stine hat geschrieben:Für euch alle noch einmal meine Meinung:
Was Religion bei Gläubigen erreichen kann: Zum Denken über die Welt anregen, die letzten Fragen mit Glaube und Hoffnung schließen, Bodenhaftung verleihen, sich selbst als Teil eines großen und Ganzen erkennen lassen, Gemeinschaft fördern durch Regeln und Rituale, sich getragen fühlen und sich im Vertrauen fallen lassen können, die Angst vor dem Tod nehmen.
Was sie nicht kann: Allen Menschen einen besseren Charakter verleihen, eine heile Welt garantieren, die Umwelt schützen, alle Menschen friedlich stimmen und weder Zweifler noch Realisten von Gott überzeugen.
DIE Religion gibt es übrigens nicht. Es gibt viele Religionen und jede ist mit ihrer Zielsetzung einzeln zu betrachten.
Schätze ich auch so in etwa ein. Was Religion gut kann, statistisch, in der Breite, ist Menschen in eine konformistische, konventionelle Form der Moral einzuführen. Das ist übrigens der Grund, warum es überhaupt Streitigkeiten unter/zwischen den Religionen gibt. Letztgenanntes ist sicher nicht positiv, aber eben das was dieser Stufe (religiös oder nicht) leistet. Enger Zusammenhalt untereinander, tendenzielles Desinteresse am Rest der Welt. Bereitschaft persönliche Opfer für die Gruppe zu bringen, Sorge um das Fortbestehen der Gruppe, die Sinn und Orientierung verleiht. Interesse an der Missionierung anderer, mit dem Ziel die ganze Welt möge so denken wie wir, in der durchaus gut gemeinten, aber irrigen Annahme, dass wenn alle an einem Strang ziehen, ein Leben in dauerhaftem Frieden möglich wäre.
Eine religiöse Einstellung hat bestimmt einige der Vorteile de stine aufführt, einige davon sind erwiesen.
Das ist alles in allem eine primitive Stufe, wenn man aus postkonventioneller Sicht darauf blickt. Aber es ist eine fortschrittliche Stufe, wenn man aus präkonventioneller Sicht darauf blickt. Wir haben ein relativ heterogen zu begründendes Problem mit einer allgemeinen Regression in Europa, die Zahl der Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen nimmt zu. So wie es aussieht spricht einiges dafür, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzt.
Schwere Persönlichkeitsstörungen (PST), prominent sind: die narzisstische PST, die borderline (emotional-instabile) PST und die paranoide PST gehen aber genau mit dieser oben erwähnten präkonventionellen Moral einher. Die von Kernberg erwähnte „Unfähigkeit, sich einem Wertesystem verpflichtet zu fühlen, das über Grenzen selbstsüchtiger Bedürfnisse hinausgeht [...]“ ist genau die Beschreibung von präkonventioneller Moral.
Für diese Menschen, die krank, aber nicht dumm sind und die ironischerweise sogar oft zu den sogenannten Leistungsträger der Gesellschaft gehören, weil nach oben zu kommen, leistungsfixiert und auf eine gewissen Status versessen zu sein sehr gut speziell zur narzisstischen PST passt, wäre Religion oder ein anderes reiferes Wertesystem, dem sie sich verpflichten können geradezu eine Kur. Alternativ gäbe es die Möglichkeit der Therapie, aber angesichts der hohen Zahl, der langen Dauer und der Ansprechbarkeit auf Therapie erst in späteren Jahren, speziell bei Narzissten (hier wird die Prognose jedes Lebensjahrzehnt besser) wäre es klüger, Menschen von Beginn an, wieder in ein verbindliches Wertesystem einzufädeln (das idealerweise nur eine Durchgangsstation sein sollte), anstatt mit 40 nachzuholen, was im einstelligen Lebensalter zu lernen wäre.
Es ist zwar richtig, dass der ätiologische Hauptfaktor die Familie ist, aber Familien übersetzen natürlich sehr stark den herrschenden Zeitgeist.
Allgemein hört man, es bräuchte keine Religion um bestimmte Werte zu vermitteln und ich bin überzeugt, dass das stimmt, aber allgemein scheint mir derzeit der Trend zu sein, dass es nicht sonderlich gut gelingt die Menschen verbindlich auf ein gemeinsames Wertesystem festzulegen. Vielleicht oder sogar ziemlich sicher, eine Zeit der Neuorientierung. Meine Sorge ist gar nicht der einzelne Kranke, selbst dann nicht, wenn er in gesellschaftliche prominente Stellungen aufrückt, das gab es schon immer und wird es wohl immer geben, meine Sorge gilt die Trend, das eine narzisstische, einseitg ego- und leistungsfixierte, präkonventionelle, mitleidlose Einstellung dabei ist zum guten Ton zu gehören, ironischerweise befeuert von halbgaren Konzepten aus der Welt der Naturwissenschaften, hier vorrangig der Biologie, in Koalition mit irgendwelchen Wirtschaftsideen (grob gesagt: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht), die ihr Versprechen (Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut) nicht einlösen konnten.
Momentan höhlt u.a. das den gesellschaftlichen Zusammenhalt zunehmend aus. Immer mehr Menschen, drehen sich um winken ab und machen nur noch ihr eigenes Ding. Mitunter übrigens nachvollziehbar frustiert. Aus eigener Angst vor dem Abstieg, Alterarmut und so weiter kommt es unlogioscherweise, aber psychologisch verständlich, zu einer weiteren Entsolidarisierung, mit denen, die es erwischt hat. Aber auch das ist ein komplexes Thema.
Schwer da eine Balance zu finden, da in Zeiten globaler Vernetzung durch digitale Medien und intelligenter dezentraler Konzepte, es tatsächlich zu einem Zusammenspiel immer autonomerer Bereiche, Menschen und Kommunen kommen kann, die Gefahr ist einfach, dass die Lebenswelten der diversen Klein- und Kleinstgruppen so weit auseinanderdriften, dass sie sich kaum noch etwas zu sagen haben und immer weniger Praktiken teilen.