stine hat geschrieben:Heute habe ich ein Mädchen gesehen, die ein Fingerpiercing hatte....
Ich dachte mir, wie verrückt muss man eigentlich sein, um sich sowas machen zu lassen.
Was steckt dahinter?
Weißt du dazu was?
stern.de hat geschrieben:Die Klassenfrage ist heute keine Geldfrage mehr. Es ist eine kulturelle Angelegenheit. Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht, Klassenfrage - das klingt nach angegammelter Gewerkschaftsrhetorik einerseits und gleichzeitig nach Dünkel und Hochnäsigkeit. Hatten wir in Deutschland nicht das Denken in diesen Kategorien überwunden? In Frankreich, England oder in den USA ist das Bewusstsein für Klassenunterschiede ein alltäglicher Begleiter der Menschen. Bei uns nicht. Warum?
Bis zum Faschismus war Deutschland eine Klassengesellschaft wie die anderen in Europa. Dann brachten die Nazis einen Teil der Eliten um oder vertrieben sie. Außerdem etablierten sie durch die Partei völlig neue Aufstiegsmechanismen. Nach dem Faschismus waren die übrig gebliebenen Eliten diskreditiert. Die DDR versuchte sich an der klassenlosen Gesellschaft. Im Westen entwickelte sich das, was der Soziologe Helmut Schelsky die "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" nannte. In der Utopie der DDR waren alle Arbeiter und Bauern. Die Utopie der Bundesrepublik kannte nur die Mittelschicht. Die meisten Deutschen sind also mit nur einem geringen Bewusstsein für Standesunterschiede aufgewachsen. Seit einigen Jahren ändert sich das. Die Unterschiede werden stärker wahrgenommen. Womöglich ist Deutschland auf dem Weg zurück zur europäischen Klassengesellschaft.
Das Merkmal, nach dem sortiert wird, heißt jedoch nicht: Du bist, was du hast. Es sind die alten Klassensignale: Du bist, was du isst: In der Mittelschicht wird gesunde Ernährung zur Statusfrage. In den Aufsteigervierteln eröffnet ein Biomarkt nach dem anderen. Fastfood dagegen entwickelt sich zur Hauptnahrung der Unterschicht. Du bist, was du anziehst: Kleidung, Marken, Farben, aber auch Frisuren, Tattoos oder Piercings haben eine enorme Signalwirkung. Generell gilt: Die Mittelschicht mag es unauffälliger. Die Unterschicht steht auf "starke Reize".
Du bist, wie du sprichst: In England ist der Akzent eines der stärksten Klassenmerkmale. Auch in Deutschland gilt: Wer kein korrektes Hochdeutsch spricht, egal, ob Migrant oder Einheimischer, für den bleibt der Weg nach oben versperrt. Du bist, was du glotzt: Die Gesellschaft sortiert sich immer stärker nach den Medienwelten, in denen man lebt. In vielen "bildungsfernen" Haushalten sind auf der Fernbedienung im einstelligen Bereich keine öffentlich-rechtlichen Sender gespeichert. Die besser Gebildeten schauen nicht nur andere Sender, sie lesen auch. Du bist, was du weißt: Das wichtigste Merkmal ist die Bildung. Die Wissensgesellschaft teilt die Menschen zuallererst danach ein, was sie gelernt haben.
http://mobil.stern.de/politik/deutschla ... 96663.html
stine hat geschrieben:Und du denkst, dass Geld dabei offensichtlich keine Rolle spielt? Denn Armut wird ja immer als Grund zur Spaltung angegeben.
Wie meinst du das?Vollbreit hat geschrieben:Wie kommt man denn daraus, wenn einem der Zugang zur Kultur im breiteren Sinne versperrt wird?
stine hat geschrieben:Wie meinst du das?Vollbreit hat geschrieben:Wie kommt man denn daraus, wenn einem der Zugang zur Kultur im breiteren Sinne versperrt wird?
Wie stellst du das fest?
Ich denke, dass das nicht wahr ist. Meine Beobachtung ist eher Interessenlosigleit oder Interesse anderer Art.
stine hat geschrieben:Du sagst es ja selber: Inflationäres ABI! Das ist doch genau das Ergebnis dessen, dass dieser Schulabschluss heute allen möglich gemacht wird. Was ja auch gut ist, aber eben den Abschluss inflationiert.
stine hat geschrieben:Ich glaube, dass die Abgrenzung bewusst erfolgt und mit Geld gar nichts zu tun hat.
stine hat geschrieben:Vielleicht ist es sogar der Aufschrei einer Generation, die keine Ziele mehr haben kann, weil alles schon irgendwann mal von irgendjemanden geschrieben, gesungen, erfunden und gemacht wurde.
Vollbreit hat geschrieben:Statt dessen zäumt man das Pferd von hinten auf und umgibt sich mit den Insignien der Schicht zu der man gehören „möchte“.
stine hat geschrieben:Ich glaube, dass die Abgrenzung bewusst erfolgt und mit Geld gar nichts zu tun hat. Vielleicht ist es sogar der Aufschrei einer Generation, die keine Ziele mehr haben kann, weil alles schon irgendwann mal von irgendjemanden geschrieben, gesungen, erfunden und gemacht wurde.
stine hat geschrieben:Und was meinst du jetzt genau? Dass die übersprungene Generation ihren Sinn im Piercen sieht?
fopa hat geschrieben:Ebenso kann man sich sehr schnell einbilden, die Mitmenschen mit (angeblich) höherem sozialen Status würden arrogant und naserümpfend auf einen herabblicken. Ein Problem, das insbesondere einige Menschen aus den neuen Bundesländern gegenüber Wessis betrifft.
fopa hat geschrieben:Die Protesthaltung inklusive der Reizsymbole scheint mir derzeit aus einer Mischung von beidem zu kommen: Teils tatsächliche, teils eingebildete Verwehrung von Chancen.
xander1 hat geschrieben: In Wikipedia findet man auch Informationen wer wann wo Piercings trägt.
Da hast du eigentlich recht.Lumen hat geschrieben:...aber warum ein Nasenpiercing z.b. soviel anders sein soll, wie ein Ohrring, erschließt sich mir jetzt nicht auf Anhieb.
stine hat geschrieben:Zum Thema Ohrlochstechen hatte ich mich schon früher mal geäußert. Kindern die Ohrlöcher stechen zu lassen, die das noch nicht selber entscheiden können, ist gleichbedeutend wie die Beschneidung. Ein völlig unnötiges Ritual am Kleinkind und es dient wohl eher dem Standesdünkel der Eltern als den Kindern selbst.
Womöglich ist es individuell verschieden, was die Beweggründe sind. Und das auszudifferenzieren gelingt wahrscheinlich den betreffenden Personen selbst nicht einmal. Bei manchem vielleicht mehr Protesthaltung, bei manchem mehr eine Körperverschönerung, oder von allem etwas.stine hat geschrieben:Ich denke, das denke ich auch!
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