Grotemson hat geschrieben: Den Erläuterungen nach zu urteilen, ist das Bright-Verständnis also hauptsächlich von einer Art ontologischen Naturalismus geprägt, also die Überzeugung, dass es nur einen gewissen Bereich von Dingen gibt, und dazu die ontologische Verpflichtung dazu, was es alles nicht gibt. Wenn man es genau bedenkt ist das aber doch eine ziemlich restriktive ontologische Verpflichtung. Wenn ich sage: Nur das existiert, was
energetisch-materieller Form manifestiert
, was ist dann mit Zahlen, Wahrheitswerten, Propositionen, Gedanken, Tatsachen, Summen, Vorgängen, Ereignissen, Relationen und allerlei geistigen Entitäten(gemeint sind sowas wie: Bewusstsein usw., wobei sich einiger dieser durch Supervenienz klären ließen. Der Begriff des ICH zum Beispiel aber nicht.). Die Liste ist natürlich riesig. Das sind jetzt nur die Dinge, die mir spontan einfallen. Aber Zahlen sind doch schon ein gutes Beispiel.(Myron erwähnte Nominalismus in Bezug auf Abstrakta- somit auch auf Zahlen?) Deren Existenz müsste ich als ontologischer Naturalist doch im Prinzip verneinen, aber das führt in einige schwierige mathematische Referenzprobleme.
Interessieren würde mich noch, und das ist ja unter dem Stichwort Scientismus schon angeklungen, ob es zum, sagen wir "genuinen", Bright-Selbstverständnis gehört, dass das Universum und alle Vorgänge darin (vollkommen und nur) mittels naturalistischer Erklärungsmethoden- und Ansätzen erklärt werden kann. Das wäre dann zusätzlich zum ontologischen auch ein methodischer und explanatorischer Naturalismus, der wissenschaftstheoretisch eng mit der Verpflichtung zu einer Art Empirismus und Verifikationismus(hier auch schon angeklungen, soweit ich mich erinnere) gekoppelt wäre.
Diese Frage mündet für mich auch in die Frage, ob man als Bright der Meinung ist, eine überlegene Erkenntnismethode gefunden zu haben, die dazu führt, dass das eigene Überzeugungssystem mehr dezidiert wahre Sätze emthält, als das eines- sagen wir als Beispiel- Christen oder Wissenschaftsskeptikers.
Ich entschuldige mich übrigens für die vielen -ISMEN; das soll kein Name-dropping sein. Ich möchte nur so genau wie möglich dieses Weltbild verstehen.
Kein Grund zur Entschuldigung!
Es gibt zweifellos ein nichttriviales theoretisches Problem: Das Thema
naturalistisches Weltbild oder
Naturalismus stellt sich bei näherer Betrachtung als komplex und kompliziert heraus und wird auch unter den professionellen Philosophen kontrovers diskutiert. Angesichts dessen erscheint die simple offizielle Definition, die von Brights Central angeboten wird, oberflächlich und so gut wie nichtssagend. Eingehende, weiterführende Erläuterungen sucht man auf der amerikanischen Website der Brights-Bewegung vergeblich, allerdings nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nicht als abgehobener theoretisch-philosophischer Diskussionskreis, sondern als praktisch-politische "Bürgerinitiative" versteht. Die Frage, was genau der Naturalismus beinhaltet und was nicht, wird dabei (leider) an den Rand gedrängt oder gar gänzlich verdrängt. Aber andererseits ist es Brights wie mir natürlich nicht offiziell untersagt, philosophische Analysen anzustellen:
Wenn von der Abgrenzung vom Supernaturalismus die Rede ist, dann geht es dabei meistens nur um die Abgrenzung vom spiritualistischen Supernaturalismus und nicht vom platonistischen Supernaturalismus. Dass der Naturalismus mit ersterem, d.h. mit dem Glauben an Geister, Seelen, Zauberkräfte und Wunder, unvereinbar ist, ist vollkommen klar, aber weniger klar scheint, ob ein Naturalist an irgendwelche abstrakten Entitäten glauben darf oder nicht, d.h. ob er Platonist, Abstraktist sein darf oder Konkretist, d.h. Nominalist in Bezug auf Abstrakta sein muss.
Dabei muss freilich zwischen den verschiedenen Arten von Abstrakta differenziert werden. Zum Beispiel gelten platonische, außerraumzeitliche Universalien (Eigenschaften & Beziehungen) als abstrakte Entitäten. Der platonisch-abstraktistische, transzendentistische Universalienrealismus ist meiner Meinung nach mit dem (ontologischen) Naturalismus unvereinbar, wohingegen der aristotelisch-konkretistische, immanentistische Universalienrealismus wie er von zeitgenössischen Philosophen wie David Armstrong vertreten wird, damit durchaus vereinbar ist. Ein Naturalist muss also kein Nominalist in Bezug auf Universalien sein!
Was nun den mathematischen Platonismus anbelangt, so halte ich diesen nicht für Naturalismus-kompatibel, weil er ein geistunabhängiges "drittes Reich" außerraumzeitlicher Entitäten wie Zahlen oder Mengen postuliert, die weder physische noch psychische Eigenschaften haben.
Aber selbst ein Erznaturalist wie Quine sah sich schließlich genötigt, zumindest die Existenz von Mengen anzuerkennen (siehe:
Indispensability Arguments in the Philosophy of Mathematics). Oder sollte man Quine besser als Erzszientist bezeichnen?
Die Frage, ob und wenn inwieweit der ontologische Naturalismus mit dem Glauben an bestimmte Abstrakta vereinbar ist, ist ein interessantes, relevantes, aber kompliziertes Thema, das höchstens in einem gesonderten Philosophie-Thread weiter ausgeführt werden könnte.
Nicholas Rescher hat geschrieben, dass "Naturalismus" oft nichts weiter als ein Euphemismus für "Szientismus" ist, womit er recht hat. Das heißt, "Naturalismus" wird oft mit "szientistischer Naturalismus" gleichgesetzt. Damit landen wir bei einem weiteren Grundproblem, nämlich bei dem Umstand, dass zwischen ontologischen (metaphysischen), epistemologischen und methodologischen Naturalismen unterschieden wird und oft überhaupt nicht klar ist, welche Art von Naturalismus gemeint ist.
Ich habe mal versucht, Licht ins Dunkel zu bringen:
1.
Metaphysischer Naturalismus:
1.1
Ontologischer Naturalismus:
Die natürliche (raumzeitliche) Welt bildet die ganze Welt, die gesamte Wirklichkeit; alles ist natürlich und nichts ist nichtnatürlich/übernatürlich.1.2
Ontologischer Szientismus:
Die Setzungen wohlbestätigter (natur-)wissenschaftlicher Theorien sind die einzigen Sachen, die existieren, real sind, und nur der Glaube an deren Existenz ist gerechtfertigt und vernünftig.
Motto: (Natur-)Wissenschaft, sage mir, was es gibt, und ich glaube daran![1.3
Kausalistischer Naturalismus:
Es kommen keine übernatürlichen Beeinflussungen des natürlichen Weltgeschehens und keine übernatürlichen Einschränkungen von dessen Eigengesetzlichkeit vor.]2.
Epistemologischer Naturalismus:
2.1
Wissenschaftlicher Empirismus:
Nur durch die erfahrungswissenschaftlichen und vor allem die naturwissenschaftlichen Verfahren aposteriorischer Forschung kann man zu objektiver Erkenntnis und Wissen gelangen.
(Schwächer: Die erfahrungswissenschaftlichen und vor allem die naturwissenschaftlichen Verfahren aposteriorischer Forschung sind die objektivsten und zuverlässigsten Verfahren zur Erkenntnisgewinnung.)2.2
Agnostischer Naturalismus:
Wenn es Übernatürliches gibt, dann können wir es nicht erkennen und nichts darüber wissen.3.
Methodologischer Naturalismus:
3.1.
Metaphilosophischer Szientismus:
Die Philosophie ist zu verwissenschaftlichen, d.h. der Erfahrungswissenschaft und vor allem der Naturwissenschaft anzugliedern und deren Verfahren und Ergebnissen (so weit wie möglich) anzupassen.
Motto: Weg von apriorischer Geisteswissenschaft, hin zu aposteriorischer Erfahrungswissenschaft!3.2
Metawissenschaftlicher/Wissenschaftstheoretischer Nonsupernaturalismus:
Suche stets nach naturalistischen Erklärungen aller Phänomene!
Supernaturalistische Erklärungen sollen bei der erfahrungswissenschaftlichen und insbesondere der naturwissenschaftlichen Forschung grundsätzlich außer Betracht bleiben.
(Schwächer: Supernaturalistische Erklärungen sollen bei der erfahrungswissenschaftlichen und insbesondere der naturwissenschaftlichen Forschung so lange außer Betracht bleiben, bis die Wahrscheinlichkeit des Findens einer naturalistischen Erklärung in der Zukunft gegen Null tendiert.)Den strikt szientistischen Naturalismus, kurz Szientismus, kann man als die Kombination aus 1.2 + 2.1 + 3 betrachten.
Zum Vergleich:
"1. The ontological scientific naturalist holds that the entities posited by acceptable scientific explanations are the only genuine entities that there are. A weaker version holds that scientific posits are the only unproblematic (or nonqueer) entities that there are.
2. The methodological (or epistemological) scientific naturalist holds that it is only by following the methods of the natural sciences—or, at a minimum, the empirical methods of a posteriori inquiry—that one arrives at genuine knowledge. A weaker version holds that the methods of the natural sciences are the only unproblematic methods of inquiry. On this view scientific knowledge is the only unproblematic (or unmysterious) kind of knowledge that there is, thus provisionally allowing for nonscientific knowledge in some loose or practical sense.
3. The semantic scientific naturalist holds that the concepts employed by the natural sciences are the only genuine concepts we have and that other concepts can only be retained if we can find an interpretation of them in terms of scientifically acceptable concepts. A weaker version holds that such concepts are the only unproblematic concepts we have. (Note that this kind of naturalism might be defended on a priori conceptual grounds, although it will be under considerable internal pressure to abandon such methodology.)"
———
"1. Der ontologische szientistische Naturalist meint, dass die von akzeptablen (natur)wissenschaftlichen Erklärungen postulierten Entitäten die einzigen wirklichen Entitäten sind, die es gibt. Eine schwächere Version meint, dass die wissenschaftlichen Setzungen die einzigen unproblematischen (oder unzweifelhaften) Entitäten sind, die es gibt.
2. Der methodologische (oder epistemologische) szientistische Naturalist meint, dass man nur durch die Befolgung der Methoden der Naturwissenschaften—oder zumindest der empirischen Methoden aposteriorischer Forschung—zu wahrhaftem Wissen gelangt. Eine schwächere Version meint, dass die Methoden der Naturwissenschaften die einzigen unproblematischen Forschungsmethoden sind. Dieser Ansicht nach ist das wissenschaftliche Wissen die einzige unproblematische (oder unmysteriöse) Art von Wissen, die es gibt, und demnach lässt sie vorläufig Raum für nichtwissenschaftliches Wissen in einem lockeren oder praktischen Sinn.
3. Der semantische szientistische Naturalist meint, dass die von den Naturwissenschaften verwendeten Begriffe die einzigen echten Begriffe sind, die wir haben, und dass andere Begriffe nur dann beibehalten werden können, wenn es uns gelingt, sie in wissenschaftlich akzeptable Begriffe zu übersetzen. Eine schwächere Version meint, dass solche Begriffe die einzigen unproblematischen Begriffe sind, die wir haben. (Man beachte, dass diese Art von Naturalismus auf der Grundlage apriorischer Begriffsanalyse verteidigt werden könnte, obgleich dies unter einem erheblichen inneren Druck stünde, eine solche Methodologie aufzugeben.)"[© meine Übers.]
(De Caro, Mario, and David Macarthur. "The Nature of Naturalism." In
Naturalism in Question, edited by Mario de Caro and David Macarthur, 1-17. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2004. p. 7)
Diese ganze akademische Diskussion sprengt natürlich den schlichten konzeptionell-programmatischen Rahmen der Brights-Bewegung.
Darin geht es lediglich um einen ganz allgemeinen, ungenau, unscharf gefassten ontologischen Naturalismus im Sinne eines bloßen Nonsupernaturalismus (in Bezug auf konkret Übernatürliches). Die Brights-Bewegung ist jedenfalls an sich nicht strikt materialistisch-reduktionistisch-szientistisch ausgerichtet, sondern lässt auch Raum für nichttheistische, nichtsupernaturalistische Formen von Religiosität und Spiritualität, d.h. für einen Naturalismus, den man eher als "idealistisch-romantizistisch" bezeichnen könnte.
(Es sollte hier angemerkt werden, dass ein nichtszientistischer Naturalist noch lange kein antiwissenschaftlicher Naturalist sein muss!)
Was die Sache noch komplizierter macht, ist, dass, genau genommen, jemand, dessen Weltbild frei ist von übernatürlichen Elementen, kein Naturalist im engeren Sinne sein muss, da er ja auch Agnostiker sein kann. Agnostiker sind keine Supernaturalisten, aber auch keine Naturalisten im engeren Sinn; denn sie glauben weder, dass es eine Übernatur gibt, noch dass es keine Übernatur gibt. Doch der (metaphysische) Naturalismus besteht ja in ebendiesem Glauben, dass es keine Übernatur gibt.
Links:
http://plato.stanford.edu/entries/naturalismhttp://plato.stanford.edu/entries/epist ... aturalizedhttp://plato.stanford.edu/entries/natur ... athematicshttp://plato.stanford.edu/entries/platonism-mathematicshttp://plato.stanford.edu/entries/platonismhttp://plato.stanford.edu/entries/nomin ... etaphysics