provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Darüberhinaus wird permanente Ortbarkeit in den nächsten Jahrzehnten im Rahmen der zunehmenden Vernetzung eine Selbstverständlichkeit werden, da wird es immer weniger opt-out-Möglichkeiten geben
Stasi und Gestapo würden blass vor Neid. Der totale Kontrollstaat. Willst du das ernsthaft?
Wer sagt denn, dass der Staat jederzeit und unter allen Umständen auf die Daten Zugriff haben sollte/wird? Jeder Computer ist per IP im Internet recht eindeutig identifizierbar, nichtsdestotrotz weiß im Prinzip erst mal nur dein Provider, und auch das nur sehr theoretisch, weil das keiner konkret ansieht, was du für Inhalte empfängst und sendest. Ja, ich weiß, die NSA usw., aber trotzdem: Man ist im Internet zumindest in den westlichen Ländern eigentlich recht unüberwacht unterwegs. Kein deutsches Staatsorgan liest deine Emails, hört deine Skype-Telefonate an, wahrscheinlich hat selbst dieses Forum noch nie eine SIcherheitsbehörde durchgeblättert, obwohl alles offen zugänglich ist.
Genauso wie heute eher Google und facebook den Überblick haben, also Privatunternehmen, und
nicht der Staat, werden in Zukunft wahrscheinlich VW, GM, Toyota und wer halt den Strukturwandel hin zu vollautomatischen Eletkroautos überlebt, das umfassende Wissen darüber haben, wer wo gerade unterwegs ist und dieses Wissen nicht automatisch mit jedem teilen, der es gern hätte.
(
http://xkcd.com/792/ )
provinzler hat geschrieben:Ich mein, bei Banken is das ja noch relativ einfach. Ich kann meine Kohle auf mehrere Banken in mehreren Ländern verteilen. Dann weiß nur noch der zuständige Finanzbeamte alles. Wenn ich genug hab, kann ich auch das umgehen, indem ich das alles auf 1000 verschiedene Briefkasten-GmbHs weltweit verteile, die am jeweiligen Ort versteuern. Mühsam, aber möglich. Aber ehrlich gesagt, finde ich diese permanente Überwachung ziemlich bedenklich.
Bedenklich im Sinne davon, dass man darüber nachdenken sollte, ist sie auf jeden Fall. Aber du siehst halt auch nur die Missbrauchsmöglichkeiten. Das ist eine Sichtweise, mit der man jede Axt zur Lebensgefahr erklären kann (und in der Tat sind die Hauptwaffen in vielen bewaffneten Konflikten und Massakern Zentralafrikas Macheten zu 20 ct das Stück).
Die Welt wächst halt zusammen, das ist eine weitgehend zwangsläufige Folge der Globalisierung und des technischen Fortschritts, den ironischerweise gerade dein verehrter freier Markt hervorgebracht hat. Das Internet wird nicht ganz ohne Grund als eine Art planetares Superhirn bezeichnet, in dem wir das Äquivalent zu den Neuronen sind (auch wenn das Bild natürlich in vielerlei Hinsicht schief ist). Je enger alles getaktet ist, je mehr Maschinen und Menschen in großer Zahl aufeinander abgestimmt werden müssen, je mehr Fähigkeiten automatisiert werden können, desto größer ist der Bedarf nach umfassenden Synchronisationslösungen. Es wäre hirnrissig, in 40 Jahren in Ballungsräumen oder auf Autobahnen noch manuell gesteuerte Fahrzeuge zuzulassen, weil die autonomen Fahrzeuge dann sparsamer, sicherer, dichter, ausdauernder, bedarfsgerechter und bei Bedarf sogar schneller als menschliche Fahrer fahren können, die wiederum Zeit für private oder geschäftliche Zwecke hinzuerhalten. Dass damit ein Kontrollverlust in Bezug auf Ort- und Verfolgbarkeit wie auch hinsichtlich des "Fahrspaßes" einhergeht, ist die Kehrseite, die ich gar nicht leugne. Damit werden wir einen rechtlichen und gesellschaftlichen Umgang finden müssen, der größtmögliche Autonomie sichert (und ja, ich habe dafür auch keine Masterlösung).
provinzler hat geschrieben:Aber schon klar, wer immer brav tut, was der Führer will, und nix zu verbergen hat, hat ja nix zu befürchten
Der Zivilisationsstress, der in technisierten Massengesellschaften entsteht, hat nichts mit einem Führer zu tun. Die Verhältnisse ändern sich halt und damit stellt sich auch die Frage nach einer Neuinterpretation des Selbstbestimmungsbegriffs. Mir persönlich macht eigentlich das Szenario einer "weichen Steuerung" von Menschen durch digitale Assistenzdienste, die ihnen laufend Vorschläge machen, was sie tun sollen, mehr Sorge, weil man sich dem viel schwerer entziehen kann. Andererseits empfinde ich es nicht als Verlust von Selbstbestimmung, wenn mein Auto von selbst fährt und irgendwelche Server das auch wissen, so lange ich ungehindert da hin fahren kann, wo ich hin will. Und wenn dann irgendwann meine minderjährigen Kinderauf diese Weise ihre greise Oma besuchen fahren können, ohne dass ich notwendigerweise dabei sein muss, ist das doch richtig klasse.
provinzler hat geschrieben:Was im Übrigen auch heißt, dass es mit dem Rückzug ins Private auch entgültig und für alle Zeiten vorbei ist. Einzige Option ist demnach der zynische Opportunismus, gut zu wissen...
Du wirst auf einem Planeten mit 10 Milliarden Einwohnern, lückenloser Satellitenbeobachtung und vernetzten Geräten vom Auto bis zum Toaster in der Tat ziemlich weit laufen müssen, um allein auf weiter Flur zu sein, ja. Das ist aber keine Folge staatlichen Überwachungsdrangs (der Staat hat alleine gar nicht die Innovations- und Überzeugungskraft, um das anzustoßen, umzusetzen und den Verlauf zu kontrollieren), sondern eine Folge der rapide anwachsenden Interdependenzen zwischen Einzelpersonen, Gruppen, Firmen, Staaten, Maschinen usw. Ich behaupte übrigens, dass wir da als Menschheit nach wie vor am Anfang der Story stehen, wir sind ja erdgeschichtlich gerade erst aus der Wiege der Zivilisation gekrochen. Ich sehe das insofern recht gelassen. Wir haben die neolithische Revolution gemeistert, die philosophischen und politischen Umwälzungen der Achsenzeit überlebt, die Renaissance, Aufklärung und industrielle Revolution hinter uns gebracht und stecken jetzt gerade mitten in der Digitalen Revolution.
Zynischer Opportunismus ist
eine Option, damit umzugehen, nicht die einzige. Ich habe trotz jungen Alters den Fall des Kommunismus, einen Jahrtausendwechsel und eine der größten Wirtschaftskrisen der letzten hundert Jahre erlebt und werde mit etwas Glück vielleicht die Landung des 1. Menschen auf dem Mars, den letzten konventionellen Krieg der Menschheit, die Automatisierung des Straßenverkehrs, die Abschaltung des letzten Kohlekraftwerks in Deutschland, die Vollendung der Einheit Europas und wer weiß was noch alles miterleben. Ich find's superspannend und ich vertraue bei allen Problemen der Menschheit auf unsere Fähigkeit, dass wir auch diese Umwälzungen zu einem guten Ende bringen.