ganimed hat geschrieben:Also ich weiß nicht, wozu die künstliche Trennung zwischen Physik und "über Physik nachdenken" dienen soll. Ich vermute, damit wollte ein Philosoph nur seine angebliche Daseinsberechtigung verteidigen.
Ich denke kaum, dass Heidegger das nötig gehabt hätte. Dieser Satz ist innerhalb seiner Werke relativ unspektakulär, viel diskutiert wurde er erst, als er von einigen Leuten als Abwertung ihrer Arbeit falsch verstanden wurde.
ganimed hat geschrieben:In der Praxis sind jedenfalls beide Dinge miteinander verwoben, denn natürlich macht es einen großen Teil der Faszination an der reinen Physik aus, dass man die Welt besser verstehen möchte und die ganz großen Seinsfragen auch im Hinterkopf hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da draußen irgendwo seelenlose Physiker gibt, die wirklich nur reine Physik betreiben und den Rest ihres menschlichen Denkens abstellen, nicht einmal zeitweise.
Es spricht ja niemand einem Physiker ab, über die ganz großen Seinsfragen nachzudenken. Allerdings halte ich metaphysikalische Fragen nicht für Notwendig, um Physik zu betreiben. Allerdings habe ich meine Zweifel, dass Heidegger mit „Denken“ die Metaphysik meinte, ich weiß allerdings auch nicht, wie ich das erklären kann, da ich selbst auch nicht der Heidegger-Spezialist bin, sondern nur eine „kleine“ (im Vergleich zu seinem Werk) Einführung genossen habe, viel auch über Sekundärliteratur.
Wie definierst Du seelenlos? Ich kenne „Seele“ nur als metaphysischen Begriff. Ich kann es mir schon vorstellen, halte es sogar manchmal für notwendig, dass man den Rest des menschlichen Denken abstellt. Deswegen sind auch viele Wissenschaftler Nerds mit autistischen Tendenzen, denen fällt es leichter in so einem geschlossenen System zu denken (ich hab auch teilweise diese Tendenz, deswegen habe ich eine Vorstellung davon), aber über die Grenzen hinauszudenken ist genauso wichtig. Ich denke aber, dass das gerade schon weit von Heidegger abdriftet.
ganimed hat geschrieben:Das mag sein. Aber mir fehlt durch die sehr spezielle Sprache, nicht nur bei Heidegger, der Zugang. Also bleibe ich draußen. Und hier draußen schulde ich diesen Leuten nicht den geringsten Respekt, würde ich sagen. Wenn sie ihre Ideen nicht in meiner Sprache beschreiben können, dann gibt es auch keine Anerkennung von mir. Heidegger und einige andere Philosophen rangieren für mich also durchaus auf der Stufe von wild faselnden Esoterikern. Man kann eben nicht alles gut finden was gut ist.
Ich verstehe die Sprache von Chemikern nicht. Ich weiß nicht annähernd, was mir so was sagen soll: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/c ... cotine.svg (in dem Sinne ist es auch esoterisch, da es nur von einem Kreis von Eingeweihten zu verstehen ist … der Unterschied ist, dass der Zugang zu diesem „Kreis“ prinzipiell jedem offen steht und das ist auch bei Heidegger der Fall).
Trotzdem habe ich Respekt vor dem Chemiker, der damit umgehen kann und was damit macht. Ich würde auch nicht behaupten, er meint bestimmt OH3 und nicht CH3. Wenn er allerdings mit solchen Graphiken ankommt und meint, mir als Laien damit ausreichend zu erklären, was Nikotin ist und es wäre halt mein Problem, dass ich mir erstmal das Verständnis dafür aufbauen müsste, dann hätte ich den gleichen Einwand und wenig Respekt.
Heidegger hat aber – im Gegensatz zu wild faselnden Esoterikern – nicht die Absicht gehabt, ein philosophisches Werk für „Laien“ zu schreiben. Er schrieb auch grundsätzlich zum Beispiel altgriechische Wörter in entsprechender Schrift, was damals wohl aber auch zum Standardrepertoire eines Philosophiestudenten gehörte. Seine Absicht war nicht, eine allgemeine Erklärung für die Welt zu liefern, sondern einen Grundstein für nachfolgende philosophische Disziplinen zu legen. Die Popularisierung würde erst nach entsprechendem Fortschritt einen Sinn machen. Esoteriker hingegen wenden sich gerade an „Nichteingeweihte“, um sie mit ihrem Geschwafel zu ködern und ihnen damit Seelenheil zu versprechen.
Die gute Nachricht ist, dass es auch wunderbare populärphilosophische (was für ein Wort …) Werke gibt, in denen Heideggers Philosophie leichter verständlich erklärt wird (jedenfalls die Grundlagen), für den, der Interesse hat.