stine hat geschrieben:Es gibt natürlich Menschen, denen der Fernseher und die eigenen 4 Wände genug Geborgenheit bieten, aber es gibt auch viele, denen das nicht reicht und trotzdem können sie nicht auf Familie und Freunde zurückgreifen.
Die Frage ist nur, warum man ausgerechnet den Naturalismus heranzieht, um diese Probleme anzugehen. Eine der großen Stärken - vielleicht nicht aus jedermanns Perspektive - ist doch, dass der Naturalismus keine Heilslehre darstellt. Der Naturalismus macht lediglich Aussagen darüber, wie die Welt ist und sich verhält, man kann innerhalb des Naturalismus Mechanismen erklären - auch Geborgenheit als Emotion, die auf neurologischen Vorgängen basiert, sicherlich -, aber für das Bieten eines kuscheligen Heims ist der Naturalismus schlicht nicht zuständig.
Man kann sich nicht seines eigenen Verstandes bedienen und sich dann darüber beschweren, dass die Wirklichkeit nicht so aussieht wie ein Mandala. Die Wirklichkeit ist grau. Grau heißt nicht trostlos, grau heißt einfach nur grau. Ich habe schon weiter oben ein Angebot gemacht, wie man sich der Herausforderung dieser Grauheit stellen kann, ohne zu verzweifeln. Der erste Schritt dahin ist, dass man die angebliche Lücke, die der Verlust des Konzeptes eines Gottes reißt, einfach mal Lücke sein lässt und stattdessen etwas mit dem macht, was man hat. Eine solide Holzhütte ist besser als ein marmormes Traumschloss, vor allem, wenn man in einem Sumpf wohnt und es da keinen Marmor gibt. Warum wird der Naturalismus dafür verantwortlich gemacht, dass manche Leute sinnlose Hoffnungen und Schwärmereien nicht begraben können? Es gibt doch SO vieles hier. Um es mit Tim Minchins Worten zu sagen: "Isn't this enough? Just this world? Just this beautiful, complex, wonderful, unfathomable natural world? How does it so fail to hold your attention that we have to diminish it with the invention of cheap man-made myths and monsters?"
Der Naturalismus kann aus sich heraus keine Geborgenheit geben. Es ist möglich, innerhalb des Naturalismus das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu entwickeln, aber das ist eine Frage der persönlichen Perspektive. Einem depressiven Alkoholiker wird "Gottes Liebe" auch nicht zwingenderweise Geborgenheit vermitteln, es ist schon auch ein Minimum an Bereitschaft nötig, sich helfen zu lassen; und diese Hilfe kann genausogut von ehrlichen, wohlmeinenden Naturalisten geleistet werden. Die können genauso als Ankerpunkt dienen, indem sie beispielsweise sagen "Mein Freund, die Welt ist hart, aber wir sind da und wir lassen dich nicht allein." Man weiß, beispielsweise aus der Pallativmedizin, dass Menschen in ihren schwersten Stunden vor allem nicht allein sein wollen. Wir sind 7 Milliarden homo sapiens et sentirens, wir werden es ja wohl ohne Gott hinkriegen können, die Einsamkeit zu besiegen.