Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Für Artikel, Video- oder Audiomaterialien, die im Zusammenhang mit der Thematik der Brights-Bewegung stehen.

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Nanna » Do 31. Mai 2012, 19:23

Ich nehme bloß mal kurz ein paar Schlagworte raus:

Vollbreit hat geschrieben:Es wird oft so getan, als könne man von den Fakten aufwärts, eine Welt zusammenbasteln und Quine erklärt, warum das nicht geht.

Das ist im Prinzip genau der Empirismus, gegen den Popper sich wendet und der in der Erkenntnistheorie meines Wissens auch nicht (mehr) übermäßig prominent vertreten wird. Trotzdem arbeitet ja andersrum auch Popper mit Fakten, nur eben am Ende der Beweisführung, nicht am Anfang. Heißt jetzt erstmal nur, dass Fakten nicht ignoriert werden können, aber das hast du ja nun auch nicht gesagt.

Vollbreit hat geschrieben:Wer puntgenau eine Sonde auf dem Mars landen lassen kann, dessen Weltbild kann so schlecht nicht sein.
Dagegen spircht, dass auch eine Kette von Fehler zu richtigem Funktionieren führen kann (und der Funktionalismus als Wahrheitskriterium daher ungeeignet ist), doch intuitiv würde ich von Weizsäcker hier natürlich zustimmen.

Man muss zumindest versehentlich etwas richtig gemacht haben. Wenn die Operation so kompliziert ist, wie eine Marssonde landen lassen und es immer wieder klappt, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, dass man komplett falsch liegt. Das heißt zwar nicht, dass der Umkehrschluss richtig ist, aber der qualitative Unterschied zwischen dem Landen einer Marssonde und der Behauptung, gestern im Schlaf eine Astralreise zum Mars gemacht zu haben, ist in seiner Faktizität halt schon irgendwie... schwer zu bestreiten?

Vollbreit hat geschrieben: Um mehr geht es mir hier erst mal nicht, als um ein wenig gesunde Skepsis gegenüber Vorurteilen und den eigenen Mythen.
Bei Dir renne ich da sicher offen Türen ein, doch was zur (idealen) Grundausstattung der Brights gehören sollte und was der Stand der Dinge ist, das liest ja jeder selbst.

Ja und nein. Wir erwarten nicht von jedem Christen, dass er alle Feinheiten der christlichen Eschatologie versteht, auch wenn es natürlich eine spannende Gesellschaft wäre, in der alle diesen Bildungs- und Reflexionsgrad hätten. Allerdings weiß ich nicht, ob das hier im Forum so das Problem ist. Klar hat hier manch einer mehr und mancher weniger Lust, sich auf ungewohnte Argumente einzulassen, aber diskussionsbereit ist im Prinzip jeder. Die Betonköpfe beider Seiten erreichen wir hier erst gar nicht, glaube ich. Die bevorzugen Monolog gegenüber Dialog.

Mal kurz zu meiner eigenen Position: Klar überrascht mich da nichts. Ich habe den Radikalen Konstruktivismus oben mal kurz erwähnt. Seit einiger Zeit ist mir der recht sympathisch, aber ich habe mich erst oberflächlich damit beschäftigt (und werde in nächster Zeit auch nicht dazu kommen, das zu vertiefen). Im Radikalen Konstruktivismus geht es im Prinzip gar nicht mehr um Wahrheitserkenntnis, weil die als unmöglich verworfen wird, sondern "nur" um das Entwickeln viabler Konzepte. Solange man also die Marssonde landen kann und die theoretische Begründung des Vorgehens widerspruchsfrei ist, ist das dem Radikalen Konstruktivismus genug (wobei man auch da nach Widersprüchen suchen wird bzw. das faktische Fehlschlagen einer Marsmission als Beleg für die Nichtviabilität eines Konzepts (z.B. eines auf Sauerkraut basierenden Antriebs) werten wird). Mal schauen, ob ich da epistemologisch heimisch werde. Zumindest gefällt mir der Ansatz, einfach mal pragmatisch die Objektivität in den Wind zu schießen und trotzdem kein Solipsist zu werden.

Eins muss ich bezüglich Experimenten und Religion noch loswerden: ;-)
Bild
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon laie » Do 31. Mai 2012, 20:32

mat-in hat geschrieben:Die meisten modernen Molekularbiologischen methoden hätten wir heute nicht, wenn wir keinen mendel und keinen Darwin gehabt hätten


Immerhin bist du so redlich, den Augustiner Pater (!) Gregor Mendel in einem Atemzug mit Charles Darwin zu nennen. Nur: was hatte Mendel mit Evolution zu tun, zu seiner Zeit, in seinen Versuchsreihen? Dachte er überhaupt an Evolution?

Deine Gegenthese hat natürlich was. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß grosse Ideen - und der Evolutionismus ist in der Tat eine grosse Idee - wie ein Motor auf andere Forschungszweige wirken. Vielleicht läßt sich das vom Universalienstreit und der Philosophie auch sagen. Ob allerdings die Genetik in der Frühzeit (erste Hälfte des 20.Jh.) tatsächlich angetrieben war von dem Wunsch, ausgerechnet die Evolutionstheorie zu stützen, bezweifel ich. Dazu ist Gentechnik ohnehin viel zu wichtig, siehe meine Bemerkung über Ackerbau und Viehzucht.

Zum religiösen Wissenschaftler wie Collins. Keller hat hierzu eine interessante Typenunterscheidung ins Spiel gebracht, die ich im folgenden kurz wiedergebe (Keller 2010: 52ff)1 und für die Diskussion heranziehen möchte:

Typ 1 grenzt bestimmte Bereiche der Welt aus und hebt sie als sakral von der übrigen profanen Welt ab. Der sakrale Weltbereich wird entweder der profanen übergeordnet (Integralismus), oder, wo das nicht möglich ist, der profanen entzogen (Esoterismus). Religion wird hier zur Sachverwalterin des Heiligen, Wissenschaft zur Verwalterin des Profanen.

Typ 2 erschafft im Gegensatz zu Typ 1 keine heilige Parallelwelt neben der übrigen profanen Welt, sondern die profane Welt wird selbst geheiligt oder als heilig aufgefasst.
Keller hat geschrieben:wo Religion keine neue Aufgabe neben die innerweltliche stellt,
sondern dieser nur neuen Sinn verleiht


Programmatisch im Christentum kommt diese Einstellung in Markus 2,27 zum Ausdruck: "Der Sabbat ist um des Menschen willen da".

In Religionen von Typ 1 finden wir also heilige Personen (Priester), heilige Orte (Kirchen, die Kaaba, bestimmte Wassertümpel bei australischen Ureinwohnern usw), heilige Zeiten (Sonntag, Samstag, Freitag, Weihnachten, Ostern, Ramazan, usw), heilige Gebote und Strukturen.
All das findet sich in Religionen von Typ 2 nicht.

Folgt man Keller, dann kann die Säkularisation ohnehin nur den schrecken, der Anhänger von Typ 1 ist. Denn der Anhänger von Typ 2 (und für Keller ist das Christentum immer schon eine Religion von Typ 2 gewesen) muss die Säkularisation begrüssen. Denn "die Welt verchristlichen heißt sie verweltlichen" (Keller 2010: 53f).

Ich meine es ist sinnvoll, die Frage, ob "gute" Wissenschaftler religiös sein können, im Lichte dieser Typenunterscheidung zu diskutieren. War Teilhard de Chardin SJ, der als einer der führenden Geologen seiner Zeit galt, jetzt mehr religiös im Sinne von Typ 1 oder von Typ 2?

1 Keller, A. 2010: Grundfragen christlichen Glaubens: Alte Lehren neu betrachtet. Herder
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Vollbreit » Do 31. Mai 2012, 21:31

Nanna hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Es wird oft so getan, als könne man von den Fakten aufwärts, eine Welt zusammenbasteln und Quine erklärt, warum das nicht geht.

Das ist im Prinzip genau der Empirismus, gegen den Popper sich wendet und der in der Erkenntnistheorie meines Wissens auch nicht (mehr) übermäßig prominent vertreten wird.


Nein, das ist die zweite Schwierigkeit Poppers.
Er ist der Meinung, dass eine Theorie erledigt ist, wenn einzelne Sätze nicht stimmen.
Doch die Theorie kann dennoch bestand haben, prominentes Beispiel ist die Psychoanalyse, die in Teilen falsch ist, als Theorie jedoch bestätigt.
Und die bottom up Ideen werden auch stark verteidigt.

Nanna hat geschrieben:Trotzdem arbeitet ja andersrum auch Popper mit Fakten, nur eben am Ende der Beweisführung, nicht am Anfang. Heißt jetzt erstmal nur, dass Fakten nicht ignoriert werden können, aber das hast du ja nun auch nicht gesagt.


Fakten allein besagen erst mal gar nichts. Ignorieren darf man sie natürlich nicht.
Die Aussage, dass bisher niemand von den Toten auferstanden ist oder als Jungfrau ein Kind geboren hat, kann ja immer so gewendet werden, dass man sagt: „Siehste, da sieht man mal wie außerordentlich das war.“ Ist natürlich entwaffnend und wirklich eine Glaubensfrage.
Die Puzzlearbeit lässt diese religiöse Variante allerdings immer unwahrscheinlicher erscheinen.

Die andere Seite ist, dass Jungfrauengeburten ein durchaus nicht seltenes Motiv ist und sogar die Namen der „Gottes“mütter haben sehr ähnliche Namen. Eine Interpretation ist, dass diese Reinheitsmotiv eher auf einen unbefleckte (vollkommen offene, sich ergebende) Seele abzielt, viele dieser Mütter haben Attribute einer Mondgottheit, der Mond, der sich das Licht leiht, spiegelt usw. Das war den großen Denkern der Vergangenheit schon recht früh bewusst und über die Gedanken von Philosophen aus dem alten Griechenland oder auch aus Indien, kann man bisweilen nur staunen.
Das waren keine Leute, die nicht bis drei zählen konnten, viele würden uns heute noch nass machen. Was ein Sophokles da mitunter in Form gegossen hat, da kann man den Hut vor ziehen.

Nanna hat geschrieben:Man muss zumindest versehentlich etwas richtig gemacht haben. Wenn die Operation so kompliziert ist, wie eine Marssonde landen lassen und es immer wieder klappt, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, dass man komplett falsch liegt.


Ja, das meint er und das ist nicht ohne Charme und Überzeugungskraft.

Nanna hat geschrieben:Das heißt zwar nicht, dass der Umkehrschluss richtig ist, aber der qualitative Unterschied zwischen dem Landen einer Marssonde und der Behauptung, gestern im Schlaf eine Astralreise zum Mars gemacht zu haben, ist in seiner Faktizität halt schon irgendwie... schwer zu bestreiten?


Da würde ich jetzt noch nicht zustimmen. Ich glaube hier gilt auch der intersubjektive Abgleich. Wenn 100 Leute unabhängig voneinander von Astralreisen zum Mars berichten und ihn gleich beschreiben…?
Innere Wege sind insofern anders, als man sie immer nur alleine gehen kann – es kann keine live Übertragung geben – aber auch diese Erlebnisse, müssen sich im Diskurs bewähren, wollen sie Geltung beanspruchen.
Erschwerend kommt hinzu, dass bestimmte Erlebnisse in den Kontext von Zeit und Kultur eingebunden sind.

Nanna hat geschrieben:Die Betonköpfe beider Seiten erreichen wir hier erst gar nicht, glaube ich. Die bevorzugen Monolog gegenüber Dialog.


Komm, man kann auch im vermeintlichen Dialog prima monologisieren.
Egal, das gibt es nicht nur hier, sondern überall, ist einfach menschlich.

Nanna hat geschrieben:Mal kurz zu meiner eigenen Position: Klar überrascht mich da nichts. Ich habe den Radikalen Konstruktivismus oben mal kurz erwähnt. Seit einiger Zeit ist mir der recht sympathisch, aber ich habe mich erst oberflächlich damit beschäftigt (und werde in nächster Zeit auch nicht dazu kommen, das zu vertiefen). Im Radikalen Konstruktivismus geht es im Prinzip gar nicht mehr um Wahrheitserkenntnis, weil die als unmöglich verworfen wird, sondern "nur" um das Entwickeln viabler Konzepte. Solange man also die Marssonde landen kann und die theoretische Begründung des Vorgehens widerspruchsfrei ist, ist das dem Radikalen Konstruktivismus genug (wobei man auch da nach Widersprüchen suchen wird bzw. das faktische Fehlschlagen einer Marsmission als Beleg für die Nichtviabilität eines Konzepts (z.B. eines auf Sauerkraut basierenden Antriebs) werten wird). Mal schauen, ob ich da epistemologisch heimisch werde. Zumindest gefällt mir der Ansatz, einfach mal pragmatisch die Objektivität in den Wind zu schießen und trotzdem kein Solipsist zu werden.


Was mich bei den (radikalen) Konstruktivisten immer stört sind im Prinzip drei (oder vier) Dinge.
Zum einen bleiben auch sie am Ende des Tages die Erklärung schuldig warum nun ausgerechnet ihre Perspektive den anderen vorzuziehen sei.
Zweitens – und bedenklich, wie ich finde – ist die Tendenz der RK das Subjekt zu schlachten. Es hat bei ihnen einen ganz schweren Stand und sehr wenig Bedeutung.
Drittens, was Luhmann angeht, die Sprache. Gewohnte Begriffe mit sehr ungewohnter Bedeutung, viele sagen brillant verwoben, das wohl recht sicher, ich bin nie so richtig warm damit geworden. Inspirierend, klar, aber auch unnötig kompliziert und vor allem, wenn man es mal in Ansätzen verstanden hat, fragt man sich (also ich mich): Na und?
Was uns die Aussage, jedes System könne sich nur selbst bespaßen und würde bestenfalls von außen irritiert nun am Ende des Tages bringt, habe ich nie begriffen. Wo liegt der große Unterschied (wenn man dann nicht doch Solipsist werden will)?
Wie man es dann anwendet, ist nicht nur mir überhaupt nicht klar. Theoretisch brillant, aber völlig nutzlos sagen manche, viele halten Luhmann für einen Ironiker. Habermas soll mal über Luhmanns Arbeiten gesagt haben: Alles Quatsch, aber auf höchstem Niveau.
Aber der RK ist ja nicht nur Luhmann und letztlich muss sich jeder selbst ein Bild machen.
Ich habe gerade Kontakt zu jemandem der über Luhmann und Habermas ein Einser Examen gemacht hat, das ist mal ne Leistung, und der findet Habermas, den er sehr gut kennt, unter Strich völlig unüberzeugend.

Nanna hat geschrieben:Eins muss ich bezüglich Experimenten und Religion noch loswerden: ;-)
Bild


Da nehme ich jetzt mal die „übersinnlichen“ Wahrnehmungen etc. in Schutz.
Wenn man eine Gipfelerfahrung hat, die nicht systematisch herbeigeführt wurde (durch jahrelange spirituelle Übungen – Berichte darüber gibt es durchaus, z.B. in dem Buch „Dialog mit dem Dalai Lama“ von Goleman, in dem ein Lama Özel beschrieben wird, der im MRT liegt und immer genau angeben kann, was er gerade macht ), dann stelle ich mir das sehr schwer vor, diese Erlebnisse unter Laborbedingungen zu reproduzieren.

Man könnte die Erlebnisse aber mit anderen vergleichen und dann klassifizieren, welche ganz normal zu erklären sind, auch wenn es einem selbst „wunderbar“ vorkommt. Welche wirklich pathologisch sind (und warum). Spannend ist ja dann der Rest, der sich hartnäckig sträubt. Vielleicht gar nicht mal groß in der Zahl, aber doch umfassend genug um ernst genommen zu werden, aus meiner Sicht.

Hier würde ich mir wünschen, dass die Fronten aufweichen, zum Teil geschieht das ja schon, aber mehr in den Bereichen, die niemandem weh tun. So kann jeder noch das Gesicht wahren und man verbrennt sich nicht wirklich die Finger. Spannender finde ich aber die Gebiete, die richtig weh tun.

Da soll man dann m.E. ruhig all in spielen und kein Stein auf dem anderen lassen, aber bei aller Freude über den Abbau wenigstens der dümmsten Vorurteile, so richtig haut mich das noch nicht weg, ich finde das noch alles sehr konservativ.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon mat-in » Do 31. Mai 2012, 21:39

laie hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Die meisten modernen Molekularbiologischen methoden hätten wir heute nicht, wenn wir keinen mendel und keinen Darwin gehabt hätten
Immerhin bist du so redlich, den Augustiner Pater (!) Gregor Mendel in einem Atemzug mit Charles Darwin zu nennen.

Ja, ich dachte mir, ich bring mal das Beispiel eines christlichen Wissenschaftlers, auch wenn es da allerlei Belege gibt, daß er es nicht so ernst genommen hat mit dem sauberen arbeiten, Zahlen erheblich geschönt hat, usw. Der gehört für mich zum Typ1 Wissenschaftler wie du ihn beschreibst. Meines Wissens hatte er nie Kontakt mit Darwin, Darwin aber gelesen und abgelehnt. Erklärt vielleicht warum er zwar in der Schule behandelt wird (es ist schön mathematisch und nicht zu kompliziert), er aber gegen Leute wie Darwin, Weismann, Huxley (alle drei Atheisten) doch ein kleines Licht ist und nie mehr aus seinen - zugegeben wichtigen - Vererbungsregeln machte als sie für den Plan Gottes zu halten und gut ist. Scheint doch... einzuschränken wenn man es nicht raus hält.

Vollbreit hat geschrieben:Da würde ich jetzt noch nicht zustimmen. Ich glaube hier gilt auch der intersubjektive Abgleich. Wenn 100 Leute unabhängig voneinander von Astralreisen zum Mars berichten und ihn gleich beschreiben…?
...gibt es dafür immer noch sehr gute Erklärungen, siehe UFO-Entführungen. Stutzig werden muß man, wenn sich deren zuvor nicht beobachtbare Beschreibungen mit tatsächlichen Erkenntnissen durch eine Erkundungsmission völlig decken.
Ein Teil der "übersinnlichen Erfahrungen" sind im Labor sehr gut reproduzierbar, einfach herbei zu führen und in keinster Weise übersinnlich. Es wird nicht bezweifelt, daß sie stattfinden, aber die Interpretation ist eben vollkommen falsch und das ist in den meisten Fällen experimentell gezeigt. Klar muß man da offen sein, aber nicht so offen, das einem das Gehirn aus dem Schädel fällt beim erst besten Guru oder Bühnenmagier...

Das Video mit dem Kiai-Master hatte ich hier schon mal gepostet? Der Mann ist felsenfest davon überzeugt mit Energiefeldern Leute umzuwerfen und ihren energiefluß durcheinander zu bringen und überhaupt unbesiegbar zu sein. Seine Schüler steigern sich da so rein, daß es funktioniert (siehe 1. Hälfte Video). Was passiert, wenn er auf jemanden trifft, der keine Ahnung hat, was das rumwedeln mit den Armen bedeuten soll, sieht man in der 2. Hälfte des Videos wenn er gegen einen MMA Arenakämpfer antritt. Der tritt sogar auf die Bremse beim 1. Angriff und fragt nach ob was passiert wäre, und ob er vielleicht noch nicht bereit gewesen sei...
Und trotz solcher Beweise gehen immer wieder Leute für Jahre und jahrzehnte in die Lehre bei Kiai-Meistern und anderen Spinnern. Funktioniert auch gut, wie man sehen kann, aber nicht "in der Realität" sondern nur in ihrem eigenen kleinen Kosmos der nei in Frage gestellt wird. :kopfwand:
Benutzeravatar
mat-in
 
Beiträge: 1953
Registriert: Di 14. Sep 2010, 12:39

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Vollbreit » Do 31. Mai 2012, 22:01

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Da würde ich jetzt noch nicht zustimmen. Ich glaube hier gilt auch der intersubjektive Abgleich. Wenn 100 Leute unabhängig voneinander von Astralreisen zum Mars berichten und ihn gleich beschreiben…?
...gibt es dafür immer noch sehr gute Erklärungen, siehe UFO-Entführungen. Stutzig werden muß man, wenn sich deren zuvor nicht beobachtbare Beschreibungen mit tatsächlichen Erkenntnissen durch eine Erkundungsmission völlig decken.


Würde ich auch so sehen, ich kenne ganz irdische Phänomene, in dieser Hinsicht.

mat-in hat geschrieben:Ein Teil der "übersinnlichen Erfahrungen" sind im Labor sehr gut reproduzierbar, einfach herbei zu führen und in keinster Weise übersinnlich. Es wird nicht bezweifelt, daß sie stattfinden, aber die Interpretation ist eben vollkommen falsch und das ist in den meisten Fällen experimentell gezeigt. Klar muß man da offen sein, aber nicht so offen, das einem das Gehirn aus dem Schädel fällt beim erst besten Guru oder Bühnenmagier...


Ja sicher, ich finde es dann nur ermüdend, wenn mir Leute dann mit dem ganz kleinen 1x1 der Psychologie kommen und mir Begriffe wie selbsterfüllende Prophezeiung usw. erklären wollen.
Ansonsten würde ich denken, dass mehr als 90% der Phänomene recht leicht erklärbar sind.
In Metzingers Uni Vorlesungsreihe (auf youtube) sieht man eine Fülle dieser Experimente samt Erklärung.

mat-in hat geschrieben:Das Video mit dem Kiai-Master hatte ich hier schon mal gepostet? Der Mann ist felsenfest davon überzeugt mit Energiefeldern Leute umzuwerfen und ihren energiefluß durcheinander zu bringen und überhaupt unbesiegbar zu sein.


Ich habe da ähnliche Erfahrungen gemacht. Bei uns hieß das kuji und ich habe da nie was gemerkt.
Vor den schönen Armverdrehern sehr wohl was. Diesen spirituellen Überbau in der Kampfkunstszene halte ich sowieso für den größten Mist. Ein paar Asiaten nehme ich das ja noch ab, aber ansonsten.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon laie » Fr 1. Jun 2012, 05:38

mat-in hat geschrieben:[Mendel] gehört für mich zum Typ1 Wissenschaftler, ... nie Kontakt mit Darwin, Darwin aber gelesen und abgelehnt.


Warum steht, wer Darwins Theorie ablehnt, gleich im Verdacht, eine heilige Parallelwelt etablieren zu wollen?

War Ludwig von Bertalanffy etwa auch religiös in diesem Sinne?

wikipedia hat geschrieben:Als theoretischer Biologe war Ludwig von Bertalanffy ein Kritiker des reduktionistischen Evolutionsmodells des Neodarwinismus', das er als vage, mangelhaft verifizierbar und dogmatisch charakterisierte.
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon mat-in » Fr 1. Jun 2012, 06:37

laie hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:[Mendel] gehört für mich zum Typ1 Wissenschaftler, ... nie Kontakt mit Darwin, Darwin aber gelesen und abgelehnt.

Warum steht, wer Darwins Theorie ablehnt, gleich im Verdacht, eine heilige Parallelwelt etablieren zu wollen?
Er begründete seine Ablehnung damit, daß es nicht sein kann, daß die Natur durch bloßen, ungelenkten Zufall entstanden sein kann. Das bedeutet entweder das er - wie heutige Kreationisten die nur eine von drei Schulbuchseiten darüber gelesen haben und es dann für unmöglich erklären - nicht verstanden hat was Darwin mit Selektion (der nicht zufällige Teil) meinte oder es bedeutet, daß er da ohne jedes Argument aus metaphysisch/weltanschaulichen Gründen ablehnt weil er den Schöpfergott gefährdet sieht. ersteres würde ihn zu einem schlechten Wissenschaftler machen(?) aber dumm war der Mann sicher nicht, zweites würde ihn zu deinem "Typ1" machen.

Nein, dein 2. Beispiel klingt so als hätte er drüber nachgedacht und wissenschaftlich valide Kritik geäußert mit der man sich auseinandersetzen muß, zu mindest mit der verifizierbarkeit und das hat man ja (wobei 1,5 Zeilen etwas kurz sind das in gänze zu beurteilen).
Benutzeravatar
mat-in
 
Beiträge: 1953
Registriert: Di 14. Sep 2010, 12:39

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon laie » Fr 1. Jun 2012, 07:51

Warum ist Selektion nicht zufällig? Welche Faktoren ein Lebewesen an der Reproduktion gehindert haben und ein anderes nicht, ist doch erst zu entscheiden, wenn Nachkommen da sind. Natürliche Auslese ist nicht vorhersehbar und richtungslos. Nur im Labor, wenn man irgendwelche Mäuse so mangelhaft züchtet, dass sie der (künstlichen) Selektion zum Opfer fallen müssen, ist Selektion nicht zufällig, sondern gerichtet.
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Lumen » Fr 1. Jun 2012, 09:35

@laie, ich fürchte du wirst dich mit Statistik beschäftigen müssen. Das Überleben und der Fortpflanzungserfolg einzelner hängt von vielen Zufällen ab. Die Entwicklung des Genpools in eine insgesamt "fittere" Richtung hingegen nicht. Anders gesagt, die Wahrscheinlichkeit eine Sechs zu würfeln ist in den Eigenschaften des Würfels (seiner Geometrie) vorhanden aber jeder einzelne Wurf (~analog, ein Individum) ergibt trotzdem jedesmal neu eine zufällige Zahl. Das Universum führt keine Strichliste, wann als nächtes eine Sechs kommen "müsste", aber oft genug gewürfelt, liegt die Wahrscheinlichkeit dennoch treffsicher bei 1/6. Solche Grenzfälle wie ein angeborener tötlicher Defekt oder eine fantastische Fähigkeit sind keine Laborerscheinungen sondern zeigen das Prinzip in aller Deutlichkeit. Am Würfel verdeutlicht bedeutet dies, dass die Geometrie des Würfels so verändert wird, dass eine Sechs physikalisch praktisch unmöglich gemacht wird (zum Beispiel alle angrenzenden Flächen rund feilen, sodass der Würfel immer auf der Sechs zu liegen kommt).
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon laie » Fr 1. Jun 2012, 11:53

@Lumen

Stochastik liegt bei mir in der Tat schon etwas länger zurück.

Du sagst:

Mit einem Laplace-Würfel ist die Wahrscheinlichkeit für jede Zahl 1/6 zu fallen.
Der Laplace-Würfel kann so manipuliert werden, daß eine Zahl mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als 1/6 fällt, zum Beispiel mit 1/3.

Mit Blick auf die Lebewesen meinst Du vermutlich: eine Zahl, die nach einem Wurf angezeigt wird ist, ein Nachkomme dieser Zahl. Also, die Zahl 6 ist ein bestimmtes Individuum und wenn ich eine "6" würfel, dann hat die 6 gewissermassen "Junge" bekommen.

Und wenn ich den Würfel nun entsprechend manipuliere, dann bekommt die 6 eben statistisch mehr Junge als die 1.

Gut.

Ich frage mich jetzt nur, wo die Analogie liegen soll. Ist die Manipulation, die ich am Würfel vornehme, eine Mutation oder Rekombination am Erbgut? Sind nicht Mutationen oder Rekombination1 blind? Analog muss es heissen: Niemand, nicht einmal ich selbst, weiß, ob ich irgendwann wilens und fähig bin, den Würfel zu manipulieren.

Ist Manipulation die natürliche Auslese gemeint? Also das Auftreten von bisher nicht aufgetretenen biotischen und / oder abiotischen Faktoren im Habitat einer Population. Dieses Auftreten ist in der Regel auch unvorhersagbar. Ob diese biotischen oder abiotischen Faktoren eine selektive Rolle gespielt haben, weiß man erst, wenn eine Generation nachgekommen ist oder nicht nachgekommen ist. Und so fort

Mit einem manipulierten Würfel kann ich tatsächlich viel erklären. Variation und Selektion sind aber keine Manipulationen an einem Würfel. Ein anderes Beispiel: In der evolutionären Biologie werden "Überlebensstrategien" manchmal spieltheoretisch modelliert. Ein spieltheoretisches Modell oder System besteht aus den Strategien, den Bewertungen dieser Strategien und der Präferenz dieser Bewertungen. Das bekannteste Spiel ist das Prisoner's Dilemma: Wenn beide Gefangenen gestehen (Strategie "gestehen") dann erhalten beide 4 Jahre Gefängnis. Wenn beide nicht gestehen, dann erhalten beide 2 Jahre Gefängnis. Wenn nur einer gesteht, der andere nicht, dann wird der Geständige 1 Jahr und der nicht-Geständige wandert 6 Jahre in den Bau. Strategien: Gestehen, Nicht-Gestehen. Bewertung: 6, 1, 2, 4. Präferenz: 1 > 2 > 4 > 6. Man geht einfach mal davon aus, daß die Verdächtigen eine kurze Haft einer langjährigen Hafstrafe vorziehen und deshalb beide gestehen werden. Warum? Vielleicht mag der eine im Gefängnis sein.

Wenn ich die Bewertung und die Präferenzstruktur in der Spieltheorie kenne bzw. vorher im Modell festlege, ist es kein Zufall mehr, wenn bestimme Strategien mehr als andere verfolgt werden. Die Ergebnisse spieltheoretischer Untersuchungen haben daher ebenso den "Charakter von etwas vorgegebenen", wie sich der Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Balzer einmal ausdrückte (Balzer, Soziale Institutionen, 1997) wie ein manipulierter Würfel.

1 aber "It is increasingly accepted that crossing over and recombination are not random
processes, as had once been imagined. Furthermore, they may be under
genetic control. Certainly, there are `hot spots' for crossing over, making those
progeny with certain combinations of characters more likely to appear." (Balzer, Dawe 1990: 152) (Balzer, W. und Dawe, C. M. 1990: Models for Genetics. Peter Lang)
Zuletzt geändert von laie am Fr 1. Jun 2012, 12:52, insgesamt 2-mal geändert.
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Lumen » Fr 1. Jun 2012, 12:25

Meine Absicht bestand nicht darin, mit dem Vergleich die ganze Evolution abzubilden, sondern deine spezifische Fragestellung zu beantworten (oder ihr näher zu kommen). Zunächst meinte ich damit nur, dass ein Ding bestimmte Eigenschaften besitzen kann, die in dem Ding "verborgen" sind, beim Würfel ist es die Wahrscheinlichkeit für die sechs Seiten (durch Geometrie), bei einem Lebewesen sind es Unzählige von Halslänge bis Verdauungsfähigkeiten des Magens. Weiterhin, dass diese Eigenschaften durch einen Prozess selektierbar sind. Beim Würfel ist der Prozess das Werfen des Würfels, beim Tier ist es sein Überleben und Vermehren (also "neue Generation"). Der Kern des Vergleiches war hier nur, das hierbei indivduell alles zufällig erscheint (ein Würfel kann in jedem Wurf jede beliebige Zahl anzeigen), aber über eine hohe Frequenz, Intervalle, lange Zeiträume usw. sich dennoch die selektierbaren Eigenschaften abzeichnen. Beim Würfel ist es die Wahrscheinlichkeit 1/6 für jede Seite, bei Lebewesen ihre "Fitness" im Hinblick auf eine gegebene Umwelt. Da hört der Vergleich dann auf und du musst für Mutation, Selektion und so weiter andere Vergleiche bemühen. Der Würfelvergleich meinte insbesondere nicht das "zusammenwürfeln" von Gensequenzen. In Wirklichkeit es noch ein Stück komplizierter, denn kleine Vorteile eines Individuums werden eben nicht "einfach so" ohne Weiteres vererbt, gerade wenn der Genpool sehr groß ist, "verwässert" sich ein Merkmal. Wie stark Effekte wie "Punktualismus" ist umstritten, aber dass es ungleiche Geschwindigkeiten gibt, wird nicht bestritten.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon laie » Fr 1. Jun 2012, 15:33

"aber über eine hohe Frequenz, Intervalle, lange Zeiträume usw. sich dennoch die selektierbaren Eigenschaften abzeichnen."

ja schon, aber diese Trends ergeben sich doch nur in der Rückschau! Sie werden rationalisiert.
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Vollbreit » Fr 1. Jun 2012, 17:03

@ Lumen:

Ich habe nun den Stanford link gelesen, aber mir ist noch immer nicht klar geworden, was Fitness nun sein soll, da der Artikel ja zum großen Teil auch die Probleme des Begriffs darstellt.
Die Lösung mit der alle (oder die meisten) zufrieden sind, habe ich nicht gelesen, was war Dein Eindruck und was stellt für Dich die größte Annäherung an eine Lösung dar?

Zur Problematik der Philosophie der Evolutionstheorie hier noch einmal ein link:
http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophi ... onstheorie
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon mat-in » Fr 1. Jun 2012, 17:52

laie hat geschrieben:ja schon, aber diese Trends ergeben sich doch nur in der Rückschau! Sie werden rationalisiert.
Die ergeben sich je nach experiment auch vorher und werden dann experimentell bestätigt.

Krasses Beispiel:
Eine Genmutation führt dazu, daß dominant vererbt keine Gonaden (Hoden, Eierstöcke) ausgeprägt werden. Egal womit sich das Individuum paart, alle Nachkommen werden unfruchtbar sein. Andere sind da vielleicht nicht 100% im Vorteil, da ja auch deren Nachkommen erstmal verhindern müssen, von einem Auto überfahren oder aufgegessen zu werden, aber wie das in Generation 3 aussieht kann ich dir bombensicher sagen.

Bei weniger Krassen Effekten ist es eben weniger krass und weniger 100%ig. Nicht zu letzt gibt es einen Punkt, an dem es keine Rolle spielt, weil der Selektionsdruck so schwach ist, daß er das ganze nicht maßgeblich beeinflußt. Es muß auch nicht immer ein Trend in irgend eine Richtung sein, es kann auch stabilisiert werden im status quo (siehe: Krokodil).

Vielleicht hilft der Link, daß mit dem "alles nur Zufall" zu verstehen? Schöne Bunte Bilder, Schritt für Schritt im "Evolution 101":
http://evolution.berkeley.edu/
Benutzeravatar
mat-in
 
Beiträge: 1953
Registriert: Di 14. Sep 2010, 12:39

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Lumen » Fr 1. Jun 2012, 22:48

Wie ein Blitz aussieht, weiß der Wissenschaftler (soweit ich weiß) auch immer erst hinterher, kann aber vorhersagen, unter welchen Umständen er erzeugt wird, welche Temperatur er hat und vieles mehr. Ebenso ist es, soweit ich weiß, bei so vermeintlich einfachen Sachen wie vorher berechnen, auf welche Seite ein Nagel fällt, wenn er gerade mit der Spitze auf eine Harte Oberfläche trifft und so fort. Die ET scheitert sicher nicht daran, nicht zu wissen, wie Arten in einer Million Jahren aussehen.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon laie » Sa 2. Jun 2012, 23:16

@mat-in

danke für die krassen Beispiele, die genau das wiederholen, was ich schon schrieb: Laborversuchen und aus ihnen gewonnene Prognosen haben den Charakter von etwas vorgegebenem. Die ET liefert ansonsten ex post factum Erklärungen und das sind pseudoerklärungen, wobei ich nicht sage, daß sie unser Wissen oder Einsicht oder Denken nicht verändert hat. Aber es sind und bleiben Scheinerklärungen die insbesondere keine echten Prognosen erlauben. Biologie ist keine Physik.
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Nanna » So 3. Jun 2012, 00:13

laie hat geschrieben:[...] es sind und bleiben Scheinerklärungen die insbesondere keine echten Prognosen erlauben. Biologie ist keine Physik.

Physik kann dir aber auch nur in begrenztem Umfang Prognosen erlauben. Würde man die Erwartungen, die du an die Biologie stellst, auf die Physik übertragen, müssten die Physiker dir genau vorhersagen können, welches Atom eines radioaktiven Stücks Materie als nächstes zerfällt, obwohl sie mit ihren Formeln auch "nur" den statistisch erwartbaren Gesamtprozess vorhersagen können. Da könntest du jetzt auch ganz einfach hergehen und behaupten, der gemessene Trend wäre in der Rückschau mit einer hübschen Formel rationalisiert worden.

Generell stellt sich das Problem, das du und Vollbreit in der Evolutionstheorie seht, bei allen Betrachtungen komplexer Systeme. Lottozahlen lassen sich nunmal nicht vorhersagen. Würde ich das erwarten, könnte ich mein Studium drangeben, weil alle meine schönen sozialwissenschaftlichen Theorien letztlich aus der Betrachtung historischer Entwicklunge zusammen"rationalisiert" sind. Was du letztlich irgendwie zu erwarten scheinst, ist, dass die Wissenschaft den Laplacedämon besiegt und Dinge modellieren lernt, die komplexer sind als sie selbst es sein kann. Ich kann als Beobachter zweiten Grades, der Teil eines selbstorganisierenden Systems ist, nicht hinter das Räderwerk dieses Systems blicken, ich kann mir nur eine möglichst plausible Vorstellung seiner Mechanismen machen. Ich finde Luhmann (im Gegensatz zu z.B. Vollbreit) durchaus interessant und seine Vorstellungen hilfreich, aber natürlich ist das eine rein deduktive Modellvorstellung, ein logisches Konstrukt, das in seiner eigenen Sphäre schwebt, wenn du so willst. Auch, kleiner Seitenhieb auf Gandalf, für die Österreichische Schule gilt das.
Vielleicht, ja, auch für die Evolutionstheorie, nur dass ich hier der Meinung bin, dass Modell und Wirklichkeit verdächtig gut zusammenpassen, ganz anders als religiöse Schriften und Religion übrigens. Die kommen sich mit der Wirklichkeit andauernd in die Quere und müssen dann über noch viel abgehobenere Gedankenkonstrukte wieder irgendwie geerdet werden. Und letztlich benutzt auch du gerade einen Computer, der mit den Mitteln der Wissenschaft, nicht der Religion, gebaut wurde. Kann schon sein, dass auch die Wissenschaft vielerorts bei brutalstmöglicher Betrachtung irgendwo im Münchhausentrilemma steckenbleibt, nur scheint sie auf mysteriöse Weise trotzdem verdammt gut darin zu sein, die Spielregeln der Welt, in der wir leben, herauszubekommen. Ich jedenfalls werde z.B., wenn ich beim Arzt unnötigerweise Antibiotika verschrieben kriege, lieber darauf vertrauen, dass die Evolutionstheorie recht hat und es nicht so sinnvoll ist, mit überflüssigem Selektionsdruck irgendwelche Supermikroben zu züchten.

So ganz ist mir gerade nicht klar, worauf der Thread letztlich hinaussoll.
Dass wir generelle epistemologische Probleme haben und der Szientismus keine Antwort ist? Geschenkt, das ist bekannt.
Dass wir religiöses Offenbarungswissen auf dieselbe qualitative Stufe mit der Evolutionstheorie stellen? Ich bitte euch...
Dass wir zugeben, es könnte alles auch ganz anders sein? Ja, kann's, ist hiermit geschehen. Unnu?

(Kleiner humoristischer Beitrag dazu am Rande)
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Vollbreit » So 3. Jun 2012, 07:12

Einsteins Theorien sagten voraus, dass die Gravitation des Merkur, das Licht eines Sternes „dahinter“ würde ablenken müssen, der Stern sollte am Himmel an einer anderen Position erscheinen als bisher.
Das ist eine robuste und falsifizierbare Prognose – obendrein eine, die wirklich eintrat.

Auch das Beispiel mit dem radioaktiven Zerfall ist eher ungeeignet, da dieser ja sehr genau zu bestimmen ist, man weiß nur nicht, welcher Kern als nächster „dran“ ist.

Dass die Biologie komplexer und damit „unexakter“ ist (bzw. von uns schlechter durchschaut werden kann, ob sie wirklich unexakter ist, wissen wir demzufolge gar nicht), mache ich ihr nicht zum Vorwurf. Man findet dort Puffersysteme und allerlei, die eben monokausale Ursache-Wirkungsmechanismen als Erklärungsursache unzureichend erscheinen lassen.

Fraglich erscheint mir, ob bei einem solchen Befund der Reduktionismus, in der weitreichenden Form, überhaupt ein sinnvolles Konzept ist. Warum, wenn Eigenschaften hinzukommen, die in der Sprache der Reduktion weder einen Sinn, noch ein Äquivalent haben – was bspw. ist denn Leben, in der Sprache der Physik? – sollte man alles auf Physik runterbrechen wollen?

So klar manche das sehen, so fragwürdig erscheint mir, warum derselbe Fehler ein Stockwerk höher dann gleich wiederholt wird. Warum muss menschliches Verhalten, das doch sehr komplex ist nun ums Verrecken biologisiert werden? Wo ist der Gewinn? (Und was ist ein Argument, in der Sprache der Biologie?)

Was wir lesen ist Geschwurbel, sind Plattitüden und oft genug eine Aneinanderreihungen von Denkfehlern. Selbst auf wiki findet man Formulierungen die eigentlich den geistesgeschichtlichen Wert der ET betonen und dass sie ja intuitiv einleuchtend, wenn auch schwer zu formulieren sei.

Anders formuliert: „Och Menno, jetzt sei mal nicht so kritisch und stell nicht immer so komische Fragen, irgendwann muss auch mal gut sein.“ Tatsächlich?


Die ganz andere Frage lautet: Aber was dann? Nun, aus meiner Sicht, sicher kein primitiver Schöpfungsmythos, der im wortwörtlichen Sinne glauben machen will, die Erde und der Mensch seien so und nicht anders entstanden. Persönlich sehe ich den Wert dieser Mythen auch nicht in der Klärung von Fakten und wo man darauf besteht, dass diese genau so und nicht anders gewesen seien, bin zumindest ich nicht im Boot, dennoch ist mein Eindruck, dass lange nicht alle Religiösen der Auffassung sind, man könne nur Christ sein, wenn man glaubt die Erde sei vor 6000 Jahren entstanden, oder Buddhist, wenn man an die Jungfrauengeburt glaubt.

Man muss aber nicht schizophren sein, um sich für Astronomie, das Periodensystem der Elemente, Verhaltensforschung, Mythen, Psychologie, Philosophie und Mystik zu interessieren. Von denen die das glauben, hätte ich gerne erklärt, wie sie mit ihrer eigenen „Schizophrenie“ zurecht kommen, die Überlegenheit gegenüber dem Glauben zu bekunden und dann nicht zu merken, was für ein Kuckucksei man da mit der ET im Nest hat.

Die beständige und wechselseitige Versicherung man sei da auf der Seite der Guten, der Rationalen, der Seriösen sind ja klassische Elemente der Mythenbildung. So hält man die Reihen geschlossen, aber die seitenlang erlebte Unfähigkeit überhaupt zu formulieren, worin die Überlegenheit denn nun liegt, ist ja bezeichnend.


Was Luhmann angeht: Ich finde den durchaus auch interessant – sofern ich ihn verstanden habe, was mir nicht immer gelungen ist – meine Kritik galt den erwähnten Punkten, aber wer wäre nicht zu kritisieren? Die größten Bauchschmerzen habe ich mit den Leuten, deren Ideen ich selbst anhänge, das ist ja gerade das Problem, dass nichts so richtig aufgeht.
Ein Wilber hat schon schöne Vorstöße unternommen um bspw. Wissenschaft und Mystik zu vereinen, doch bei aller Wertschätzung die ich für ihn habe (und dessen Werke kenne ich tatsächlich mal gut), kann ich die eklatanten theoretischen Mängel nicht ausblenden. (Auch wenn das in unseren Kreisen lange nicht jeder so sieht, so wie man hier eben auch einfach nicht erkennen kann, was denn an der ET so problematisch sein soll. Wäre sie von Rudolf Steiner, was meinst Du, wie schnell sie wohl zerschossen würde, von denselben Leuten, die sie jetzt in Ehren halten und einfach keinen Fehler erkennen können?)

Man muss m.E. auch gar nicht bis zum Münchhausentrilemma gehen (das ist ja eine Fundamentalkritik am kausalen Denken), die Schwierigkeiten der ET beginnen sehr viel früher (und liegt innerhalb des Rahmens der hier eben gewöhnlich benutzt wird).
Und das „Problem“ der ET ist ja, dass sie gar nicht gegen die Wirklichkeit verstoßen kann. Was immer man vorfindet, ist ja Teil der Evolution und bekommt, wie laie so richtig schreibt, seine passende Erklärung – nachträglich. Der „Nutzen“ ist schon eingepreist, die Fakten, werden noch gesucht.
Dass das Verhalten „egoistisch“ motiviert sein muss steht fest, die Begründungen werden noch geliefert. In dem Cartoon am Anfang des Threads (Seite 1) sollte genau diese Arbeitsweise noch den Unterschied zwischen Wissenschaft und Kreationismus markieren.
Und am Anfang des Threads hieß es:
Lumen hat geschrieben:Ansonsten finde ich es für einen Wissenschaftler schon sehr schwach, wenn vollkommen unzusammenhängende "Theorien" des Glaubens ineinandergesetzt werden und suggeriert wird, als verberge sich da irgendeine Wahrheit.

In der Tat.

Dabei schätze ich den Wert nachträglicher Interpretationen durchaus hoch ein. Die Psychoanalyse macht nichts anderes. Alles womit sich an Analytiker beschäftigt ist ebenfalls schon passiert, vorbei, Geschichte. Warum rührt man in dem Kram noch mal rum? Weil der persönliche Mythos, den jeder von der eigenen Lebensgeschichte hat, manchmal nicht mehr hinreichend in der Lage ist, die Ereignisse des Lebens zu erklären. Dann braucht man eine bessere Erklärung (in dem Fall eine, die bis dato unbewusste Bereiche mit in die Interpretation mit einbezieht). Am Ende hat man einfach nur eine bessere Geschichte, aber die verändert viel, sehr viel – bis zur Hirnstruktur.

Dasselbe muss man für die ET auch gelten lassen. Inklusive der Verdrängungsschranke. In der Analyse arbeitet man ständig mit heißen Eisen, zumindest für den Patienten. Da wird alles aufgedeckt, was keinen Spaß macht. „Könnte es sein, dass das Neid ist, den sie fühlen?“ „Sind sie vielleicht auch wütend auf ihren Vater, dass er sie im Stich ließ, neben der Trauer über seinen plötzlichen Tod?“ Zum geeigneten Zeitpunkt zwingen einen solche Deutungen, das eigene Leben umzuschreiben.
Das könnte auch für die ET gelten. Es kann ja durchaus als kränkend empfunden werden, vom Affen abzustammen. Ein „Tier“ zu sein. Egoistisch motiviert zu sein. Nur gibt es den schönen Spruch: „Wenn eine Deutung zutrifft, dann trifft sie auch.“ Nur, wer von uns ist denn nicht bereits in dem Bewusstsein groß geworden, dass wir von den Affen abstammen? Und der Egoismus? Klar, sind wir immer auch egoistisch, man kann sich nicht mit Psychologie beschäftigen und das nicht wissen. Aber nur? Ausschließlich? Und dann noch so gewendet, dass der Egoismus am Ende doch altruistisch ist, aber weiter darauf bestanden wird, es sei Egoismus? Wo ist der Mehrwert, der Erkenntnisfortschritt? Das ist einfach ne Luftnummer, kreationistische Denke.
(Und ganz nebenbei kommen Affektforscher zu ganz anderen Ergebnissen.)

Persönlich glaube ich auch an die ET, wenigstens im pflanzlichen und tierischen Bereich. Darüber hinaus, sind die simplen Prinzipien der ET m.E. völlig unangemessen menschliches Verhalten zu erklären und ob Anpassung der beste Modus ist (oder auch nur der erfolgreichste) darüber darf man streiten, gerade vor einem politischen Hintergrund.
Der Mensch hat sein Schicksal – im Rahmen seiner Möglichkeiten – selbst in die Hand genommen, das weiß nun jeder, dass er dabei nicht gegen die Naturgesetze verstoßen haben kann und was das genau bedeutet, das ist eine echte Herausforderung, die in den Kompatibilismus führt.
Hier ist die Messe keinesfalls gelesen und hier geht es auch noch mal an die Grundfesten der ET.
Zufall und Notwendigkeit, heißt es da immer. Was ist denn Zufall? Echter Zufall?
Der radioaktive Zerfall ist gesetzmäßig wie eine Quarzuhr, wir verstehen nur das Gesetz nicht.
Mutationen stehen nicht außerhalb der Naturgesetze, wie könnten sie? Also sind auch sie gesetzmäßig. Wo ist also der Zufall hin? Und wenn wir als Beobachter zweiter Ordnung keinen Einblick ins Räderwerk haben, so heißt das nicht, dass der Ablauf nicht streng determiniert sein könnte. Aus Zufall und Notwendigkeit würde Notwendigkeit und Notwendigkeit.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon Vollbreit » So 3. Jun 2012, 11:44

Nanna hat geschrieben:Dass wir religiöses Offenbarungswissen auf dieselbe qualitative Stufe mit der Evolutionstheorie stellen? Ich bitte euch...


Was genau ist denn für Dich religiöses Offenbarungswissen?
Darunter kann man sich ja (mindestens) zweierlei vorstellen.
Zum einen, jemand hat eine religiöse Offenbarung (was auch immer das sei), fühlt sich berufen diese zu verkünden und findet Anhänger, die diese Offenbarung selbst nicht hatten, aber an ihre Wahrhaftigkeit – aus welchem Grund auch immer – glauben.

Die andere Form wäre, dass jemand so eine Erfahrung macht und sagt: „Stell dir vor, was ich gestern erlebt habe…“ und dies einem anderen mitteilt.
Dieser andere könnte z.B. Psychoanalytiker oder Hirnforscher, Biologie oder Historiker, Soziologe oder vergleichender Religionswissenschaftler sein, dann wird er womöglich seine alternative oder ergänzende Antwort anbieten.

Dazu kommt:
Der andere könnte diesen Phänomenen sehr skeptisch gegenüberstehen.
Er könnte an diesen Phänomenen interessiert sein, selbst so etwas aber noch nie erlebt haben.
Er könnte so etwas Ähnliches selbst schon einmal erlebt haben.
Er könnte Identisches selbst schon einmal erlebt haben.

Was davon würdest Du als wissenschaftlich oder intellektuell redlich anerkennen, was nicht und warum?


Glaubst Du, dass die innere Struktur von uns Menschen fundamental verschieden ist?
Ich nicht. Ich glaube, dass Dein Hunger sich nicht groß anders anfühlt als meiner.
Klar, wir werden nicht alles gleich gewichten, aber Zahnschmerzen, Liebeskummer, Neid und Todesfurcht werden Dir sicher auch keine größten Vergnügen bereiten.

Ich glaube, dass Dir Zugehörigkeit, Anerkennung, Kreativität, Selbstausdruck eine gewisse Lust bereiten.
Auch wenn Du einen logischen Beweis führst, über das Münchhausen-Trilemma oder Luhmann nachdenkst, wirst Du dies oder das anders bewerten, aber wir werden uns in groben Zügen einig sein oder das Gefühl haben, dass der andere nicht weiß, wovon er redet.

Ich glaube, dass das bei religiösen/spirituellen/mystischen Erfahrungen nicht anders ist.
Vielleicht denkst Du: „Witzig, eine Selbstorganisation meines Geistes“ oder denkst, dass Deine Körper nun eigene Opiate ausstößt oder Dein Serotoninsystem heute schwer aktiv ist, was schon eine recht umständliche Übersetzung ist, aber ob es primäre Erfahrungen überhaupt gibt, ist umstritten.

Aber warum solltest Du etwas großartig anderes in der Meditation erleben als ich oder der Dalai Lama oder Wolf Singer oder sonst wer? Manche haben eben ernst damit gemacht, so wie es Freaks gibt, die den ganzen Tag 100 Meter Lauf üben, oder Farben mischen und malen, Schach oder Geige spielen.
Es gibt diverse Disziplinen. Übungen in Empathie. Hochkomplizierte Mandalas geistig zusammen bauen. Empfindungsübungen. Atem- und Körperübungen. Erzeugen von Leere. Visualisierungen.
Warum sollte man es nicht zur Meisterschaft bringen?
Vieles davon kann man sich konstruktivistisch erklären, bis hin zur Leere und Schwärze, das könnte so eine Art stand by Modus des Hirns sein.
Was man sich überhaupt nicht erklären kann, sind Ereignisse, bei denen man Erfahrungen macht, die man eigentlich nicht machen dürfte, weil man z.B. Dinge sieht, die jetzt gerade geschehen, obwohl man räumlich weit entfernt ist (und es nicht immer zu der Zeit so ist, dass Mutter mit dem hellblauen Kittel in der Küche steht). Zufall ist mir da zu billig, aber das ist wirklich eine Glaubensfrage.

Dass es Leichtgläubigkeit, Betrug und Wunschdenken gibt, ja, geschenkt, aber erklärt das wirklich alles? Meiner Meinung nach nicht.

Doch es sind eigentlich zwei interessante Bereiche. Der eben erwähnte, der außergewöhnlichen Phänomene, die man verifizieren kann. Aber hier tobt natürlich der Glaubenskrieg, weil die Anerkennung, dass so etwas möglich ist, wirklich das übliche Weltbild gefährdet und eine sanfte Mitte ist da schwer bis gar nicht zu finden. Die geschlossenen Augen eines Menschen können nicht sehen, was gerade woanders stattfindet, so beeindruckend auch irgendwelche unbewussten Speicherleistungen des Hirns sein mögen, hier gibt es prinzipielle Grenzen – und überzeugende Berichte, die diese Grenzen sprengen.

Der weniger schlimme und eigentlich viel nützlichere Bereich ist der, der subjektiven Überzeugtheit.
Ich erwähnte es schon öfter, eindrucksvolle Erfahrungen, ein Beispiel seien Nahtoderlebnisse, führen oft zu einem subjektiven Schwinden der Angst vor dem Tod. Ist doch super. Eigentlich müsste man jeden Abend jemanden im Fernsehen zu Wort kommen lassen, der uns seine Erfahrungen mit der Todesnähe berichtet, statt dessen wird mit aller Gewalt versucht, diese Erfahrungen zu marginalisieren. Sauerstoffmangel, Panikhormone usw. und immer diese sonderbare Freude, dass das „alles nur Einbildung“ ist (obendrein reichen die reduktiven Erklärungen auch hier nicht hin). Äh, nee. Es ist Realität, Erfahrung. Was für eine eigenartige Parallelwelt, in der das Ich nur Illusion ist, wie die Liebe oder die Willensfreiheit und so weiter.
Wie weit abgeschnitten von „der Realität“ muss man eigentlich sein um diesem theoretischen Surrogat nun auch noch eine größere Wirklichkeit zuzuschreiben? Und Dennett ist jemand der hier nicht ganz unschuldig ist und mit seinem verkrampften Heterophänomenalismus ein doppeltes Spiel spielt und kein sehr schönes. Dennett hat große Schwierigkeiten mit dem Subjektbegriff, aber wozu diese Manie alles objektivieren zu wollen (was ohnehin nicht geht) überhaupt dienen soll, ist zumindest mir nicht klar.

Wie auch immer, schön wäre doch zu wissen, wie ich in solche subjektiven Zustände komme.
Was ist es hilfreich, was gefährlich, was muss ich voraussichtlich investieren, was ist der Gewinn?
Dann kann ja jeder selbst entscheiden.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Können gute Wissenschaftler religiös sein?

Beitragvon stine » So 3. Jun 2012, 13:05

Schöner Beitrag, @Vollbreit!
Ich verstehe auch nicht, warum menschliche Erlebnisse in der Welt des Realismus vorsätzlich mit dem Argument der hormonellen Hirnstromvorgänge abgetötet werden müssen. Selbstverständlich kann man heute alle Vorgänge im menschlichen Körper irgendwie nachmessen.
Ob allerdings das Erlebnis die Ströme auslöst oder die Ströme das Erlebnis auslösen, das bleibt rätselhaft.
Messungen in der Magnetresonanz-Tomographie und anderer Hirnstrommessungen zeigen deutlich, dass das Hirnsignal, der Hormonausschuss immer erst NACH dem Eindruck (gezeigtem Bild, Düfte oä) erfolgen und es nicht umgekehrt ist. Wieso also dann behaupten, bei religiösen Eindrücken oder Erlebnissen wären die Reihenfolge immer genau andersrum?

Genau im Spektrum des subjektiven Empfindens gibt es vieles, was wir nicht nur rational mit Hirnströmen und hormoneller Konstitution abtun können. Unser Leben bleibt bis auf Weiteres rätselhaft.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

VorherigeNächste

Zurück zu Medien

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 18 Gäste