Gleichheitssucht und Freiheitsangst
Verfasst: Mi 12. Mär 2014, 13:05
Gleichheitssucht und Freiheitsangst (von Götz Aly)
Neidgetriebene Menschen sprechen ausgiebig von eigener Benachteiligung, fürchten die Freiheit und neigen zum Egalitarismus. Sie, die andere verächtlich machen, sehen sich als die Schwachen und bevorzugen den Schutz der Gruppe Ähnlichfühlender. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die so ansteckende Parole der Französischen Revolution, nahmen die deutschen Vorkämpfer des demokratischen Fortschritts eigentümlich verdreht auf. Mit der in Frankreich an erster Stelle genannten Freiheit wusste die deutlich weniger anzufangen als mit der Idee der Gleichheit. Später brachte die Deutschen die wichtigsten Theoretiker des Kommunismus und des Sozialismus hervor, sie erfanden die Systeme der Sozialversicherungen, den nationalen Sozialismus Hitlers, die in der DDR beschworene Einheit von Wirtschafts- und Sozilapolitik und die in der Bundesrepublik gepflegte soziale Marktwirtschaft. Deutsche verstümmelten den Begriff der Gesellschaft zum Synonym für Staat und erkoren sich diesen zum „Vater Staat“.
Im Sinne von 1789 bezeichnete Egalité jedoch nicht mehr und nicht weniger als die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Nicht Antisemiten, sondern die überwältigende Mehrheit der Deutschen reduzierten das so wertvolle Prinzip zur Unkenntlichkeit. Sie machten daraus von Staatswegen zu garantierende materielle Gerechtigkeit. Fortan riefen die bei jeder Gelegenheit: „Ungerecht! Wir fordern auch unseren Platz an der Sonne!“ und badeten in den Gefühl der ewig Zukurzgekommenen. Je mehr sich die so verstandene Gleichheit im allgemeine Bewusstsein einnistete, desto ausgeprägter wurde der Differenzaffekt (Arnold Zweig), die Abstoßung nicht gleicher Gruppen, zumal dann, wenn diese Schnelligkeit, Witz, Klugheit und Erfolg auszeichneten. Polar ergänzend gesellt sich zum Differenzaffekt der Zentralitätsaffekt, „die Überbetonung und Wichtigkeit der eigenen Gruppe“.
Zur missverstandenen Gleichheit fügten deutsche Nationalrevolutionäre seit Anbeginn ihr merkwürdig kollektivistisches Verständnis von Freiheit. Schon den Krieg gegen die napoleonische Besatzung nannten sie Freiheitskrieg. Das heißt, viele von ihnen fassten Freiheit nicht als individuelle Möglichkeit, als Ansporn für jeden Einzelnen auf, sondern als Abgrenzungsbegriff, gerichtet gegen tatsächliche oder vermeintliche Feinde. Auf dieser mentalitätsgeschichtlichen Basis veröffentlichte Richard Wagner sein Pamphlet „Das Judentum in der Musik“ 1850 unter dem Pseudonym K. Freigedank; 1912 benutzte der alldeutsche Antisemit Heinrich Claß das Pseudonym Daniel Frymann. Hitler bezeichnete sein politisches Zerstörungswerk früh als „Freiheitsbewegung“ gegen die Fesseln des Versailler Friedensdiktats von 1919. Im Sommer 1922 stellte der spätere Reichskanzler eine grobschlächtige antisemitische Hetzrede unter die Überschrift „Freistaat oder Sklaventum?“. Die Parteizeitung, die der junge Joseph Goebbels 1924 im Ruhrgebiet redigierte, hieß Völkische Freiheit, Ende 1926 gründete er in Berlin den Nationalsozialistischen Freiheitsbund. Von derart definierter gelangten Deutsche Beamte auf direktem Weg zu dem Verwaltungsbegriff „judenfrei“. Hitlers Kriegsreden erschienen unter dem Titel „Der großdeutsche Freiheitskampf“. Die politischen Ziele hießen „Wehrfreiheit“, „Nahrungsfreiheit“ und „Raumfreiheit“, mit anderen Wort: Krieg, Massenmord, Herrschaft über die Kornkammer Ukraine und über solche Länder, die über wichtige Rohstoffe verfügten.
Um 1880 offenbarte die erstarkende antisemitische Bewegung einerseits das Ressentiment gegen Juden, andererseits das noch immer nachwirkende politische Elend der Deutschen: ihre Angst vor Freiheit und eigener Courage, ihre Neigung, das eigene Versagen anderen anzulasten. Der Neidhammel sucht den Sündenbock. Zumal in Krisenzeiten verbanden sie mit Freiheit das Gefühl das Gefühl von Unbequemlichkeit, Ungewissheit und Überforderung, während ihnen Gleichheit, gemütliche Geborgenheit, Daseinsvorsorge und minimiertes individuelles Risiko bedeutete. Das verhindert das politische Erwachsenwerden. Im Schatten der Gemeinschaftswerte verkümmerte die Freiheit. Die Begriffe Gleichheit, Neid und Freiheitsangst ermöglichen es, die Eigenart des deutschen Antisemitismus zu erkennen.
(Götz Aly, Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 – 1933, S.Fischer TB, 2012)
Das spricht für sich, ich will nur darauf hinweisen, in welcher Tradition die großtönenden Hüter der Freiheit zuweilen stehen. Es geht mir hier nicht um die Nazikeule, sondern um die kleingeistige Verkniffenheit, den heimlichen Neid und das latente Gefühl der Bedrohung (durch „Überfremdung“ und „eine linksradikale Medienmafia“), dass die Verkünder der rechten bis rechtsextremen diversen neuen Freiheiten wohl weit stärker auch heute noch umtreibt, als sie selber ahnen.
Doch die im ersten Teil angeprangerte Verherrlichung des Sozialen, mitunter zu versuchter wirklicher Gleichmacherei und einem folgenden „Tugendfuror“ (Gauck), kann man ebenfalls kritisieren und ich glaube, dass ein reifes Individuum am besten in die Lage versetzt ist, diese beiden Bewegungen auszubalancieren.
Das allzu Konventionelle, Kitschige und der Sicherheitsfetisch der deutschen Spießer, ist eine Konstante die schon 1913 den hochbegabten (okkulten) Schriftsteller und Satiriker Gustav Meyrink ( https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Meyrink ) zu dem Buchtitel Des deutschen Spießers Wunderhorn inspirierte und die Unabhängig vom politischen Lager ist. Die allzu bequeme Selbstgerechtigkeit ist ein zutiefst unsympathischer Affekt linker Gutmenschen, die meinen mit dem Rückgriff auf „Antifaschismus“ könne man nun alles rechtfertigen, inzwischen hat man dazugelernt.
Und obendrein finde ich Gemütlichkeit auch einen wichtigen Aspekt des Lebens. Kitsch ist gefährlich und schön. Das Behagliche sollte Teil des Lebens sein, ein (eher privater) Rückzugsraum, ein Refugium, aber wo das gänzlich fehlt – auf welche Art auch immer – wir die Wohnung zum Ausstellungsraum, wird auf Privatheit verzichtet, statt sie vehement zu verteidigen.
Das alles sind Aspekte, die für mich in das Thema hineinragen. Ich bin, wie Du vermutlich auch, überhaupt kein Freund des Konventionellen, habe es aber inzwischen geschafft meine Verachtung in eine echte Einsicht in die Notwendigkeit zu verändern und muss und kann zugeben, dass das Gefühl eines zumindest zwischenzeitlichen (wo und wie kann man sich aussuchen) Dazugehörens auch nicht schlecht ist und ich glaube, wenn man die Bewegungen selbst bestimmt und merkt wo man eintauchen kann und wo man sich stillschweigend oder laut widersprechend distanziert, ist viel gewonnen.
So, ich hoffe das taugt für einen lebendigen Thread, das Thema ist ja durchaus vielschichtig.
Neidgetriebene Menschen sprechen ausgiebig von eigener Benachteiligung, fürchten die Freiheit und neigen zum Egalitarismus. Sie, die andere verächtlich machen, sehen sich als die Schwachen und bevorzugen den Schutz der Gruppe Ähnlichfühlender. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die so ansteckende Parole der Französischen Revolution, nahmen die deutschen Vorkämpfer des demokratischen Fortschritts eigentümlich verdreht auf. Mit der in Frankreich an erster Stelle genannten Freiheit wusste die deutlich weniger anzufangen als mit der Idee der Gleichheit. Später brachte die Deutschen die wichtigsten Theoretiker des Kommunismus und des Sozialismus hervor, sie erfanden die Systeme der Sozialversicherungen, den nationalen Sozialismus Hitlers, die in der DDR beschworene Einheit von Wirtschafts- und Sozilapolitik und die in der Bundesrepublik gepflegte soziale Marktwirtschaft. Deutsche verstümmelten den Begriff der Gesellschaft zum Synonym für Staat und erkoren sich diesen zum „Vater Staat“.
Im Sinne von 1789 bezeichnete Egalité jedoch nicht mehr und nicht weniger als die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Nicht Antisemiten, sondern die überwältigende Mehrheit der Deutschen reduzierten das so wertvolle Prinzip zur Unkenntlichkeit. Sie machten daraus von Staatswegen zu garantierende materielle Gerechtigkeit. Fortan riefen die bei jeder Gelegenheit: „Ungerecht! Wir fordern auch unseren Platz an der Sonne!“ und badeten in den Gefühl der ewig Zukurzgekommenen. Je mehr sich die so verstandene Gleichheit im allgemeine Bewusstsein einnistete, desto ausgeprägter wurde der Differenzaffekt (Arnold Zweig), die Abstoßung nicht gleicher Gruppen, zumal dann, wenn diese Schnelligkeit, Witz, Klugheit und Erfolg auszeichneten. Polar ergänzend gesellt sich zum Differenzaffekt der Zentralitätsaffekt, „die Überbetonung und Wichtigkeit der eigenen Gruppe“.
Zur missverstandenen Gleichheit fügten deutsche Nationalrevolutionäre seit Anbeginn ihr merkwürdig kollektivistisches Verständnis von Freiheit. Schon den Krieg gegen die napoleonische Besatzung nannten sie Freiheitskrieg. Das heißt, viele von ihnen fassten Freiheit nicht als individuelle Möglichkeit, als Ansporn für jeden Einzelnen auf, sondern als Abgrenzungsbegriff, gerichtet gegen tatsächliche oder vermeintliche Feinde. Auf dieser mentalitätsgeschichtlichen Basis veröffentlichte Richard Wagner sein Pamphlet „Das Judentum in der Musik“ 1850 unter dem Pseudonym K. Freigedank; 1912 benutzte der alldeutsche Antisemit Heinrich Claß das Pseudonym Daniel Frymann. Hitler bezeichnete sein politisches Zerstörungswerk früh als „Freiheitsbewegung“ gegen die Fesseln des Versailler Friedensdiktats von 1919. Im Sommer 1922 stellte der spätere Reichskanzler eine grobschlächtige antisemitische Hetzrede unter die Überschrift „Freistaat oder Sklaventum?“. Die Parteizeitung, die der junge Joseph Goebbels 1924 im Ruhrgebiet redigierte, hieß Völkische Freiheit, Ende 1926 gründete er in Berlin den Nationalsozialistischen Freiheitsbund. Von derart definierter gelangten Deutsche Beamte auf direktem Weg zu dem Verwaltungsbegriff „judenfrei“. Hitlers Kriegsreden erschienen unter dem Titel „Der großdeutsche Freiheitskampf“. Die politischen Ziele hießen „Wehrfreiheit“, „Nahrungsfreiheit“ und „Raumfreiheit“, mit anderen Wort: Krieg, Massenmord, Herrschaft über die Kornkammer Ukraine und über solche Länder, die über wichtige Rohstoffe verfügten.
Um 1880 offenbarte die erstarkende antisemitische Bewegung einerseits das Ressentiment gegen Juden, andererseits das noch immer nachwirkende politische Elend der Deutschen: ihre Angst vor Freiheit und eigener Courage, ihre Neigung, das eigene Versagen anderen anzulasten. Der Neidhammel sucht den Sündenbock. Zumal in Krisenzeiten verbanden sie mit Freiheit das Gefühl das Gefühl von Unbequemlichkeit, Ungewissheit und Überforderung, während ihnen Gleichheit, gemütliche Geborgenheit, Daseinsvorsorge und minimiertes individuelles Risiko bedeutete. Das verhindert das politische Erwachsenwerden. Im Schatten der Gemeinschaftswerte verkümmerte die Freiheit. Die Begriffe Gleichheit, Neid und Freiheitsangst ermöglichen es, die Eigenart des deutschen Antisemitismus zu erkennen.
(Götz Aly, Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 – 1933, S.Fischer TB, 2012)
Das spricht für sich, ich will nur darauf hinweisen, in welcher Tradition die großtönenden Hüter der Freiheit zuweilen stehen. Es geht mir hier nicht um die Nazikeule, sondern um die kleingeistige Verkniffenheit, den heimlichen Neid und das latente Gefühl der Bedrohung (durch „Überfremdung“ und „eine linksradikale Medienmafia“), dass die Verkünder der rechten bis rechtsextremen diversen neuen Freiheiten wohl weit stärker auch heute noch umtreibt, als sie selber ahnen.
Doch die im ersten Teil angeprangerte Verherrlichung des Sozialen, mitunter zu versuchter wirklicher Gleichmacherei und einem folgenden „Tugendfuror“ (Gauck), kann man ebenfalls kritisieren und ich glaube, dass ein reifes Individuum am besten in die Lage versetzt ist, diese beiden Bewegungen auszubalancieren.
Das allzu Konventionelle, Kitschige und der Sicherheitsfetisch der deutschen Spießer, ist eine Konstante die schon 1913 den hochbegabten (okkulten) Schriftsteller und Satiriker Gustav Meyrink ( https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Meyrink ) zu dem Buchtitel Des deutschen Spießers Wunderhorn inspirierte und die Unabhängig vom politischen Lager ist. Die allzu bequeme Selbstgerechtigkeit ist ein zutiefst unsympathischer Affekt linker Gutmenschen, die meinen mit dem Rückgriff auf „Antifaschismus“ könne man nun alles rechtfertigen, inzwischen hat man dazugelernt.
Und obendrein finde ich Gemütlichkeit auch einen wichtigen Aspekt des Lebens. Kitsch ist gefährlich und schön. Das Behagliche sollte Teil des Lebens sein, ein (eher privater) Rückzugsraum, ein Refugium, aber wo das gänzlich fehlt – auf welche Art auch immer – wir die Wohnung zum Ausstellungsraum, wird auf Privatheit verzichtet, statt sie vehement zu verteidigen.
Das alles sind Aspekte, die für mich in das Thema hineinragen. Ich bin, wie Du vermutlich auch, überhaupt kein Freund des Konventionellen, habe es aber inzwischen geschafft meine Verachtung in eine echte Einsicht in die Notwendigkeit zu verändern und muss und kann zugeben, dass das Gefühl eines zumindest zwischenzeitlichen (wo und wie kann man sich aussuchen) Dazugehörens auch nicht schlecht ist und ich glaube, wenn man die Bewegungen selbst bestimmt und merkt wo man eintauchen kann und wo man sich stillschweigend oder laut widersprechend distanziert, ist viel gewonnen.
So, ich hoffe das taugt für einen lebendigen Thread, das Thema ist ja durchaus vielschichtig.