und Richtlinien ersetzen und meine Integrität zugunsten politischer Opportunität opfern. Mit bisschen Glück darf ich als Belohnung zum Schluss ein bisschen selber Gott spielen. Dafür wärs noch nicht mal zu spät wie das Beispiel Alan Greenspan lehrt. Vom Standpunkt des Zynikers gesehen sicherlich die "klügere Variante". Ob es auch die objektiv bessere im Sinne eines erfüllten Lebens ist, wage ich aber mal stark zu bezweifeln.
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon provinzler » Fr 7. Jun 2013, 11:39

Nanna hat geschrieben: Es ist kein Wunder, dass das "nie wieder" so sakrosankt ist in Deutschland, weil die bundesrepublikanische Identität ihre Existenzberechtigung stark aus dem Anspruch bezieht, den Nationalsozialismus zu überwinden.

Umso verwunderlichdf ist dafür, dass man sich derart konsequent weigert, die wichtigsten Triebfedern des Faszinosums Nationalsozialismus, das Verteilen von sozialen Wohltaten und Befriedigung des Neides, klar zu benennen. Hast du dich eigentlich schonmal gewundert, warum Menschen, die vom Krieg mitgenommen sind, deren Verwandte und Freunde in diesem Krieg sterben, die ausgebombt werden, begeistert "ja" brüllen, wenn man sie fragt ob sie den Totalen Krieg wollen? Nun man verspreche Ihnen zwei Stunden lang glaubwürdige neue soziale Wohltaten und frage sie dann. Komischerweise werden diese Versprechungen in besagter Rede heute nie mit einem Wort erwähnt. Dann könnte man ja nicht mehr die Eltern-/Großelterngeneration dämonisieren, sondern würde vielleicht feststellen, dass man als gemeiner Neidhammel genauso fanatisch ja gebrüllt hätte...


Nanna hat geschrieben: Wenn ich jetzt davon schreibe, dass diese Staaten den Kampf für die Menschenrechte als identitätsstiftendes Merkmal brauchen, befürchte ich, dass du das missverstehst als Akt der Propaganda und Desinformation, als Willkür sozusagen.
Damit würdest du aber den wichtigen Punkt übersehen, dass ein Staat, der sich nicht glaubwürdig für seinen Identitätskern einsetzt auf Dauer nicht überleben kann. Die DDR ist da das beste Beispiel. Denn wie du selbst sagst, hatte die DDR (einige) Menschenrechte tatsächlich in der Verfassung. Sie konnte aber den Anspruch nicht erfüllen und hat damit ihre Daseinsberechtigung verloren.

Und wo passt für dich da beispielsweise das Konzentrationslager Guantanamo Bay hinein ?(An dessen Befüllung die deutsche Regierung ja mitwirkt).
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Zappa » Fr 7. Jun 2013, 16:04

Ich gehe mal nur auf einen Punkt ein, ansonsten scheint mir Deine Argumentation sehr stimmig zu sein.

Nanna hat geschrieben: Jede Gesellschaft braucht (d.h. strebt nach) einer Verortung in der Welt, sprich, nach Identität. Identität macht sich maßgeblich an dem fest, was man nicht ist.

Meinst Du mit maßgeblich "überwiegend" oder "notwendigerweise auch"? Überwiegend glaube ich nämlich nicht, aber natürlich ist Identität ein notwendig dualistischer Begriff (ich/wir und die Anderen). Ich denke, dass eine Theorie des Menschen und der Gesellschaft eine positive Definition für Identität haben muss (aber vielleicht wolltest Du genau das sagen und ich bin nur zu blöd, der Text zu lang oder es ist zu warm - oder eine Kombination davon?).

Mein Hauptkritikpunkt am Liberalismus, ist die Tatsache, dass er sich vorrangig abgrenzt und lediglich versucht ein defizität-formales (manchmal sogar mathematisches) Modell für den Menschen und die Gemeinschaft zu entwickeln. Ich sehe nicht, wie aus dem L. positive, nicht-egoistische Motive und Werte abgeleitet werden können. Deswegen fehlt dem radikalen L. eine Wertedefinition, eine Moralphilosophie bzw. eine positive Gesellschaftstheorie. Das erklärt für mich ganz gut, warum radikal L. auch z.B. fundamentale Christen sein können: Die holen sich Ihre Moralphilosophie einfach aus einem anderen Bereich. Wäre der L. eine umfassende Theorie, wäre dies natürlich nicht so einfach möglich.
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Nanna » Fr 7. Jun 2013, 16:59

Ich fange mal mit dir an, weil ich die begriffliche Klärung erstmal wichtiger finde:

Zappa hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: Jede Gesellschaft braucht (d.h. strebt nach) einer Verortung in der Welt, sprich, nach Identität. Identität macht sich maßgeblich an dem fest, was man nicht ist.

Meinst Du mit maßgeblich "überwiegend" oder "notwendigerweise auch"? Überwiegend glaube ich nämlich nicht, aber natürlich ist Identität ein notwendig dualistischer Begriff (ich/wir und die Anderen). Ich denke, dass eine Theorie des Menschen und der Gesellschaft eine positive Definition für Identität haben muss (aber vielleicht wolltest Du genau das sagen und ich bin nur zu blöd, der Text zu lang oder es ist zu warm - oder eine Kombination davon?).

Was ich hier wiedergebe, ist im wesentliche ein poststrukturalistische Sichtweise auf die Sprache. Sie Sprache wird hier als "System von Differenzen" gesehen, so gesehen gibt es in der Tat keine (also wirklich Null) positiven Gehalt in der Sprache. Begriffe werden hergestellt, indem man sozusagen so lange etwas wegnimmt/ausschließt, bis das übrig ist, was man bezeichnen will. Ein Hund wird z.B. dadurch definiert, dass er keine Katze, keine Kuh, kein Auto, kein Wertpapier usw. ist. Das ist kontraintuitiv, ich weiß, ergibt aber Sinn. Letztlich sind Zeichensysteme (auch Sprache ist ein Zeichensystem) also komplett relational und kontextual aufgebaut. Du weißt nur, was Begriffe sind, weil du den Kontext zu anderen Begriffen kennst. Und ohne Kontext ergibt ein Zeichen wie das Wort "Hund" auch tatsächlich keinen Sinn.

Identität, also letztlich die Definition dessen, was wir sind, ist deshalb auch hergestellt über Differenzen. Vielleicht klingt Abgrenzung auch erstmal zu hart und aggressiv und isolationistisch, aber das ist damit gar nicht gemeint. Es geht nur darum, Unterscheidungen zu treffen und Kategorien formen zu können und das ist eben nur über den Akt des Differenzierens möglich. Mach mal den Test und versuche einen einfachen Begriff wie "Baum" oder "Hund" mit einer Positivdefinition zu versehen, du wirst erstaunt sein, wie schnell du dich da dabei ertappst, dich der Aufgabe über ein Einkreisen des Begriffes mit möglichst vielen anderen Begriffen zu nähern; und das liegt eben daran, dass du nur über ein präzises Kontextualisieren und Abgrenzen zu einer Definition gelangen kannst. Selbst wenn es positiv formuliert ist, ist es ein Abgrenzungsakt, z.B.: "ein Hund hat vom Kopf abstehende Ohren" heißt ja auch: nicht innen liegende, nicht vom Körper getrennte, nicht am Bauch angewachsene Ohren usw...

Es gibt übrigens am Poststrukturalismus auch viel Kritik, beispielsweise von Habermas und allen sonstigen Philosophen, die aus der Kant'schen Ecke stammen, weil der Poststrukturalismus und die Diskursanalyse sich schwer tun, das Individuum as autonom handelndes Wesen zu sehen. Aber im Bereich der Analyse, wie gesellschaftliche Diskurse und v.a. Antagonismen entstehen, finde ich den Poststrukturalismus sehr aufschlussreich.

provinzler hat geschrieben:Du hast vollkommmen Recht. Und wer nicht gutfindet und das auch kundtut, was die Mehrheit so treibt, der ist halt mehr oder weniger vogelfrei.

Da widerspreche ich dir. Der Staat und die heutige Gesellschaft (nicht alle, schon klar) verteidigen nämlich gerade dein Recht, dich hier explizit gegen ihn/sie zu richten. Natürlich werden dir nicht dieselben Möglichkeiten eingeräumt, da hast du Recht, da wird halt deine Loyalität angezweifelt und man befürchtet, dass du eine Bedrohung darstellen könntest. Aber du wirst auch nicht, wie man es mit echten Vogelfreien täte, einfach mal mit kurzem Prozess um die Ecke gebracht. Du genießt ziemlich weit reichende Bürgerrechte, von denen du ja auch Gebrauch machst, sonst wärst du gar nicht hier.

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: Es ist kein Wunder, dass das "nie wieder" so sakrosankt ist in Deutschland, weil die bundesrepublikanische Identität ihre Existenzberechtigung stark aus dem Anspruch bezieht, den Nationalsozialismus zu überwinden.

Umso verwunderlichdf ist dafür, dass man sich derart konsequent weigert, die wichtigsten Triebfedern des Faszinosums Nationalsozialismus, das Verteilen von sozialen Wohltaten und Befriedigung des Neides, klar zu benennen.

Erst müsste man mal klären, ob das tatsächlich die zentrale Triebfeder war. Du forderst immer, dass "man das endlich zugeben" solle, aber zugeben kann man ja auch nur etwas, was man eingesehen hat. Du tust so, als würde Sozialpolitik direkt und deterministisch nach Auschwitz führen, und in der Aussage kann ich nur Unsinn sehen. Insofern, was sollte ich hier zugeben? Ich bin für Sozialpolitik und ich bin auch dafür, die Wohlhabenden auf Abgaben zu verpflichten. In deiner Sichtweise scheine ich damit mehr oder weniger schon zu fordern, sie am nächsten Baum aufzuhängen und ihren Besitz zu verteilen. Und das ist halt Quatsch, was soll ich dazu mehr sagen?

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: Wenn ich jetzt davon schreibe, dass diese Staaten den Kampf für die Menschenrechte als identitätsstiftendes Merkmal brauchen, befürchte ich, dass du das missverstehst als Akt der Propaganda und Desinformation, als Willkür sozusagen.
Damit würdest du aber den wichtigen Punkt übersehen, dass ein Staat, der sich nicht glaubwürdig für seinen Identitätskern einsetzt auf Dauer nicht überleben kann. Die DDR ist da das beste Beispiel. Denn wie du selbst sagst, hatte die DDR (einige) Menschenrechte tatsächlich in der Verfassung. Sie konnte aber den Anspruch nicht erfüllen und hat damit ihre Daseinsberechtigung verloren.

Und wo passt für dich da beispielsweise das Konzentrationslager Guantanamo Bay hinein ?(An dessen Befüllung die deutsche Regierung ja mitwirkt).

Ich würde sagen, dass die US-Regierung hier ganz klar ihren Anspruch meilenweit verfehlt und damit auch die Identität der USA als Bewahrerin der Menschenrechte auf's Spiel setzt. Das ist brandgefährlich, weil an diesem Narrativ weltweit viele Loyalitäten zu den USA hängen und wenn man sich die weltweite Verachtung für diese Praktiken ansieht, merkt man, wie bedeutend es für die Legitimität eines Gemeinwesens ist, dass die Identität glaubwürdig bewahrt wird.

Du gehst ja manchmal anscheinend davon aus, dass man alles mögliche mit Zwang einfach mal so locker durchsetzen kann. Aber das stimmt nicht. Die Hegemonie (auch der Zwang) muss mit einer glaubwürdigen Geschichte versehen werden, einem Narrativ, das genug Menschen überzeugen kann, um dem Hegemon die eigene Loyalität zu schenken. Immer nur behaupten, dass alles für die Menschenrechte sei, funktioniert auch nur sehr begrenzt. Man muss dem Anspruch schon nachkommen, sonst wird die Identität des Hegemons dekonstruiert und bricht zusammen. Nur zur Erinnerung: Es ging ja eingangs um die Frage von Gandalf, warum die EU denn eigentlich dauernd auf diesen Begriffen herumreiten würde. Und da ist meine Antwort eben, dass der Hegemon (die EU) diese Begriffe braucht, um die eigene Existenz zu rechtfertigen, und dass dem aber dann auch Taten folgen müssen, die dieses Narrativ glaubwürdig machen.
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon stine » Fr 7. Jun 2013, 17:05

Nur so am Rande: Das ist der bayrische Behördenwegweiser in alphabetischer Reihenfolge. Da sitzen also jene, die meine "Freiheit" gewährleisten. Und ich bezahle sie selbstverständlich alle freiwillig.

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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Nanna » Fr 7. Jun 2013, 17:21

Du hast tatsächlich die Freiheit, für die Abschaffung dieser Behörden zu sprechen und zu votieren. ;-)
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Zappa » Fr 7. Jun 2013, 18:45

Nanna hat geschrieben: Was ich hier wiedergebe, ist im wesentliche ein poststrukturalistische Sichtweise auf die Sprache. Sie Sprache wird hier als "System von Differenzen" gesehen, so gesehen gibt es in der Tat keine (also wirklich Null) positiven Gehalt in der Sprache. Begriffe werden hergestellt, indem man sozusagen so lange etwas wegnimmt/ausschließt, bis das übrig ist, was man bezeichnen will. Ein Hund wird z.B. dadurch definiert, dass er keine Katze, keine Kuh, kein Auto, kein Wertpapier usw. ist. Das ist kontraintuitiv, ich weiß, ergibt aber Sinn. Letztlich sind Zeichensysteme (auch Sprache ist ein Zeichensystem) also komplett relational und kontextual aufgebaut. Du weißt nur, was Begriffe sind, weil du den Kontext zu anderen Begriffen kennst. Und ohne Kontext ergibt ein Zeichen wie das Wort "Hund" auch tatsächlich keinen Sinn.

Das ist natürlich theoretisch starker Tobak, da muss ich mal ein bisschen drüber nachdenken.

Aber als naturwissenschaftlich angefixter Realist* (vielleicht "metaphysischer Realist") hab ich da spontan so meine Bedenken. Mein "linguistic turn" war die Beobachtung meines damals die Sprache erlernenden ersten Sohnes: Er saß vor einer leeren Vogeltränke, in deren trockener Mitte Tonvögel thronten. Kommentar "Piep Piep". Ich goss, von ihm interessiert beobachtet, langsam Wasser in die Tränke. Zunehmend wurde Sohnemann nachdenklich. Als der Wasserspiegel den Bauch der Vögel erreichte, klärte sich die Nachdenklichkeit und er verkündete fröhlich "Ente!". Ich denke deshalb nicht, dass Begriffe nur im sprachlichen Kontext und durch Abgrenzung/Wegnahme Sinn ergeben. Ich bin fest davon überzeugt, dass Begriffe einen realistischen Kern und eine induktiv-logische Kraft haben, kann das aber noch nicht so gut begründen.

Der Begriff "Hund" macht für mich z.B. außerhalb unseres sprachlichen Kontextes immer noch Sinn, da es Hunde realiter gibt (ich weiß, dass manche Philosophen das als naiven Realismus ansehen). Spräche nach dem Aussterben aller Menschen ein Roboter von einem "Hund", wäre das doch weiterhin ein sinnvolles Kennzeichen für etwas zu Kennzeichnendes, oder?

Man sollte diesen Diskussionstrang aber besser wohl abtrennen ...

* Aus dem Wort "Realist" macht meine Rechtschreibkorrektur im Übrigen "Relativist" :lachtot:
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon provinzler » Fr 7. Jun 2013, 19:09

Nanna hat geschrieben:Da widerspreche ich dir. Der Staat und die heutige Gesellschaft (nicht alle, schon klar) verteidigen nämlich gerade dein Recht, dich hier explizit gegen ihn/sie zu richten. Natürlich werden dir nicht dieselben Möglichkeiten eingeräumt, da hast du Recht, da wird halt deine Loyalität angezweifelt und man befürchtet, dass du eine Bedrohung darstellen könntest. Aber du wirst auch nicht, wie man es mit echten Vogelfreien täte, einfach mal mit kurzem Prozess um die Ecke gebracht. Du genießt ziemlich weit reichende Bürgerrechte, von denen du ja auch Gebrauch machst, sonst wärst du gar nicht hier.

Und ich muss übrigens diejenigen die gegen mich arbeiten auch noch selber bezahlen. Zynismus hoch drei in meinen Augen.

Nanna hat geschrieben: Du tust so, als würde Sozialpolitik direkt und deterministisch nach Auschwitz führen, und in der Aussage kann ich nur Unsinn sehen.

Sozialpolitik bedeutet in letzter Konsequenz Gewaltanwendung gegen diejenigen, die man zu entreichern gedenkt. Je näher Sozialpolitik an den Rand der Pleite rutscht, desto größer wird die Bereitschaft von Politikern zu immer brutaleren Übergriffen. Hermann Göring nun wahrlich kein ausgewiesener Philosemit bezeichnete noch 1938 eine mögliche physische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung als "überflüssig" und "barbarisch". Ein paar Jahre später fand er sie alternativlos. Ausschwitz war letztlich die einzige Möglichkeit, Staatsschulden zu streichen, ohne einen Default, also einen offiziellen Zahlungsausfall auf Staatsanleihen auszulösen und damit den Staat offen zahlungsunfähig zu machen. Denn spätestens seit der Zwangsumwandlung großer Vermögensteile 1938 ff. waren Juden eine der größten Gläubigergruppen des Deutschen Staates. Im Herbst/Winter 1941/42 stand das deutsche Reich, nach der 15%-Rentenerhöhung im Herbst mal wieder kurz vorm Bankrott, aber diesmal dem entgültigen...
Wann war noch mal genau die Wannseekonferenz?
Ohne Ausschwitz wäre die Deutsche Regierung im Winter 1941/1942 aus meiner Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit fertig (=zahlungsunfähig) gewesen. Die eigenen Reichen schon brutalst geschröpft (teilweise 90% auf Unternehmensgewinne, Sonderabgabe für Immobilienbesitzer usw.), das komplette heimische Sparvermögen über die Banken und Versicherungen defacto alles zwangsweise in Staatsanleihen angelegt, da war nix mehr zu holen. Ohne Ausschwitz hätte man entweder die Ausgaben brutal drosseln müssen, oder hätte die Spareinlagen der Mehrheitsbevölkerung entwerten müssen. Beides hätte man 1942 politisch nicht überlebt.
Apropos "Judenbuße" 1938. Da brauchte man dringend Geld um die SChulden aus den 1933 begebenen begebenen betrügerischen "Mefo"-Wechseln zu bedienen mit denen man die Arbeitsbeschaffungsprogramme finanziert hatte, die hatten nämlich 5 Jahre Laufzeit.
Man fing eigentlich vermeintlich ganz harmlos an, und wurde mit jeder notwendigen "Refinanzierungsrunde" brutaler und grausamer.



In der BRD ging das auch nur deswegen gut, weil Ludwig Erhard es seinerzeit geschafft hatte über die ersten 15 Jahre die Begehrlichkeiten halbwegs im Zaum und die Verschuldung gering zu halten. Spätestens seit Beginn der Finanzkrise habe ich immer mehr den Eindruck, dass inzwischen die Begehrlichkeiten wieder gefährlich aus dem Ruder laufen, weil irgendwie kaum noch jemand klar ist, dass nur verteilt werden kann, was vorher erwirtschaftet wurde, und ein Schlachten der Kühe, den Milchertrag senkt.

Nanna hat geschrieben: Insofern, was sollte ich hier zugeben? Ich bin für Sozialpolitik und ich bin auch dafür, die Wohlhabenden auf Abgaben zu verpflichten. In deiner Sichtweise scheine ich damit mehr oder weniger schon zu fordern, sie am nächsten Baum aufzuhängen und ihren Besitz zu verteilen. Und das ist halt Quatsch, was soll ich dazu mehr sagen?

Ich sehe in Leute wie dir eher den Zauberlehrling, der die Geister, die er ruft nicht unbedingt im Griff hat.

Nanna hat geschrieben:Du gehst ja manchmal anscheinend davon aus, dass man alles mögliche mit Zwang einfach mal so locker durchsetzen kann. Aber das stimmt nicht. Die Hegemonie (auch der Zwang) muss mit einer glaubwürdigen Geschichte versehen werden, einem Narrativ, das genug Menschen überzeugen kann, um dem Hegemon die eigene Loyalität zu schenken.

DAs ist das was ich doch die ganze Zeit sage. Herrschaft ist eine Veranstaltung von wenigen, die sich passive Loyalität hinreichend großer Gruppen erkaufen auf Kosten des verbleibenden Rests, und der großen Gruppen, soweit ihnen diese Kosten nicht einsichtig sind (beispielsweise das was ihnen über Geldkreisläufe indirekt entzogen wird).
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Zappa » Fr 7. Jun 2013, 19:21

provinzler hat geschrieben: Und ich muss übrigens diejenigen die gegen mich arbeiten auch noch selber bezahlen. Zynismus hoch drei in meinen Augen.

Vollkommen falsch, ohne "die Anderen" gäbe es kein Geld, keinen wirtschaftlichen Erfolg, also nichts, was man Dir armseligen Kreatur (oder "kleinem Prinz" - je nachdem was besser gefällt), wegnehmen könnte. Und letztendlich - da erzähl ich Dir sicher nichts Geheimnisvolles - beruht dein Vermögen auf den Schulden anderer Menschen.

provinzler hat geschrieben: In der BRD ging das auch nur deswegen gut, weil Ludwig Erhard es seinerzeit geschafft hatte über die ersten 15 Jahre die Begehrlichkeiten halbwegs im Zaum und die Verschuldung gering zu halten. Spätestens seit Beginn der Finanzkrise habe ich immer mehr den Eindruck, dass inzwischen die Begehrlichkeiten wieder gefährlich aus dem Ruder laufen, weil irgendwie kaum noch jemand klar ist, dass nur verteilt werden kann, was vorher erwirtschaftet wurde, und ein Schlachten der Kühe, den Milchertrag senkt.

Da kann ich Dir ein gutes Stück weit folgen, aber es ist halt immer ein Problem der sozialen Balance.

Das richtige Ausmaß der Staatsquote muss verhandelt werden, die Bürokratie sollte nur so groß wie nötig sein etc. Es ist sicher ein inhärentes Problem der parlamentarischen Demokratie in einem kapitalistischem Schuldgeldsystem, dass allzu viel Begehrlichkeiten im Austausch mit den Stimmen der Wahlberechtigten nachgegeben wird. Aber jedes politische System hat da letztendlich so seine Schwächen.
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Gandalf » Fr 7. Jun 2013, 20:39

Zappa hat geschrieben:
provinzler hat geschrieben: Und ich muss übrigens diejenigen die gegen mich arbeiten auch noch selber bezahlen. Zynismus hoch drei in meinen Augen.

Vollkommen falsch, ohne "die Anderen" gäbe es kein Geld, keinen wirtschaftlichen Erfolg, also nichts, was man Dir armseligen Kreatur (oder "kleinem Prinz" - je nachdem was besser gefällt), wegnehmen könnte.
.
[/quote]

:lachtot:

Geld wurde von den Produktiven im Rahmen der Arbeitsteilung erfunden. Also zum Tausch zwischen denjenigen die was (zu tauschen) haben. - Es was weder für Zappa noch für (Ab)Zocker gedacht. Wir brauchen Euch nicht.

Zappa hat geschrieben: Und letztendlich - da erzähl ich Dir sicher nichts Geheimnisvolles - beruht dein Vermögen auf den Schulden anderer Menschen.


Typisch für einen "monetary crank" ist die esoterisch verquaste Verwechselung von (Schein-/Schuld-/Falsch-)Geld mit Vermögen (z.B. eine bezahlte Werkstatt und Grundstücke "haben")

Dabei wäre es für jeden offensichtlich, wenn er seine ideologisch verfärbte Brille absetzen würde: Die Schuldgeldmenge der gottspielenden Geldfälscher und ihrer regierungsamtlichen Verbündeten im Sozialstaat wächst inflationär, während der Kapitalstock der Produktiven (das was jemand mit Kapital 'vermag'), also derjenigen, die die vollmundig gegeben Versprechen erarbeiten sollen, - schrumpft.

Eine Umverteilung von unten nach oben, die typisch für einen Sozialismus ist: Die politisch starken Nettostaatsprofiteure bereichern sich - die politsch schwachen Produktiven werden enteignet und geknechtet. Es hat sich seit Erfindung des Sozialismus auf Deutschem Boden nichts geändert - nur die Farben der Verpackung wechseln durch.

Sozialdemokratie als Wegbereiter: http://www.vorwaerts.de/artikel_archiv/ ... ismus.html
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Zappa » Fr 7. Jun 2013, 21:15

Gandalf hat geschrieben: Geld wurde von den Produktiven im Rahmen der Arbeitsteilung erfunden. Also zum Tausch zwischen denjenigen die was (zu tauschen) haben. - Es was weder für Zappa noch für (Ab)Zocker gedacht. Wir brauchen Euch nicht.

Ich gebe zu, ich bin schwach geworden und habe nach Monaten mal wieder einen Beitrag von Dir geöffnet, da ich hoffte, Du nähmest Bezug auf die inhaltlich guten Beiträge von @Nanna.

Jetzt weiß ich wieder, warum Du in meiner Ignorierliste bist und bleibst :mg:

Ich gehöre im Übrigen zu denen, die ziemlich gut verdienen - mit großer Wahrscheinlichkeit liegst auch Du mir auf der Tasche.
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon stine » So 9. Jun 2013, 16:25

stine hat geschrieben:Nur so am Rande: Das ist der bayrische Behördenwegweiser in alphabetischer Reihenfolge. Da sitzen also jene, die meine "Freiheit" gewährleisten. Und ich bezahle sie selbstverständlich alle freiwillig.
Nanna hat geschrieben:Du hast tatsächlich die Freiheit, für die Abschaffung dieser Behörden zu sprechen und zu votieren. ;-)

Ja, das darf ich wohl, weil wir so frei sind, offen reden zu dürfen. Aber helfen tut uns das auch nichts.
Die Flut von Gesetzen und Vorschriften die es in unserem hochzivilisierten Land gibt - und vielleicht auch geben muss - lassen nicht gerade auf einen mündigen, sich selbst verantwortlichen Bürger schließen. Wir sind frei innerhalb von Regeln wie der Schulpflicht, Ausweispflicht, An- und Ummeldepflicht, Steuerpflicht, Fürsorgepflicht, diverser Pflichtversicherungen, bis hin zur Fahrradhelmpflicht, der Gurtpflicht usw usf.
Die Naturschutzbehörde schreibt mir vor, wie ich meinen Garten zu bestellen habe, ich muss mit Strafen rechnen, wenn ich die falschen Äste vom Baum schneide, wenn mein Auto falsch parkt oder ich zu schnell in die Baustelle fahre uvm.
Klar, das alles bewirkt, dass sich jedermann mehr oder weniger ordentlich verhält, aber wenn es diese Regeln nicht gäbe, wären wir dann alle außer Rand und Band? Und worin besteht denn jetzt letztlich unsere "Freiheit" noch?

LG stine
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Nanna » So 9. Jun 2013, 16:42

Die Frage ist letztlich, wie viel Risiko du bereit wärst, für eine (von Vorschriften) freiere Gesellschaft auf dich zu nehmen und, noch wichtiger, auch anderen zuzumuten.

Und was du den Eltern des schwerverletzten Kindes sagst, das von einem alkoholisierten, unversicherten, unangeschnallten Fahrer in einer Baustelle zusammengefahren wurde - und leider nicht das Geld hat, Schadensersatz für die Gesundheitskosten zu zahlen, die du auch du selbst nicht aufbringen kannst.
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon ujmp » So 9. Jun 2013, 17:05

stine hat geschrieben:Klar, das alles bewirkt, dass sich jedermann mehr oder weniger ordentlich verhält, aber wenn es diese Regeln nicht gäbe, wären wir dann alle außer Rand und Band? Und worin besteht denn jetzt letztlich unsere "Freiheit" noch?

Hm, du bist doch diejenige, die ständig den Teufel an die Wand malt, wenn es darum geht, auf Religion zu verzichten, weil dann deiner Meinung nach alle Regeln gebrochen werden würden. Nu kritisierst du Regeln, die nich religiös begründet werden weil sie dich "unfrei" machen. Na, was'n nu?
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon stine » So 9. Jun 2013, 17:58

Meine Idealvorstellung wäre, dass sich Menschen von sich aus ordentlich, rücksichtsvoll und klug verhalten, weil sie es von klein auf so gelernt haben. Sie bräuchten keine Strafen, weil sie sich sowieso (meistens) korrekt verhalten.
Nur weil sich viele dumm und rücksichtslos verhalten, werden alle anderen auch in die Zwangsjacke gesteckt. Das ist es, was sauer aufstößt.

LG stine
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Re: Pro & Contra: Banken

Beitragvon Nanna » So 9. Jun 2013, 18:14

Es ist nicht nur die Rücksichtslosigkeit allein. Wenn alle deine Definitionen von "ordentlich", "rücksichtsvoll" und "klug" teilen würden, wäre deine Idealwelt ja problemlos möglich. Nur ganz abgesehen von wirklich asozialem Verhalten haben wir alle unterschiedliche Persönlichkeiten, Interessen, Vorurteile (das mit den Vorurteilen ist erkenntnistheoretisch eine deutlich härtere Nuss als die häufig verwendete Alltagsphrase von der "Vorurteilsfreiheit" impliziert, es geht nämlich nicht ganz so einfach mit dem Objektivieren), Fähigkeiten, Intelligenz, Risikobereitschaft, Kommunikationsgewohnheiten und all das führt dazu, dass jeder sich eine ganz andere Welt wünscht.
Wir sind aber hier zusammengepackt auf diesem Steinball mitten im Universum und müssen irgendwie miteinander auskommen, auch wenn jeder etwas anderes meint, wenn er/sie "ordentlich" sagt. Anarchismus, Kommunismus, Libertarismus, Islamismus, all diese Utopien teilen die eine ganz banale Grundannahme, nämlich, dass die Welt ein wunderbarer Ort wäre, wenn, ja wenn nur, alle dieselben Prinzipien auf dieselbe Weise akzeptieren, leben und ehren würden. Klar, wenn jeder das ideale Verhalten internalisiert hätte, gäbe es keine Konflikte mehr. Wenn's dann mal irgendwo versucht wird, geht - berechtigterweise - ein Aufschrei durch die Welt, der von Totalitarismus, Gedankenkontrolle und Tugendterror spricht.

Der einzige bekannte Mechanismus, der mit diesen Widersprüchlichkeiten einigermaßen umgehen kann, ist bislang der demokratische Rechtsstaat, wo man sich zusammen hinsetzt, Regeln aushandelt, festschreibt und dann einhält, bis man sie durch neue ersetzt. Schönheit und Eleganz, selbst Effizienz sucht man da vergeblich, ist mir schon klar, aber Alternativen, die zumindest genug Realitätstauglichkeit vorweisen, dass man sie mal ausprobieren könnte, scheinen ja auch keinem so recht einzufallen. Man kann das beklagen, sicherlich, oder versuchen, sich ein bisschen Milde gegenüber der Welt anzutrainieren. Ist wahrscheinlich langfristig besser für's Herz, wörtlich und im übertragenen Sinne.
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