Gedanken über Gott

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Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Di 9. Okt 2007, 12:56

Mittelklug hat geschrieben:Alter Schwede, war das wieder spannend zu lesen. Ich hab mir viele eurer Texte wieder kopiert und gespeichert.
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Aber nun zu dir, stine.Ich versuche dich zu verstehen. Wie du selbst sagtest, ist dein Götterglaube eher pantheistischer Natur.

Bitte erlaube mir zu versuchen, deine Weltanschauung zu analysieren. Lies es bitte so unvoreingenommen und nüchtern wie möglich:

Ich verweise mal auf Wikipedia:
Pantheismus (griechisch pan = „alles, ganz“; theós = „Gott“) bedeutet, die Gottheit bzw. „das Göttliche“ in allen Erscheinungen der Welt zu sehen (Allgottglaube). Somit vertritt der Pantheismus die Ansicht, dass das Universum gleichbedeutend mit Gott ist.
Anhänger des Pantheismus glauben an keinen persönlichen oder personifizierten Gott; sie sehen die ganze Welt vom Makro- bis zum Mikrokosmos als „göttlich“ an.
Auch viele Erscheinungsformen des Atheismus sind eigentlich pantheistisch, da das gottlose Weltbild mit religiösen Gehalten versehen wird.

Der Pantheismus ist keine Religion, sondern eine Weltanschauung, da er keine Religionsstifter, Religionsgemeinschaften, heiligen Schriften, Institutionen, Rituale oder Dogmen kennt. Auch sind die religiösen Ver- und Gebote unvereinbar mit den Naturgesetzen, die der Pantheismus auf ein "Gott" genanntes Höchstes Gesetz zurückzuführen sucht.
Verschiedene Vertreter des Pantheismus haben durchaus unterschiedliche Hypothesen und Theorien entwickelt.


Sofern ich deine Postings richtig gelesen und auch verstanden habe sollte, dürfte diese Beschreibung dich am ehesten vertreten.
Was meinst du?

Jetzt wirds aber doof, da ich wohl oder übel wie die anderen Brights dich nun "angreifen" werde. Sei hier bitte auch unvoreingenommen. Gutgemeinte, ernsthafte Kritik ist ein Geschenk, dass man nicht ablehnen sollte:

Ich erkenne, dass du den Begriff "Gott" für die vielen wichtigen Fragen als Antwort nutzt, welche sich mit dem "Warum" des Seins beschäftigen. Ich zitiere dich:
Die eigentliche Frage, um die es mir ging, wurde deshalb immer weiter nach hinten gerückt, nämlich, was sagt die Wissenschaft zur Triebfeder allen Lebens? Dass wir immer mehr und mehr naturwissenschaftlich nachweisen können, sagt doch gar nichts über den Ursprung des Lebens aus. Woher kommt diese Energie, die in allem Lebenden ist?
Meine Denkweise entspricht am ehesten dem Pantheimus, wobei ich Gott nicht in allem Sein, sondern als Schöpfer allen Seins sehe, wir sehen nur seine Werke. Der Mensch wird damit ebenso ein Geschöpf Gottes.
Nachdem es keine wissenschaftlichen Gegenbeweise gibt, bleibt mein Glaube ungebrochen.


Wichtig für dich wäre in erster Linie die Definition des Wortes "Gott". Bei Pantheisten ist es so, dass sie Gott als Begriff für die (noch) unbekannten Größen verwenden, z.B.: Gott ist die Energie. Gott ist das Leben. Gott ist der Urknall. Gott ist das Universum. etc.

Nun bedenke jedoch, wofür Gott in Wirklichkeit steht und was es bedeutet. Die Antwort steht in der Bibel, den Erfinder des Gottesbegriffs, wie ihn sich die Welt bis heute vorzustellen hat.
- Gott ist ein lebendiges, allmächtiges & allwissendes Wesen, welches im Himmel thront und der Schöpfer allen Seins ist.
Das und nichts anderes ist die wahre Bedeutung des Wortes "Gott".

Der Pantheismus ist für mich persönlich der eingebremste Atheismus. Stine, ich hoffe es stimmt, wenn ich mal behaupte du suchst eine Begründung für die Existenz von Energie (generell), Lebensentstehung (wie genau), Bewusstsein (warum haben wir eines), Universum (warum gibts das) usw.
Ich vermute, du füllst diese Begriffe deshalb mit dem Wort "Gott", weil du Aufgrund unserer religiös organisierten Gesellschaft "Gott" als wichtigen, unvermeidbaren Faktor eingebläut bekommen hast. Doch: „Ein unpersönlicher Gott ist gar kein Gott, sondern bloß ein missbrauchtes Wort, ein Unbegriff." (wie es weiteres in Wikipedia unter Kritik zu lesen ist)

Wie wäre es hiermit, stine:
Nicht Gott ist Energie. Energie ist Energie.
Nicht Gott hat das Leben erschaffen. Das Leben selbst (durch Evolution aufgrund der lebensfreundlichen Bedingungen auf diesem Planeten) hat das Leben erschaffen.
Das Bewusstsein und die Entstehung des Universums muss auch nicht von "Gott" stammen. Ich empfehle hier den Agnostizismus, sprich, diese Fragen sind NOCH NICHT beantwortbar, daher sollte man ihnen keine allzu große Bedeutung zukommen lassen.

Du könntest für deine Fragen genausogut das berühmte, fliegende Spagettimoster als Antwort nutzen. Bitte erkenne die Unwichtigkeit des Begriffes "Gott" und versuche dich ihm zu entziehen. Wie beschrieben ist das Wort "Gott" ohne Bedeutung, sofern du ihn nicht genauso siehst, wie er ursprünglich gedacht ist zu sehen.

Liebe stine, ich würde mich wirklich sehr auf eine Antwort freuen. (auch von anderen)
Lg Mittelklug


Also, jetzt habe ich einfach hier nochmal einen neuen thread aufgemacht, weil ich der Meinung bin, dass sich dieser Austausch erstmal vom Thema Religion trennen sollte.

Warum kein Spagettimonster :^^: ?
Weil dieses noch nie erwähnt wurde und ganz offensichtlich eine Erfindung ist, um zu beweisen, dass man an alles mögliche glauben könnte. Aber genau das machen uns ja sämtliche Esoteriker sowieso schon vor.
Und übrigens gibt es heute für alles Bücher. Egal was ich lesen oder bestätigen möchte, irgendeiner hat das schon vor mir gedacht und niedergeschrieben und ich denke mal nicht immer nur aus Überzeugung, sondern oft aus sehr kommerziellen Gründen. Will sagen: Zitate aus Büchern sind nur dann wertvoll, wenn sie wissenschaftliche Fakten wiedergeben und nicht die Mutmaßungen einzelner Ungläubiger bestätigen.
Ich denke dabei an eine Reihe atheistischer Bücher, die nur gebetsmühlenartig immer wieder diesselben Argumente aufrollen. Prinzipiell findet sich in jede Richtung Literatur und es liegt an mir, was ich lese, was ich daraus lernen möchte und an was ich letztlich glaube. Es gibt auch ernstgemeinte Bücher über Astrologie und Handlesekunst, usw.

Solange es keine andere Erklärung für das Leben auf der Erde gibt ist es für mich die göttliche Schöpfung. Dieser Glaube kann zwar angezweifelt, aber auch nicht widerlegt werden.
Prinzipiell weiß ich selbstverständlich auch nicht, ob meine Erziehung, der Glaube der Mehrheit der Menschen, die Hinterlassenschaft einer biblischen Aufzeichnung, ein zusätzlich aktiviertes Gehirnareal oder einfach nur ein Instinkt oder alles zusammen zum Glauben geführt hat. Da müßte man jetzt genau feststellen was uns prinzipiell voneinander unterscheidet.

Warum nenne ich Gott Gott und nicht anders?
Weil ich es so gelernt habe.

Warum bin ich so überzeugt?
Ich weiß es nicht. Ich bin´s halt. Ich habe mich irgendwann bekehrt und mich auf Gottes Führung verlassen und seitdem öffnen und schließen sich Türen, als ob jemand meinen Weg bestimmen würde. Anders kann ich das nicht erklären. Tut mir leid. Aber das ist eben der Unterschied zwischen uns. Ich bin nicht alleine der Ratio unterworfen, sondern auch meinem Gefühl und meiner Inspiration. Körper - Geist - Seele. Nur wenn alles zusammen in Harmonie ist, werden wir erkennen, was wir suchen.

Selbstverständlich ist mir klar, dass das für euch eher eine Lachnummer ist, als eine Erklärung, aber ich lass das mal so stehen. Einen Versuch ist es mir wert.

LG stine
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon pinkwoolf » Di 9. Okt 2007, 13:58

Gehört der Thread nicht doch eher unter Religion? Die meisten hier im Forum sitzen doch lieber bei einem Gläschen Wein im Restaurant am Ende des Universums und betrachten mit Wohlgefallen, wie der Theismus unter der Last seines eigenen Anspruchs implodiert.

Das Leben und der ganze Rest interessieren uns natürlich auch; und darüber lässt sich gelegentlich, wie man sieht, auch mit Theisten trefflich diskutieren.

=) Aber eben unter "Religion".
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Di 9. Okt 2007, 14:26

pinkwoolf hat geschrieben:Gehört der Thread nicht doch eher unter Religion?


Das hatte ich auch überlegt. Aber ich entschied mich absichtlich dagegen, weil ich religiöse Sinngebungsmodelle nicht als Ursache meines Glaubens sehe. Und eine passendere Stelle als "...und der ganze Rest" fand sich nicht.

Aber ihr könnt das ja umschichten, hab nichts dagegen.

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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon Peter Janotta » Di 9. Okt 2007, 14:37

Das hatte ich auch überlegt. Aber ich entschied mich absichtlich dagegen, weil ich religiöse Sinngebungsmodelle nicht als Ursache meines Glaubens sehe. Und eine passendere Stelle als "...und der ganze Rest" fand sich nicht.


Ich verstehe unter Berücksichtigung dieses Hintergrunds nicht, wieso du dann ausgerechnet in die katholische Kirche wiedereingetreten bist, welche - neben radikalen islamistischen Gruppen und Sekten - DAS Sinnbild für religiöse Indoktrination ist.
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon Myron » Di 9. Okt 2007, 16:10

stine hat geschrieben:
Mittelklug hat geschrieben:Gott ist ein lebendiges, allmächtiges & allwissendes Wesen, welches im Himmel thront und der Schöpfer allen Seins ist.
Das und nichts anderes ist die wahre Bedeutung des Wortes "Gott".


Ein selbstbewusstes körperloses Lebewesen, eine immaterielle Person mit unermesslichen Wunderkäften, die das natürliche Universum auf unbegreifliche Weise aus nichts hervorgezaubert hat, ist ein ziemlich komisches 'Viech', findet Ihr nicht?!

stine hat geschrieben:Es gibt auch ernstgemeinte Bücher über Astrologie und Handlesekunst, usw.


Gewiss, doch nicht alles, was ernst gemeint ist, ist auch ernst zu nehmen. ;-)

stine hat geschrieben:Solange es keine andere Erklärung für das Leben auf der Erde gibt ist es für mich die göttliche Schöpfung.


Es gibt alternative Erklärungen: Stichwort "Evolutionsbiologie"!
Es gibt in den wissenschaftlichen Theorien zur Lebensentstehung zwar noch einige entscheidende Lücken im Detail, und es ist offen, ob und wann diese geschlossen werden; aber es gibt nichtsdestotrotz keinerlei vernünftigen Grund, hier den Lückenbüßergott ins Spiel zu bringen, solange unser Wissen über die Entstehung des Lebens aus anorganischer Materie unvollständig ist.
(Ihr Religiösen geht dummerweise immer davon aus, dass eine nichtssagende, naive Erklärung—"Ein übersinnlicher Geist hat das Leben hervorgezaubert."—besser ist als gar keine.)
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon Myron » Di 9. Okt 2007, 16:34

Peter Janotta hat geschrieben:Ich verstehe unter Berücksichtigung dieses Hintergrunds nicht, wieso du dann ausgerechnet in die katholische Kirche wiedereingetreten bist, welche - neben radikalen islamistischen Gruppen und Sekten - DAS Sinnbild für religiöse Indoktrination ist.


Was liberal gesinnte Theisten in der RKK wollen, ist auch mir schleierhaft.
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Di 9. Okt 2007, 18:41

Myron hat geschrieben:Was liberal gesinnte Theisten in der RKK wollen, ist auch mir schleierhaft.


Ehrlich gesagt, mir auch ein bisschen.
Meine Intention war, unsere Gemeinde um meinen "echten" Glauben zu bereichern und aktiv mitzumischen.

Eigentlich, wenn ich ehrlich bin, macht es mir augenblicklich nicht so sehr viel Spass weiter über dieses Thema nachzudenken. Mir brummt schon der Schädel und langsam weiß ich gar nicht mehr was richtig und was falsch ist. Ich lese zuviele atheistische Lektüre (den Feind kennenlernen) und das belastet mich. Es macht mich nicht glücklich. Ich weiß auch nicht, ob es richtig ist, hier Gott zu verteidigen, weil ich mir vorkomme, als hätte ich mich mit dem nackten Hintern in ein Wespennest gesetzt.

Eure Gegenargumente sind schon manchmal sehr plausibel, aber im Gegensatz zu mir, könnt ihr euch eben NICHT vorstellen, dass es ausser dem klaren Verstand noch etwas anderes gibt. Etwas, was man nicht erklären kann, es ist fast wie ein diffuses WISSEN um das Höhere, Gewaltigere.

Gebt mir eine Erklärung dafür, warum Menschen immer wieder die Spiritualität suchen in den verrücktesten Dingen. Es geht eben um mehr, als den klaren Verstand. Das klingt bei euch immer so banal, aber das ist es nicht. Der Mensch besteht aus mehr als aus Körper, Hirn und chemische Vorgänge. Und das, genau das, ist das Rätsel unserer Herkunft, unseres Lebens und unseres Ziels.
Und wenn es nichts anderes als die Ratio gibt, dann sind die meisten Menschen verrückt?
Und wenn sie "ver-rückt" sind, dann stehen sie doch nur an einer andereren Stelle als ihr, die Brights und andere Atheisten.

Übrigens glaube ich nicht, dass alle Atheisten auch gleich Naturealisten sind und dem Spirituellen gänzlich abgeneigt. Ich möchte, glaub ich, gar nicht so genau wissen, welche Alternativen sich dann anbieten.

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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon Myron » Di 9. Okt 2007, 20:04

stine hat geschrieben:Eure Gegenargumente sind schon manchmal sehr plausibel, aber im Gegensatz zu mir, könnt ihr euch eben NICHT vorstellen, dass es ausser dem klaren Verstand noch etwas anderes gibt. Etwas, was man nicht erklären kann, es ist fast wie ein diffuses WISSEN um das Höhere, Gewaltigere.


Das "Höhere", "Gewaltigere", an das ich als Naturalist glaube, ist Mutter Natur—nicht Vater Gott. Sie ist das eigentliche "mysterium tremendum et fascinans".
Außerdem glaube ich, dass jeder Spezies eine, wie ich es nenne, kognitive Artgrenze gesetzt ist, jenseits deren das für sie "ganz Andere", "Transzendente" liegt, das sie verstandesmäßig nicht begreifen und höchstens ganz schwach erahnen kann.
Mit "transzendent" meine ich aber nicht "über die Natur hinausgehend", sondern "über den menschlichen Verstand hinausgehend"; denn die Natur ist aus naturalistischer Sicht das alleinige Sein, über das hinaus es nichts weiter gibt, insbesondere kein übernatürliches göttliches Sein.

stine hat geschrieben:Gebt mir eine Erklärung dafür, warum Menschen immer wieder die Spiritualität suchen in den verrücktesten Dingen. Es geht eben um mehr, als den klaren Verstand.


Die (selbst-)kritische Vernunft erkennt durchaus ihre eigenen Grenzen, verstehend, wann es vernünftig ist, unvernünftig zu sein.
Selbstverständich geben sich auch die meisten Atheisten und Naturalisten allerlei "unvernünftigen" Dingen hin, indem sie der Kunst, der Liebe, ihren Leidenschaften frönen.
Dazu muss man allerdings weder besonders 'esoterisch', 'spirituell' oder 'mystisch' angehaucht oder gar im theistischen Sinne religiös sein.

stine hat geschrieben:Übrigens glaube ich nicht, dass alle Atheisten auch gleich Naturealisten sind und dem Spirituellen gänzlich abgeneigt. Ich möchte, glaub ich, gar nicht so genau wissen, welche Alternativen sich dann anbieten.


Sam Harris, einer der prominenten "Neuen Atheisten", die derzeit von sich reden machen, ist dem 'Spirituellen' keineswegs abhold.
Im Gegenteil, eines seiner Hauptanliegen ist die Ersinnung einer naturalistischen, atheistischen Spiritualität, die nicht im nebligen Sumpf all der esoterischen Okkultismen versinkt.

Falls es Dich interessiert, lies dazu das 7. Kapitel in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft".
Wenn Du englischsprachige Texte lesen kannst, dann hätte ich eine Website für Dich. Auf der Website von Naturalism.org (die mit dem Center for Naturalism verbunden ist), findest Du eine ganze Abteilung zum Thema Spiritualität mit guten Texten:

http://www.naturalism.org/spiritua.htm
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon pinkwoolf » Di 9. Okt 2007, 20:59

@ Stine

Gebt mir eine Erklärung dafür, warum Menschen immer wieder die Spiritualität suchen in den verrücktesten Dingen. Es geht eben um mehr, als den klaren Verstand.


Vielleicht diese:
"Science may set limits to knowledge, but should not set limits to imagination."
Bertrand Russell, Atheist


Den ersten Kick in Richtung Atheismus hat mir übrigens Dostoevskij gegeben, ein begnadeter Gottsucher, der auch meinte, ihn gefunden zu haben.
=)
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Mi 10. Okt 2007, 08:08

Wenn der Mensch nichts weiter ist, als Körper mit chemischen Vorgängen, die ihm eine Psyche vorgaukeln, dann sind wir den Tieren nur um das Wissen unseres begrenzten Lebens voraus.
Das finde ich wirklich traurig.

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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon Peter Janotta » Mi 10. Okt 2007, 10:56

@stine: Spiritualität wird in der Psychologie (wenn ich mich nicht irre) als das Gefühl des Einswerdens mit seiner Umwelt definiert. Ich denke solche Erfahrungen hat jeder schonmal gemacht. In der Tat ist es sogar so, dass derartige Erfahrungen zu erwarten sind. In unserem Gehirn wurden vor nicht allzu langer Zeit sog. Spiegelneuronen entdeckt, die außerhalb des eigenen Körpers wahrgenommene Vorgänge innerlich mitfühlen und mitdenken. (Hoffe ich erzähl das richtig so war ne Weile her als ich darüber was gehört habe). Auf jeden Fall kann ich dein dogmenfreies Gottesbild so akzeptieren. Habe dazu mal einen Blogkommentar geschrieben:

“Die Bibel stellt die Behauptung auf sie sei von Gott inspiriert .”

Wo genau liegt die Inspiration? Fußt die Inspiration nur auf der reinen Idee eines möglichen, allmächtigen Wesens, die von irgendwelchen Menschen aufgegriffen worden ist, um ein Buch zu schreiben? Eine solche Aussage wäre für mich in der Tat unproblematisch. Das heißt für mich allerdings auch, dass somit in der Bibel auch keinerlei bindende Regeln zu finden sind, man sich als Christ zu verhalten habe. Stattdessen würde die Bibel nur die Moralvorstellungen und die ausschmückende Schilderung volkstümlicher Geschichten der Autoren beinhalten.

Nimmt man im Gegensatz dazu die Bibel als Wort Gottes oder zumindest an dem Wille Gottes angelehnt an, folgen aus ihr dogmatische, unflexible Verhaltensregeln, ohne Rücksicht auf Veränderung der Kultur und technischer Möglichkeiten. Sie präsentiert Pauschalantworten. Schlimmer noch, jede Kritik dieser aus der Bibel abgeleiteten Normen muss von allen grundsätzlich untersagt werden, die in der Bibel die direkten oder indirekten Gebote Gottes sehen. Alles andere würde nämlich sonst zwangsweise mit dem Eingeständnis einhergehen, dass der verehrte, allmächtige Gott doch nicht so allmächtig sei und fehlbar ist. Wie die Konsequenzen eines solchen Denkens im schlimmsten Fall aussehen, sieht man an Fundamentalisten, die im Konsens mit den biblischen Texten Homosexualität und Schwangerschaftsabbrüche, Gentechnik usw. pauschal ablehnen ohne sich auf eine faktenbasierte, wohlüberdachte Erwägung der eigenen Position einzulassen.

Darüber hinaus ist die Gottesthese als Solches eine These, die mir sehr unplausibel erscheint, zumal sie keine nachweisbaren und damit nutzbaren Erkenntnisse liefert, aber die Frage nach der Herkunft des postulierten Gottes hinterlässt. Man tauscht also ein Fragezeichen gegen ein anderes ein (unter Verwendung zusätzlicher Annahmen). Solange daraus keine bindende, starrköpfige „Ethik“ erwächst, will ich jeden das Vergnügen lassen daran zu glauben. Leider scheint Letzteres leider nie gegeben.


Allerdings sollte man noch ergänzen, dass man ebenso esoterische, pseudowissenschaftliche Quacksalberei meiden sollte, da diese in vielen Fällen nicht nur den Geldbeutel sondern auch die Psyche stark belasten können und damit gefährlicher sind als es auf den ersten Blick scheint. Außerdem solltest du wirklich aus der Kirche austreten, da du mit der Mitgliedschaft die römisch-katholische Dogmatik zusätzlich stärkst und die Verbrechen der RKK mit deckst. Eine interessante Anlaufstelle dürfte für dich auch der HVD sein, der Spiritualität mit in den Humanismus einfließen lässt und sich u.a. in Krippenstätten und Altenheimen sozial engagiert.
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon molosovsky » Mi 10. Okt 2007, 11:25

Jupp, stine, das Wissen um die eigene Sterblichkeit macht den Menschen zum animal tristese, zum traurigen, melancholischen Tier.

Klar, dass der u.a. auch kreative Mensch nach Auftriebskräften sucht und diese auch findet, damit mensch nicht allzeit aufn Depri durchs Dasein stolpert. Deshalb erzählen wir uns Geschichten von edler Herkunft und blühenden Zukünften und betten die spielverderberischen Aspekte der tatsächlich stattfindenden Wirklicheit in mehr oder weniger weiche transzendenatale Krippen. — Immerhin: alle Menschen, die sich um Babys und heranwachsende Kinder kümmern, sind herausgefordert selbst in die Rolle von Göttern zu schlüpfen. Kinder bedürfen des Schutzes. Was Eltern ihren Kindern zur Verfügung stellen (können), ist ein möglichst großer Raum für die erkundenen Welterfahrungen der Kinder; gleichzeitig aber sollen stabilie Strukturen dem Kind Halt bieten, sprich: Versprechen sollen nicht gebrochen werden, Fragen nicht unbeantwortet bleiben.

Zum Erwachsensein gehört es nun, die deprimierende, oder zumindest ernüchternde Erfahrung zu machen, dass es Bereiche gibt, in die der Einzelne nicht vordringen kann (egal wie groß die Neugier auch sein mag), dass Versprechen gebrochen werden und dass es Fragen gibt, die man selbst nicht beantworten kann, oder auf die man keine zufriedenstellende Antwort bekommt.

Solche Risse und Lücken der Wirklichkeit kann man mit religiösen Vorstellungen flicken und damit gibt der Einzelne immer Vertrauen und Verantwortung an eine Authorität ab. Heutzutage, dank der pluralistischen Moderne gibt es viele Menschen, die den Luxus genießen, sich ihre eigenen kleinen Trost-Himmelshaken aussuchen zu können, ohne sich von authoritären Machtgruppen vereinnahmen zu lassen.

Wenn er darum geht, sich eine Art »Handbuch fürs Leben« zusammezustellen, geben meiner Meinung nach auch Religionen immer noch auch lohnende Sammelstellen ab, für Erfahrungen und Richtlinien. Aber man sollte nie vergessen, von wie vielen unwirklichen Phantasmen Religionen durchsetzt sind, und dass sie oftmals letztendlich eine erkenntnishemmende Haltung einnehmen. Der einzelne, Individual-Gläubige ist da heute freilich flexibler, büßt aber desto mehr von seiner Flexibilität ein, desto mehr er die Selbstständigkeit eigener Welterfahrung für den Einbettungskomfort durch Gruppenzugehörigkeit eintauscht. Sprich: das Ideal der Aufklärung (so wie ich es verstehe) mutet zu: Mensch, bilde Dich und treffe Deine eigenen Entscheidungen. Erkenne Dich selbst und erkenne die Lage und wisse, welchen Preis Du zahlst für das was Du tust.

Desto weiter aber Religionen ausgereift sind, umso stärker kauen sie dem Einzelnen vor, wie dieses Selbst- und Lageerkennen und Preiszahlen auszusehen hat; innerhalb von installierten Welterklärungsgebäuden durchläuft man dann ein Programm. Hart gesagt profitieren institutionalisierte Religionen (aber auch weltliche Ideologien) also durch solche alten Machtpraktiken wie: »Sähe Angst und ernte Hoffnung, spende Trost und gewinne Vertrauen«.

Und Gott oder andere wundersame Übernatürlichkeiten sind dabei nichts anderes, als Faszination auf sich ziehende Attraktoren. Wiegesagt: mit der nüchternen Realität gewinnt man im politisch-gesellschaftlichen Ringen keinen Blumentopf. Erst mit (die Wirklichkeit zurechtdengelnden, extrem vereinfachenden) Geschichten die auch Herz und Bauch verführen, kann man ›einen Staat‹ machen. So sehr auch der strengste Ungläubige in Wechselfällen des ›Schicksals‹ sich darum bemühen muss, sich gegen die niederziehenden Aspekte des Daseins zu immunisieren, zeichnet sich die nicht-religiöse, aufklärerische Haltung für mich dadurch aus, dass sie um die Phantastik solcher erhebenden oder motvierenden Erzählungen wissen, und deshalb diese Erzählungen selbst thematisieren können. Nicht umsonst wurde z.B. das einstige geistliche Monopol eines Sprechens über die Zukunft (das Neue Jerusalem) zugunsten eines pluralen Dialogs über die Zukunft überwunden (von Utopia bis 1984). Die Zukunft, sowohl der Menschheit als auch des Einzlenen, ist nun mal weitestgehend ungewiss. Die Frage ist: übetrage ich die Macht, mit diesen Ungewissheiten umzugehen auf andere (und wenn ja, wie weit vertraue ich da Dritten?), oder übernehme ich die Mühen und die Verantwortung selbst. — Ich gebe zu, es ist eine große Herausforderung, ohne tröstende Jenseitse und ohne magische Spiritualismen da immer eine gute Figur abzugeben. Aber genau was dieses ›Figur machen‹, sprich, ›Person sein‹ angeht, ist es, wo sich die verschiedensten Ideologien, Religionen und sonstigen Sinnmachmaschinen als Dienstleister anbieten. Die Frage ist halt, zu welcher Kundschaft man gehören will.

Grüße
Alex / molo
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Mi 10. Okt 2007, 13:30

Ich denke schon dauernd darüber nach, warum mir irgendetwas in euren so tollformulierten Texten fehlt. Trotz aller Logik und Beweisführung ist eure Theorie für mich irgendwie unvollständig, unbefriedigend geblieben. Etwas fehlte mir, etwas ganz entscheidendes.
Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen:
Es ist das Gefühl, die Liebe. Ganz klar!

Wir Menschen sind mehr, als Körper und Verstand aus biochemischen Abläufen. Wir haben eine gefühlte Geistseele und die ist für mich genauso existent, wie der Wind oder magnetische Felder in der Natur. Und genau hier ist der Punkt, warum ich mich mit dem Naturealismus nicht zufrieden gebe.
Mir fehlt die Liebe.
Ganz klar, wir Menschen brauchen nicht nur Nahrung für unseren Körper und unsere Ratio, wir brauchen auch Nahrung für unsere Gefühlswelt und das ist eindeutig die Liebe.
Sie ist es, die uns mit Gott verbindet.
Wer ohne Gott lebt, fühlt sich ungeliebt und versucht beständig sich diese Liebe woanders zu holen. Von den Eltern, vom Partner, von seinen Kindern oder schlimmer noch von seinen Haustieren. Außer dem Hund sind damit alle überfordert und nicht zuverlässig im Laufe eines Lebens.
Nur Gott ist die allumfassende Liebe.

Wir wären keine Menschen, wenn wir ohne Gefühle lebten .
Und Gefühle sind beweisbar:
Warum wandern ausgerechnet an Weihnachten soviele Menschen in die Kirchen, obwohl sie das ganze Jahr über davon nichts wissen wollen?
Warum finden sich Menschen in schweren Zeiten ausgerechnet in Kirchen zusammen?
Warum kann uns jemand trösten, wenn wir traurig sind?
Warum ist Fröhlichkeit mehr wert, wenn wir sie teilen können?
Warum sind wir zu Tränen gerührt, wenn uns etwas nahe geht?

Körper – Geist (Verstand) – Seele (Geist)
Nur vollständig wird der Mensch ein Mensch.
Er ist Gottes Schöpfung, er ist Teil seiner Liebe.

LG stine
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon pinkwoolf » Mi 10. Okt 2007, 14:03

Warum sollten Atheisten keine Liebe haben?

Wenn sie wissenschaftlich auf der Suche nach den Zusammenhängen dieser Welt sind, dann interessieren sie sich tatsächlich manchmal eher für die biochemischen Prozesse, die sich auch bei der Steuerung von Gefühlen abspielen – Adrenalin, Pheromone usw.

Solche wissenschaftlichen Erkenntnisse haben aber kaum Auswirkung auf das Erleben von Gefühlen. Hier hilft es schon eher, einen Roman zu lesen, einen Film anzusehen, mit Freunden zu reden oder auch Gefühle auszuleben, jedenfalls insoweit, als sie nicht sozial unakzeptabel sind.

Neben dem Atheismus gibt es ja auch einige Religionen, die nicht von einem liebenden Gott ausgehen. Haben diese Menschen alle ein Liebesdefizit, das sie auf irgendeine destruktive Weise kompensieren müssen?
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon Peter Janotta » Mi 10. Okt 2007, 14:17

stine hat geschrieben:Wir Menschen sind mehr, als Körper und Verstand aus biochemischen Abläufen. Wir haben eine gefühlte Geistseele und die ist für mich genauso existent, wie der Wind oder magnetische Felder in der Natur. Und genau hier ist der Punkt, warum ich mich mit dem Naturealismus nicht zufrieden gebe.

Ja, wir sind mehr. Trotzdem erwächst Liebe auch biochem. Abläufen. Das heißt aber nicht gleich Liebe ist der biochem Ablauf. Genauso wenig ist ein Haufen Zahnräder eine Uhr.

[quote ="stine"]
Mir fehlt die Liebe.
Ganz klar, wir Menschen brauchen nicht nur Nahrung für unseren Körper und unsere Ratio, wir brauchen auch Nahrung für unsere Gefühlswelt und das ist eindeutig die Liebe.
Sie ist es, die uns mit Gott verbindet.
Wer ohne Gott lebt, fühlt sich ungeliebt und versucht beständig sich diese Liebe woanders zu holen. Von den Eltern, vom Partner, von seinen Kindern oder schlimmer noch von seinen Haustieren. Außer dem Hund sind damit alle überfordert und nicht zuverlässig im Laufe eines Lebens.
[/quote]
Natürlich brauchen wir Liebe! :^^:
Und was spricht dagegen sich die Liebe von andern Menschen zu holen. Aber viel mehr noch sie miteinander zu erfahren und auch den anderen Liebe zurückzugeben. Diese Gemeinsamkeit und das Vertrauen könnte ich nie einem Wesen/einer Macht geben die mit der ich keinen so innigen, direkten Kontakt wie mit meinen Mitmenschen pflegen kann.

stine hat geschrieben:Wir wären keine Menschen, wenn wir ohne Gefühle lebten .
Und Gefühle sind beweisbar:
Warum wandern ausgerechnet an Weihnachten soviele Menschen in die Kirchen, obwohl sie das ganze Jahr über davon nichts wissen wollen?
Warum finden sich Menschen in schweren Zeiten ausgerechnet in Kirchen zusammen?

Kultur

stine hat geschrieben:Warum kann uns jemand trösten, wenn wir traurig sind?
Warum ist Fröhlichkeit mehr wert, wenn wir sie teilen können?
Warum sind wir zu Tränen gerührt, wenn uns etwas nahe geht?

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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon molosovsky » Mi 10. Okt 2007, 14:23

Stine, Deine Gedanken klingen für mich eigentlich gar nicht so religiös, auch wenn Du gern auf Gott verweist.

Du sprichst von Liebe. Auch wenn Dir der Bezug auf Liebe bei uns ›Brights‹ zu oft fehlen mag, schließe daraus bitte nicht, dass wir hier alle herzenskalte Gehirntiere sind. Für mich kann ich sprechen, dass mir die beiden stärksten ›irrationalen‹ Motivationen des Menschen auch wichtig sind: Liebe (Begehren) und Hass (Ablehnung).

Deine bisherige Fürsprache für die Liebe ist mir zu einseitig. Es ist immerhin die von Dir angesprochene eingeschränkte Liebe, zur eigenen Person, eigenen Familie, zur eigenen Kultur und Herkunft, zur Macht usw, die Menschen zu blenden vermag und somit — oftmals im Glauben die besten Absichten umzusetzten — zu schlimmen Taten treibt. Genauso zwiespältig sieht es auch mit Hass aus: nicht alles, was Menschen im Hass tun, zeitigt brutale oder schlimme Taten.

Und wieso sollte ein Glauben an Gott da eine Patent-Lösung liefern können?
Die zwei großen Provokationen, die das Leben zumutet, sind nun mal ungerechtes Leid und das alles verschlingende Nichts (besser vielleicht ›Verschwinden‹ und ›Vergessen‹ zu nennen). Um mit zweiteren fertig zu werden, klopfen wir uns selbst oder gegenseitig auf die Schultzer und wähnen uns gern bedeutend, so als ob wir wichtige Rollen in einer großen Geschichte innehaben. Mit ungerechtem Leid versuchen wir fertig zu werden, indem wir Menschen dieses Leid unter Kontrolle zu bringen oder zu ertragen trachten. — Immerhin haben auch schon viele Menschen ihren Gottesglauben eingebüßt, weil sie nicht mehr im Stande sind, Kraft ihres Glaubens zu verstehen, warum Gott (wenn es ihn gibt und er diese ›beste aller Welten‹ so eingerichtet hat, wie wir sie nun mal vorfinden) soviel Schmez, Ungerechtigkeit, Verschwendung, Leid zuläßt. — Mich selbst z.B. gruselt es, wenn ich versuche zu verstehen, wie es sein kann, dass ein Klüngel überwiegend alter Männer in einem kleinen, extrem priviligierten Staat, inmitten ihres über Jahrhunderte angehäuften Prunkes die Chuzpe haben kann, im Namen von Menschen zu sprechen, die hungend und ausgenutzt und an den Rand der Weltgesellschaft gespühlt im letzten Drecksloch darben.

Du sprichst aber auch von einer allumfassenden Liebe, in der die kleinen, ›weltlichen‹ Liebesbeziehungen gesammelt und veredelt werden, und Du nennst das ›die Liebe Gottes‹. Ich verstehe das als einen Ausdruck dafür, dass man sich selbst im Großen und Ganzen gut aufgehoben fühlt in seiner Existenz, und dass man so mitleidsfähig und sensibel ist, so ein gutes Sich-Aufgehoben-Fühlen auch anderen zuzugestehen, ja vielleicht sogar eigene Schritte unternimmt, um dafür zu sorgen. Kurz: Wir alle machen die Welt, egal von welchen Wurzeln wir herkommen, welche mögliche Zukunftsäste wir zu erklettern trachten.

Für mich, als Phantast kann ein Ausdruck wie ›die allumfassende Liebe Gottes‹ durchaus sinnvoll erscheinen. Aber als Naturalist und Atheist weiß ich darum, dass es für dieses Wunder der Existenz auch ganz weltliche Umschreibungen gibt. Nichts anderes bedeutet für mich der Schatz der poetischen Hervorbringungen der Menschheit, dieses vielstimmige und variantenreiche Sprechen über die Welt. Dass wir Menschen überhaupt da sind, und z.B. mit unserem Sprechen und Handeln so ›göttliche Werke‹ wie Kunst, Nächstenliebe und Herrschaft über die Dinge vollbringen können (aber eben auch: Verblendungszusammenhänge, Fremdenverachtung und selbstverschuldetes Unglück), ist für mich eine große, staunenswürdige Entwicklung des Universums. Die scheinbar hartnäckige Unwahrscheinlichkeit von Leben, ja erst recht sich selbst bewußt seienden Lebens, scheint mir gleichermaßen mirakulös, wie die das Vorhandensein von so exotischen Gebilden wie Schwarzen Löchern, Sonnen und dem kanadischen Laubfrosch. Dennoch: wenn wir als selbst Verantwortung übernehmen wollende, denkende und fühlende Wesen die gemeinsam geteilte Welt gestalten, sollten wir immer darauf achten, wo wir das Gebiet des sinnvollen Sprechens und Handelns verlassen und Gefahr laufen, unsere Argumente auf Luftschlösser zu gründen und beim Abstecken unserer Zielen zu zu große Risiken eingehen.

Nicht umsonst ist ein anderer Name der Informationsgesellschaft — als die man die Vorreiter der Komfortzone ›Moderne‹, in der wir leben ja bezeichnet — auch Risikogesellschaft. Kurz: für mich persönlich erscheint es zu riskant, sich in einer komplexen Welt in trügerische (Glaubens-)Sicherheit zu wiegen. Den Phantasien von einem alles liebenden, behütenden Gott stehen nun mal berechtigterweise Gottes-Phantasien gegenüber, in der Gott ein verantwortungsloser Pfuscher ist (noch dazu ein Mörder, da er ja vor Schöpfungsbeginn das Nichts, nun ja, nichtete), der sich zurückgezogen hat (andere Möglichkeit: er hat sich nicht zurückgezogen, pflegt aber einen ziemlich abseitigen Humor und benimmt sich in etwa so, wie ein Kind, das sich abwechselnd in der Rolle des edlen Samariters und eines Stadtviertel zertrümmernden Goziallas gefällt).

Stine, ich interpretiere das, was Du uns hier über Deinen Gottesglauben erzählst so: Du hast Dich für eine Haltung des »es wird alles gut … immer positive Einstellung bewahren« entschieden, und Gott und Liebe und Seele gehören für Dich zum Sprachfundus, mit dem Du dieser Haltung Ausdruck verleihst. Das kann ich voll akzeptieren. — Aber eine Haltung innehaben (oder wie ich es nannte: eine Figur abgeben, eine Person sein) ist etwas anderes, als Dinge zu begründen. So traurig es sein mag: außer der Tatsache, dass wir jeder allein sterben, und im Leben doch nicht allein sind, gibt es keinen wirklichen Grund für Deine Haltung. Sei aber getröstet, dass auch Nichtgläubige, ich eben z.B., völlig ohne eigenen Gottesglauben zu dieser menschenfreudlichen Haltung gelangen können.





@pinkwolf:
Du erwähnst Geschichten (z.B. Gespräche, Bücher und Filme) als wertvolles Mittel für uns Menschen, uns in der Welt, im Dasein zu orientieren.

Nicht umsonst mag ich deshalb einen Satz, den ich bei Umberto Eco gefunden habe: Indem wir Romane lesen, entrinnen wir der Angst, die uns überfällt, wenn wir etwas Wahres über die Welt sagen wollen.

Grüße
Alex / molo
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon Myron » Mi 10. Okt 2007, 15:35

stine hat geschrieben:Wir Menschen sind mehr, als Körper und Verstand aus biochemischen Abläufen. Wir haben eine gefühlte Geistseele und die ist für mich genauso existent, wie der Wind oder magnetische Felder in der Natur. Und genau hier ist der Punkt, warum ich mich mit dem Naturealismus nicht zufrieden gebe.
Mir fehlt die Liebe.


Liebesgefühle sind etwas ganz Natürliches, von unseren Körpern neurophysiologisch Erzeugtes.
Man kann durchaus auch als Naturalist "idealistisch", "romantisch" an "die Liebe" und deren Wichtigkeit in unserem Leben glauben.

stine hat geschrieben:
Nur Gott ist die allumfassende Liebe.


Nix für ungut, aber dieser Satz erscheint mir unverständlich, ja unsinnig.

stine hat geschrieben:
Wir wären keine Menschen, wenn wir ohne Gefühle lebten .
Und Gefühle sind beweisbar: (...)


Welcher Naturalist (der kein radikaler eliminativer Materialist ist) stellt denn die (ontisch subjektive) Realität von Gefühlen in Abrede?!
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Mi 10. Okt 2007, 20:12

pinkwoolf hat geschrieben:Neben dem Atheismus gibt es ja auch einige Religionen, die nicht von einem liebenden Gott ausgehen. Haben diese Menschen alle ein Liebesdefizit, das sie auf irgendeine destruktive Weise kompensieren müssen?


Ja, ganz klar!

LG stine
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Mi 10. Okt 2007, 20:17

Peter Janotta hat geschrieben:Und was spricht dagegen sich die Liebe von andern Menschen zu holen. Aber viel mehr noch sie miteinander zu erfahren und auch den anderen Liebe zurückzugeben. Diese Gemeinsamkeit und das Vertrauen könnte ich nie einem Wesen/einer Macht geben die mit der ich keinen so innigen, direkten Kontakt wie mit meinen Mitmenschen pflegen kann.

Weil diese Liebe oft nicht dauerhaft und nicht zuverlässig ist.
Wer sich von der Liebe eines anderen Menschen abhängig macht, ist arm dran. Außerdem überfordern wir unsere Freunde und Partner, wenn wir ihre Liebe für unseren Zustand verantwortlich machen.
"Wenn du mich verläßt, dann..."
Gott verläßt uns nie.
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Re: Gedanken über Gott

Beitragvon stine » Mi 10. Okt 2007, 20:41

molosovsky hat geschrieben:Und wieso sollte ein Glauben an Gott da eine Patent-Lösung liefern können?

Weil er der einzige ist, der uns nie im Stich lässt.
molosovsky hat geschrieben:...warum Gott (wenn es ihn gibt und er diese ›beste aller Welten‹ so eingerichtet hat, wie wir sie nun mal vorfinden) soviel Schmez, Ungerechtigkeit, Verschwendung, Leid zuläßt. — Mich selbst z.B. gruselt es, wenn ich versuche zu verstehen, wie es sein kann, dass ein Klüngel überwiegend alter Männer in einem kleinen, extrem priviligierten Staat, inmitten ihres über Jahrhunderte angehäuften Prunkes die Chuzpe haben kann, im Namen von Menschen zu sprechen, die hungend und ausgenutzt und an den Rand der Weltgesellschaft gespühlt im letzten Drecksloch darben.

Niemand sagt, dass das Gottes Wille ist. Gott gab uns den freien Willen und manch einer entscheidet sich eben nicht im Sinne Gottes. Gott tut weder für noch gegen etwas, er läßt uns tun. Wir können nur seiner allgegewärtigen Liebe sicher sein.
molosovsky hat geschrieben:Du sprichst aber auch von einer allumfassenden Liebe, in der die kleinen, ›weltlichen‹ Liebesbeziehungen gesammelt und veredelt werden, und Du nennst das ›die Liebe Gottes‹. Ich verstehe das als einen Ausdruck dafür, dass man sich selbst im Großen und Ganzen gut aufgehoben fühlt in seiner Existenz, und dass man so mitleidsfähig und sensibel ist, so ein gutes Sich-Aufgehoben-Fühlen auch anderen zuzugestehen, ja vielleicht sogar eigene Schritte unternimmt, um dafür zu sorgen. Kurz: Wir alle machen die Welt, egal von welchen Wurzeln wir herkommen, welche mögliche Zukunftsäste wir zu erklettern trachten.

So ist es, genau so!
molosovsky hat geschrieben:Für mich, als Phantast kann ein Ausdruck wie ›die allumfassende Liebe Gottes‹ durchaus sinnvoll erscheinen. Aber als Naturalist und Atheist weiß ich darum, dass es für dieses Wunder der Existenz auch ganz weltliche Umschreibungen gibt. Nichts anderes bedeutet für mich der Schatz der poetischen Hervorbringungen der Menschheit, dieses vielstimmige und variantenreiche Sprechen über die Welt. Dass wir Menschen überhaupt da sind, und z.B. mit unserem Sprechen und Handeln so ›göttliche Werke‹ wie Kunst, Nächstenliebe und Herrschaft über die Dinge vollbringen können (aber eben auch: Verblendungszusammenhänge, Fremdenverachtung und selbstverschuldetes Unglück), ist für mich eine große, staunenswürdige Entwicklung des Universums. Die scheinbar hartnäckige Unwahrscheinlichkeit von Leben, ja erst recht sich selbst bewußt seienden Lebens, scheint mir gleichermaßen mirakulös, wie die das Vorhandensein von so exotischen Gebilden wie Schwarzen Löchern, Sonnen und dem kanadischen Laubfrosch. Dennoch: wenn wir als selbst Verantwortung übernehmen wollende, denkende und fühlende Wesen die gemeinsam geteilte Welt gestalten, sollten wir immer darauf achten, wo wir das Gebiet des sinnvollen Sprechens und Handelns verlassen und Gefahr laufen, unsere Argumente auf Luftschlösser zu gründen und beim Abstecken unserer Zielen zu zu große Risiken eingehen.

Aber das widerspricht imgrunde auch nicht.
molosovsky hat geschrieben:Nicht umsonst ist ein anderer Name der Informationsgesellschaft — als die man die Vorreiter der Komfortzone ›Moderne‹, in der wir leben ja bezeichnet — auch Risikogesellschaft. Kurz: für mich persönlich erscheint es zu riskant, sich in einer komplexen Welt in trügerische (Glaubens-)Sicherheit zu wiegen. Den Phantasien von einem alles liebenden, behütenden Gott stehen nun mal berechtigterweise Gottes-Phantasien gegenüber, in der Gott ein verantwortungsloser Pfuscher ist (noch dazu ein Mörder, da er ja vor Schöpfungsbeginn das Nichts, nun ja, nichtete), der sich zurückgezogen hat (andere Möglichkeit: er hat sich nicht zurückgezogen, pflegt aber einen ziemlich abseitigen Humor und benimmt sich in etwa so, wie ein Kind, das sich abwechselnd in der Rolle des edlen Samariters und eines Stadtviertel zertrümmernden Goziallas gefällt).

Das sehe ich nicht so. Gott ist die reine Liebe. Er ist kein Mensch, der uns sagt, was wir tun sollen. Nicht er zieht sich zurück, wir entfernen uns hie und da von ihm. Habt nicht ihr euch von ihm losgesagt? Versucht nicht ihr ihn zu leugnen? Wenn ihr ihn sucht, müßt ihr das mit dem Herzen tun, nicht mit dem Verstand.
molosovsky hat geschrieben:Sei aber getröstet, dass auch Nichtgläubige, ich eben z.B., völlig ohne eigenen Gottesglauben zu dieser menschenfreudlichen Haltung gelangen können.

Das ist wirklich schön für dich und ich danke dir für deine Geduld. Wenn du aber mit mir fühlen könntest, wie sehr man sich in Gottes Liebe getragen fühlen kann, dann würdest du dein Leben völlig neu erfinden.

LG stine
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