@ ganimed:
Okay, Du hast keinen Schimmer, worum es mir eigentlich geht, ich dachte Dir wäre die Kritik irgendwie nachvollziehbar. Von mir aus also ganz langsam:
Zunächst und das ist nicht unwichtig:
Nicht 1. Sprache, sondern Sprache oder Perspektive der 1.Person. Das ist einfach die Einteilung der Grammatik, erste Person Singular: „Ich bin …“, „Ich tue …“ „Ich möchte …“ „Mir ist so …“ „Es kommt mir so vor, als ob …“ „Ich habe mich entschieden … zu tun.“ Und so weiter. Sätze, in denen ein erlebendes Subjekt vorkommt, das Teilnehmer ist.
Die Perspektive der 3. Person Singular ist eine deskriptive und objektivierende „Es tut“ Perspektive: „Schau, es bewegt sich.“ „Es atmet.“ „Es besteht aus Kohlenstoff.“ „Es hat ein Volumen von 3,5 m³.“ „Sein Broca Areal ist druchblutet.“ Alles was dort beobachtet wird, ist erst mal ein Objekt, wird zumindest als Objekt beschrieben.
Was Singer nun behauptet, ist, dass die Erlebnisinhalte der 1.Person Perspektive: „Puh mir ist so warm“, auch in die Sprache der 3.Person übersetzt werden kann und zwar in eine objektivierende Darstellung, die lauten könnte: Immer wenn jemand sagt, „Mir ist warm“, finden wir im Gehirn folgendes vor: Das Areal 4711 ist stark durchblutet und vor allem die Serotonin Rezeptoren sind aktiviert, während alle andere Rezeptoren gehemmt sind.
Wenn das immer dann, genau dann und nur dann auftritt, wenn Frau Müller sagt: „Puh, ist mir warm“, muss man noch rausfinden, ob das bei Herrn Meier, ganimed und Vollbreit in der gleichen Weise gegeben ist. Das wären auch mal nur Korrelationen, noch keine Kausalbeziehung.
Wenn das der Fall ist, dass das bei allen, oder doch der überwiegenden Mehrzahl der Menschen der Fall ist, hätte man eine Theorie über einen Satz gefunden.
Es gibt aber ein Problem, dass Du möglicherweise nicht kennen wirst, und das auch sonst nicht unbedingt zum Allgemeinwissen gehört. Eine Sprache zu erlernen oder auch zu übersetzen ist ein notwendig holistischer Akt. Der kleinste Zug im Sprachspiel ist ein Satz. Den Satz: „Gut, dann werde ich das tun“ kannst Du nur unvollständig verstehen. Du wirst ihn aber nicht besser verstehen, wenn Du in nun in seine Einzelteile zerlegst und jedes Wort einzeln analysierst und später jede Silbe oder jeden Buchstaben und auch nicht, wenn Du diese noch analysierst. Im Gegenteil, Du wirst den Sinn – das was der Satz ausdrücken möchte – noch mehr verlieren.
Begreifen tust Du ihn nur, wenn Du ihn in einen größeren Kontext setzt und dann erfährst, dass es um die Aufteilung von Arbeiten ging und einer sich bereit erklärt den Hof zu fegen.
Das gilt für jede Sprache, sie ist immer holistisch zu erfassen oder man erfasst sie nicht.
Natürlich sind Hirnforscher keine Blödies, haben ihre Methoden, spielen Worte, Bilder, emotional besetzte Filmsequenzen ein, lassen Gegenstände betasten, simulieren dies und das, reizen Areale und das alles ist ungeheuer interessant und faszinierend.
Nur, ist das schon die Sprache der 1.Person? Man kann schon schauen, wie jemand auf etwas reagiert, ihn dazu befragen, was er empfunden hat und dann schauen, welche Hirnareale in welcher Weise beteiligt waren. Es gibt hier eine Unzahl an methodischen Problemen, aber vernachlässigen wir die mal.
Die Frage ist ja nur, was macht denn unseren Subjektstatus aus?
Mein Gleichgewichtssinn? Er steht in der Hierarchie der Sinne ganz oben, hörte ich kürzlich noch.
Aber ist es das, was Dich in Deiner Welt zentral ausmacht, dass Du einen halbwegs intakten Gleichgewichtssinn hast? Oder Sehsinn? Hörsinn? Nein, das ist es, was Du mit uns allen teilst, auch mit der Spitzmnaus.
Was
Dich ausmacht und unterscheidet, sind spezifische Einstellungen, z.B. zur Frage des Verhältnisses von Hirnforschung zur Philosophie, zur Monogamie, zur Religion.
Es ist also zu erwarten, dass die Überschrift oder der Satz: „Monogamie und Partnerschaft“ Dich zu anderen Assoziationen hinreißt, als das vielleicht bei jemandem der Fall ist, der dezidiert für die Treue in der Partnerschaft eintritt. Kurz und gut, sein Gehirn verarbeitet diesen visuellen Reiz anders, als Dein Gehirn.
Ich setze voraus, dass Du mir zustimmen wirst, dass wir hier mit Leichtigkeit 50 Überschriften finden würden, bei denen jeder der an der Diskussion Beteiligten zustimmen würde, dass wir alle ein wenig bis sehr viel anders auf diese reagieren würden. Ein beliebiges Beispiel: „Die Bedeutung der Religion“
Ich glaube es würde auch sehr unterschiedliche Hirnreaktionen, also Assoziationen auf Begriffe wie „Franz Kafka“, „Der Porsche 911“, „Das Beschneidungsgesetz“, „Erbsensuppe“, „Pornographie“, „Martin Luther“, „Urlaub in den Bergen“, „Caspar David Friedrich“ geben. Kannst Du dem zustimmen?
Was also soll eine objektive Reaktion auf den Begriff „Erbsensuppe“ sein?
Welche Synapsen müssen richtigerweise immer mit dem Begriff „Erbsensuppe“ verbunden sein und wer will wie legitimieren, dass genau diese und keine andere Reaktion die objektiv richtige ist, wenn man „Erbsensuppe“ hört? Und gilt das auch für Menschen aus dem Kongo und Peru?
(Es war u.a. Putnam, der dazu Lesenswertes geschrieben hat.)
Wo im Hirn sitzt die Ironie? Was muss neuronal passieren, damit ein Objekt sich genötigt fühlt Metaphern zu verwenden?
Du sollst mir diese Frage nicht beantworten, ich will nur einen Hintergrund für die Idee schaffen, wo überall noch lose Enden baumeln, wenn wir die Sprache der 1.Person eine subjektive, mit ihren subjektiven Assoziationen, in die der 3.Person Perspektive übersetzen will.
Und jetzt zu Deinen Fragen:
ganimed hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Singer könnte also, weil er momentan keine 3.Person Sprache zur Verfügung hat, auf die der 1.Person zurückgreifen müssen, vielleicht auch, weil – wie Du meinst – die echte 3.Person Sprache nur Fachkollegen verstehen würden und sich darauf berufen. Tut er aber nicht. Er behauptet 2004, dass es diese Sprache schon gibt,
Also nochmal ganz langsam: welchen Grund unterstellst du Singer, die 1. Sprache zu verwenden?
Ich unterstelle Singer nicht, die Sprache der 1.Person zu verwenden, er behauptet ganz explizit, man könne die Sprache der 1.Peron in einer objektivierenden Beschreibung von Hirnfunktionen (Der Sprache der 3.Peron Perspektive) abbilden oder darstellen:
Wolf Singer hat geschrieben:Die zunehmende Verfeinerung neurobiologischer Messverfahren hat nun mehr die Möglichkeit eröffnet, auch die neuronalen Mechanismen zu analysieren, die höheren kognitiven Leistungen komplexerer Gehirne zugrunde liegen. Somit werden auch diese, auch als psychisch bezeichneten Phänomene zu objektivierbaren Verhaltensleistungen die aus der Dritten-Person-Perspektive vertraut sind und beschrieben werden können. Zu diesen mit naturwissenschaftliche Methoden untersuchbaren Leistungen zählen inzwischen auch solche, die uns bereits aus der Ersten-Person-Perspektive vertraut sind, darunter fallen Wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern und Vergessen, Bewerten, Planen und Entscheiden, und schließlich die Fähigkeit Emotionen zu haben. Alle diese Verhaltensmanifestationen lassen sich operationalisieren, aus der Dritten-Person-Perspektive heraus objektivieren und im Sinne kausaler Verursachung auf neuronale Prozesse zurückführen. Somit erweisen sie sich als Phänomene, die in kohärenter Weise in naturwissenschaftlichen Beschreibungssystemen erfasst werden können.“ (Wolf Singer in Hirnforschung und Willensfreiheit, Hrsg. Chr. Geyer, Suhrkamp 2004, S.35)
Ich unterstelle Singer, dass er selbst auf die Sprache der 1.Person nicht verzichten kann und es auch nicht tut, wenn er davon redet, dass das Gehirn „entscheidet“, „will“, „denkt“, „die Absicht hat, dass…“.
Was er leisten müsste wäre genau diese Übersetzung darzustellen in der Weise: „Die Absicht haben, dass, …“ bedeutet neurologisch, dass das Areal 08/15 mit der und der Region unter Hauptbeteiligung der Dopaminrezeptoren usw. …“
Das kann er ja beliebig detailliert darstellen, es muss halt nur reliabel und valide sein und was er dann nicht tun darf, ist zu sagen, das Gehirn hätte die Absicht den roten Schlips zu wählen. Denn dann ist das Ganze nur ein Taschenspielertrick und genau das ist es im Wesentlichen, bisher.
Wenn ich einfach nur all das, was bisher das Ich und der freie Wille leisten mussten, dem Gehirn und den Naturgesetzen zuschreibe, ändert sich einfach nur die Zuschreibung, sonst nichts.
Aus dem Satz: „
Vollbreit hat sich aus den und den
Gründen entschlossen heute nicht zur Arbeit zu gehen“ wird einfach nur: „
Vollbreits Hirn hat aus den und den
Ursachen berechnet, dass Vollbreit heute nicht zur Arbeit geht.“
Die immense praktische Folgenlosigkeit dieser doch äußerst radikalen Veränderung sollte auffallen. Nun liebe ich nicht mehr meine Frau, sondern mein Gehirn hat entschieden, dass ich sie liebe. Nicht ich habe diesen Beitrag geschrieben, sondern mein Gehirn, das ist eine Umdefinition, aber inhaltlich hat sich nichts geändert.
Zusammengefasst: Ich werfe Singer nicht vor, dass er die Sprache der 1.Person verwendet, sondern, dass er nicht auf sie verzichten kann und dass es genau das ist, was er leisten müsste.
Dass er tatsächlich in die Sprache der 1.Person verfällt, kann man in dem Interview mit Nida-Rümelin und Singer lesen:
Die Frankfurter Rundschau hat geschrieben:JNR: Prüfen wir mal, ob das wirklich so harmlos ist. Ihre These lautet: Natürlich erscheinen uns unsere Entscheidungen als von Gründen gesteuert, aber in Wirklichkeit irren wir uns da. Weil es immer nachgängig ist, der Prozess ist schon abgeschlossen, wenn er ins Bewusstsein tritt. Und deshalb spielen Gründe in Wirklichkeit keine Rolle.
WS: Doch, Gründe spielen eine Rolle. Die Aktivität der an Entscheidungen beteiligten Nervennetze ist durch Gründe beeinflussbar. Wenn Sie mir etwas sagen, wird Ihr Argument in neuronale Aktivität übersetzt. Die Neuronenpopulationen beginnen, nach konsistenten Zuständen zu suchen. Das Gehirn möchte konsistente Zustände.
JNR: Konsistenz? Dies Wort darf ein Logiker benutzen. Für einen materiellen Prozess ist das kein gutes Prädikat.
WS: Ich kann das leicht herunterdeklinieren. Wenn ein Gehirn eine Voraussage machen will, also Variablen, die sich allesamt in nichts anderem niederschlagen als in neuronalen Aktivitätszuständen...
JNR: Jetzt sage ich: Na und?
WS: ...dann muss das Gehirn unterscheiden ...
JNR: Das Gehirn kann nicht unterscheiden.
WS: Doch. Das tut es ununterbrochen.
JNR: Sie benutzen eine falsche Begrifflichkeit.
WS: Gut, dann sage ich: Das Gehirn sucht ...
JNR: Es sucht auch nicht.
WS: Ich will versuchen, ohne diese intentionalen Begriffe auszukommen: Das System ist so aufgebaut, dass es – das kann ich jetzt aber sagen? – danach strebt ...
JNR: Eigentlich auch nicht.
WS: Also gut, dann sage ich, dass das System bestimmte dynamische Zustände begünstigt, die sich durch Widerspruchsfreiheit auszeichnen, die stabiler sind als andere. Stellt sich ein solcher Zustand ein, wird er als Ergebnis empfunden: „Aha, ich habe die Lösung.“
http://www.philosophie.uni-muenchen.de/ ... singer.pdf
Singer hat immerhin einen Sinn für die Problematik, wie man lesen kann.
Er kann sie halt nur nicht auflösen, denn die bestimmten dynamischen Zustände sind es, die er darstellen, aufzeigen, beschreiben müsste.
ganimed hat geschrieben:Wieso spricht er in der 1. Sprache?
Weil sein Gehirn ihn dazu zwingt. (Kleiner Scherz.)
Ich vermute, er muss deshalb diese Sprache benutzt, weil die Neurosprache zu diesem Zeitpunkt so wenig existierte, wie sie heute existiert.
Natürlich kann man in einem Gespräch metaphorisch sagen, dass das Gehirn will, die Natur die Absicht hat, der Computer streikt, der DAX zaudert und so weiter und jeder weiß, was damit gemeint ist. Aber Singer weiß sehr genau, was er da behauptet und das muss er dann auch liefern.
Er kann einen Plauderkontext von einer wissenschaftliche Theorie sehr wohl unterscheiden.
ganimed hat geschrieben:Und dann die Frage an dich: wieso darf er nicht in der 1. Sprache sprechen?
Wieso ist das verboten?
Das ist nicht „verboten“. Das ist ein völlig unpassendes Vokabular.
Dir muss jetzt aber einfach klar sein, worum es geht und was Singer leisten müsste – einfach seine eigene Behauptung, dass die 1.Person Sprache in die 3.Person Sprache übersetzt werden kann, einlösen – sonst sehe ich hier keinen Sinn mehr das Gespräch zwischen uns weiter fortzusetzen.
ganimed hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Was mich etwas irritiert, ist, dass ich inzwischen nicht mal mehr einen leisen Schimmer habe, was Du überhaupt meinen könntest
Ich bin davon überzeugt, dass ich jedes deiner Argumente gegen Singer Stück für Stück entkräften könnte.
Bemüh‘ Dich doch erst mal, vor den Feinheiten, in gröbsten Zügen die Kritik zu verstehen.
Die von Dir zu erbringende Diskursleistung ist die, dass Du meinen Standpunkt so wiedergeben kannst, dass ich sagen kann: „Ja, genau so (oder in etwa so) meinte ich es.“
Im Moment bist Du meilenweit entfernt zu begreifen, worum es mir geht, aber diese Kritik ist ja nicht mein Privatvergnügen, sondern die allgemeine Kritik in dieser Diskussion. (Siehe: Nida-Rümelin, im eben zitierten Gespräch.)
ganimed hat geschrieben:Leicht ist das aber nicht, weil wir ja noch nicht einmal das erste Argument (angeblicher Widerspruch) abhaken können. Du feuerst andauernd Nebelkerzen (also weitere Argumente ab) und weichst damit der Widerlegung des Widerspruchsarguments beständig aus.
Alternative Deutung: Du kapierst nicht worum es geht.
Beleg: Andere verstehen die Kritik mühelos. Du nicht.
Ich bin übrigens auch zu 90% sicher, dass Lumen die Kritik vrsteht (er muss sie nicht teilen) und so darstellen könnte, dass ich abnicke und sagen: Jawoll, so meinte ich es. Frag‘ ihn, wenn Du magst.
ganimed hat geschrieben:Und deshalb ist diese kleine Diskussion um dein Singer-Thema eine wunderbare Anschauung für die Diskurs-Probleme hier im Forum und bestätigt Lumens Aussagen, z.B. "Was hier viel häufiger passiert sind Meta-Diskussionen, die sich um den Rahmen entfalten, indem die Diskussion selbst stattfindet. Gefällt jemandem eine Sachlage nicht, wird der Rahmen solange verschoben, bis die Argumente ihre Bedeutung verlieren."
Zu Lumens Ausführungen ist aber nun mal auch mehr als
eine Meinung möglich, das kläre ich aber bevorzugt mit den Betreffenden selbst. Und hier haben wir ja das Vergnügen.