Psychoanalyse und aufdeckende Therapien
Verfasst: Do 6. Dez 2012, 19:13
@ Zappa (vor allem):
Dann will ich mal versuchen zur Psychoanalyse (PA) loszulegen. Ich weiß ja nicht, wo Du aussteigst, aber wenn ich es richtig sehe, steigst Du gar nicht erst ein. Deine Kritik war die PA sei „empirisch nicht belegt und zutiefst ideologisch sowie im Ansatz totalitär“.
Ich fang mal bei dem letzten Punkt an und stimme Dir zum Teil zu.
Es gibt im Grunde nicht die Psychoanalyse, sondern zu ihr gehören mehrere Strömungen, bereits der avisierte Kronprinz C. G. Jung war der erste große Abweichler.
Dennoch gab es – und gibt es wohl noch, aber immer weniger – eine Fraktion von Freudianern, die Freuds Schriften irgendwie als Gesetz ansehen, aber diese Fraktion verliert zunehmend an Einfluss.
Etwas zugespitzt kann man sagen, dass es eine PA vor und nach Otto Kernberg gibt. Kernberg sieht sich in seinem Selbstverständnis als Wissenschaftler, er ist Psychiater und Psychoanalytiker.
Er hat genau jenen wissenschaftlichen Geist in die Psychoanalyse eingeführt, von dem behauptet wird, er sei dort nicht zu finden, auf empirische Validierung bestanden, auf saubere Theorien und so weiter… und sieht sich dennoch als Freudianer.
Er ist damit seinen Kollegen, die das nicht alle gewohnt waren, stark auf die Nerven gefallen und war bei der Fraktion die meinte, Freud hätte bereits alles Wesentliche gesagt, natürlich nicht beliebt. Aber als Präsident der größten psychoanalytischen Vereinigung, konnte er wichtige Akzente setzen und hat es gatan.
So hat sich das Bild der PA gewandelt und es ist in einer merkwürdigen Bewegung zugleich verengt und erweitert worden. Freud war Neurologe und sah, dass die Neurologie (heute würde man sagen Hirnforschung) vor gut 100 Jahren in einem erbärmlichen Zustand war – ihr fehlten die diagnostischen Mittel –, obwohl er ihren Ansatz im Kern völlig zutreffend fand. So sah Freud die PA im Grunde als einen Platzhalter an, bis die Neurologie dann mal so weit ist und die PA ablöst.
Das könnte ungefähr jetzt der Fall sein, doch zwischenzeitlich ist viel passiert.
Kritik an der PA hat es von Beginn an gegeben, aus den eigenen Reihen und von außen, wohlmeinende und destruktive, originelle und platte. Es war Habermas der in Erkenntnis und Interesse von Freuds Selbstirrtum sprach, bezogen auf ihren von Freud apostrophierten vorläufigen Charakter und schrieb „Die Psychoanalyse ist für uns ein das einzige greifbare Beispiel einer methodisch Selbstreflexion in Anspruch nehmenden Wissenschaft relevant.“
Verengung und Erweiterung
Neben aller Bescheidenheit war die PA immer auch ein breites Experimentierfeld und so gab es zu Beginn eine Unklarheit bezüglich dessen, was die PA nun heilen kann und was nicht.
Dazu kommt dass zu Freuds Zeiten im Grunde nur zwei großen Klassen von psychischen Erkrankungen bekannt waren oder beschrieben wurden, die Psychosen und die Neurosen.
Der Begriff Borderline-Störung (die sich zunächst dadurch auszeichnete, dass sie Elemente beider großen Reiche abwechselnd beinhaltete) war sehr früh bekannt, geriet dann aber wieder in Vergessenheit, zudem dachte man, es handle sich wirklich nur um eine sehr schmale Linie, heute sieht das Bild vollkommen anders aus. So würde einiges was Freud als Hysterie oder hysterische Neurose bezeichnete unter den Begriff der Borderline-Störung (und der infantilen/histrionischen oder leichteren dependenten Persönlichkeitsstörung) fallen. Doch dazu später.
Zu Beginn war man sich unsicher, wo eigentlich die therapeutischen Grenzen der PA war und natürlich auch was denn nun eigentlich wirkt. Es gibt immer wieder das Vorurteil, die PA sei im Grunde völlig wirkungslos, allein die menschliche Zuwendung, die Möglichkeit über sich und sein Probleme zu reden und die vergehende Zeit seien das was eigentlich heilt oder stabilisiert.
Das mag für manche leichte, neurotische Fälle eventuell richtig sein, aber gerade Kernberg war jemand, der sich schwerstkranken Patienten annahm, die mitunter in einer Mischung von Drogensucht, schweren sexuellen Missbrauchs- , massiven Gewalterfahrungen, chronischer Kriminalität und dergleichen lebten und wer je mit Menschen zu tun hatte, die eine schwere Persönlichkeitsstörung haben, der weiß, dass ein wenig Arm um die Schulter legen und „Kumpel, erzähl mal“ sagen, da wirklich mehr als unzureichend ist, auch davon später.
Doch zunächst war man unsicher bezüglich der therapeutischen Reichweite und probierte man herum und versuchte erst mal alles zu heilen. Schon dabei stellte sich heraus, dass es Unterschiede auch von Seiten des Therapeuten gibt.
So gelang es Edith Jacobson manisch-depressive oder bipolare Patienten (Psychotiker) mit den Mitteln der klassischen Analyse zu heilen vor allem, weil sie eine fast übermenschliche Toleranz gegenüber den Rückschritten und Frustrationen aufbrachte.
Heute würde man das aus pragmatischen Gründen nicht machen, weil es schnellere und effektivere Methoden gibt. So wurde die PA darauf abgeklopft, bei welchen Krankheiten sie helfen kann und bei welchen nicht. Psychosen schieden mehr und mehr aus und wurden zur Domäne der Psychiatrie mit ihrem primär pharmakologischen Ansatz, der seine volle Berechtigung hat und bei all den schönen Erfolgen die es inzwischen gibt, wäre meine Kritik, dass die Behandlung von Psychosen in unserer Zeit noch immer ziemlich schlecht ist und zudem ist die Geschichte der Psychiatrie bis weit in die Nachkriegszeit kein Ruhmesblatt .
Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, dass es eine andere Gruppe von Krankheiten gibt, die mit klassischer PA nicht oder nur ungeheuer schwer zu erreichen war. Und diese Erkenntnisse konnte man natürlich nur gewinnen, weil es immer auch empirische Forschung gab.
So Anfang bis Mitte der 1970er betrat dann Kernberg die Bühne und gab der PA einen neuen Wind, eine wissenschaftlich-empirische Ausrichtung und eine undogmatische-pragmatische obendrein.
Ich gehe bei Bedarf auf die Objektbeziehungstheorie, eine fundamentale theoretische Wende in der PA, später ein, Kernberg hat von ihr profitiert, steht in dieser Tradition und hat sie zugleich mitgestaltet.
Da die Objektbeziehungstheorie aber so eine fundamentale Veränderung ist, ist es schwierig zu sagen, ob und inwieweit das was danach kommt noch klassische PA ist oder nicht.
Die Verengung der PA ist also zunächst eine des Zuständigkeitsbereichs gewesen. Erst dacht man, alles sei mit ihr zu heilen, übrig geblieben sind heute die sogenannten Charakterneurosen, neurotischen Störungen die tief sitzen (tief genug um eine langwierige Therapie zu rechtfertigen), genügend Leidensdruck erzeugen und sich auf eine bestimmten Bereich des Lebens beziehen, oft tatsächlich der sexuell-kreative, der im Ausdruck gehemmt ist.
Die anderen Bereiche, vor allem die sogenannten schweren Persönlichkeitsstörungen, schienen für die PA und für Psychotherapie überhaupt, verloren. Bis Kernberg kam.
Und spätestens hier müssen wir uns fragen, was die PA eigentlich ausmacht und wo die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu angrenzenden Verfahren liegen.
Psychoanalyse und verwandte Verfahren
Das zentrale Element aller aufdeckenden Therapiemethoden ist die Deutung.
Spezifisch für die PA ist die Deutung im Dort und Dann, was nichts anderes ist, als der Ansatz gegenwärtige Konflikte im Lichte der PA zu deuten und mit früheren Erlebnissen in Beziehung zu setzen. Darum auch das Liegen, weil es Regressionen (im Dienste des Ich) erleichtert. Soll heißen, man soll zwischenzeitlich regredieren, um den Urkonflikt noch mal zu durchleben, um ihn dann anzugliedern, verstehen und hinter sich lassen zu können.
Andere Verfahren, wie tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und weitere eng verwandte Verfahren, auf die ich jetzt im Detail nicht eingehe, deuten ebenfalls die Aussagen ihrer Klienten, aber im Hier und Jetzt und im Sitzen, denn hier geht es primär darum den Patienten (der oft eine spezifische Ich-Schwäche hat) zu stabilisieren, zu strukturieren und deshalb soll er gerade nicht regredieren, sondern man bleibt – je nach Schweregrad, Intelligenz und Therapieverlauf und therapeutischer Fähigkeit wird das dynamisch gehandhabt – beim Verständnis des gegenwärtigen Lebens und seiner zahlreichen Konflikte.
Aber die Deutung ist auch hier das zentrale Element und in dieser Deutung liegt im Grunde ein totalitärer Anspruch verborgen, den die PA und ihre angrenzenden Verfahren aber einlösen kann.
Der Wahrheitsbegriff der Psychoanalyse
Gehen wir deshalb weiter – ich kann die Themen natürlich immer nur anreißen und hoffen, dass Du an den Dir wichtigen Stellen einhakst und nachfragst oder kritisierst – und kommen zu zwei zentralen Ansätzen der PA, ihrem Wahrheitsbegriff und dem vielzitierten Unbewussten.
Wahrheit in der Psychoanalyse meint die eigene Geschichte immer besser verstehen zu können, mit Hilfe der Deutung des Analytikers. Und hier kommt der totalitäre Ansatz ins Spiel, wobei das eigentlich auch nicht so wild ist.
Wenn ein Patient kommt, dann kommt er mit Symptomen und zwar solchen, die er als leidvoll empfindet, sonst macht man den erheblichen Schritt zu einer eigenen Therapie im Grunde nicht.
Jeder kommt also mit seiner Lebensgeschichte und die ist – aus Sicht der PA – immer geschönt, ein privater Mythos, wie Freud sagt. Das ist auch okay so, solange man damit gut leben kann. Kann man damit nicht (mehr) gut leben, d.h. nehmen eigene Spannungen, Ängste oder Probleme dauerhafter Arbeit und stabilen Beziehungen zu, wird dieser Mythos infrage gestellt.
Und schon sind wir bei Unbewussten. Die PA behauptet in der Tat, dass der Mensch in der Tiefe, und das soll heißen, von seiner unbewussten Motivlage her betrachtet, immer auch ein Triebwesen ist und das darin (aber nur darin) jeder dem anderen ziemlich gleicht.
Was die PA nun macht und was gerne übersehen wird, ist, den Patienten zunächst sehr genau zu befragen und kennen zu lernen und sich von ihm helfen zu lassen, ihn, seine Art zu denken, seine Motive zu verstehen. Und hier kommt ein wesentlicher Punkt ins Spiel, zu verstehen, nicht zu bewerten. Das ist eine Kunstsituation denn der Patient kommt – wie wir alle –
aus einer Welt, die bestimmte Verhaltensweisen lobt und verstärkt und goutiert, andere aber ablehnt, unterdrückt. Das ist die Spannung zwischen unserem Es, dass triebhaft, gierig, egozentrisch und fast im Dakwinsschen Sinne biologisch ist und der Summe der verinnerlichten Anforderungen, Gebote und Verbote der Gesellschaft, dem Über-Ich und beides gilt es zu integrieren.
Diese beiden stehen nun immer in einem Spannungsverhältnis zueinandern, es-haftes Wollen und überich-haftes Sollen. Als drittes Element beschreibt Freud das Realitätsprinzip, wenn man so will, der Rahmen des empirisch Möglichen, der unsere Wünsche und Träume begrenzt. Zwischen diesen Mühlsteinen wird „das arme Ich“ zerrieben.
Ein oft falsch verstandener Klassiker Freudscher Formulierung ist der Satz: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Er wird oft – falsch – so interpretiert als meinte Freud damit, wo Trieb war, soll Vernunft herrschen, doch in Wirklichkeit meint er, das Ich soll sich zu seinen unbewussten Trieben bekennen, sich ihrer bewusst werden.
Wenn nun der Patient kommt, so erstens mit knackigen Symptomen und zweitens, mit seinem privaten Mythos. Den gilt es natürlich im Einzelfall zu kennen und man muss ihn verstehen, um ein Band zwischen Patient und Analytiker aufzubauen.
Ich sagte oben, PA sei eine Kunstsituation, die Künstlichkeit besteht darin, dass der Analytiker die stillschweigenden Erwartungen des Patienten fortwährend enttäuscht. Lernt man den Patienten kennt, muss man natürlich bis an die Grenzen dessen gehen, was dem Patienten aktuell zugänglich ist, was sieht er noch selbst, was nicht mehr. Oft sieht er viel und all das, auch wenn da Leichen im Keller liegen, ist therapeutisch irrelevant, weil ja bereits bewusst.
Entscheidend ist, neue Akzente zu setzen, neue Perspektiven anzubieten und das ist totalitär.
Da der Patient ja nun schon mit einem inneren Koordinatensystem kommt, in dem man bestimmte Dinge tun und andere lassen sollte, bringt er auch bestimmte Erwartungen mit, nämlich wenn er dem Therapeuten mal etwas „beichtet“, dafür verurteilt zu werden und wiederum für andere Dinge, gelobt zu werden.
Hier liegt eine der Aufgaben des Therapeuten, sich nicht „verführen“ zu lassen. Mit „verführen“ ist hier nicht der Versuch des sexuellen Übergriffs gemeint (obwohl es auch das gibt, wenn der Therapeut selbst hinreichend narzisstisch ist), sondern der Versuch des Patienten sich selbst zu infantilisieren: klein, dumm, unbeholfen zu sein und in der Erwartung zu stehen von Mama oder Papa (in Person des Therapeuten) gelobt oder zurechtgewiesen zu werden.
Hier muss der Therapeut sich hüten – und es wir ihm nicht immer gelingen – die Kunst liegt darin, die sogenannte technische Neutralität aufrecht zu erhalten oder, nach deren Verlust, sie wieder herzustellen. Ich hoffe, Du bist noch emotional dabei und ich hole nicht zu weit aus?
Das heißt sich nicht zum Ersatzelternteil machen zu lassen (oder, und das gibt es auch: selbst zum kleinen , unbeholfenen Kind, was dumm, unfähig ist und dem Patienten überhaupt nicht helfen kann) und den Patient nicht Kind werden zu lassen.
Ziel ist es den Ich-Stärke des Patienten auszubauen, zu deutsch, ihm zuzutrauen, sein Leben prinzipiell verstehen zu können, eigene kreative Lösungen zu finden und diese verantworten zu können und das klappt nicht, wenn man dem kleinen Kind immer wieder erklärt, wie die Welt funktioniert und was es zu tun und zu lassen hat.
Das heißt, die Analyse findet von Anfang an zwischen zwei prinzipiell gleichberechtigen und erwachsenen Menschen statt. Wo das nicht der Fall ist (und praktisch ist das oft so), spricht man den Idealtypus des erwachsenen Menschen im Patienten an. D.h. man lässt das trotzige, schmollende, beleidigte, narzisstische Kind unbeachtet und deutet lediglich entsprechende Reaktionen – ohne sie zu bewerten. Also nicht, ich übertreibe: „Mein Gott, jetzt sind sie schon wieder in diese affige Kinderrolle gerutscht, werden sie doch endlich mal erwachsen, immerhin sind sie doch schon 35.“
Sondern man deutet, dass man nun das Gefühl hat man sei ein sadistischer Vater, der etwas vollkommen Außerirdisches und Unverhältnismäßiges fordert (das ist technisch gesehen die Analyse der Gegenübertragung und Gegenübertragung ist die Summe der unbewussten Faktoren des Patienten – Gesichtsausdruck, Köperhaltung, Sprachveränderung, Gesten… – die eine bestimmte Stimmung beim Therapeuten auslöst, en Element was in der modernen PA kräftig an Bedeutung gewonnen hat) und nun einem kleinen, verängstigten Kind gegenübersitzt, bei einer normalen Forderung, meinetwegen pünktlich zu sein. Ohne es zu bewerten.
Dazu kann der Patient erstens Stellung nehmen und zweitens bekommt er vermittelt, wie er wirkt.
Ist der Therapeut seinerseits paralysiert, kann er immerhin das ebenfalls deuten und sagen: „Ich komme mir vor wie ein ohnmächtiger Trottel, der sich hier abmüht und einem überlegenen, spöttischen Menschen gegenübersitzt, der sich über meine hilflosen Versuche beömmelt.“ Auch das als Mitteilung ohne Vorwurf, zu der der Patient Stellung nehmen kann. Das könnte dazu führen, dass er sagt: „Nein, nein, das ist gar nicht so, aber wo sie’s sagen, so habe ich immer meinen Vater empfunden, wenn ich ihm von meinen Träumen erzählt habe“… oder was auch immer. In jeden Fall hat der Patient eine Information über seine Wirkung auf andere.
Da das Ziel der erwachsene, eigenverantwortliche Mensch ist, wird sich mit diesem Anteil des Patieten vernünftig unterhalten, der andere Teil wird taktvoll gedeutet, aber man geht nicht inhaltlich auf ihn ein. Ob Ohnmacht oder Größenwahn, beidem entzieht man den Boden. Und selbstverständlich hat der Patient die Möglichkeit die Deutung zurückzuweisen, zu korrigieren und die Deutung bringt auch nur etwas, wenn der Patient in ihr einen Sinn sieht, sie annehmen kann. Das wäre das große, aber irgendwie auch unnötige aufgebauschte Kapitel der Deutungswiderstände.
Hier wird suggeriert (aber es wurde und wird von Seiten mancher Analytiker, die auch nur Menschen sind, wenig getan um diesen Eindruck zu korrigieren) der Therapeut habe ein gottähnliches Wissen oder mindestens den magischen Blick in die Tiefe der Seele, nein, er hat nur sein Handwerkt gut gelernt. In der Praxis kann der Patient die Deutungen wirklich verwerfen und der Therapeut kann unterscheiden, wo eine Verdrängung vorliegt und wo die Deutung ganz einfach nicht stimmt, weil der Patient sie mit guten Gründen entkräften kann. Manchmal bedeutet eine Banane eben nur eine Banane.
Da die Erwartungen des Patienten aber enttäuscht werden, kurioserweise dadurch, dass man ihn gerade nicht be- und verurteilt, wird er aber zunächst misstrauisch. Was nun passiert, sind technisch gesagt Übertragungen. (Die Projektionen des Patienten, auf den Therapeuten.)
Da mich jeder dafür verurteilt – so könnte eine Überzeugung des Patienten sein –, wird auch der Therapeut mich verurteilen, der sagt das nur nicht. Das macht misstrauisch. Manchmal wird es als Beweise der Freundschaft betrachtet, „der meint es wirklich gut mit mir“, mal mit Argwohn, „der interessiert sich gar nicht für mich, vermutlich zählt der innerlich nur sein Geld“.
Es braucht seine Zeit, bis man als Patient annehmen kann, dass man da wirklich jemandem gegenübersitzt, der für die Zeit der Therapie/Analyse aus dem konventionellen Spiel aussteigt und es im neutralen Sinne gut mit einem meint. Neutral heißt mit einem aufrichtigen Interesse an Entwicklung und Gesundung, aber gerade nicht als Freund.
Der Therapeut hat es gelernt dem Patienten immer die Wahrheit zu sagen und zwar die Wahrheit über sein momentanes Empfinden, mitsamt dem emotionalen Gepäck und er sollte die Technik beherrschen und wissen, was im Unbewussten so los ist (vor allem auch im eigenen, damit man persönliche Themen von denen des Patienten unterscheiden kann).
Der Clou ist eigentlich der, dass man sich die Geschichte des Patienten sorgsam anhört und sie ernst nimmt und dann dem Pateinten eine alternative Geschichte, die Deutung eben, anbietet.
Wenn man das nur dogmatisch verkündet, stößt man a) auf Widerstand, der Patient ist ja überzeugt so zu sein, wie er erzählt hat und b) wenn man daraus einen Machtkampf macht, ist man im schlimmsten Fall in der Situation, dass der Patient die nun fremde Geschichte übernimmt, aber wie sollte das einen Einfluss auf seine Symptome haben?
Das ist das andere Ziel, dass es dem erwachsenen Patienten einfach auch besser geht. Dass die Ängste und Spannungen weniger werden, die Beziehungen besser funktionieren, man es schafft bei einer Arbeit am Ball zu bleiben, seine eigenen Bedürfnisse kennen lernt, sich traut sie aktiv einzufordern.
Dass man sich der Kritik stellen kann und sie nicht als Angriff auf die ganze Person wertet und andersherum auch eine bestimmte Ansicht bei anderen kritisieren kann, ohne die ganze Person zu entwerten und so weiter. Indizien für empirische Fortschritte gibt es haufenweise.
Prognosen, was zu erwarten ist, auch.
Ich mach hier mal eine Pause, weil es eh schon sehr viel geworden ist, jetzt bin ich auch Deine Kritik gespannt. Habe beim nochmaligen Durchlesen, gesehen, dass mit der Wahrheitsbegriff der PA etwas flöten gegangen ist, also bei Bedarf hak da ruhig.
Dann will ich mal versuchen zur Psychoanalyse (PA) loszulegen. Ich weiß ja nicht, wo Du aussteigst, aber wenn ich es richtig sehe, steigst Du gar nicht erst ein. Deine Kritik war die PA sei „empirisch nicht belegt und zutiefst ideologisch sowie im Ansatz totalitär“.
Ich fang mal bei dem letzten Punkt an und stimme Dir zum Teil zu.
Es gibt im Grunde nicht die Psychoanalyse, sondern zu ihr gehören mehrere Strömungen, bereits der avisierte Kronprinz C. G. Jung war der erste große Abweichler.
Dennoch gab es – und gibt es wohl noch, aber immer weniger – eine Fraktion von Freudianern, die Freuds Schriften irgendwie als Gesetz ansehen, aber diese Fraktion verliert zunehmend an Einfluss.
Etwas zugespitzt kann man sagen, dass es eine PA vor und nach Otto Kernberg gibt. Kernberg sieht sich in seinem Selbstverständnis als Wissenschaftler, er ist Psychiater und Psychoanalytiker.
Er hat genau jenen wissenschaftlichen Geist in die Psychoanalyse eingeführt, von dem behauptet wird, er sei dort nicht zu finden, auf empirische Validierung bestanden, auf saubere Theorien und so weiter… und sieht sich dennoch als Freudianer.
Er ist damit seinen Kollegen, die das nicht alle gewohnt waren, stark auf die Nerven gefallen und war bei der Fraktion die meinte, Freud hätte bereits alles Wesentliche gesagt, natürlich nicht beliebt. Aber als Präsident der größten psychoanalytischen Vereinigung, konnte er wichtige Akzente setzen und hat es gatan.
So hat sich das Bild der PA gewandelt und es ist in einer merkwürdigen Bewegung zugleich verengt und erweitert worden. Freud war Neurologe und sah, dass die Neurologie (heute würde man sagen Hirnforschung) vor gut 100 Jahren in einem erbärmlichen Zustand war – ihr fehlten die diagnostischen Mittel –, obwohl er ihren Ansatz im Kern völlig zutreffend fand. So sah Freud die PA im Grunde als einen Platzhalter an, bis die Neurologie dann mal so weit ist und die PA ablöst.
Das könnte ungefähr jetzt der Fall sein, doch zwischenzeitlich ist viel passiert.
Kritik an der PA hat es von Beginn an gegeben, aus den eigenen Reihen und von außen, wohlmeinende und destruktive, originelle und platte. Es war Habermas der in Erkenntnis und Interesse von Freuds Selbstirrtum sprach, bezogen auf ihren von Freud apostrophierten vorläufigen Charakter und schrieb „Die Psychoanalyse ist für uns ein das einzige greifbare Beispiel einer methodisch Selbstreflexion in Anspruch nehmenden Wissenschaft relevant.“
Verengung und Erweiterung
Neben aller Bescheidenheit war die PA immer auch ein breites Experimentierfeld und so gab es zu Beginn eine Unklarheit bezüglich dessen, was die PA nun heilen kann und was nicht.
Dazu kommt dass zu Freuds Zeiten im Grunde nur zwei großen Klassen von psychischen Erkrankungen bekannt waren oder beschrieben wurden, die Psychosen und die Neurosen.
Der Begriff Borderline-Störung (die sich zunächst dadurch auszeichnete, dass sie Elemente beider großen Reiche abwechselnd beinhaltete) war sehr früh bekannt, geriet dann aber wieder in Vergessenheit, zudem dachte man, es handle sich wirklich nur um eine sehr schmale Linie, heute sieht das Bild vollkommen anders aus. So würde einiges was Freud als Hysterie oder hysterische Neurose bezeichnete unter den Begriff der Borderline-Störung (und der infantilen/histrionischen oder leichteren dependenten Persönlichkeitsstörung) fallen. Doch dazu später.
Zu Beginn war man sich unsicher, wo eigentlich die therapeutischen Grenzen der PA war und natürlich auch was denn nun eigentlich wirkt. Es gibt immer wieder das Vorurteil, die PA sei im Grunde völlig wirkungslos, allein die menschliche Zuwendung, die Möglichkeit über sich und sein Probleme zu reden und die vergehende Zeit seien das was eigentlich heilt oder stabilisiert.
Das mag für manche leichte, neurotische Fälle eventuell richtig sein, aber gerade Kernberg war jemand, der sich schwerstkranken Patienten annahm, die mitunter in einer Mischung von Drogensucht, schweren sexuellen Missbrauchs- , massiven Gewalterfahrungen, chronischer Kriminalität und dergleichen lebten und wer je mit Menschen zu tun hatte, die eine schwere Persönlichkeitsstörung haben, der weiß, dass ein wenig Arm um die Schulter legen und „Kumpel, erzähl mal“ sagen, da wirklich mehr als unzureichend ist, auch davon später.
Doch zunächst war man unsicher bezüglich der therapeutischen Reichweite und probierte man herum und versuchte erst mal alles zu heilen. Schon dabei stellte sich heraus, dass es Unterschiede auch von Seiten des Therapeuten gibt.
So gelang es Edith Jacobson manisch-depressive oder bipolare Patienten (Psychotiker) mit den Mitteln der klassischen Analyse zu heilen vor allem, weil sie eine fast übermenschliche Toleranz gegenüber den Rückschritten und Frustrationen aufbrachte.
Heute würde man das aus pragmatischen Gründen nicht machen, weil es schnellere und effektivere Methoden gibt. So wurde die PA darauf abgeklopft, bei welchen Krankheiten sie helfen kann und bei welchen nicht. Psychosen schieden mehr und mehr aus und wurden zur Domäne der Psychiatrie mit ihrem primär pharmakologischen Ansatz, der seine volle Berechtigung hat und bei all den schönen Erfolgen die es inzwischen gibt, wäre meine Kritik, dass die Behandlung von Psychosen in unserer Zeit noch immer ziemlich schlecht ist und zudem ist die Geschichte der Psychiatrie bis weit in die Nachkriegszeit kein Ruhmesblatt .
Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, dass es eine andere Gruppe von Krankheiten gibt, die mit klassischer PA nicht oder nur ungeheuer schwer zu erreichen war. Und diese Erkenntnisse konnte man natürlich nur gewinnen, weil es immer auch empirische Forschung gab.
So Anfang bis Mitte der 1970er betrat dann Kernberg die Bühne und gab der PA einen neuen Wind, eine wissenschaftlich-empirische Ausrichtung und eine undogmatische-pragmatische obendrein.
Ich gehe bei Bedarf auf die Objektbeziehungstheorie, eine fundamentale theoretische Wende in der PA, später ein, Kernberg hat von ihr profitiert, steht in dieser Tradition und hat sie zugleich mitgestaltet.
Da die Objektbeziehungstheorie aber so eine fundamentale Veränderung ist, ist es schwierig zu sagen, ob und inwieweit das was danach kommt noch klassische PA ist oder nicht.
Die Verengung der PA ist also zunächst eine des Zuständigkeitsbereichs gewesen. Erst dacht man, alles sei mit ihr zu heilen, übrig geblieben sind heute die sogenannten Charakterneurosen, neurotischen Störungen die tief sitzen (tief genug um eine langwierige Therapie zu rechtfertigen), genügend Leidensdruck erzeugen und sich auf eine bestimmten Bereich des Lebens beziehen, oft tatsächlich der sexuell-kreative, der im Ausdruck gehemmt ist.
Die anderen Bereiche, vor allem die sogenannten schweren Persönlichkeitsstörungen, schienen für die PA und für Psychotherapie überhaupt, verloren. Bis Kernberg kam.
Und spätestens hier müssen wir uns fragen, was die PA eigentlich ausmacht und wo die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu angrenzenden Verfahren liegen.
Psychoanalyse und verwandte Verfahren
Das zentrale Element aller aufdeckenden Therapiemethoden ist die Deutung.
Spezifisch für die PA ist die Deutung im Dort und Dann, was nichts anderes ist, als der Ansatz gegenwärtige Konflikte im Lichte der PA zu deuten und mit früheren Erlebnissen in Beziehung zu setzen. Darum auch das Liegen, weil es Regressionen (im Dienste des Ich) erleichtert. Soll heißen, man soll zwischenzeitlich regredieren, um den Urkonflikt noch mal zu durchleben, um ihn dann anzugliedern, verstehen und hinter sich lassen zu können.
Andere Verfahren, wie tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und weitere eng verwandte Verfahren, auf die ich jetzt im Detail nicht eingehe, deuten ebenfalls die Aussagen ihrer Klienten, aber im Hier und Jetzt und im Sitzen, denn hier geht es primär darum den Patienten (der oft eine spezifische Ich-Schwäche hat) zu stabilisieren, zu strukturieren und deshalb soll er gerade nicht regredieren, sondern man bleibt – je nach Schweregrad, Intelligenz und Therapieverlauf und therapeutischer Fähigkeit wird das dynamisch gehandhabt – beim Verständnis des gegenwärtigen Lebens und seiner zahlreichen Konflikte.
Aber die Deutung ist auch hier das zentrale Element und in dieser Deutung liegt im Grunde ein totalitärer Anspruch verborgen, den die PA und ihre angrenzenden Verfahren aber einlösen kann.
Der Wahrheitsbegriff der Psychoanalyse
Gehen wir deshalb weiter – ich kann die Themen natürlich immer nur anreißen und hoffen, dass Du an den Dir wichtigen Stellen einhakst und nachfragst oder kritisierst – und kommen zu zwei zentralen Ansätzen der PA, ihrem Wahrheitsbegriff und dem vielzitierten Unbewussten.
Wahrheit in der Psychoanalyse meint die eigene Geschichte immer besser verstehen zu können, mit Hilfe der Deutung des Analytikers. Und hier kommt der totalitäre Ansatz ins Spiel, wobei das eigentlich auch nicht so wild ist.
Wenn ein Patient kommt, dann kommt er mit Symptomen und zwar solchen, die er als leidvoll empfindet, sonst macht man den erheblichen Schritt zu einer eigenen Therapie im Grunde nicht.
Jeder kommt also mit seiner Lebensgeschichte und die ist – aus Sicht der PA – immer geschönt, ein privater Mythos, wie Freud sagt. Das ist auch okay so, solange man damit gut leben kann. Kann man damit nicht (mehr) gut leben, d.h. nehmen eigene Spannungen, Ängste oder Probleme dauerhafter Arbeit und stabilen Beziehungen zu, wird dieser Mythos infrage gestellt.
Und schon sind wir bei Unbewussten. Die PA behauptet in der Tat, dass der Mensch in der Tiefe, und das soll heißen, von seiner unbewussten Motivlage her betrachtet, immer auch ein Triebwesen ist und das darin (aber nur darin) jeder dem anderen ziemlich gleicht.
Was die PA nun macht und was gerne übersehen wird, ist, den Patienten zunächst sehr genau zu befragen und kennen zu lernen und sich von ihm helfen zu lassen, ihn, seine Art zu denken, seine Motive zu verstehen. Und hier kommt ein wesentlicher Punkt ins Spiel, zu verstehen, nicht zu bewerten. Das ist eine Kunstsituation denn der Patient kommt – wie wir alle –
aus einer Welt, die bestimmte Verhaltensweisen lobt und verstärkt und goutiert, andere aber ablehnt, unterdrückt. Das ist die Spannung zwischen unserem Es, dass triebhaft, gierig, egozentrisch und fast im Dakwinsschen Sinne biologisch ist und der Summe der verinnerlichten Anforderungen, Gebote und Verbote der Gesellschaft, dem Über-Ich und beides gilt es zu integrieren.
Diese beiden stehen nun immer in einem Spannungsverhältnis zueinandern, es-haftes Wollen und überich-haftes Sollen. Als drittes Element beschreibt Freud das Realitätsprinzip, wenn man so will, der Rahmen des empirisch Möglichen, der unsere Wünsche und Träume begrenzt. Zwischen diesen Mühlsteinen wird „das arme Ich“ zerrieben.
Ein oft falsch verstandener Klassiker Freudscher Formulierung ist der Satz: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Er wird oft – falsch – so interpretiert als meinte Freud damit, wo Trieb war, soll Vernunft herrschen, doch in Wirklichkeit meint er, das Ich soll sich zu seinen unbewussten Trieben bekennen, sich ihrer bewusst werden.
Wenn nun der Patient kommt, so erstens mit knackigen Symptomen und zweitens, mit seinem privaten Mythos. Den gilt es natürlich im Einzelfall zu kennen und man muss ihn verstehen, um ein Band zwischen Patient und Analytiker aufzubauen.
Ich sagte oben, PA sei eine Kunstsituation, die Künstlichkeit besteht darin, dass der Analytiker die stillschweigenden Erwartungen des Patienten fortwährend enttäuscht. Lernt man den Patienten kennt, muss man natürlich bis an die Grenzen dessen gehen, was dem Patienten aktuell zugänglich ist, was sieht er noch selbst, was nicht mehr. Oft sieht er viel und all das, auch wenn da Leichen im Keller liegen, ist therapeutisch irrelevant, weil ja bereits bewusst.
Entscheidend ist, neue Akzente zu setzen, neue Perspektiven anzubieten und das ist totalitär.
Da der Patient ja nun schon mit einem inneren Koordinatensystem kommt, in dem man bestimmte Dinge tun und andere lassen sollte, bringt er auch bestimmte Erwartungen mit, nämlich wenn er dem Therapeuten mal etwas „beichtet“, dafür verurteilt zu werden und wiederum für andere Dinge, gelobt zu werden.
Hier liegt eine der Aufgaben des Therapeuten, sich nicht „verführen“ zu lassen. Mit „verführen“ ist hier nicht der Versuch des sexuellen Übergriffs gemeint (obwohl es auch das gibt, wenn der Therapeut selbst hinreichend narzisstisch ist), sondern der Versuch des Patienten sich selbst zu infantilisieren: klein, dumm, unbeholfen zu sein und in der Erwartung zu stehen von Mama oder Papa (in Person des Therapeuten) gelobt oder zurechtgewiesen zu werden.
Hier muss der Therapeut sich hüten – und es wir ihm nicht immer gelingen – die Kunst liegt darin, die sogenannte technische Neutralität aufrecht zu erhalten oder, nach deren Verlust, sie wieder herzustellen. Ich hoffe, Du bist noch emotional dabei und ich hole nicht zu weit aus?
Das heißt sich nicht zum Ersatzelternteil machen zu lassen (oder, und das gibt es auch: selbst zum kleinen , unbeholfenen Kind, was dumm, unfähig ist und dem Patienten überhaupt nicht helfen kann) und den Patient nicht Kind werden zu lassen.
Ziel ist es den Ich-Stärke des Patienten auszubauen, zu deutsch, ihm zuzutrauen, sein Leben prinzipiell verstehen zu können, eigene kreative Lösungen zu finden und diese verantworten zu können und das klappt nicht, wenn man dem kleinen Kind immer wieder erklärt, wie die Welt funktioniert und was es zu tun und zu lassen hat.
Das heißt, die Analyse findet von Anfang an zwischen zwei prinzipiell gleichberechtigen und erwachsenen Menschen statt. Wo das nicht der Fall ist (und praktisch ist das oft so), spricht man den Idealtypus des erwachsenen Menschen im Patienten an. D.h. man lässt das trotzige, schmollende, beleidigte, narzisstische Kind unbeachtet und deutet lediglich entsprechende Reaktionen – ohne sie zu bewerten. Also nicht, ich übertreibe: „Mein Gott, jetzt sind sie schon wieder in diese affige Kinderrolle gerutscht, werden sie doch endlich mal erwachsen, immerhin sind sie doch schon 35.“
Sondern man deutet, dass man nun das Gefühl hat man sei ein sadistischer Vater, der etwas vollkommen Außerirdisches und Unverhältnismäßiges fordert (das ist technisch gesehen die Analyse der Gegenübertragung und Gegenübertragung ist die Summe der unbewussten Faktoren des Patienten – Gesichtsausdruck, Köperhaltung, Sprachveränderung, Gesten… – die eine bestimmte Stimmung beim Therapeuten auslöst, en Element was in der modernen PA kräftig an Bedeutung gewonnen hat) und nun einem kleinen, verängstigten Kind gegenübersitzt, bei einer normalen Forderung, meinetwegen pünktlich zu sein. Ohne es zu bewerten.
Dazu kann der Patient erstens Stellung nehmen und zweitens bekommt er vermittelt, wie er wirkt.
Ist der Therapeut seinerseits paralysiert, kann er immerhin das ebenfalls deuten und sagen: „Ich komme mir vor wie ein ohnmächtiger Trottel, der sich hier abmüht und einem überlegenen, spöttischen Menschen gegenübersitzt, der sich über meine hilflosen Versuche beömmelt.“ Auch das als Mitteilung ohne Vorwurf, zu der der Patient Stellung nehmen kann. Das könnte dazu führen, dass er sagt: „Nein, nein, das ist gar nicht so, aber wo sie’s sagen, so habe ich immer meinen Vater empfunden, wenn ich ihm von meinen Träumen erzählt habe“… oder was auch immer. In jeden Fall hat der Patient eine Information über seine Wirkung auf andere.
Da das Ziel der erwachsene, eigenverantwortliche Mensch ist, wird sich mit diesem Anteil des Patieten vernünftig unterhalten, der andere Teil wird taktvoll gedeutet, aber man geht nicht inhaltlich auf ihn ein. Ob Ohnmacht oder Größenwahn, beidem entzieht man den Boden. Und selbstverständlich hat der Patient die Möglichkeit die Deutung zurückzuweisen, zu korrigieren und die Deutung bringt auch nur etwas, wenn der Patient in ihr einen Sinn sieht, sie annehmen kann. Das wäre das große, aber irgendwie auch unnötige aufgebauschte Kapitel der Deutungswiderstände.
Hier wird suggeriert (aber es wurde und wird von Seiten mancher Analytiker, die auch nur Menschen sind, wenig getan um diesen Eindruck zu korrigieren) der Therapeut habe ein gottähnliches Wissen oder mindestens den magischen Blick in die Tiefe der Seele, nein, er hat nur sein Handwerkt gut gelernt. In der Praxis kann der Patient die Deutungen wirklich verwerfen und der Therapeut kann unterscheiden, wo eine Verdrängung vorliegt und wo die Deutung ganz einfach nicht stimmt, weil der Patient sie mit guten Gründen entkräften kann. Manchmal bedeutet eine Banane eben nur eine Banane.
Da die Erwartungen des Patienten aber enttäuscht werden, kurioserweise dadurch, dass man ihn gerade nicht be- und verurteilt, wird er aber zunächst misstrauisch. Was nun passiert, sind technisch gesagt Übertragungen. (Die Projektionen des Patienten, auf den Therapeuten.)
Da mich jeder dafür verurteilt – so könnte eine Überzeugung des Patienten sein –, wird auch der Therapeut mich verurteilen, der sagt das nur nicht. Das macht misstrauisch. Manchmal wird es als Beweise der Freundschaft betrachtet, „der meint es wirklich gut mit mir“, mal mit Argwohn, „der interessiert sich gar nicht für mich, vermutlich zählt der innerlich nur sein Geld“.
Es braucht seine Zeit, bis man als Patient annehmen kann, dass man da wirklich jemandem gegenübersitzt, der für die Zeit der Therapie/Analyse aus dem konventionellen Spiel aussteigt und es im neutralen Sinne gut mit einem meint. Neutral heißt mit einem aufrichtigen Interesse an Entwicklung und Gesundung, aber gerade nicht als Freund.
Der Therapeut hat es gelernt dem Patienten immer die Wahrheit zu sagen und zwar die Wahrheit über sein momentanes Empfinden, mitsamt dem emotionalen Gepäck und er sollte die Technik beherrschen und wissen, was im Unbewussten so los ist (vor allem auch im eigenen, damit man persönliche Themen von denen des Patienten unterscheiden kann).
Der Clou ist eigentlich der, dass man sich die Geschichte des Patienten sorgsam anhört und sie ernst nimmt und dann dem Pateinten eine alternative Geschichte, die Deutung eben, anbietet.
Wenn man das nur dogmatisch verkündet, stößt man a) auf Widerstand, der Patient ist ja überzeugt so zu sein, wie er erzählt hat und b) wenn man daraus einen Machtkampf macht, ist man im schlimmsten Fall in der Situation, dass der Patient die nun fremde Geschichte übernimmt, aber wie sollte das einen Einfluss auf seine Symptome haben?
Das ist das andere Ziel, dass es dem erwachsenen Patienten einfach auch besser geht. Dass die Ängste und Spannungen weniger werden, die Beziehungen besser funktionieren, man es schafft bei einer Arbeit am Ball zu bleiben, seine eigenen Bedürfnisse kennen lernt, sich traut sie aktiv einzufordern.
Dass man sich der Kritik stellen kann und sie nicht als Angriff auf die ganze Person wertet und andersherum auch eine bestimmte Ansicht bei anderen kritisieren kann, ohne die ganze Person zu entwerten und so weiter. Indizien für empirische Fortschritte gibt es haufenweise.
Prognosen, was zu erwarten ist, auch.
Ich mach hier mal eine Pause, weil es eh schon sehr viel geworden ist, jetzt bin ich auch Deine Kritik gespannt. Habe beim nochmaligen Durchlesen, gesehen, dass mit der Wahrheitsbegriff der PA etwas flöten gegangen ist, also bei Bedarf hak da ruhig.