Die Singularität ist nah
Was uns Geeks ja gemeinhin fehlt, ist eine anständige Ersatzreligion. Irgendwas, mit dem man seine mystischen Triebe jenseits von Firmware-Update-Heilsversprechungen oder Deinstallations-Exorzizien ausleben kann. Doch es gibt nicht gerade viele Gruppierungen, denen man sich anschließen könnte: Die Diskordier wollen Verwirrung, die Pastafarians beschwören das fliegende Spaghettimonster und an The Force glauben fragwürdige Typen mit Besen-Lichtschwert. Aber drüben, in den Silizium- und Dope-geschwängerten Gefilden der amerikanischen Computerindustrie, hat sich seit den sechziger Jahren eine Strömung entwickeln können, die es durchaus ernst meint. Sie hat eine Heilsversprechung, beschwört eine neue Welt und führt schon im Jenseits zu viel Erfolg. Die Rede ist - von den Singularianern. Sie glauben nicht an einen Gott oder eine höhere Macht, sondern die Zukunft des Menschen. Sie glauben an die Singularität.
Aufwärts gehts - und zwar doppeltüberproportional. Also auch die BeschleunigungsRATE ist überproportional
Die Singularität ist nah, rief Anfang des Jahres Raymond Kurzweil in seinem gleichnamigen Buch aus. Die Singularität, das sei die doppelt-überproportionale Beschleunigung des Fortschritts. So schnell, dass alles innerhalb der nächsten Jahrzehnte auf eine große Fortschrittsexplosion zusteuert: der Singularität. Und was danach kommt, davon könnte man heute noch nicht mal spekulieren. Klar ist den Singularianern auf jeden Fall: der Mensch, wie wir ihn kennen, den wird es nicht mehr geben. Statt unserer langsamen menschlichen Intelligenz, werden Superintelligenzen das Sagen haben, mit Hilfe technischer Mittel werden die Grenzen zwischen Mensch und Maschine endgültig aufgelöst. Technik und Mensch sind im Posthumanismus vereint. Wenn die Singularianer von der Singularität reden, dann reden sie in Wirklichkeit von einem Anti-Nirvana - dem endlos schnellen Fortschritt, der Veränderung, der Superbeschleunigung - alles explodiert in pures Wissen, die Menschheit erlangt eine neue Stufe, alles wird gut. -- Wenn wir uns nur genug anstrengen.
Die Singularianer sind so etwas wie der religiös-aktive Teil einer größeren Strömung: den Transhumanisten. Sie glauben daran, Menschen im Übergang zu etwas anderem zu sein. Transhumanisten experimentieren mit Hirn-Programmierung, forschen an Unsterblichkeitspillen und sehen in Nano- und Gentechnologie die große Zukunft. Sie haben sich Technik- und Fortschrittsfreundlichkeit auf die Fahnen geschrieben, ebenso wie ein aktives Eintreten für die Selbstverwirklichung des Menschen und der Förderung von Intelligenz und Kreativität. Transhumanisten wollen den Weg ebnen für den Menschen nach dem Menschen - den posthumanen Menschen. Ihre Mittel sind neben Förderung der Forschung vor allem auch Experimente an sich selbst: verschiedene Glaubenssysteme, Drogen, technische Erweiterungen sollen das Mind sprengen, vielleicht sogar das Dasein transzendieren. Transhumanistische Ideen locken schon seit den Sechziger Jahren ein buntes Völkchen an: Drogengurus wie Timothy Leary, Verschwörungs- und Science-Fiction-Autoren wie Robert Anton Wilson zum Beispiel. Vernon Vinge, amerikanischer Mathematiker und Science-Fiction-Autor war einer von ihnen. 1993 erfand er dann quasi das Konzept der Singularität, das Raymond Kurzweil in seinem Buch "The Singularity is near" Anfang dieses Jahres konkret ausformulierte.
Raymond Kurzweil
Seitdem wächst die Anhängerschaft, transhumanistische Gedanken bieten eine tolle Spielwiese für Nerds und Geeks, für etwas "größeres" einzutreten. Problematisch nur: die prinzipielle geistige Nähe zu Technosekten a la Scientology und der Eindruck, dass da dann doch arg technikgläubigen Optimisten zugange sind, die zwischen Star Trek-Fantasien, Hippie-Wortwitz und teleologischer Verblendetheit etwas suchen, was es einfach nicht gibt: einen Sinn.
http://fm4.orf.at/knoke/210918
Ein Beitrag für den Anfang über die Technische Singularität und ich finde er bietet reichlich Stoff für eine Diskussion.