Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Vollbreit » So 12. Feb 2012, 11:53

Ist denn wirklich ein wachsendes Interesse vorhanden?
Die Esowelle, die ja mal breit und hoch so Mitte der 1990er schwappte, (und soziologisch irgendwie nie so recht beachtet wurde) ist doch inzwischen eher ziemlich versandet.
Das läuft heute primär unter Wellness und hat was mit Aromamassage, Wohnungseinrichtung und so was zu tun.
Was sagen wohl die paar "echten" Esoteriker dazu, die schon Mitte bis Ende der 1980er zu dieser Einschätzung kamen:
http://www.youtube.com/watch?v=1D3jB-5H8UM (vom Anfang bis 1:30)
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon stine » So 12. Feb 2012, 11:58

Also in Österreich werden nach wie vor Granderwasseranschlüsse verlegt und nach dem Mondkalender der Garten bepflanzt und die Haare geschnitten, usw. Und die Eso-Ecke im Bücherladen wächst weiter. So jedenfalls meine Beobachtung.

LG stine
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Vollbreit » So 12. Feb 2012, 12:03

Hm. Wäre vielleicht mal einen eigenen Thread wert?
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Nanna » So 12. Feb 2012, 16:32

Vollbreit hat geschrieben:Ich bin auch der Auffassung, dass wir Rituale und eventuell sogar neue Mythen brauchen, eingedenk aller Gefahren, die diese mit sich bringen.

Lassen wir mal für einen Augenblick die Gefahren beiseite, die damit einhergehen: Wie soll in einer wissenschaftsaffinen Community ein Mythos entstehen, wenn es eine der zentralen Folgen des Betreibens von Wissenschaft ist, dass solche Mythen dekonstruiert werden? Das ist, als würde man versuchen, ein Haus auf Treibsand zu bauen - sobald du zwei Steine aufgeschichtet hast und dich an den dritten machst, bricht dir der erste schon wieder weg.

Vollbreit hat geschrieben:Man könnte Feste wieder an den Kreislauf der Natur anbinden, aber wir haben heute nicht mehr den Kontakt zur Natur. Das Problem ist, dass das vermutlich nur noch zur Fassade wird. Auch heute sind ja viele bereit, die eigentlich IT-ler oder sonst was sind, sich zu verkleiden um ihre Vorstellung vom Mittelalter zu spielen, das geht sicher irgendwie, was aber fehlt ist eine gewisse Verbindlichkeit, ein sich gegenseitiges Versichern, dass man ähnliche Werte hat und Ziele verfolgt.

Ich fürchte, kollektive Zusammenkünfte im säkularen Rahmen sind da nur als Event möglich (z.B. ein Konzert mit naturalistischen Bands) oder aber bei politischen Demonstrationen.

Vollbreit hat geschrieben:Die Tendenz der Brights ist eigentlich aus allen Mythen raus, hin zum kritischen Individuum, das nur noch der Wahrheit verpflichtet ist, das scheint mit so ein wenig das Ideal zu sein.
Der Dreiklang aus Atheismus, Naturalismus und Utilitarismus.

Die Brights sind ganz absichtlich nicht humanistisch oder auf ähnliche Weise wertorientiert gedacht, weil das Hauptziel der Bewegung ja vor allem ist, das Label "bright" für alle Naturalisten zu etablieren, egal ob die jetzt abends Nietsche oder humanistische Erbauungsliteratur lesen. Aber ja, als Grundkonsens kann man das wahrscheinlich so stehenlassen.

Vollbreit hat geschrieben:Das Problem ist, dass der Atheismus eher ein Negativ eines schon bestehenden Bildes darstellt und keine eigene positive Kraft im mythischen Sinn. [...]

Vielleicht wäre das sogar ein ganz eigenes Thema: Geht das überhaupt? Ein naturalistischer Mythos? Widerspricht sich das nicht schon strukturell? Außerdem: Mythen machen den Naturalisten doch wahnsinnig, der gibt keine Ruhe, bis er nicht rausgefunden hat, was dahintersteckt. Einen Haufen Naturalisten in eine Zaubervorstellung setzen und dann erwarten, dass sie akzeptieren, dass die Tricks ein mythisches Geheimnis bleiben sollen, das funktioniert einfach nicht. Auf ein "Cooler Trick, aber Trick bleibt Trick" können wir uns sicher noch einigen, aber was darüber hinausgeht, wird auf scharfen Protest und die Angst, hereingelegt zu werden, stoßen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich bin sicher, dass den Intelligenteren unter den Brights das bewusst ist.

Juhu, ich bin intelligent! :applaus:

Vollbreit hat geschrieben:Nur, Mythen kann man nicht verordnen, die müssen wachsen. Dass die Zeit der Mythen endgültig vorbei ist, glaube ich nicht, weil wir m.E. alle in uns die Persönlichkeitsanteile mitbringen, aus denen unser rationales Denken erwachsen ist.
Und auch wenn diese Vorläufer nicht mehr dominant gelebt werden, so brechen sie doch immer wieder durch, bei diesen Mittelaltergeschichten, bei Harry Potter Lektüre, einer diffusen Fortschrittsgläubigkeit, diversen Fantasy- oder Ego-Shooter Spielen, bei Kinofilmen und so weiter.
Da sind magische und mythische Elemente in Hülle und Fülle drin.

Ja klar. Aber wie bei dem o.g. Zaubertrick weiß eben jeder Teilnehmer, dass es um eine Spielerei auf der Metaebene geht. Ich habe vor meiner Brights-Zeit an einem offenen Fantasyprojekt mitgearbeitet (das allerdings etwas naturalistisch angehaucht war, mit so einer pseudowissenschaftlichen Ausarbeitung der in dieser Welt vorhandenen Magie), das hat jede Menge Spaß gemacht. Man muss ja nicht fantasielos sein, bloß weil man mythische Vorgänge nicht für diese Welt akzeptiert. Ich bin mir weder sicher, ob wir diese Mythen wirklich brauchen, noch, ob es technisch überhaupt umsetzbar wäre, diese unter Naturalisten zu etablieren.
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Vollbreit » Mo 13. Feb 2012, 08:18

Nanna hat geschrieben:Lassen wir mal für einen Augenblick die Gefahren beiseite, die damit einhergehen: Wie soll in einer wissenschaftsaffinen Community ein Mythos entstehen, wenn es eine der zentralen Folgen des Betreibens von Wissenschaft ist, dass solche Mythen dekonstruiert werden?


Die Antwort ging ja eher an Thomas, der etwas andenkt, was über Internetgemeinschaften hinausgeht.

Nanna hat geschrieben:Das ist, als würde man versuchen, ein Haus auf Treibsand zu bauen - sobald du zwei Steine aufgeschichtet hast und dich an den dritten machst, bricht dir der erste schon wieder weg.


Es müssen ja nicht Mythen für alle sein, ich glaube nur, dass sich einer Vielzahl von Menschen der Zauber, den dieser oder jener vielleicht bei der Beschäftigung mit Astronomie oder anderem spüren wird, nicht erschließt.
Ich denke, dass sich diese Menschen ihre Mythen suchen, nicht unbedingt in der Kirche, aber dann eben wo anders.

Nanna hat geschrieben:Ich fürchte, kollektive Zusammenkünfte im säkularen Rahmen sind da nur als Event möglich (z.B. ein Konzert mit naturalistischen Bands) oder aber bei politischen Demonstrationen.


Das ist auch meine Meinung.

Nanna hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das Problem ist, dass der Atheismus eher ein Negativ eines schon bestehenden Bildes darstellt und keine eigene positive Kraft im mythischen Sinn. [...]


Vielleicht wäre das sogar ein ganz eigenes Thema: Geht das überhaupt? Ein naturalistischer Mythos? Widerspricht sich das nicht schon strukturell? Außerdem: Mythen machen den Naturalisten doch wahnsinnig, der gibt keine Ruhe, bis er nicht rausgefunden hat, was dahintersteckt. Einen Haufen Naturalisten in eine Zaubervorstellung setzen und dann erwarten, dass sie akzeptieren, dass die Tricks ein mythisches Geheimnis bleiben sollen, das funktioniert einfach nicht. Auf ein "Cooler Trick, aber Trick bleibt Trick" können wir uns sicher noch einigen, aber was darüber hinausgeht, wird auf scharfen Protest und die Angst, hereingelegt zu werden, stoßen.


Macht ja durchaus auch Spaß, hinter den Trick zu kommen und bei der Zaubervorführung wissen alle Beteiligten, dass ein Trick im Spiel ist.
Ich verstehe Mythos glaube ich etwas weniger als falsche Geschichte, bei der man schon im Vorfeld weiß, dass sie falsch ist, sondern eher, als gemeinsame Überzeugung, etwa wie im „Mythos des Gegebenen“. Darunter kann man sich sicher auch nicht versammeln und tanzen, aber ich könnte mir vorstellen, dass man das Wunder Natur sicher gut mythisch aufladen kann, mit dem durchaus sinnvollen Ziel verbunden, weniger gedankenlos mit derselben umzugehen.
Ist natürlich ein kompliziertes Thema, wenn die Lebensleistung dann am Ende auf den Schadstoffausstoß reduziert wird, läuft es mir kalt den Rücken runter, aber das wäre so eine Tendenz die ich mir vorstellen könnte. Ich glaube allerdings nicht, dass es dazu kommen wird.

Nanna hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich bin sicher, dass den Intelligenteren unter den Brights das bewusst ist.


Juhu, ich bin intelligent! :applaus:


Sicher, das wusstest Du aber auch vorher schon. ;-)

Nanna hat geschrieben:Ja klar. Aber wie bei dem o.g. Zaubertrick weiß eben jeder Teilnehmer, dass es um eine Spielerei auf der Metaebene geht. Ich habe vor meiner Brights-Zeit an einem offenen Fantasyprojekt mitgearbeitet (das allerdings etwas naturalistisch angehaucht war, mit so einer pseudowissenschaftlichen Ausarbeitung der in dieser Welt vorhandenen Magie), das hat jede Menge Spaß gemacht. Man muss ja nicht fantasielos sein, bloß weil man mythische Vorgänge nicht für diese Welt akzeptiert. Ich bin mir weder sicher, ob wir diese Mythen wirklich brauchen, noch, ob es technisch überhaupt umsetzbar wäre, diese unter Naturalisten zu etablieren.


Ich bin auch nicht der Auffassung, dass Naturalisten die erste und beste Adresse für einen neuen Mythos wären. Bei unserer Welt weiß man im Grunde nicht, was Spielerei ist und was nicht.
Naturalisten meinen, ihr Weg der Objektivierung sei derjenige, die Karten aufzudecken, nur könnte das ein Irrtum sein, weil der Naturalist einfach ein Püppchen im Spiel sein könnte.

Es gibt ja nicht wenige Stimmen, die der Meinung sind, dass eine objektivierende Sichtweise überhaupt nicht primär ist und es auch nicht sein kann. Viele Naturalisten glauben, die Welt sei irgendwie ein Bündel empirischer Fakten, die man erkennen kann und nur richtig zusammensetzen muss und wenn man das getan hat, ist dabei Wahrheit entstanden oder man hat Wahrheit gefunden. Ihnen kommt manchmal nicht ins Bewusstsein, dass das nur eine Perspektive von vielen sein könnte.

Robert Brandom hat geschrieben:„Kant definiert uns, die Bewohner des Reichs der Freiheit, als Wesen, die im Gegensatz zu den Bewohnern des Reich der Natur fähig sind, gemäß einer Vorstellung von einer Regel zu handeln. Dieser Abgrenzungsstrategie liegt die Idee zugrunde, dass die zum Reich der Natur gehörenden Wesen, die lediglich nach Regeln, das heißt regelmäßig agieren, Normen nur dadurch anerkennen können, dass sie ihnen gehorchen. Wir rationale Wesen können Normen auch begreifen oder verstehen, wir sind in der Lage Richtigkeitsbeurteilungen gemäß dieser Normen abzugeben.“
(R.Brandom, Expressive Vernunft, 1994, Suhrkamp 2001, S.74f)


Viele Philosophen sind heute Naturalisten in dem Sinne, dass sie glauben, dass die Naturgesetze überall gelten und alles mit rechten Dingen zugeht.
Die wenigsten würden sich mit einem plumpen Naturalismus zufrieden geben, der sagt, dass wir nur die kleinsten Bausteine verstehen müssen und von da aus leitet sich dann die quantenphysikalische Erklärung der Demokratie und alles andere mit ab.

Die beiden im Zitat erwähnten Reiche können nicht für immer getrennt bleiben. Während die Mehrzahl der Naturalisten versuchen würde Freiheit – wenn man nicht erhebliche Probleme mit dem Begriff hat, was meistens und wohl nicht zufällig der Fall ist – der beschriebenen Art, irgendwie in den Kontext von Elementarteilchen einzubauen um dem monistischen Ansatz treu zu bleiben, dreht Brandom den Spieß um und sagt, dass unsere Sprache und unsere Praktiken in letzter Konsequenz u.a. durch die empirischen Gegebenheiten begrenzt sind, aber das Verstehen der Vorgänge und Regeln der Welt Teil unserer vernünftigen Rede sind und nicht anders herum.

Zwar handelt er sich hier und da den Vorwurf ein, einen semantischen Idealismus zu vertreten, aber er ist heiß diskutiert und ein Schwergewicht. Primär ist bei Kant das Urteil, nicht das Atom. Der Grund hierfür liegt nicht unbedingt darin, dass man zu Kants Zeiten den ganzen atomaren Kleinkram noch nicht kannte, sondern in der Idee begründet, dass es zuerst und nur ein vernünftiges Wesen sein kann, das sich Gedanken über die Welt macht (und urteilt) und im Rahmen der Untersuchung dieser Welt hat man dann verschiedene Ansatzpunkte, Rationalität, Sprache, soziales Miteinanders und die dazugehörigen Regeln und Erforschung der empirischen Welt.

Reduzierend und bottom up zu untersuchen ist völlig in Ordnung, solange man Ergebnisse bekommt, aber es ist nur ein Ansatz von vielen und viele haben überhaupt kein Bewusstsein mehr dafür, dass es weitere sinnvolle Ansätze geben könnte und dass man mit einer bestimmten Art des Hinschauens andere Ergebnisse von vorn herein ausblendet. Und das kommt einem auch erst langsam ins Bewusstsein, weil man implizit meint, die naturwissenschaftliche Art des Vorgehens wäre die einzig sinnvolle.
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Bunte Kuh » Di 14. Feb 2012, 00:22

Wir können den Mythos nicht mehr unverstellt denken. Schon Platon konnte das nicht mehr, der ja eine prominente Schnittstelle vom europäischen Mythos- zum Logosdenken darstellt. Wenn Platon sich seiner Geschichte von den Kugelmenschen bedient um ein Argument zu verdeutlichen, geht er schon davon aus, daß diese Kugelmenschen niemals real existiert haben - ganz anders als der Indinaner in Nordamerika vor 300 Jahren, wenn er seinen Kindern erzählt der helle Mond ist die Wut eines starken Kriegers der von seiner Frau betrogen wurde.
Das Mythosdenken basiert ja nicht darauf, daß nette Geschichten in Form von Gleichnissen tradiert werden, sondern sind die Konsequenz eines Weltzugangs, in dem der tradierte Mythos selbst als wahr gilt und nicht hinterfragt werden muss. Das nennt man dann mythologisches Denken und ist uns ganz und gar unmöglich.
Was auch immer eine Gruppe heute solidarisiert, es kann kein Mythos mehr sein, was am Beispiel der liberalen Strömungen der organisierten christlichen Religionen in Europa deutlich wird, da selbst diese inzwischen historisch-kritisch mit ihren tradierten Texten umgehen, sie entmythologisieren und existentiell ausdeuten (Bultmann).
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon mat-in » Di 14. Feb 2012, 07:24

Ja, und in afrikanischen Ländern ersetzt der Christliche Glaube den alten an Geister und man versucht sie (mit Gewlat und für Geld) aus Kindern aus zu treiben. Ich bin ganz froh drum, das wir (versuchen) nicht mehr so zu denken...

(Auch wenn ich glaube das Kugelmenschen in Beispielen eher dazu dienen es abstrakter scheinen zu lassen und denjenigen den man überzeugen will so weit vom Beispiel zu distanzieren, daß er sich nicht angegriffen fühlt und nicht daß sie ein Beispiel sind für gestörtes denken...)
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Vollbreit » Di 14. Feb 2012, 09:34

Bunte Kuh hat geschrieben:Wir können den Mythos nicht mehr unverstellt denken.


Dieses Argument höre ich öfter und ich weiß, dass es starke Fürsprecher gibt.
Ich glaube allerdings nicht so ganz, dass mythisches und sogar die Vorstufe des magischen Denkens so tot sind, wie gerne geglaubt wird.

Einerseits wird gesagt, die Zeit sei vorbei, andererseits wird Geld damit verdient, dass eine Apokalypse nach der anderen medial zelebriert und mehrfach verwertet wird.
Verschwörungstheorien boomen, ob sich die Esoterik gerade breit macht, oder zurückzieht, wird hier momentan diskutiert und gleich wie man Österreichische Granderwasseranlagen nun einschätzt, sie verweisen ja auf ein Bedürfnis.

Es gibt das Argument, wer einen Elektrorasierer benutzt hätte damit das rationale Weltbild implizit anerkannt, aber das scheint mir nicht zu gelten. Auch die Taliban benutzen moderne Waffen (sie können nur keine selbst bauen) ohne in den Verdacht zu geraten heimliche Anhänger der rationalen Weltsicht zu sein.
Und viele benutzen eben morgens den Rasierer und holen sich Mittags biologisch-dynamischen Möhrensaft, was für einige auch schon in den Rang eines Glaubensbekenntnisses gehoben wurde.

Ich glaube, dass unsere Psyche nicht eine entweder/oder Veranstaltung ist, bei der, wenn das eine erreicht, dass andere vollkommen verschwunden ist.
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Bunte Kuh » Di 14. Feb 2012, 12:37

Das berühmte Zitat von Bultmann lautet:

„Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“
- Neues Testament und Mythologie


Und richtig: daß viele Menschen sich elektrisch rasieren bevor sie einen Vortrag über alternative Medizin der Urvölker abhalten, ist selbstverständlich nicht nur möglich, sondern eine Tatsache. Es verweist auf unsere menschliche Fähigkeit in zwei inkompatiblen Welten leben zu können, in drastischen Fällen gar in zwei sich gegenseitig ausschließenden Welten geradezu verlieren zu können. In dem Grad, in dem diese Fähigkeit zunimmt, steigt eben auch der Grad dessen, was als uneigentliches Leben (Heidegger), Verblendungszusammenhang (Adorno) oder eben einfach Selbstverarsche (auf gut Deutsch) bezeichnet werden muss. Daß sich Menschen selbst verarschen können ist wahr und trivial.
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Re: Ein (nicht ganz kurzes) Hallo in die Runde!

Beitragvon Vollbreit » Di 14. Feb 2012, 14:37

Wie schon erwähnt, ich kenne die Argumentation.
Nur muss man die Meinung eben nicht teilen, auch wenn sie noch mal zitiert wird.
Offensichtlich ist es ja so, dass das rationale, entmythologisierte Denken bei uns in Europa dominiert, jedenfalls, was den öffentlichen Diskurs angeht.

Es wird gesagt, dass jeder der anderer Meinung ist, sich selbst verarscht und auch, dass es die Tendenz des Menschen sei, kognitive Dissonanzen abzubauen, was dasselbe meint.

Ich will auch gerne eingestehen, dass Rationalität, kein eiskaltes Zweckdenken sein muss, nur ist meine Beobachtung eben, dass man die Probleme und Enttäuschungen im Zusammenhang mit dem rationalen Weltbild auch nicht mehr ohne weiteres leugnen kann.

Der fraglos langen Liste der Würde der Moderne kann man, ohne lügen zu müssen, eine ebensolnage mit dem Schrecken der Moderne gegenüberstellen.
Ich glaube, dass viele Heilsversprechen einfach nur projiziert wurden und inzwischen ist man auch aus diesem Traum erwacht.

Fast jedem ist bewusst, dass wir gegenwärtig dabei sind Löcher zu stopfen und das in sehr vielen Bereichen ein Fortschritt nicht zu erwarten ist. Nicht auf dem Sektor Technik & Wissenschaft, aber bei vielem, was unser alltägliches Leben angeht und das kann der Sektor Technik & Wissenschaft nicht kompensieren.

Die momentane Reaktion ist, sich mit den anderen nicht mehr sonderlich zu identifizieren und einen Rückzug ins Private anzustreben.
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