Nanna hat geschrieben:Lassen wir mal für einen Augenblick die Gefahren beiseite, die damit einhergehen: Wie soll in einer wissenschaftsaffinen Community ein Mythos entstehen, wenn es eine der zentralen Folgen des Betreibens von Wissenschaft ist, dass solche Mythen dekonstruiert werden?
Die Antwort ging ja eher an Thomas, der etwas andenkt, was über Internetgemeinschaften hinausgeht.
Nanna hat geschrieben:Das ist, als würde man versuchen, ein Haus auf Treibsand zu bauen - sobald du zwei Steine aufgeschichtet hast und dich an den dritten machst, bricht dir der erste schon wieder weg.
Es müssen ja nicht Mythen für alle sein, ich glaube nur, dass sich einer Vielzahl von Menschen der Zauber, den dieser oder jener vielleicht bei der Beschäftigung mit Astronomie oder anderem spüren wird, nicht erschließt.
Ich denke, dass sich diese Menschen ihre Mythen suchen, nicht unbedingt in der Kirche, aber dann eben wo anders.
Nanna hat geschrieben:Ich fürchte, kollektive Zusammenkünfte im säkularen Rahmen sind da nur als Event möglich (z.B. ein Konzert mit naturalistischen Bands) oder aber bei politischen Demonstrationen.
Das ist auch meine Meinung.
Nanna hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Das Problem ist, dass der Atheismus eher ein Negativ eines schon bestehenden Bildes darstellt und keine eigene positive Kraft im mythischen Sinn. [...]
Vielleicht wäre das sogar ein ganz eigenes Thema: Geht das überhaupt? Ein naturalistischer Mythos? Widerspricht sich das nicht schon strukturell? Außerdem: Mythen machen den Naturalisten doch wahnsinnig, der gibt keine Ruhe, bis er nicht rausgefunden hat, was dahintersteckt. Einen Haufen Naturalisten in eine Zaubervorstellung setzen und dann erwarten, dass sie akzeptieren, dass die Tricks ein mythisches Geheimnis bleiben sollen, das funktioniert einfach nicht. Auf ein "Cooler Trick, aber Trick bleibt Trick" können wir uns sicher noch einigen, aber was darüber hinausgeht, wird auf scharfen Protest und die Angst, hereingelegt zu werden, stoßen.
Macht ja durchaus auch Spaß, hinter den Trick zu kommen und bei der Zaubervorführung wissen alle Beteiligten, dass ein Trick im Spiel ist.
Ich verstehe Mythos glaube ich etwas weniger als falsche Geschichte, bei der man schon im Vorfeld weiß, dass sie falsch ist, sondern eher, als gemeinsame Überzeugung, etwa wie im „Mythos des Gegebenen“. Darunter kann man sich sicher auch nicht versammeln und tanzen, aber ich könnte mir vorstellen, dass man das Wunder Natur sicher gut mythisch aufladen kann, mit dem durchaus sinnvollen Ziel verbunden, weniger gedankenlos mit derselben umzugehen.
Ist natürlich ein kompliziertes Thema, wenn die Lebensleistung dann am Ende auf den Schadstoffausstoß reduziert wird, läuft es mir kalt den Rücken runter, aber das wäre so eine Tendenz die ich mir vorstellen könnte. Ich glaube allerdings nicht, dass es dazu kommen wird.
Nanna hat geschrieben: Vollbreit hat geschrieben:Ich bin sicher, dass den Intelligenteren unter den Brights das bewusst ist.
Juhu, ich bin intelligent!
Sicher, das wusstest Du aber auch vorher schon.
Nanna hat geschrieben:Ja klar. Aber wie bei dem o.g. Zaubertrick weiß eben jeder Teilnehmer, dass es um eine Spielerei auf der Metaebene geht. Ich habe vor meiner Brights-Zeit an einem offenen Fantasyprojekt mitgearbeitet (das allerdings etwas naturalistisch angehaucht war, mit so einer pseudowissenschaftlichen Ausarbeitung der in dieser Welt vorhandenen Magie), das hat jede Menge Spaß gemacht. Man muss ja nicht fantasielos sein, bloß weil man mythische Vorgänge nicht für diese Welt akzeptiert. Ich bin mir weder sicher, ob wir diese Mythen wirklich brauchen, noch, ob es technisch überhaupt umsetzbar wäre, diese unter Naturalisten zu etablieren.
Ich bin auch nicht der Auffassung, dass Naturalisten die erste und beste Adresse für einen neuen Mythos wären. Bei unserer Welt weiß man im Grunde nicht, was Spielerei ist und was nicht.
Naturalisten meinen, ihr Weg der Objektivierung sei derjenige, die Karten aufzudecken, nur könnte das ein Irrtum sein, weil der Naturalist einfach ein Püppchen im Spiel sein könnte.
Es gibt ja nicht wenige Stimmen, die der Meinung sind, dass eine objektivierende Sichtweise überhaupt nicht primär ist und es auch nicht sein kann. Viele Naturalisten glauben, die Welt sei irgendwie ein Bündel empirischer Fakten, die man erkennen kann und nur richtig zusammensetzen muss und wenn man das getan hat, ist dabei Wahrheit entstanden oder man hat Wahrheit gefunden. Ihnen kommt manchmal nicht ins Bewusstsein, dass das nur eine Perspektive von vielen sein könnte.
Robert Brandom hat geschrieben:„Kant definiert uns, die Bewohner des Reichs der Freiheit, als Wesen, die im Gegensatz zu den Bewohnern des Reich der Natur fähig sind, gemäß einer Vorstellung von einer Regel zu handeln. Dieser Abgrenzungsstrategie liegt die Idee zugrunde, dass die zum Reich der Natur gehörenden Wesen, die lediglich nach Regeln, das heißt regelmäßig agieren, Normen nur dadurch anerkennen können, dass sie ihnen gehorchen. Wir rationale Wesen können Normen auch begreifen oder verstehen, wir sind in der Lage Richtigkeitsbeurteilungen gemäß dieser Normen abzugeben.“
(R.Brandom, Expressive Vernunft, 1994, Suhrkamp 2001, S.74f)
Viele Philosophen sind heute Naturalisten in dem Sinne, dass sie glauben, dass die Naturgesetze überall gelten und alles mit rechten Dingen zugeht.
Die wenigsten würden sich mit einem plumpen Naturalismus zufrieden geben, der sagt, dass wir nur die kleinsten Bausteine verstehen müssen und von da aus leitet sich dann die quantenphysikalische Erklärung der Demokratie und alles andere mit ab.
Die beiden im Zitat erwähnten Reiche können nicht für immer getrennt bleiben. Während die Mehrzahl der Naturalisten versuchen würde Freiheit – wenn man nicht erhebliche Probleme mit dem Begriff hat, was meistens und wohl nicht zufällig der Fall ist – der beschriebenen Art, irgendwie in den Kontext von Elementarteilchen einzubauen um dem monistischen Ansatz treu zu bleiben, dreht Brandom den Spieß um und sagt, dass unsere Sprache und unsere Praktiken in letzter Konsequenz u.a. durch die empirischen Gegebenheiten begrenzt sind, aber das Verstehen der Vorgänge und Regeln der Welt Teil unserer vernünftigen Rede sind und nicht anders herum.
Zwar handelt er sich hier und da den Vorwurf ein, einen semantischen Idealismus zu vertreten, aber er ist heiß diskutiert und ein Schwergewicht. Primär ist bei Kant das Urteil, nicht das Atom. Der Grund hierfür liegt nicht unbedingt darin, dass man zu Kants Zeiten den ganzen atomaren Kleinkram noch nicht kannte, sondern in der Idee begründet, dass es zuerst und nur ein vernünftiges Wesen sein kann, das sich Gedanken über die Welt macht (und urteilt) und im Rahmen der Untersuchung dieser Welt hat man dann verschiedene Ansatzpunkte, Rationalität, Sprache, soziales Miteinanders und die dazugehörigen Regeln und Erforschung der empirischen Welt.
Reduzierend und bottom up zu untersuchen ist völlig in Ordnung, solange man Ergebnisse bekommt, aber es ist nur ein Ansatz von vielen und viele haben überhaupt kein Bewusstsein mehr dafür, dass es weitere sinnvolle Ansätze geben könnte und dass man mit einer bestimmten Art des Hinschauens andere Ergebnisse von vorn herein ausblendet. Und das kommt einem auch erst langsam ins Bewusstsein, weil man implizit meint, die naturwissenschaftliche Art des Vorgehens wäre die einzig sinnvolle.