Julia hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Und ist es nicht tatsächlich auch eine Form sozialer Vergewaltigung, so etwas zu tun?
Ich denke es ist unangebracht den Begriff der Vergewaltigung auf Sachverhalte zu übertragen, die keine Vergewaltigung darstellen. Das fällt imho schon in die Kategorie Verharmlosung.
Das kommt darauf an, wie abstrakt man das auffasst und von welchem Ende her man es denkt. Eine der besten Definitionen von Folter, die ich kenne, ist "die Brechung des Willens unter Aufrechterhaltung des Bewusstseins", leider weiß ich nicht mehr, von wem. Vergewaltigung ist da sehr ähnlich, die beschreibt eine spezifischere Erfüllung der eigenen Wünsche/Triebe mithilfe des Brechens des Willens eines anderen Menschens oder zumindest unter bewusster Inkaufnahme dessen. Die soziale Integrität, letztlich die ganze (kommunikative, nach außen hin sichtbare) Persönlichkeit eines Anderen, zu zerstören, empfinde ich als nicht so wahnsinnig weit weg. Und ich sehe auch nicht, inwiefern das eine oder das andere harmloser sein soll. Beides sind gröbste Verstöße gegen die Menschenwürde und mein Mitgefühl mit Leuten, die das eine oder das andere tun, hält sich wirklich arg in Grenzen, unscheinbar gering über der Nulllinie.
Julia hat geschrieben:Ich habe mit keinem Wort falsche Anschuldigungen entschuldigen wollen, ich wehre mich nur gegen die Behauptung, das wäre etwas was viele Frauen berechnend einsetzen.
Wie ich schon gesagt habe, darüber scheinen kaum belastbare Zahlen in Umlauf zu sein, deshalb beschränke ich persönlich mich darauf zu sagen, dass ich es extrem verurteilenswert finde, insbesondere im Hinblick auf den damit einhergehenden Glaubwürdigkeitsverlust. Sollte es aber stimmen, was der von dir ungeliebte Mathussek schreibt, dass in über einem Drittel (oder so, bin nicht mehr ganz sicher) der Scheidungen mit Kindern Vorwürde der sexuellen Verfehlungen gegenüber den Kindern eine Rolle spielen (bzw. spielten, der Artikel ist von anno '97), wäre ich geneigt, anzunehmen, dass das Problem einen wahren Kern hat - insbesondere vor dem Hintergrund, dass ich genug Scheidungskriege mitangesehen habe und weiß, für welche Niedrigkeiten die ehemaligen Partner sich da so hergeben.
Julia hat geschrieben:Ich finde es ja generell bemerkenswert, dass ich hier ständig unter Verdacht gerate irgendwie männerfeindlich zu sein in einem Thread der mit Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen anfängt und in dem Frauen als kalt, berechnend, sadistisch, verlogen und keifend charakterisiert werden. Reden wir doch mal über diesen Doppelstandard.
Ich hege diesen Verdacht gegen dich nicht, aber ich denke, dass deine kämpferische und frauenverteidigende Redeweise manchmal so verstanden wird, dass du einseitig für die Frauen Position beziehen würdest, bzw. mehr die Frauenrechte als die Gleichberechtigung im Blick hast.
Es gibt in beiden Geschlechtern fürchterliche Menschen, meines Erachtens ist das vollkommen geschlechtsunabhängig. Deshalb habe ich auch große Probleme damit, wenn Artikel, Bücher oder auch nur Comedyshows damit kokettieren, dass Männer ja so und Frauen ja so seien, egal ob es ums Bügeln oder um die Managementfähigkeiten geht (wo Männer angeblich besser sind, weil sie durchsetzungsfähiger sind und Frauen angeblich besser sind, weil sie kooperativer sind - was beides Stile sind, die quer durch die Geschlechter existieren und meist deutlich mehr mit sozialer Herkunft, Erziehung und Erwartungshaltungen zu tun haben, keinesfalls aber (in nennenswertem Maße) biologisch vorgeformt sind).
Julia hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Ich glaube, dass es weniger die Zahl der Fälle, als schon allein der Vernichtungsgedanke und der Machtmissbrauch sind, die so starke Reaktionen hervorrufen.
Ich glaube das es sehr viel damit zu tun hat, wie mit Vergewaltigungsopfern im Allgemeinen umgegangen wird. Wenn es sich um eine Frau handelt, dann lügt sie entweder oder ist selber Schuld, hätte sich anders anziehen sollen, hat es nicht anders gewollt, etc...
Naja, das kann man so pauschal auch nicht (mehr) sagen. Der Bewusstseinswandel, der da stattgefunden hat, ist schon beachtlich. Damit sage ich nicht, dass wir schon da sind, wo wir hinwollen, aber wenn man mal die jüngsten indischen Fälle gegenüberstellt, sieht man ja doch deutlich, wie die Gesellschaften sich unterscheiden.
Die Gefahr, wenn man nicht mehr bereit ist, Sachen in Perspektive zu setzen, ist die, dass man als realitätsferner Prinzipienreiter mit alarmistischen Tendenzen angesehen wird. Das hat mehr mit rhetorischer Strategie zu tun. Nur so als praktischer Tipp und Motivator, vielleicht hin und wieder nicht sofort auf Konfrontation und Widerlegung des Gegenübers zu setzen, sondern erstmal versuchen, Schnittmengen zu finden und gemeinsame Feinde auszumachen. Keiner hier ist für die Verharmlosung von Vergewaltigung.
Julia hat geschrieben:Vergessen wir nicht, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass Vergewaltigung in der Ehe nicht als Vergewaltigung angesehen wurde. Und auch heute haben viele Menschen immer noch ein Problem mit der Idee, dass Zustimmung auch entzogen werden kann und jedesmal neu eingeholt werden muss.
Ja, da gebe ich dir vollkommen Recht.
Julia hat geschrieben:Zweck dieser falschen Anschuldigung ist es nicht, jemanden sozial zu ruinieren, sondern Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese Menschen haben sicher grosse emotionale und psychische Probleme, aber es sind in der Regel nicht die berechnenden Bestien als die sie hier beschrieben werden.
Mag ja sein, aber die Intention eines Verbrechens ist mir persönlich egal, es sind die Folgen, die vor Gericht den Ausschlag geben. Selbst wer nur zwei Sekunden unaufmerksam ist und beim Autofahren jemanden volle Kanne über den Haufen fährt, wird sich für fahrlässige Tötung und nicht für "kurzzeitige Unaufmerksamkeit in einem ungünstigen Augenblick" (vulgo: "Naja, kann man irgendwie schon verstehen") verantworten müssen. Der notgeile Vergewaltiger kann sich ja auch nicht auf seine Triebe rausreden, der wird auch abgeurteilt für das, was er beim Opfer angerichtet hat.
Genau darum geht es doch auch: Verbrechen im Zusammenhang mit Missachtung der selbstbestimmten Sexualität nicht zu verharmlosen, egal von wem begangen.