Phase II

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Phase II

Beitragvon Klaus » Do 11. Jan 2007, 20:13

Hans-Arthur Marsiske 03.12.2006
Die Menschheit auf dem Weg ins All
Wer in den Weltraum will, muss schnell sein. Mindestens 7,9 Kilometer pro Sekunde sind erforderlich, um nach dem Start nicht wieder auf die Erde zurück zu fallen. Die derzeit existierenden Systeme für bemannte Flüge - die russische Sojus, der US-amerikanische Space Shuttle und die chinesische Shenzhou - erreichen diese "erste kosmische Geschwindigkeit" in gut acht Minuten. Insbesondere im Space Shuttle ist es dabei anfangs ziemlich ungemütlich, weil die Feststoffraketen unregelmäßig abbrennen. "Alles an Bord wird gnadenlos durchgeschüttelt", berichtet der Astronaut Ulrich Walter. "Es ist ein Ritt wie mit 100 Sachen über Kopfsteinpflaster." Während der stärksten Beschleunigungsphase müssen die Insassen zeitweise das Dreifache der Erdgravitation aushalten - werden dann aber mit dem faszinierenden Erlebnis der Schwerelosigkeit und einem fantastischen Ausblick auf ihren Heimatplaneten belohnt.

Wer die Erde aus größerer Distanz sehen will, muss noch weiter beschleunigen. Bei 11,2 Kilometer pro Sekunde erreicht man die zweite kosmische Geschwindigkeit und kann das Schwerefeld der Erde verlassen. Die dritte kosmische Geschwindigkeit überwindet mit 42,1 km/sek die Schwerkraft der Sonne. Und die vierte, zum Verlassen der Milchstraße, beträgt 129 km/sek. Dabei ist allerdings das Tempo der Sonne auf ihrem Weg ums Zentrum der Galaxis schon berücksichtigt.


Die Erde von der ISS aus gesehen. Bild: NASA

Interessanterweise gibt es für das Konzept der kosmischen Geschwindigkeiten (1) im englischen Sprachraum keine Entsprechung. Dort ist von "orbital speed" die Rede, von "escape velocity", "transfer orbits", "trajectories" - Begriffe, die sich auf die jeweiligen unmittelbaren Zielsetzungen beziehen. Die aus dem Russischen stammende Klassifikation ist dagegen klarer und vor allem offen. Sie lässt sogar die Möglichkeit einer fünften kosmischen Geschwindigkeit zu, auch wenn wir uns derzeit nicht vorstellen können, welches Gravitationsfeld damit überwunden werden könnte. Das des Universums selbst?

Kulturelle Beschleunigung

Um kosmische Geschwindigkeiten technologisch realisieren zu können, ist jedoch noch eine andere, schwerer fassbare Beschleunigung erforderlich. Sie findet im kulturellen Bereich statt. Jeder kennt das Phänomen des immer schnelleren Wandels, des immer rascher alternden Wissens. Gerade hat man die rätselhafte Gebrauchsanleitung des neuen technischen Geräts endlich verstanden, da ist sie auch schon wieder überholt. Aber was für eine Kraft steckt hinter dieser kulturellen Beschleunigung? Lässt sie sich quantifizieren? Gibt es markante Schwellenwerte ähnlich den kosmischen Geschwindigkeiten?

Ausgangspunkt dieses Beschleunigungsprozesses dürfte die Entstehung der ersten dauerhaften menschlichen Siedlungen vor etwa 10.000 Jahren sein. Während die Menschen bis dahin den Rhythmen der Natur gefolgt waren, waren sie von nun an mehr und mehr darum bemüht, natürliche Prozesse ihrem Willen und ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Das verbesserte ihre Überlebenschancen und führte zu einem Anstieg der Bevölkerungszahlen, der wiederum effektivere Kontrolltechniken erforderlich machte.

Bald reichten die traditionellen, mündlichen Kommunikationsformen nicht mehr aus, um die wachsenden Siedlungen zu verwalten. Schriftsysteme entstanden und erweiterten erheblich die Möglichkeiten Raum und Zeit übergreifender Kommunikation. Erstmals konnte das Wissen von Generation zu Generation wachsen. Dabei wandelte es zugleich seinen Charakter: Die schriftliche Datenverarbeitung ist eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung wissenschaftlichen Denkens.

Einen weiteren Entwicklungsschub erhielt die Wissenschaft durch die Druckerpresse, die die Kommunikationskanäle noch einmal um ein Vielfaches erweiterte. In der Tat zeigt sich jetzt immer deutlicher, dass die Kommunikation im Zentrum des kulturellen Beschleunigungsprozesses steht. Die zwischen den Menschen über Raum und Zeit ausgetauschten Informationsmengen werden sich zwar kaum jemals exakt quantifizieren lassen. Konzeptuell bietet sich hier aber ein Ansatzpunkt, diese Beschleunigung zu begreifen.

Mitte des 20. Jahrhunderts erreicht die Schriftkultur schließlich ihren Höhepunkt. Innerhalb kurzer Zeit gelingen die Freisetzung der Kernenergie und die Überwindung der Erdgravitation. Beides sind Technologien, die zwar mithilfe schriftlicher Datenverarbeitung konzipiert werden konnten, für deren kontrollierten Betrieb und Weiterentwicklung aber neue Medien erforderlich sind. Dieses Medium, der digitale Computer, entsteht ebenfalls fast zur gleichen Zeit. Es ist eine Situation vergleichbar der bei der Zähmung des Feuers vor vielleicht einer Million Jahren: Die ersten brennenden Holzscheite mögen unsere Vorfahren noch weitgehend sprachlos zusammengeschoben haben. Der dauerhafte, kontrollierte Gebrauch des Feuers wie auch die Weitergabe des Wissens sind jedoch ohne Sprache schwer vorstellbar.


Auf dem Gipfel der Schriftkultur vollendet sich nun auch das Zeitalter des Feuers. Im Lauf der Jahrhunderttausende sind wir zu regelrechten Flammenvirtuosen geworden, die den Prozess der chemischen Verbrennung minutiös kontrollieren und im Computer mittlerweile erstaunlich realistisch nachbilden können. Viel Spielraum für weitere Optimierungen ist jedoch nicht mehr vorhanden. Die Kraft des Feuers hat es uns ermöglicht, die Erdschwerkraft zu überwinden. Sie wird jedoch nicht reichen, um uns außerhalb der Erde dauerhaft einzurichten.

Wir sind am bislang bedeutendsten Wendepunkt unserer Geschichte angelangt, dem Abschluss des ersten Kapitels der Menschheitsgeschichte. Allerdings wissen wir nicht, aus wie vielen Kapiteln diese Geschichte insgesamt besteht. Es könnte auch das einzige sein.

Dann wäre es die Geschichte einer Zivilisation, die lernte, das Feuer zu beherrschen, und diese Technologie bis zur Perfektion entwickelte. Schließlich ebnete die Kraft des Feuers sogar den Weg ins All. Doch dieses Erlebnis kollektiver Kraftentfaltung schockierte die Menschen so sehr, dass sie das Gleichgewicht verloren. Angesichts der durch die kulturelle Beschleunigung akkumulierten Energie, die sich nun unkontrolliert entlud, war das fatal. Man hat nie wieder von ihnen gehört.

Nukleares Lagerfeuer

Es könnte aber auch ein zweites Kapitel beginnen, in dem die Menschen lernen, die ihnen zugewachsenen Kräfte zu beherrschen, und sich in ihrem heimatlichen Sonnensystem einrichten, wie sie es zuvor auf ihrem Heimatplaneten getan haben. Die kulturelle Beschleunigung bekäme dann ein Ziel, sie diente der Vorbereitung zum großen Sprung. Wohin könnte der führen? Bei der Beantwortung dieser Frage kann eine weitere Klassifikation helfen. Der Einteilung der kosmischen Geschwindigkeiten nicht unähnlich, stammt sie ebenfalls von einem Russen.

Der Astrophysiker Nikolai S. Kardaschew beschäftigte sich Mitte der sechziger Jahre mit der technischen Möglichkeit interstellarer Kommunikation und kam rasch darauf, dass es eine Frage der verfügbaren Energie sei. Ausgehend vom damaligen Energieverbrauch der Menschheit und unter der Annahme eines jährlichen Zuwachses von lediglich einem Prozent kam er zum Ergebnis, dass in 3.200 Jahren ein Niveau erreicht wäre, das der gesamten Energieabgabe der Sonne entspräche. Bei weiterhin wachsendem Energiebedarf wäre in 5.800 Jahren sogar der Output von 100 Milliarden sonnenähnlicher Sterne, also der gesamten Milchstraße, erreicht. Das brachte Kardaschew dazu, drei Zivilisationstypen (2) zu unterscheiden:
* Typ I: Nutzt die Ressourcen des Heimatplaneten
* Typ II: Nutzt die Ressourcen des Heimatsterns
* Typ III: Nutzt die Ressourcen der Heimatgalaxie

Befinden wir uns demnach im Übergang zu einer Zivilisation des Typs II? Es würde bedeuten, dass wir das chemische Feuer als Fluchtpunkt aufgeben und uns mehr und mehr um die Sonne als unser neues nukleares Lagerfeuer scharen.

Beim chemischen Feuer haben die meisten Völker irgendwann die Fähigkeit entwickelt, es selbst zu entfachen. Brauchen wir diese Fähigkeit auch beim nuklearen Feuer? Auf der Erde wahrscheinlich nicht, die hier einstrahlende Sonnenenergie übersteigt den derzeitigen Bedarf um das etwa 8.000-fache. Im All dagegen stellt sich die Frage neu. In entlegeneren Regionen des Sonnensystems kann die Nutzung der Sonnenenergie schwierig oder auch unmöglich sein. Zugleich stellen sich die Risiken der Kernenergie anders dar, wenn keine Atmosphäre die radioaktiven Stoffe verteilen kann und die Umgebung ohnehin durch Strahlung belastet ist.

Gleichwohl wird die Sonne immer die Energiequelle erster Wahl sein. Wenn die Menschen sich nach und nach im All ansiedeln, werden sie daher Regionen in einer Entfernung vom Zentralgestirn bevorzugen, die eine komfortable Energieversorgung ermöglicht. Nach und nach werden sich ihre Siedlungen über die so genannte "habitable Zone" verteilen. Der logische Endpunkt einer solchen Entwicklung wäre eine gigantische, um die Sonne herum gebaute Kugel mit dem ungefähren Durchmesser der Erdumlaufbahn, also 300 Millionen Kilometer. Dieses fantastische Bauwerk wird nach demjenigen, der es zuerst postulierte, Dyson-Sphäre (3) genannt.

Der US-amerikanische Physiker Freeman S. Dyson hatte sich ähnlich wie Kardaschew mit der möglichen Existenz außerirdischer Zivilisationen beschäftigt. Die Annahme, dass intelligente Lebensformen grundsätzlich an der Kommunikation mit anderen interessiert sein müssten, mochte er jedoch nicht teilen. Wir sollten, so Dyson, im All nicht nach Intelligenz suchen, sondern nach Technologie. Dabei sollte es wiederum nicht um durchschnittliche technologische Zivilisationen gehen, sondern um die gewaltigsten. In einem kühnen Gedankenexperiment demonstrierte Dyson, wie es selbst beim damaligen Stand der menschlichen Technik machbar war, ganze Planeten zu zerlegen, um aus dem Material eine riesige Kugel um den Heimatstern zu errichten. Auf diese Weise könnte eine unter raschem Bevölkerungswachstum leidende Zivilisation ihr Überleben sichern.

Kosmische Kathedralen

Bislang wurden keinerlei Hinweise entdeckt, die auf die Existenz solcher Dyson-Sphären hinweisen. Möglicherweise ist dieser Weg nicht praktikabel. Es könnte aber auch sein, dass der Bau solcher Sternenkathedralen, der Jahrhunderttausende dauern würde, in der Milchstraße an verschiedenen Orten gerade erst beginnt. Vielleicht gehören die Menschen zu den ersten, die die Konstruktion von Dyson-Sphären in Angriff nehmen.

Wenn eine Dyson-Sphäre den logischen Endpunkt bei der Besiedelung des Sonnensystems darstellt, so ist umgekehrt eine Raumstation im Erdorbit die erste Stufe dazu. "Hat man die Erdumlaufbahn erreicht, hat man die Hälfte der Strecke zu allen Zielen im Sonnensystem zurückgelegt", wusste bereits in den fünfziger Jahren der Science-Fiction-Autor Robert A. Heinlein. Denn die Herausforderung für die Raumfahrt besteht weniger in den großen Entfernungen als vielmehr in der Überwindung großer Schwerkraftbarrieren. Raumschiffe, die wie ein Flugzeug von einer Planetenoberfläche starten, durchs All fliegen und auf einem anderen Planeten wieder landen, wird es daher auf absehbare Zeit nur in Science-Fiction-Filmen geben.

Reale Weltraumreisen werden mehrmaliges Umsteigen erfordern, mit der ersten Umsteigestation im erdnahen Orbit. Das war ursprünglich auch die von Wernher von Braun favorisierte Lösung für die bemannten Mondflüge im Rahmen des Apollo-Programms: Er wollte die einzelnen Komponenten des Mondschiffs in der Erdumlaufbahn montieren und betanken und dann direkt zum Mond und zurück schicken. Ein solches Szenario wäre für die Astronauten sicherer gewesen und hätte zugleich die erste Stufe einer ausbaufähigen Weltrauminfrastruktur dargestellt. Allerdings wäre die Realisierung zu langwierig gewesen. Da die Vorgabe von Präsident John F. Kennedy lautete, vor Ablauf des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und wieder zurück zu bringen, entschied sich die Nasa für die riskantere, aber schneller umsetzbare Lösung mit dem Dockmanöver im Mondorbit. Apollo wurde dadurch zu einem einmaligen Kraftakt ohne Perspektiven für einen weiteren Ausbau, der das Bild von der bemannten Raumfahrt als größenwahnsinniger Verschleuderung von Ressourcen bis heute prägt.

Wenn in den kommenden Jahren Menschen zum Mond zurückkehren und erstmals bemannte Flüge zum Mars unternommen werden, dürfte von Brauns Konzept jedoch endlich umgesetzt werden. Im Zeitalter nach Apollo ergeben bemannte Missionen zu anderen Himmelskörpern nur dann einen Sinn, wenn sie von vornherein auf eine dauerhafte Präsenz im Weltall ausgerichtet sind. Die wiederum lässt sich nur erreichen mit einer tragfähigen, nachhaltigen Infrastruktur. Dazu gehören ein Transportsystem für den Flug in den Erdorbit, Raumstationen in den Umlaufbahnen von Erde und Mond, ein System für den Flug zwischen diesen Stationen sowie eins für den zwischen Mondorbitalstation und Mondoberfläche. Ähnliches gilt für die Verbindung zwischen Erde und Mars, wobei möglicherweise die Marsmonde Phobos und Deimos als Orbitalstationen dienen könnten. Als Transportmittel zwischen den Planeten hat der Apollo-11-Pilot Buzz Aldrin das Konzept der " Mars Cycler (4)" vorgeschlagen: Mehrere große Raumschiffe werden in einen Orbit um die Sonne gebracht, der regelmäßig die Umlaufbahnen von Erde und Mars kreuzt. Wie ein Paternoster verbinden sie dadurch die beiden Planeten, benötigen aber nur vergleichsweise wenig Treibstoff für gelegentliche Kurskorrekturen.

Grundsätzlich dürfte es leichter sein, bemannte Stationen auf der Oberfläche eines Himmelskörpers zu errichten statt frei schwebend im Weltall. Es stehen mehr Ressourcen zur Verfügung, die als Baumaterial sowie zur Versorgung der Station mit Wasser, Sauerstoff und Raketentreibstoff dienen können. Die ersten größeren außerirdischen Siedlungen werden daher voraussichtlich auf dem Mond und auf dem Mars entstehen, größtenteils unter der Oberfläche, um die Bewohner vor gefährlichen Strahlungen zu schützen. In Zukunft mag es allerdings Technologien geben, die die Strahlung mithilfe elektromagnetischer Felder abwehren. Einige Konzepte sehen auch vor, die Siedlungen in große Wassertanks zu betten, so dass das ohnehin benötigte Wasserreservoir zugleich Schutz vor Strahlung bietet.

Für größere Himmelskörper wie den Mars gibt es langfristig dann noch die Option des Terraforming. Durch gezielte Eingriffe in den planetaren Stoffwechsel können im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende die Umweltbedingungen verändert und an die Bedürfnisse des Menschen angepasst werden. Die Kraft dazu haben wir, das wissen wir spätestens seit der Entdeckung des Ozonlochs in den achtziger Jahren: Obwohl die Substanzen, die den Abbau der stratosphärischen Ozonschicht bewirken, überwiegend auf der Nordhalbkugel freigesetzt wurden, zeigten sich die dramatischsten Auswirkungen am denkbar weitest entfernten Ort, nämlich über dem Südpol. Es war der Beweis, dass Menschen die Atmosphäre global beeinflussen können.

Der Beweis, dass wir diese Kraft auch gezielt und kontrolliert einsetzen können, steht gleichwohl noch aus. Szenarien, wie etwa von Studenten der International Space University formuliert (5), die zur Erhöhung der Temperatur auf dem Mars die Freisetzung großer Mengen Halogenkohlenwasserstoffe vorsehen, schreckt daher viele. Schließlich sind das genau die Stoffe, die auf der Erde die Ozonschicht bedrohen.

Die Menschheit hat mit ihrem Wachstum die Grenzen der Fruchtblase erreicht, die sie bisher behütet hat. Wir spüren, dass die schützende Membran zum Zerreißen gespannt ist, und reagieren mit dem richtigen Impuls, uns zurückzuziehen und den Druck auf das irdische Ökosystem zu vermindern. Doch die planetare Unschuld haben wir unwiederbringlich verloren. Es ist schwer vorstellbar, wie die Menschheit zu einem Zustand (zurück) finden könnte, der ihr Handlungen mit globalen Auswirkungen gar nicht erst ermöglicht. Wir werden mit dieser Kraft leben müssen. Also sollten wir uns in ihrer Anwendung üben. Für den Aufbau einer langlebigen Zivilisation müssen wir das Management planetarer Ökosysteme so oder so lernen, selbst wenn wir uns entscheiden sollten, die Erde nie zu verlassen.

Es wird uns indessen leichter fallen, wenn wir auch andere Planeten und Raumstationen als Übungsgelände nutzen. Allein um zum Mars zu gelangen, ist schon die Beherrschung von Mini-Ökosphären notwendig. Bei Expeditionsdauern bis zu drei Jahren wäre es völlig unmöglich, alle erforderlichen Vorräte mitzunehmen. Die Raumschiffe werden über nahezu vollständig geschlossene Stoffkreisläufe verfügen müssen. Bevor wir den Boden anderer Planeten überhaupt betreten können, müssen wir also den Grundkurs im Ökosystemmanagement erfolgreich bestanden haben. Die Erde kann davon nur profitieren. Und das betrifft nicht nur das ökologische Gleichgewicht.

Reisen mit leichtem Gepäck

Wer ins All reist, muss sein Gepäck sehr kritisch prüfen. Jedes Gramm erfordert ein Vielfaches an Treibstoff, um es der Erdschwerkraft zu entreißen. Aus diesem Grund sind Geld und Waffen bisher nur in Ausnahmefällen in den Weltraum transportiert worden. Jedes Mal waren die Motive zudem sehr irdischer Natur: So haben Apollo-Astronauten im Auftrag von Händlern Münzen und Briefmarken mitgenommen, die danach mit großem Gewinn an Sammler verkauft wurden. Und als Alexej Leonow im März 1965 eine Pistole mit an Bord von Woschod 2 nahm, hatte er keine Angst vor Aliens, sondern wollte sich nach der Landung gegen wilde Tiere verteidigen können, falls die Bergungsmannschaft auf sich warten lassen sollte.

Ob der außerirdische Raum zukünftig frei von Geld und Waffen bleiben kann, auch wenn die Zahl der dort lebenden Menschen wächst, ist eine Frage, die schon sehr bald entschieden werden könnte. Denn insbesondere in den USA sind immer lautere Stimmen zu vernehmen, die den westlich geprägten Kapitalismus so schnell wie möglich ins All ausdehnen wollen.

Der gegenwärtige Chef der US-Raumfahrtbehörde NASA, Michael Griffin, hat es unmissverständlich formuliert: Wenn die menschliche Zivilisation den Punkt erreicht habe, dass mehr Menschen außerhalb der Erde leben als auf ihr, so Griffin, dann "wollen wir, dass ihre Kultur westlich ist". Bei einer Konferenz im November 2005 verglich er die im Weltraum angestrebte Infrastruktur mit dem Fernstraßennetz in den USA, den Interstate Highways. Die Nasa wolle ein solches Netz im All bauen, die Partner dürften nur darüber entscheiden, was sie jenseits der Auf- und Abfahrten machen wollen.

Solche vom Frontier-Mythos des Wilden Westens getränkten Äußerungen haben verschiedene Lobbyorganisationen ermutigt, vermehrt für die Möglichkeit von Privateigentum im All einzutreten. Bislang ist das durch den 1967 verabschiedeten und auch von den USA ratifizierten "Outer Space Treaty" der Vereinten Nationen ausgeschlossen. Aber Vertreter einer aggressiven Kommerzialisierung des Weltalls, wie etwa Klaus Heiss, Direktor der "High Frontier Inc.", erklären bereits öffentlich, dass die USA den Outer Space Treaty einfach ignorieren sollten.

Es gibt auch kritische Stimmen, doch sie sind noch vergleichsweise leise. "Das Bemühen der USA, den Weltraum zu 'verwestlichen'", schreibt die Kommunikationswissenschaftlerin Linda Billings in der Zeitschrift " Space Policy (6)", "entspricht dem Bemühen, den Mittleren Osten zu 'demokratisieren'. In beiden Fällen werden die Fragen, welche Art rechtlicher, ethischer und sozialer Strukturen und Werte diesen unvertrauten kulturellen Umgebungen am besten angemessen wären, nicht einmal ansatzweise erörtert." Der Vorstellung vom Sonnensystem als gigantischem Supermarkt, wie sie von Vertretern des aggressiven Weltraumkapitalismus propagiert wird, setzt die Mitarbeiterin des kalifornischen SETI-Instituts die Idee vom Weltall als schützenswerter Wildnis entgegen. Ganz ähnlich schlägt der britische Mikrobiologe Charles S. Cockell in seinem jüngst erschienen Buch " Space on Earth (7)" vor, das Prinzip der Nationalparks aufs All zu übertragen und auf diese Weise die Einheit von Erde und Weltraum stärker im Bewusstsein zu verankern.

Bereits die Verfasser der berühmten " Summer Study (8)" von 1975, der vom Ames Research Center der Nasa und der Stanford University gemeinsam erarbeiteten und bis heute umfangreichsten Designstudie zu Weltraumsiedlungen, hatten davor gewarnt, den ersten Siedlern finanzielle Anreize in Aussicht zu stellen, weil es, wie sie befürchteten, "die falschen Leute" anziehe. Die Besiedelung des Weltalls sahen sie auch als ein großes soziales Experiment, bei dem verschiedene Formen der Vergesellschaftung erprobt werden können.

Der Physiker Gerard O'Neill, Hauptinitiator der Studie, zählte zu den Vorzügen des Lebens im All die Möglichkeit, die Umgebung dort oben nach Wunsch gestalten zu können. In die neu zu schaffenden Siedlungen könnten wir zum Beispiel die Lebewesen mitnehmen, die wir wollen und die für eine komplette ökologische Kette notwendig sind, unerwünschte Parasiten aber einfach auf der Erde lassen. "Wie angenehm wäre ein Sommer in den Wäldern ohne Mücken!" schrieb er in seinem 1976 erschienenen Buch " The High Frontier (9)". "Vielleicht finden wir auch weniger lästige Aasfresser als die Hausfliege und würden die nützlichen Bienen mitnehmen, Wespen und Hornissen aber zurücklassen."

In dieser Konkretheit wirkt das zunächst naiv. Wie anmaßend, über den Wert einzelner Lebewesen urteilen zu wollen! Gleichwohl benennt O'Neill damit den entscheidenden Punkt: Die Menschen, die sich entschließen, zukünftig im All zu leben, müssen sehr genau überlegen, was sie mitnehmen. Das gilt nicht nur für das materielle Gepäck, sondern ebenso für das geistige. Der Umzug ins All ist eine einzigartige Gelegenheit, gewachsene Traditionen und Institutionen, denen man auf der Erde nicht ohne weiteres entkommen kann, auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen. Wenn das monetäre System und der Profitmechanismus unter dringendem Verdacht stehen, die unerfreulichen Zustände auf der Erde zumindest mit verursacht zu haben, sollten wir versuchen, im Weltraum ohne sie auszukommen. Möglicherweise scheitert dieser Versuch, aber dann hätten wir jedenfalls etwas Neues über Formen des menschlichen Zusammenlebens gelernt. Auch die in der Vergangenheit gescheiterten Revolutionen und utopischen Gemeinschaften waren nie vergeblich. Sie wären es erst, wenn wir sie vergessen würden.

Traditionspflege

Ist die Apollo-Sojus-Mission (10) vom Juli 1975 gescheitert oder war sie vergeblich, nur weil sie bis heute ein singuläres Ereignis geblieben ist? Mitten im Kalten Krieg hatten damals im Erdorbit sowjetische Kosmonauten und amerikanische Astronauten die Hände geschüttelt und sich gegenseitig in ihren Raumschiffen besucht. Ein starkes Zeichen der friedlichen Zusammenarbeit, das den Lauf der Weltgeschichte jedoch (noch) nicht merklich verändert hat. Gleichwohl ist es eine Aktion, an die weiterhin angeknüpft werden kann.

Auch die Internationale Raumstation ISS kann sich immer noch in die von Apollo-Sojus begonnene Tradition einfügen, trotz der großen Belastungen, denen die Zusammenarbeit von Amerikanern, Russen und den übrigen Partnern ausgesetzt war und ist. Das hat zu einem großen Teil mit Alleingängen der USA zu tun, aber auch damit, dass die ISS nicht von vornherein als internationales Projekt konzipiert war, sondern mit der Einbindung Russlands auf Veränderungen der geopolitischen Lage reagierte.

Interessanterweise wurde bei der Kooperation der ISS-Partnernationen auf Geldtransfers verzichtet, stattdessen werden Tauschgeschäfte praktiziert. Für die Lieferung bestimmter Komponenten oder von Transportleistungen werden etwa Nutzungszeiten des Orbitallabors eingetauscht. Ist damit vielleicht der Grundstein für eine neue interplanetare Ökonomie gelegt worden? Auf jeden Fall liefert die ISS gerade auch mit ihren Schwierigkeiten einen reichhaltigen Erfahrungsschatz für die Planung internationaler Missionen zum Mars oder anderen ähnlich ehrgeizigen Zielen. Sie sollten von vornherein multilateral als Projekte unter gleichberechtigten Partnern angelegt sein und danach streben, so viel Völker und Kulturen wie möglich zu beteiligen.

In einem solchen Menschheitsprojekt könnte Deutschland mit der Erfahrung jahrzehntelanger Teilung einen besonderen Beitrag leisten. Denn das Resultat dieser Teilung sind gute Kontakte sowohl zur russischen Raumfahrt als auch zur amerikanischen - eine gute Voraussetzung, um als Vermittler zwischen diesen schwierigen Partnern zu fungieren und allgemein als integrative Kraft zu wirken. Woran es allerdings noch fehlt, ist der Wille und der Ehrgeiz bei der Politik, eine solche Führungsposition einzunehmen. Bemannte Weltraummissionen gelten als sinnlos und zu teuer, Stationen auf dem Mond und anderen Himmelskörpern als technologischer Größenwahn.

Ein globaler Gegenentwurf

Vor dem Flug mit der Raumfähre Columbia, der ihn am 1. Februar 2003 das Leben kosten sollte, sagte der israelische Astronaut Ilan Ramon (11): "Ich habe mit vielen Überlebenden des Holocaust gesprochen. Wenn du mit diesen Menschen sprichst, die heute schon ziemlich alt sind, und ihnen erzählst, dass du als israelischer Astronaut ins Weltall fliegen wirst, sehen sie dich an wie einen Traum, den sie sich nie hätten träumen lassen. Es ist sehr aufregend für mich, ihren Traum, den sie nie zu träumen gewagt hätten, zu erfüllen."

Ähnlich äußerte sich der Franzose Ferdinand Gilson (12), einer der letzten Überlebenden Veteranen des Ersten Weltkriegs, der im Februar 2006 im Alter von 107 Jahren starb. Dieser Zeitzeuge, der die dunkelsten Abschnitte des 20. Jahrhunderts hautnah miterlebt und zweimal gegen die Deutschen gekämpft hatte, sagte: "Europa und die Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern waren das Schönste im Zwanzigsten Jahrhundert. Und der Tag, an dem der Mensch auf dem Mond spazierte."

Die friedliche Erkundung und Besiedelung des Alls zählt zu den stärksten Gegenentwürfen gegen die Grausamkeiten und Zerstörungen, die wir auf der Erde angerichtet haben. Es ist keineswegs zu früh, dieses Projekt in Angriff zu nehmen. Im Gegenteil, wir haben nicht mehr lange Zeit dafür. Schon in wenigen Jahren könnten die Hindernisse unüberwindlich geworden sein.

In Hollywoodfilmen wie "Deep Impact" oder "Armageddon" werden gefährliche Asteroiden aus dramaturgischen Gründen grundsätzlich kurz vor der Kollision mit der Erde sehr effektvoll mit Atombomben gesprengt. Tatsächlich lässt sich die Abwehr solcher kosmischen Geschosse weitaus sanfter, dafür aber mit größerer Aussicht auf Erfolg bewerkstelligen, indem man sie möglichst frühzeitig aus ihrer Bahn lenkt. Den über einen Kilometer großen Asteroiden 1950 DA (13), der am 16. März 2880 der Erde gefährlich nahe kommen wird und dessen Einschlag globale Zerstörung bewirken würde, bräuchte man heute nur leicht anzutippen, damit er in 873 Jahren die Erde weit verfehlt.

Auf ähnliche Weise lässt sich heute noch mit vergleichsweise geringem Aufwand die Entwicklung der zukünftigen Gesellschaften im All beeinflussen. Dieses Zeitfenster bleibt nicht beliebig lange offen. Wenn erst einmal Tatsachen geschaffen worden sind, wenn der lunare Goldrausch (14) eingesetzt hat, ist es zu spät.

Die Menschheit hat kulturell die erste kosmische Geschwindigkeiten erreicht. Jetzt muss sie sich nur noch entschließen, wirklich zu fliegen. Ansonsten droht ein Absturz mit katastrophalen Folgen.

Und ja, weil Politiker immer wieder danach fragen: Natürlich bringt das alles auch Arbeitsplätze. Jedenfalls wenn es gelingt, den Aufbruch zum Mars als groß angelegtes, globales Projekt unter Einschluss aller Völker und Kulturen zu gestalten. Europa und Deutschland könnten dabei, wie erwähnt, eine wichtige vermittelnde Rolle einnehmen. Gibt es ein besseres Beschäftigungsprogramm, als sich eine Aufgabe vorzunehmen, die nur mit wirklich vereinten Kräften zu bewältigen ist?
Links

(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Kosmische_Geschwindigkeit
(2) http://en.wikipedia.org/wiki/Kardashev_scale
(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Dyson-Sph%C3%A4re
(4) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/11/11813/1.html
(5) http://master05.isunet.edu/tp2/
(6) http://www.sciencedirect.com/science...5c898d20b009e6faac5c847d8410f1c4
(7) http://www.macmillanscience.com/023000752X.asp
(8) http://www.nas.nasa.gov/About/Education ... esign.html
(9) http://www.space-frontier.org/HighFrontier/
(10) http://history.nasa.gov/apollo/soyuz.html
(11) http://spaceflight.nasa.gov/shuttle/arc ... ramon.html
(12) http://www.lemonde.fr/web/article/0,1-0 ... 5-1,0.html
(13) http://neo.jpl.nasa.gov/1950da/
(14) http://techcentralstation.com/050504E.html

Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23925/1.html

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Klaus
 
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