Nanna hat geschrieben: Wenn zwei Menschen in der Wüste stehen und nur einen Kanister Wasser haben, mag es dem Einen pragmatisch erscheinen, den Zweiten umzulegen, wohingegen ein Anderer unter Pragmatismus verstehen würde, dass man das Wasser halt brüderlich teilt und das Beste daraus macht.
So kann es sein, aber wenn einer von beiden daraus ein allgemeines Gesetz und eine Richtlinie herleitet, ist es zu viel des Guten. Unter Pragmatismus verstehe ich, dass man situationsspezifisch und nicht dogmatisch entscheidet.
Nanna hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Deswegen schätze ich 1. die Erkenntnis, dass es lächerlich ist, allgemeingültige Regeln aufstellen zu wollen oder zu glauben, dass solche existieren und sie alle nur Vorschläge sind und 2. dass die eigene Analyse einer Situation oft besser ist, da ein solcher Vorschlag nur allgemeine Situationen beschreibt.
Klar sind sie Vorschläge. Das ist ja gerade der Punkt am Sein-Sollen-Problem, dass man moralische Regeln nicht empirisch in der Natur auffinden kann, sondern durch Reflexion aufstellen und optimieren muss. Dein utilitaristischer Appell an die Nützlichkeit ist übrigens auch eine allgemeine Regel.
Wieso muss man? Es ist völlig widersinnig, sich solche Richtlinien selbst aufzulegen, wenn man schon vorher weiß, dass diese Regeln entweder zu unspezifisch oder zu spezifisch sind und damit auch eher zu ungünstigen Lösungen führen. Das war kein Appell, es stellt nur meine persönliche Einstellung dar. Ich verpflichte niemanden, genauso zu handeln, würde es aber begrüßen. Dabei verwende ich auch keine appellativen, imperativen Formen für meine Aussagen - sie sind somit nicht wirklich normativ. Ich kann kein Sollen formulieren, wenn ich über den Einzelnen keine Macht besitze, kann aber versuchen aufzuzeigen, was die logische Variante ist.
Nanna hat geschrieben:Ich habe relativ viel Erfahrung darin, ein Team zu führen ohne eine Vorgesetztenfunktion zu haben (gute Beschreibung so eines Führungsstils beispielsweise
hier). Aus ganz alltäglicher Erfahrung weiß ich, dass gefürchtet zu werden eine einzige Katastrophe ist, wenn man etwas erledigt bekommen will. Mitarbeiter brauchen Lob, Bestätigung und die Erfahrung, dass man zu ihnen loyal ist, selbst wenn sie mal Mist gebaut haben. Darüberhinaus brauchen sie aber auch ehrliches Feedback und die Möglichkeit, sich nach individueller Leistungsfähigkeit beweisen zu können. Wie der verlinkte Artikel völlig korrekt anmerkt, sind sozial inkompetente Vorgesetzte, die autoritäres Verhalten mit Autorität verwechseln, der größte Bremsklotz für Produktivität und für das allgemeine Klima ja sowieso.
Nur wenn die eigene Machtposition unterwandert wurde. Wenn man die Untergebenen von sich abhängig macht, hat man sie auch im Griff und sollte sie nicht vergessen lassen, welche Abhängigkeit besteht. Zumindest ist das die mittelalterliche Sichtweise, der der Macchiavellismus entstammt - heute gibt es solche Abhängigkeiten in unseren Gefilden weit seltener. Deswegen muss man sich Abhängigkeiten suchen und schaffen, die über die systemischen (Gehalt, Absicherung....) hinausgehen. Wie du dir sicher zurecht vorstellst, hatte ich eher wenig Erfahrung mit Führungsrollen, allerdings nur, weil ich mich um diese auch selten bemüht habe. Dennoch hat sich mein Verständnis vom Macchiavellismus stehts bestätigt und bewehrt. Es kommt einfach darauf an, seine Karten gut auszuspielen (das ist bei der Usurpation immer am schwierigsten). So konnte ich in der Schule und im Studium meine Interessen durchsetzen, ohne dauerhafte Führungspositionen innehaben zu müssen. Ein angemessenes Beispiel ist Macchiavelli selbst für dieses Vorgehen: Echte Führungspositionen hatte er nie inne, war aber den Mächtigen nahe genug, um sie zu beeinflussen. Die wohl effizientese Ausübung von Macht, ist diejenige, die den Fokus auf einen Strohmann lenkt und die Verantwortung auf ein Minimum beschränkt bei maximaler Machtausübung. Loyalität ist eine Illusion, man ist auch nicht auf sie angewiesen, wenn man kaum suchen muss, um einen besseren Untergebenen/Mitarbeiter/Chef zu finden. Das ist im Wissenschaftsbetrieb Usus, Festanstellungen sind eher selten. Aber den Macchiavellismus zu befolgen, bedeutet nicht, dass man sich wie ein Arschloch verhalten muss, sondern nur ein gewisses Vorgehen vermittelt.
Nanna hat geschrieben:Letztlich ist die Frage, was nachhaltiger ist und was man will: Dass die Leute einem aus Angst oder reinem Nutzenkalkül folgen oder aus Überzeugung und Vertrauen. Du kannst ja machen, was du willst, aber ich werde mich grundsätzlich immer für zweiteres entscheiden. Wenn ich nicht im umfassenden Sinne eine gute Führungspersönlichkeit bin, und das schließt Loyalität über reine Nutzenerwägungen hinaus ein, will ich auch den Job nicht haben. Da enttäuschte ich mich nur selbst.
Was hat Loyalität denn schon für einen Wert? Verrat gibt es überall, wenn es darauf ankommt - außer man umgibt sich mit Naivlingen und Fanatikern, die dich für einen Gott halten (und sogar dann ist es nie ausgeschlossen), oder mit inkompetenten Leuten, die von dir abhängig sind, weil du aber ihre Arbeit erledigen musst (oder nicht selten alles auf einmal). Ab einer bestimmten Ebene hast du nicht mit Untergebenen, sondern mit anderen Führungspersönlichkeiten zu tun. Erst dann bist du auch eine echte Führungspersönlichkeit und dann ist der Macchiavellismus wieder sehr nützlich. Der Macchiavellismus lehrt einen, sich nicht auf Vertrauen und Loyalitäten zu verlassen, ansonsten hat man keine Absicherung, seine Ziele durchzusetzen. Und diese Ziele können ganz reeller, pragmatischer Natur sein - die einem auch etwas bringen. Mit Loyalität kannst du nichts kaufen.
Nanna hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:... Aber darin bestand ja auch nicht meine Kritik, sondern eben in der Scheinheiligkeit, Moral und Ethik als real und notwendig zu bezeichnen, aber sich gleichzeitig selbst herauszunehmen, es anders zu handhaben. Bei meinem Amoralismus bin ich wenigstens ehrlich und damit (soweit ich es zulasse) für andere einschätzbar.
Ich glaube, dass du da etwas kollossal missverstanden hast. Ich breche keine ethischen Regeln. Ich setze mich, und zwar mit Wissen und Billigung meiner Vorgesetzten, Kommilitonen oder wem auch immer, manchmal über bestimmte Konventionen hinweg, weil ich mit mehr Handlungsfreiheit in dem Fall bessere Ergebnisse erziele.
Ich habe nichts missverstanden, denn Konventionen und Regeln entstehen ja nicht aus dem nichts, sondern aus ethisch-moralischen Vorstellungen. Jede Konvention, die du brichst, ist damit auch eine verletzte Norm. Dagegen habe ich per se gar nichts, deine Einstellung zu den Regeln selbst, scheint mir nur inkonsequent und wenig reflektiert. Das Mitwissen ist übrigens auch etwas, das man nach Möglichkeit vermeiden sollte, da es eine eigene Abhängigkeit schafft. Im Nachhinein, wenn alles geklappt hat, darf man die Leute gern informieren. Ich habe es immer vermieden, dass ich jemandem auf Dauer etwas schuldig bin und mich immer möglichst revanchiert (wenn mein Gefallen nicht selbst die Revanche für meinen Vorschuss war. Das führt bei Leuten mit Moral und Ethik auch schon zu einer Abhängigkeit - vielleicht die Definition von Abhängigkeit, die du am ehesten verstehst und nicht ablehnst).
Nanna hat geschrieben: Wenn ich das darf, habe ich mir das durch jahrelanges zuverlässiges Erarbeiten von Vertrauen verdient. Wo es darauf ankommt, etwa bei der Überstundenabrechnung o.ä. bin ich absolut preußisch-penibel. Mit Amoralismus hat das alles überhaupt nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Andere sind manchmal eher bereit, mich von standardisierten Verfahren zu entbinden, weil sie mir vertrauen, dass ich mich auch dann noch ethisch sauber verhalten werde, wenn ich in unkontrollierter Umgebung arbeite. Und ich bin auch immer sehr offen und transparent dabei, meine Beweggründe zu erklären, irgendwelcher Obskurantismus liegt mir da fern.
Das setzt auch großes Vertrauen bei dir für deine Vorgesetzten voraus. damit wirst du nie ganz an die Spitze kommen. Manchmal kommt es drauf an, diese nämlich bei Gelegenheit und Wunsch auszubooten (wenn man nicht bis zum freiwilligen Rücktritt oder der Rente warten will).
Nanna hat geschrieben:Sorry, wenn du glaubst, mich da bei irgendetwas ertappt zu haben. Mir ging es eigentlich nur darum, provinzler nahe zu legen, die Integrität, die viele ihm zugestehen, insofern zu nutzen, als dass er dadurch häufig mehr Freiheit in der Gestaltung seiner Arbeitsweise erhalten kann (was er ja in dem Startup, wo er arbeitet, offensichtlich auch tut). Wer integer und vertrauenswürdig ist, darf häufig eher selbst entscheiden, wie er ein Ziel erreicht, gerade weil man ja darauf vertrauen kann, dass er dabei keine schmutzigen Wege einschlagen wird. Das setzt aber voraus, dass man sich seine Integrität bewahrt.
Es kommt immer darauf an, mit wem man arbeitet. Manchmal kann man nicht wählerisch sein, und kann beim Gegenüber keine Loyalität erwarten. Deinesgleichen würde vielleicht ganz passable Führungspersönlichkeiten abgeben, aber wie Macchiavelli betont, geht es nicht nur darum, die Macht zu erlangen, sondern sie auch zu halten. Und dann musst du macchiavellistisch handeln, weil nicht jeder so ist wie du. Selbst in Vorzeigedemokratien wie unserer, kann man bei den integersten Personen eiskalten Macchiavellismus sehen, siehe Merkel, siehe Gabriel, siehe Brüderle, siehe Gysi (sie alle zeigen bemerkenswert übereinstimmendes Verhalten bei dem Erwerb der Führungspositionen und der Auswahl von Bauernopfern zum Erhalt dieser. Es gibt da noch andere, extremere Beispiele, siehe Berlusconi, Putin, aber auch Obama, der auch nicht gezögert hat, seine Konkurrentin aus dem eigenen Lager zu bekämpfen und Techno-Terrorismus mit Drohnen gegen seine Feinde anwendet). Die booten ihre Konkurrenten oder inkompetenten Untergebenen sofort aus, auch wenn sie Gegenteiliges sagen. Du würdest das vielleicht nicht tun, aber dann würdest du selbst ausgebootet werden. Politiker mit deiner Einstellung, schaffen es nicht über ihren Landeskreis hinaus und sind damit keine echten Führungspersönlichkeiten. Tut mir ja Leid für dich, aber mir ist keine echteFührungsperson bekannt, die sich halten kann, ohne macchiavellistisch zu handeln. Die Stärke Macchiavellis war ja, sich vom Ideal des tugendhaften Herrschers zu verabschieden und einfach die Realität und die erfolgreichen Konzepte zu erkennen und zu beschreiben. Damit ist der macchiavellismus kein Maßstab, sondern ein Phänomen beinahe so wie der Darwinismus.
Nanna hat geschrieben:Ich bin bislang nicht in die Situation gekommen, wo mir vorgeworfen wurde, ein doppeltes Spiel zu spielen oder die Integrität meiner Intentionen angezweifelt wurde. Klar passieren Fehler und natürlich erreiche ich meine eigenen Standards in schöner Regelmäßigkeit nicht. Ich kann das aber zugeben und auch die Verantwortung auf mich nehmen, wenn ich irgendwo Mist gebaut habe. Lieber gleich drüber reden, dann ist das Thema vom Tisch. Gerade Leute, die einen länger kennen, kriegen da recht schnell mit, ob einen das ehrlich wurmt und man sich wirklich anstrengt, den gleichen Fehler nicht nochmals zu machen, oder ob man eine Entschuldigung nur als Ausflucht benutzt. Insofern, nein, bislang habe ich nicht erlebt, dass jemand von mir enttäuscht war, weil ich vollmundig meine Moral gepriesen habe und dann ein Versprechen nach dem anderen gebrochen habe.
Das wird aber passieren, sobald du echte Konkurrenz erfährst. Die loyalen Untergebenen werden dir soetwas vielleicht nicht vorwerfen, wohl aber der Konkurrent, der nicht von dir abhängig ist und es auf deine Position abgesehen hat oder mit dir eine höhere anstrebt.
Nanna hat geschrieben:Wenn meine Hausaufgaben schlecht waren, hat das aber auch nur mir geschadet, insofern ist das auch gar kein ethisches Problem.
Ganz richtig, deswegen habe ich mich ja entsprechend diszipliniert verhalten. Es ging mir ja darum zu unterscheiden, was eine Tugend ist und was Moral und Ethik.
Nanna hat geschrieben: Ich kann aber von mir sagen, dass ich mir nie Leistungen erschlichen habe.
Gut, denn soetwas macht angreifbar und ist meist aufwendiger, als sich um die echte Leistung zu bemühen, wenn man es vertuschen will. Ich habe auch nie gemogelt bei dem Nachweis einer Leistung - allein wegen meines Ehrgeizes nicht. Machtfragen und die Durchsetzung der eigenen Ziele sind hingegen etwas ganz anderes.