Brief an meinen Vater
Verfasst: So 18. Nov 2007, 13:38
Papa hat geschrieben:Kein halbwegs intelligenter Christ würde sich einer wissenschaftlichen Erkenntnis verschließen, die sich bewährt.
... sagst Du. Und da irrst Du leider. Denn das "Verschließen" beginnt ja nicht erst da, wo man eine bewährte wissenschaftliche Theorie explizit ablehnt, sondern schon dort, wo man Aussagen über die Wirklichkeit stur vertritt, die nach akzeptierten wissenschaftlichen Erkenntnissen längst unhaltbar sind (etwa die Behauptung, Gott hätte den Menschen geschaffen, oder Jesus sei auferstanden). Dasselbe Phänomen haben wir in der Klima-Debatte, wo Leugner des anthropogenen Treibhauseffekts uns weiszumachen versuchen, wir müssten erst hundertprozentige Gewissheit haben, bevor wir uns auf eine wissenschaftliche Theorie verlassen können. Dabei sollte auch erkenntnistheoretischen Laien allmählich klar sein, dass man für wissenschaftliche Theorien niemals absolute Wahrhheit sichern kann und wir uns trotzdem auf x-fach getestete Hypothesen verlassen dürfen.
Die Apologeten vermeiden mittlerweile, "Gott" überhaupt noch irgendwelche konkreten Eigenschaften zuzuschreiben, denn deren Auswirkungen müssten sich in der Welt beobachten lassen -- was nicht der Fall ist. Die intellektuelle Redlichkeit bleibt jedenfalls auf der Strecke, wenn man religiöse Vorstellungen so weit reduziert und vernebelt, dass sie unkritisierbar werden. Je verbissener man Gottesbilder vor empirischer Falsifikation schützt, desto inhaltsleerer und bedeutungsloser werden sie.
Aber diese Denke (MSS nennt das "Weichfilterreligion") ist leider keineswegs harmlos, denn sie vermittelt, dass wir eigentlich nichts wissen können, dafür aber umso mehr glauben müssen. Die Unerlässlichkeit rationalen Argumentierens wird unterminiert, anstelle von kausalen werden uns finale Begründungen untergejubelt, und der Glaube wird gegenüber dem Zweifel in einer Weise aufgewertet, die zu Dogmatismus und Fundamentalismus geradezu ermuntert. All dies widerspricht in eklatanter Weise dem humanistischen Bildungsgedanken und den Präambeln sämtlicher Schulordnungen und Lehrpläne, in denen kritische Mündigkeit als zentrales Bildungsziel festgeschrieben ist.
Als Lehrer kann ich zu diesem -- lange Zeit übersehenen oder opportunistisch tabuisierten -- Widerspruch nicht schweigen. Wer Auffassungen toleriert, die Dogmatismus und damit Aufhebung der Toleranz befördern, führt die Toleranz ad absurdum. Falsch verstandene, bedingungslose Toleranz ist keine wirkliche Toleranz, sondern gleicht gefährlichem Appeasement. Einige der modernen Aufklärer haben sich der Religionskritik u.a. deshalb verschrieben, weil sich damit am meisten Aufsehen erregen (und Geld verdienen) lässt. Aber eigentlich geht es in der Aufklärung darum, generell ohne Tabus aussprechen zu dürfen, was (mit höchster Wahrscheinlichkeit) der Fall ist. Niemand hat das Recht, sich auf verletzte (religiöse) Gefühle zu berufen, wenn jemand mit sachlichen Argumenten seine Überzeugungen kritisiert. Wir brauchen das Primat des Zweifels über den Glauben, weil wir sonst so gut wie keine Aussicht haben, adäquate Realitätsbeschreibungen und Problemlösungen zu finden. Und wir müssen aus dem gleichen Grunde das Ansinnen zurückweisen, beleglose Behauptungen hätten irgendeinen Anspruch darauf, ernst genommen zu werden. Sie sind beliebig erfindbar, folglich irrational und können daher nur unter "Unsinn, Humbug, Illusionen" einsortiert werden.
Papa hat geschrieben:Bright sein sollte grenzenlose Aufklärung bedeuten, verbunden vielleicht mit einem Lächeln
Eben, nicht nur vielleicht. Aufklärung ist etwas Wunderbares, und wir haben nichts zu verlieren als unsere Irrtümer. Zwar brauchen wir Menschen viele unserer Illusionen (z.B. den "freien Willen" samt "Schuld", z.B. die einzigartige Liebens-Würdigkeit "angebeteter" Menschen, z.B. die eigene Unersetzlichkeit, z.B. die Selbstlosigkeit hinter "guten" Taten, z.B. die Bedeutung jeweils gegenwärtiger Beschäftigung usw. usf.), aber es schadet uns nicht, wenn wir sie auf rationalem Wege als solche enthüllen. Im Gegenteil, das Wissen hierüber verschafft uns Trost immer dann, wenn wir -- was im Leben oft genug passiert -- mit unseren eingebildeten Vorstellungen an der Wirklichkeit scheitern. Wenn wir oder von uns geachtete Personen eine schändliche Tat begehen; wenn die gottgleiche Geliebte plötzlich "Adieu" sagt; wenn uns, wo wir fehlen, niemand vermisst; wenn wir für gute Taten kaum Dankbarkeit ernten; wenn uns beim Blick auf die Uhr das Gefühl beschleicht, gerade etliche Stunden "vertan" zu haben... (angelehnt an die obigen Beispiele)
Das Besondere an der Gottes-Illusion ist, dass sie nicht scheitern kann, da wir im Zustand endgültigen Gestorbenseins unsere Irrtümer nicht mehr feststellen können.
Aber andererseits halte ich diese Illusion auch für die entbehrlichste. Welche Gefühle oder Bewusstseinszustände wir auch immer anstreben -- eine Gottesvorstellung brauchen wir dazu nicht ... oder allenfalls ersatzweise (z.B. mag ein von Kollegen gepiesackter Mensch Geborgenheit vermissen und sie deshalb "bei Gott" suchen, aber dies spricht selbstverständlich nicht für die Existenz eines himmlischen Seelentrösters, sondern dafür, dass sich der Betroffene um Konfliktlösungen kümmern sollte).
brightest regards,
xxx