ganimed hat geschrieben:Also. Ich habe tatsächlich eine wertende Prämisse: "Glücklich sein ist gut". Diese Prämisse halte ich aber für so naheliegend, kanonisch und allgemeingültig, dass ich finde, sie sollte erlaubt sein.
Ja, aber sie ist auch ungeheuer nichtssagend, wie jede sehr allgemein gehaltene Aussage sehr richtig (oder sehr falsch) ist und sehr nichtssagend. „Glücklichsein ist gut.“ „Das Böse sollte vermieden werden.“ „Das Gute soll uns Vorbild sein.“
Aber was folgt nun daraus, das Glücklichsein gut ist? Soll man das Gute anstreben? Offenbar. Aber was genau ist das Gute? Und was genau ist Glück? Macht das Gute immer glücklich und ist das was glücklich macht immer gut? Schokolade macht viele glücklich. Kann man sagen, dass Schokolade gut ist? So als allgemeine Regel?
Und ist, wenn mich die Tüte Chips, Fußball und Bier am Wochenende glücklich machen, es auch zwingend so, dass es Dich glücklich macht? Oder sollte man, ganz deskriptiv und „demokratisch“ einfach schauen, was die meisten glücklich macht und das dann fordern? Sehr viele schauen gerne Volksmusik, viel mehr als in online Foren der Brights oder Philosophen schreiben. Folgt daraus, dass alle Volksmusik schauen sollten oder DSDS und das Forum hier verlassen weil Volksmusik oder DSDS zu schauen eindeutig beliebter ist?
Oder soll jeder nach seiner Fasson selig werden? Ist schon toll, nur wie weit sollte das gehen dürfen? Wenn mir einer abgeht, wenn andere leiden und ich mich dann so richtig gut fühle, ist das okay?
Irgendwie nicht, spüren wir. Aber umgekehrt: Wenn „wertlose“ Mitglieder der Gesellschaft anderen dadurch nützlich sein könnten, dass man ihre Organe verhökert – an Gesunde, die noch länger leben und nützlicher sind – oder sie einfach stillschweigend entsorgt… Wer alt ist und versoffen und vielleicht keine Angehörigen hat, der trägt zur Wirtschaftsleistung garantiert nichts mehr bei, kostet aber unter Umstände jede Menge, für die letzten Jahre. Wäre da nicht ein etwas schnellerer, sanfter Tod sogar im allgemeinen Interesse? Kann man ja schön machen, im netten Zimmer mit Musik und Blumen langsam die Morphiumpumpe höherdrehen, das tut nicht weh und spart volkswirtschaftlich jede Menge. Ist doch besser als Entzug, wieder auf der Straße, wieder Entzug … bis irgendwann die Pfortadervarizen platzen und man am eigenen Blut erstickt oder im hepatischen Koma dahindämmert bis zum multiplen Organversagen.
ganimed hat geschrieben:Und mit dieser Prämisse kann ich dann ausgehend von natürlichen, deskriptiven Eigenschaften (ich stelle fest, wodurch der jeweilige Mensch glücklich wird, beispielsweise durch Befragung oder Botenstoffmessung im Gehirn) eine ethische Empfehlung ableiten.
Du verwechselst eine ethische Forderung mit Lebenstipps.
Wer glücklich werden will, kann das über Beziehungen, bestimmtes Essen, Hobbies, Freunde, Bewegung, Sinnfindung, erreichbare Ziele, direkten demokratischen Einfluss und religiösen Glauben oder Spiritualität erreichen. Statistisch todsicher. Es ist schön, wenn man das weiß und das fest Ziel hat glücklich zu werden, aber was folgt daraus? Muss oder sollte man das tun?
Du als Bright, täglich eine halbe Stunde Meditation und am Wochenende in den Kirchenchor? Weil es statistisch eben sehr gut ist? Weil die Gemeinschaft mit den Gläubigen sicher auch Dir gut tun wird?
ganimed hat geschrieben:Moore würde daran Kritik üben, wenn ich recht verstehe, wie in Wikipedia weiter zu lesen ist, mit etwa folgendem Argument: "... ließe sich bei jedem Definitionsvorschlag [also auch bei meinem] immer hinterfragen, ob die Vorgeschlagene Eigenschaft denn wirklich gut sei, d.h. eine ethische Verpflichtung mit sich bringe bzw. positive Wertzuschreibungen zur Folge habe (das Argument der offenen Frage)." Ich argumentiere dagegen, dass ich meine Ableitung eben deshalb kanonisch nenne, weil sie so naheliegend ist. Der Mensch ist genau so gebaut, dass er Glück als positiv definiert.
Mag sein, aber was, wenn Glück gegen Erkenntnis steht? Welcher Wert ist der höhere, was ist anzustreben und warum? Oder sollte man die Ziele des Lebens dem Menschen selbst überlassen?
Und wie weit geht man dabei?
ganimed hat geschrieben:Die Frage, ob etwas, dass bei jedem Menschen automatisch als gut bewertet wird, denn wirklich gut sei, kann ich deshalb mit ja beantworten. Die offene Frage ist bei mir geschlossen.
Was genau ist denn bei jedem Menschen als gut bewertet?
Alle wollen glücklich werden. Haustiere, Omega 3 Fettsäuren und Jogging sind Garanten fürs Glück, also wird das jetzt verordnet. Manche würde das Zwangsbeglückung oder Gesundheitsterror nennen.
Und natürlich wollen ja auch alle lange leben. Machen wir uns nichts, Alkohol und Zigaretten, weg damit. Risikosportarten, uhh, nix gut, gestrichen. Kostet die Gesellschaft und wer will schon im Rollstuhl sitzen? Auto fahren? Viel zu gefährlich, gestrichen. Und wenn alle das machen, gibt das auch noch ein herrliches Gemeinschaftgefühl, man macht morgens kollektiv Sport (nicht zu intensiv), isst mittags zusammen reizarme, vegetarische Vollwertkost mit Leinöl, singt dann zusammen Lieder und liest am Abend das auswendig zu lernende Buch „Warum uns Gleichschaltung glücklich macht – wider den Individualistenwahn.“ So?
ganimed hat geschrieben:Ich bin nicht sicher, ob ich dein Argument verstehe. Meinst du, dass die Feststellung: "Handlung X macht die Person Y glücklich" gar nicht deskriptiv ist, sich nicht feststellen lässt, sondern immer nur geraten sein kann, also eine unbeweisbare Hypothese bleibt? Man müsste einen Hirnforscher fragen, aber ich wäre jedenfalls der Ansicht, dass eine Glücksmessung noch eine relativ simple Angelegenheit ist. Du selbst hast ja das Stichwort Endorphinausschüttung genannt. Mit etwas Übung sollten die meisten Menschen imstande sein, ungefähr zu erkennen, wann sie glücklich sind (wobei ich zugebe, dass man sich da relativ oft täuschen kann). Auf jeden Fall ist die Aussage "der Mensch ist in diesem Augenblick glücklich" weit mehr als eine vage Hypothese.
Noch eleganter wäre es natürlich den Menschen direkt zu fragen.
Ich lebe ja in der verrückten Illusion, dass ich im Zweifel immer noch besser weiß, als der Hirnforscher,der mich untersucht, ob ich glücklich bin. Aber wenn ich Dennett so lese, dann ist das sicher nur ein Irrtum und der geneigte Heterophänomenologe wird mir meinen krankhaften Subjektivismus schon wegerklären. „Sieh her Dummerchen, du meinst auch, hier wäre eine Oase, dabei ist es eine Fatamorgana. Du siehst mit eigenen Augen, dass der Bleistift den ich unter Wasser halte geknickt ist, dabei ist er gerade, Du wirst drei Dutzend Täuschungen Deiner Sinnesorgane nicht erkennen und da willst du Dummerchen besser wissen als ich, the big Dennett, ob du glücklich bist oder nicht? Hohoho.“ Wer will das noch aufmucken, wenn Subjektivismen gegenüber den „Fakten“ rausgekürzt werden und doch wohl klar ist, wer am Ende die Hosen anhat?
ganimed hat geschrieben:Zugegeben, bei Egomanen wird die Sache kritisch. Dem müsste man einen Riegel vorschieben durch das Prinzip des Utilitarismus, wo das Gesamtglück der beteiligten Personen als Grundlage genommen wird.
Gesamtglück klingt immer so gut. Aber welche Gesamtheit meinst Du?
Schau es gibt 6 Milliarden Gläubige und 1 Milliarde Atheisten. Unbestritten gibt es Streiten zwischen den Lagern. Streit ist nicht gut, macht unglücklich. Also verbieten wir den Atheismus, umgekehrt wäre gegen das Glück der Mehrzahl, also das Gesamtglück, und einigen uns auf eine Religion, die schon mal monotheistisch ist und langsam Islam und Christentum zusammenführt, der Rest wird in einem schleichenden Programm über ein paar Generationen umerzogen.
Kennst Du eigentlich „Schöne neue Welt“?
ganimed hat geschrieben: Aber wie auch immer die Feinheiten aussehen mögen, mit denen man abstruse Fälle in den Griff bekommt (Psychopaten, Masochisten, Komapatienten, jeder der Emotionen wie Glück auf ungewöhnliche Art und Weise generiert, oder komplex Situationen mit 10.000 Menschen) so geht es mir doch erst einmal um den Punkt: ist der Naturalistischer Fehlschlussn wirklich ein Fehlschluss? Kommt man wirklich nie von deskriptiv auf normativ? Ich komme, mit meiner kanonischen Wertungs-Prämisse.
Ja, es ist immer ein Fehlschluss.
Die meisten Tiere sind halt nicht homosexuell, da hat der Papst ja Recht und so argumentiert er ja auch. Der Schöpfer hat das nicht gewollt. Wenn Du nun den Schöpfer streichst und sagst, die Natur hat das nicht gewollt oder nur bis zu einer gewissen Quote, alles darüber ist widernatürlich, dann ändert das nichts.
ganimed hat geschrieben:So würde ein Psychopath schreiben, der an dieser Stelle vielleicht einfach keine Empatiefähigkeit besitzt. Jedem anderen ist in seiner Gehirnstruktur grundlegend eingebrannt, dass man Dinge, die weh tun als negativ wertet. Daher ist es Unsinn, deinem deskriptiven Satz eine innewohnende Wertung abzusprechen.
Aha. Muskelkater vom Training tut auch weh, bei bestimmten Liebesspielen sind Schmerzen Teil der Lust. Es ist wieder eine petitio principii vom konventionellen Empfinden auf ein normales Gehirn und von dort aus wieder auf ein konventionelles Empfinden zu schließen. So eine Einstellung versackt schnell in Klischees, Konventionen, Konformismus und am Ende in einem totalitären Kollektivismus.
Wer den Kommunismus schon nicht eklig genug findet, auch die Nazis wollten ja den Volkskörper gesunden lassen, auf dass alles Abartige abgeschafft sei und der herrliche arische Übermensch, gesund, genetisch topp und schön erscheine. Sicherlich irgendwie auch ein Programm des größten Glücks.