Lumen hat geschrieben:Für die Beschreibung des Kapitalismus sind einzelne Kapitalisten nicht sehr interessant.
Kommt auf die Perspektive an, für den Soziologen sind eigentlich nie einzelne Individuen interessant.
Man kann aber einen Diskurs schlecht mit „der Gesellschaft“ führen.
Lumen hat geschrieben:Beziehungsweise wird die Ideologie oder Kategorie nicht immer jedem Individuum gerecht. Daher auch Wahrscheinlichkeiten. Anders gesagt, Schwäne sind (für gewöhnlich, mit hoher Wahrscheinlichkeit) weiß, aber nicht alle weißen Vögel sind Schwäne. Junge Schwäne haben kein weißes Gefieder und es gibt auch seltene schwarze Schwäne.
Sehr richtig, die Tatsache, dass der erste schwarze Schwan eine Allhypothese widerlegt, bedeutet ja nicht, dass nicht dennoch „einige“ Schwäne weiß sein können. Und „einige“ ist hier im Sinne der Logik gemeint, soll also heißen „nicht alle“ und „nicht keiner“ kann also 0,01% ebenso wie 99,99% umfassen.
Lumen hat geschrieben:Die Behauptung, dass man einem Individuum im Falle von Religionen nicht gerecht werden würde, ist offensichtlich falsch. Kann es Moslems ohne Glaube an Allah geben?
Das ist nicht der Punkt. Der besteht darin, dass Du einen Menschen der Moslem ist abschließend dadurch beurteilen möchtest, dass er Moslem ist. Damit entindividualisiert Du ihn. Es könnte aber einen Unterschied zwischen einem jungen, männlichen, fanatisierten Moslem geben, der gerade mehrere narzisstische Kränkungen durchlitten hat und einer 50 jährigen verheirateten Professorin für Zoologie, die Muslima ist.
Du möchtest über diese Frau gerne Deine Vorurteile in gewohnter Weise ausschütten dürfen und das tust Du dadurch, dass Du auf Stammtischniveau argumentierst. Vom Moslem weiß man ja, wie der so tickt.
Die Garnierung Deiner aggressiven Vorurteile mit Gallup-Statistiken und Dennett-Zitaten, ändert nichts daran, dass es falsch geschlossene Vorurteile sind, pars pro toto. Ist falsch, bleibt falsch.
Lumen hat geschrieben:Es ist nicht wichtig, in welche Kategorie, eine Aussage einer Religion gestopft wird. Entweder sie bezieht sich auf das, was wir gemeinhin Wirklichkeit nennen, oder nicht. Wenn sie das tut, ist sie in derselben Arena wie wissenschaftliche Theorien. Daher kann man Gott auch als "Gott Hypothese" bezeichnen. Du hast recht, dass du das nicht getan hast. Du gehst da Trickreicher vor.
Guck mal, wieder kannst Du nur aus Deiner geschlossenen Sichtweise heraus argumentieren.
Das ist fade und so ganz und gar ohne Erkenntnisfortschritt und vor allem ohne Diskurswillen.
Du willst gar nicht mit mir reden, es interessiert Dich nicht, was ich denke, weil Du meinst, es längst zu wissen. Das Urteil steht fest, die Beweise werden noch gesucht. Verräterisch.
Lumen hat geschrieben:Du vermischt religiöse Apologetik (ein Begriff den ich übrigens wertfrei meine, und meines Wissens auch keine abwertende Bedeutung hat) mit Wissenschaftskritik, aber beides getrennt voneinander.
Ich habe die Frage gestellt, warum in Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie Religion nicht vorkommt. Kannst Du sie mir beantworten oder nicht? Da wird ja nun mal alles verwurstet auch marxistische Literaturkritik. Religion war nie dabei, warum wohl?
Weil Religion gar nicht den Anspruch hat Welt zu erklären, in einem wissenschaftlichen oder philosophischen Sinn.
Das galt vielleicht mal vor einigen 1000 Jahren, heute hat Religion, gerade aus deskriptiv-soziologischer Großeinstellung betrachtet, ganz andere Funktionen.
Lumen hat geschrieben:Das ist keine schlechte Idee, vielleicht auch Zufall, aber im Endeffekt entsteht bei mir dann doch der Eindruck, dass beide Bereiche doch nicht ganz so getrennt voneinander sind, wie du es gerne darstellst.
Das ist eine diskussionswürdige Aussage, zu der ich gerne Stellung nehme:
Es stimmt, zu einem gewissen Teil. Der sieht bei mir – nicht bei anderen – so aus, dass ich die Bilder einer heiligen Schrift zum allergrößten Teil, sofern ich sie kenne, übertragen und metaphorisch deuten würden, aber eher selten im kirchlichen Kanon. Das macht oft Sinn, ist für mich aber eher von spielerischem Interesse, da die Möglichkeiten der Interpretationen breit sind und das was rauskommt an der Kunst des Interpreten liegt, nicht unbedingt im Gehalt der Bilder und Mythen.
Eine wortwörtliche Deutung ist aus meiner Sicht indiskutabel.
Mein eigentliches Interesse ist die Erfahrungsebene der Mystik, die oft – aber nicht immer – in einen religiösen Kontext eingebettet ist, sich aber über diesen erhebt. Mit anderen Worten, Mystik hat mit Religion im Grunde nichts zu tun und ob man nun kontemplatives Dasitzen als „Stilles Gebet“ oder „Zazen“ deklariert oder „Selbsterfahrung“ oder „Innenschau“ oder oder oder, ist im Grunde nachrangig und unbedeutend.
Auf der Ebene des Mystik würde ich allerdings von Erkenntnissen reden, weil es sich dabei um selbst gemachte Erfahrungen handelt, die zwischen ausgedehnten Episoden exzessiver Langeweile, die man tolerieren können muss, die Geschenke von diversen Erleuchtungserfahrungen unterschiedlicher Ausgedehntheit und Qualität verpackt hält.
Diese Erkenntnisse sind im Status des Erlebens nie objektiv, aber sie können nachher natürlich rational eingetütet werden. Aber eben auch mythisch oder narzisstisch, hier spielt die Ich-Struktur im Hintergrund eine Rolle.
Das Wesentliche der mystischen Erfahrung ist aber gar nicht die nachherige Einordnung, sondern, wenn es gut geht, die immense Wucht der Eindrücke, die oft mit nichts anderem zu vergleichen ist.
Diese Idee, dass es eine Sphäre reiner archetypischer Erfahrung gibt, ist ja richtig. Man kann es erleben und es ist immer wieder erlebt worden.
U.a. davon künden auch einige Offenbarungen der Religionen, aber es gibt halt auch bei der Begehung der Innenwelten (wobei, bei Licht betrachtet, die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenwelt ohnehin nicht aufrecht zu erhalten ist) verschiedene Stufen und es wird immer so sein, dass nur wenige diese Innenwelten bereisen. Wer dies tut, wird immer vergleichbare Erfahrungen machen und jene werden u.a. von den Mystikern beschrieben, deren Erkenntnisse überliefert sind oder die sie selbst aufgeschrieben haben. Aber, was auch immer man da am Ende liest und glaubt, ist m.E. unwichtig, weil es immer nur geliehene Ansichten sind, es ist und bleibt Glaube.
Besser sind also eigene Erfahrungen und Erkenntnisse und der Lohn ist dann und wann die subjektive Wucht dieser Erfahrungen. Am überzeugendsten präsentiert vielleicht Ramana Maharshi von den populären Mystikern diese Position. Er hatte keinerlei Fragen mehr und machte mit der Erkenntnis, dass es letztlich kein Ich gibt, wirklich ernst.
In diesem Sinne, ist die Mystik ein Weg zur Generierung von Erkenntnissen, die Religion ist Mischung, mit einer ganz anderen Funktion.
Lumen hat geschrieben:Daher habe ich so meine Zweifel, warum Wissenschaften bei dir anscheinend unerfüllbare Kriterien erfüllen müssen, aber Religionen bei dir mit nichts weiter davon kommen, als mit einer hübschen Märchengeschichte.
So ist es doch auch: Religionen erzählen hübsche Märchen.
Sie versammeln viele Menschen um einen zentralen Mythos, der mal, mehr mal weniger bekannt ist und hat eine soziologische Funktion. Allerdings auch eine psychologische. Die reicht vom simplen Trost – oft auch auf der Basis unzureichenden Wissens, nur, die Basis unzureichenden Wissens bei Szientisten ist auch erheblich und ihr „Glück“ besteht auch nur darin, dass sie das nicht selbst erkennen – bis zur Fähigkeit zu echtem Glauben. Die ist dem einen gegeben, dem anderen nicht.
Und sie ist übrigens keine Schwäche, sondern kommt aus einer Quelle mit Moral, Wissenschaft, Kunst und Liebe, psychologisch ist das gut erforscht und beschrieben.
Lumen hat geschrieben:Die Antwort lieferst du ja im Folgenden. Du bist offenbar ein starker Relativist. Genauso wie Darth Nefarius extrem reduktionistisch ist, sodass Begriffe und Konzepte keinen Sinn mehr ergeben, sind bei dir Bewertungen oder Urteile allesamt hinfällig.
Nein, überhaupt nicht.
Ich kann nur das, was Du nicht hinbekommst, ich sehe tatsächlich Grautöne, Unterschiede und kann zwischen tiefschwarzer Religion und grellweißer Wissenschaft auch in der Praxis des Lebens und nicht nur in jedem zehnten phantasierten Exkurs, als mühsam abgerungenes Zugeständnis, unterscheiden.
Lumen hat geschrieben:Mit dieser Sichtweise hat dann Mystizismus bei dir wieder eine Chance, und zwar anscheinend aus rein ästhetischen Gründen. Du bist sozusagen ein Fan von Mystizismus.
Nicht Mystizismus, Mystik. Darauf lasse ich mich auch gerne festnageln.
Mystik ist eine Erfahrungs“wissenschaft“ könnte man sagen, aber ich lege auf den Terminus der Wissenschaftlichkeit keinerlei Wert, für mich ist das keine Auszeichnung, also ist mir die Diskussion darüber herzlich egal. Mystizismus ist, etwas in die Welt hineingeheimnissen zu wollen.
Ich finde es spannender die Geheimnisse zu lösen, es sind ja doch mehr als genug da.
Lumen hat geschrieben: Vollbreit hat geschrieben:Meinst Du wirklich ich sei ein Kreationist?
Ich glaube nicht, aber kann ich nicht wissen.
Nein, bin ich nicht.
Auch die anspruchsvollere Variante des Intelligent Design finde ich relativ anspruchslos.
Meine Begründung dafür ist, dass IDler und Kreationisten eine recht vorhersehbare Instrumentalisierung der Wissenschaft betreiben. Sie beansruchen die Wissenschaft immer dann gerne für sich, wenn es darum geht, dass diese (vermeintlich) etwas belegt, was ihnen in den Kram passt, also die 173. Diskussion um das Turiner Grabtuch usw., aber verweigern sich im weiteren jeder wissenschaftlichen Konzeption. Rosinenpickerei. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
Lumen hat geschrieben:Du wirst ja die Zahlen und Fakten über den Haufen, wenn es um die Verbreitung des Kreationismus geht.
Nö, ich kann das schon glauben und finde es vergleichsweise erschreckend.
Aber die Tatsache, dass die Zahlen stimmen mögen, bedeutet nicht, dass Du mit empirischen Befragungen logische Fehler ausbügeln kannst, das ist einfach immer falsch, weil es ein Kategorienfehler ist.
Wenn Paul größer als Peter und Peter größer als Maike ist, dann ist das eine logische Figur, aus der zwingend und immer folgt, dass Paul größer als Maike ist.
Herzugehen und alle Familien zu durchsuchen, in denen es Paul und Maike gibt und die dann durchzumessen und auszuwerten ob es nicht auch Familien gibt, in denen Maike größere ist als Paul, ist einfach der falsche Ansatz.
Das habe ich kritisiert und das kritisiere ich noch immer.
Lumen hat geschrieben:Kannst du machen, aber das bescheinigt nur, dass du von der Sache keine Ahnung hast, beziehungsweise dein Radikal-Relativismus dir einen Strich durch die Rechnung macht. So wie die Wahrscheinlichkeit bei gläubigen Christen sehr hoch ist, dass sie an Jesus glauben, so sind amerikanische Evangelikale mit hoher Wahrscheinlichkeit Kreationisten (welcher per Definition religiös ist). Das kommt auch nicht von ungefähr, denn in den USA gibt es biblische Literalisten, Young Earthers und andere, und ganze Stiftungen dazu.
Meine Kritik an dieser Stelle war, dass Du versuchst Vorurteile zu etablieren, was ziemlich schäbig ist.
Du scheinst die Kritik aber nicht zu verstehen, darum noch mal:
Ich leugne nicht, dass es Menschen mit religiöser Einstellung gibt und auch nicht, dass man diese statistisch messen kann. Ich sage nur, dass das nichts über den einzelnen Menschen aussagt.
Die Kritik ist, dass Du Dir, bei der Beurteilung von Menschen, Individuen, denkenden und fühlenden Wesen wie Dir, genau
ein Kriterium heraussuchst, nämlich die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, an dem Du Dich dann – da selbstgewählt, man könnte ja austreten – regelmäßig in gewohnter Weise abarbeitest. Das ist meine Kritik. Eigentlich simpel, aber schwerwiegend, was die Konsequenzen für Dein Menschenbild angeht.
Das wird vermutlich halbwegs differenziert sein, wenn es um Polizeibeamte, BVB Fans und Physiker geht, aber wenn es um das Kriterium „religiös“ geht, rastest Du aus.
Deiner Meinung nach natürlich nicht, da fühlst Du Dich motiviert die bösartigen Verschleierungsstrategien aufzudecken. Hier haben wir im Diskurs einen Dissens.
Lumen hat geschrieben:Das ist ja schön, aber wie man sieht, ein vollkommen sinnfreies Unterfangen. Das einzige, was du hier machst ist deine übliche Verschleierungstaktik. Der Sachverhalt ist nicht mehr wichtig, du hast erfolgreich davon abgelenkt, dafür viel Rauschen erzeugt. Was können wir hier für den Diskurs lernen?
Worum ging es Dir denn? Darum, ob man Religion so definieren kann, wie Du das tust und Du tust es in ähnlicher Weise wie Dennett. Kannst Du machen, warum nicht? Es ist halt nur so:
Wikipedia hat geschrieben: Religionsdefinitionen dienen in der Religionswissenschaft und anderen Kultur- oder Sozialwissenschaften dazu, den Gegenstand „Religion“ zu definieren, das heißt genau zu bestimmen und gegen andere Phänomene abzugrenzen. Es gibt mittlerweile über hundert Religionsdefinitionen, aber bisher hat sich keine als allgemein anerkannt durchsetzen können.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Religionsdefinition
Auch die Diskurshoheit zu beanspruchen – also zu behaupten, dass nur Dein, an Dennetts Definition angelehnter Religionsbegriff der einzig richtige sei –, auch kannst Du tun, es ist halt eine Frage der Zeit, ob er sich durchsetzt, bisher hat sich augenscheinlich weder Deiner noch Dennetts durchgesetzt.
So sind nun mal die Tatsachen. Hast Du da irgendwelche Einwände?
Lumen hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Lumen hat geschrieben:Dann kann man angeblich keine Aussagen über Religionen machen (was natürlich nicht geht, wenn man selektiv den Begriff verschwinden lässt).
Ich habe nie behauptet, dass man keine Aussagen über Religionen machen kann, das ist Deine Phantasie.
Ok. Nochmal lesen und kurzen merken, dann kommt:
Man kann die Aussage machen, dass es keine Definition gibt? Das es ein buntes Spektrum ist? Das ist ja sensationell. Nun sehe wir eine weitere kleine Ablenkung von der Komik.
Wird sich wohl um einen typischen Fall von religiöser Unterwanderung von Wikipedia handeln.
Du verstehst wirklich den Unterschied nicht? Gut, dann erkläre ich ihn Dir:
Die Frage, ob man Aussagen über Religionen machen kann, bedeutet, ob man (wahre) Aussagen über Religionen machen kann, mehr nicht. Kann man. Tausende. Ein paar beliebige:
Die größte Religionsgemeinschaft sich derzeit die Christen, gefolgt von den Moslems.
In Deutschland gibt es ca. 60% Menschen mit Konfessionszugehörigkeit.
Nicht jeder Gläubige auf dem Papier ist innerlich mit seiner Religion verbunden.
Katholiken glauben oft an die Möglichkeit einer jungfraulichen Empfängnis (dass diese zumindest einmal vorgekommen ist).
Es gibt religiös motivierten Terrorismus.
…
Das sind alles Aussagen über Religionen, die vermutlich alle stimmen und die man um 1000 weitere ergänzen könnte.
Eine Definition von Religion kann man auch liefern, darum gibt es ja über 100 davon, das ist bereits der empirische Beweis. Es hat sich nur bislang keine durchgesetzt.
D.h. man kann a) Aussagen über Religionen machen und b) Religionen definieren, nur hat sich c) eben keine durchgesetzt.
Ist vermutlich wie bei Definitionen von „Kunst“ oder „Philosophie“.
Aber Du wirst vermutlich keine durchtriebene Weltverschwörung und Vernebelungstaktik der Künstler befürchten, oder?