Vollbreit hat geschrieben:Statt dessen zäumt man das Pferd von hinten auf und umgibt sich mit den Insignien der Schicht zu der man gehören „möchte“.
Alte Faustregel: kleide dich auf der Arbeit nicht wie du bezahlt wirst, sondern wie du bezahlt werden willst. Wo wir bei Klassen sind, Marx sagte doch
"Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein", ein recht tautologischer Satz auf den zweiten Blick. Was kommt zuerst, die innere Einstellung oder das Verhalten? Mit dem Konzept des
Bootstrapping, haben Menschen so ihre Probleme, ob nun Evolution oder Bewusstsein. Alles reflektiert sich, alles erzeugt ein Feedback. Ein kleiner Impuls aus den tiefen des Psyche schaukelt sich auf, manifestiert sich im Verhalten, das Verhalten in der Einstellung dazu, und umgekehrt und rückwärts.
Ein "Unterschichtler", der aus irgendwelchen Gründen in einer gehobenen Gesellschaft klarkommen muss, wird sich äußerlich als auch innerlich verändern müssen, oder er wird verändert werden. Oder er wird wieder ausgespien. Wenn jemand sich auf physikalische oder innere Reise begibt, in einem anderen Land oder in einem anderen Zustand lebt, dann wird derjenige bei seiner Rückkehr ein
anderer sein, wie es die Heldenreisen seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte bezeugen. Jeder ist da ein wenig wie Siddhartha Gautama, Frodo, oder Luke Skywalker. Auf gesellschaftliche Schichten bezogen, ist das glaube ich, genauso wahr. Man läuft natürlich nicht einfach nach Mordor rein, aber einmal in der Gesellschaft der Anzugträger mit zweiwöchentlich nachgeschnittener Nichtfrisur, ändert sich die Perspektive bald. Der Held assimliert das andere;
So klein und schon bei den Sturmtruppen? oder mogelt sich anderweitig durch, vielleicht durch einen Unsichtbarkeitszauber in Form des passenen Rings. Ganz gleich ob die "Unsichtbarkeit", das Verschwinden des Fremdkörpers, durch innere oder äußere Veränderung erfolgt, oder durch Verkleidung oder Habitus geschieht—es lässt den Eindringling niemals unberührt. Unmerklich ändert sich sein Charakter, wenigstens seine Perspektive. Kehrt sie eines Tages in die gewohnte Umgebung zurück, ist sie jemand anderes. Da ist die abendliche Soap, oder in der Kneipe sitzen vielleicht nicht mehr der Höhepunkt des Tages.
Die Unfairness besteht aus meiner Sicht darin, dass jeder in unterschiedlich lebenswerte soziale Orte geboren wird. Man fordert von den "Unterschichtlern" sie mögen sich hochkämpfen, während diejenigen, die mit dem goldenen Löffel geboren wurden implizit verehrt werden, als hätten sie irgend etwas geleistet. In Wirklichkeit sind doch beide völlig gleich, keiner hat eine Heldenreise unternommen. Die wahren "Klassen" in Deutschland sind aus meiner Sicht eher die Leister und die Nichtleister. Die Leister gehen arbeiten und erwirtschaften. Die Nichtleister, ob nun arm oder reich, sitzen in ihrer Komfortzone und bedienen sich durch Umverteilungssysteme bei den Leistern (Einschränkung hier: Nichtleister-"Unten" ist
nicht identisch mit arbeitslos, wer sich bewirbt, tut ja etwas). Es wird ein falsche Hierarchie suggeriert, wonach die ärmeren Leute "unten" seien, und die Reichen seien "oben". Das ist eine praktische Metapher, die sich aus dem Kontostand quasi von selbst ergibt. Dann wird suggeriert, dass man nicht "abstürzen" dürfe, weshalb die Leister noch mehr leisten sollen. Im Endeffekt sind es die Nichtleister-"Oben", die die Leistung einfordern, weil damit ihr üppiger Lebensstil ermöglicht wird. Die Nichtleister-"Unten" werden als Drohkulisse benutzt und es wird der Eindruck suggeriert, als seien dies "die anderen", die sich durchschnorrten. So lassen sich viele Halbwahrheiten gekonnt verweben. Natürlich könnten "Unterschichtler" etwas tun. Die Leute in der "Mitte" finden es garnicht so schlecht, auf andere "herabblicken" zu können. Ein Abgrund ist auch motivierend und nach getaner Arbeit kann man sich "wohlverdient" ausruhen. Da fällt es dann kaum auf, dass das Verdienst der "Oberen" nur Glück war. Aber dann hatten wir alle ein bischen von diesem Glück, wir hätten auch in der Sahelzone zur Welt kommen können. Schwierig. Sind wir dann alle, vergleichsweise, Nicht-Leister? Das Wasser kommt aus der Leitung und unsere Arbeit besteht darin, Tasten und Knöpfe zu drücken. Ist Wohnungsvermittlung schon "Leistung", oder wird das dann Leistung, wenn man selbst eine Führung von 15min mit duzenden Bewerbern leitet und für diese "Leistung" zwei Monatsmieten kassiert? Man möge das Beispiel übertragen. Es ist alles nicht so einfach.
stine hat geschrieben:Ich glaube, dass die Abgrenzung bewusst erfolgt und mit Geld gar nichts zu tun hat. Vielleicht ist es sogar der Aufschrei einer Generation, die keine Ziele mehr haben kann, weil alles schon irgendwann mal von irgendjemanden geschrieben, gesungen, erfunden und gemacht wurde.
Das wäre meine Generation, gerade so. Generaion Grunge. Generation X. Die verlorene Generation. Die Generation, die in Politk und Wirtschaft "übersprungen" wird. Für Piratenpartei zu alt, für Grüne zu jung. Rösler, Mißfelder, Schröder...!? Reden wir nicht drüber. Die gehören offensichtlich nicht dazu, und sind wie alles bei den Schwarz-Gelben zurückgeblieben. Unsere Generation hat aber dennoch viel verändert. Gut, Zuckerberg ist so gesehen schon wieder Generation Y. Was ich eigentlich schreiben wollte: es gibt zwar einen Zeitgeist, aber das Konzept der Generation kann ich nicht wirklich ernst nehmen, auch wenn es natürlich gewisse Gemeinsamkeiten gibt. Da spielt es nur marginal eine Rolle, ob wir mit Lokomotiven aus Holz, Spielzeugburgen aus Lego, Action-Figuren aus Plastik, oder Videospielen auf der Konsole aufwuchsen. Es gibt vielleicht insgesamt betrachtet bestimmte gemeinsame Stationen der Laufbahn. Früher gab es lange Wehrpflicht, heute gibt es keine mehr. Früher ging fast jeder zur Volksschule, heute geht jeder auf Gymnasium oder Gesamtschule. Aber es gibt weiterhin Friseure, Bäcker und Fabrikarbeiter. Es wird heute soviel erfunden und geforscht wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Früher gab es in Deutschland ein Duzend Filmemacher, heute sind es hundertausende. Die massiven Veränderungen des Internets und der vernetzten Welt sind heute noch garnicht richtig abschätzbar. Es wird aber aus meiner Sicht ganz krass unterschätzt, was da vor sich geht.
Jetzt kriege ich noch die Kurve. Du weißt nur deshalb was von sonderbaren Piercings, weil es 1965 noch kein Internet gab, dass dir die Sonderbarkeiten vorführte.