Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 29. Nov 2011, 00:12

ganimed hat geschrieben:Man versteht einfach besser, wieso Menschen das tun was sie tun, wenn man davon ausgeht, dass ihre Fähigkeit für rationale Entscheidungen stark eingeschränkt und in fast allen Fällen unterbewusst und irrational eingefärbt ist.

Nein, dann versteht man gar nichts mehr, weil irrationales nicht zu verstehen ist. Ich würde sogar fast so weit gehen, zu sagen, dass man dies sogar als Verweigerung zu verstehen sehen kann, weil man sich nicht die Mühe machen möchte, herauszufinden, warum andere Menschen andere Entscheidungen bevorzugen, als man selbst in einer Situation bevorzugt hat/hätte.
Das Unbewusste will ich gar nicht bestreiten, aber auch wenn unbewusste Prämissen eine Rolle spielen, so ist das Ergebnis immer rational. Eine rationale Entscheidung muss nicht zwangsweise die beste sein, das hängt eben von den Prämissen ab. Natürlich war mit meinem Postulat nicht gemeint, dass Menschen unbedingt richtig entscheiden, aber zumindest folgerichtig (nach den jeweils für den Menschen gegebenen Prämissen).
Dieser Gehirn-Bewusstsein-Dualismus ist totaler Blödsinn, da Gehirnfunktionen und Gedanken ein und das selbst auf verschiedenen Betrachtungsebenen sind und die werden nunmal nicht vom Gehirn determiniert, sondern hängen mit äußeren Umständen zusammen. Woher soll das Gehirn sonst überhaupt wissen, was ein Jude ist, warum er verfolgt wird, warum es gut wäre ihn zu schützen, damit es dann sich selbst „belohnen“ kann? Vor allem ist das ein rein sprachliches Problem, das aber zu totalen Fehlinterpretationen der Realität führen kann.

@ Nanna

Meinst Du nicht, dass nicht trotzdem die Möglichkeit besteht, dass ich zum Beispiel weiß, dass jemand anders glücklich sein wird, durch etwas, was ich mache und ich es allein deswegen tun kann, ohne dass es mich glücklicher machen muss? Es ist für mich weiterhin eine offene Frage, wobei es natürlich auch sein kann, dass jede Form von Altruismus letztendlich Eigennutz darstellt. Wichtig ist ohnehin, dass man daran keine moralischen Maßstäbe festlegt, was leider viele tun. Es gibt ja genug Leute, die zum Beispiel an Bill Gates kritisieren, dass er „nur“ deswegen seine Milliarden spendet um sich selbst als Wohltäter zu feiern – und wenn schon, das macht ihn ja nicht weniger wohltätig.

Ansonsten stimme ich Dir da eigentlich grundlegend zu. Deswegen beharre ich ja auch darauf, dass das Gehirn grundsätzlich rational vorgeht. Selbst bei einer Schizophrenie sind die Schlussfolgerungen an sich rational, das Problem ist da dann nur, dass die Ausgangspunkte nicht stimmen, weswegen da natürlich dann falsche Ergebnisse bei rauskommen.
Ich bin da einfach nur pingelig, wenn etwas so formuliert wird, dass es so klingt, als würden biologische Prozesse das Denken determinieren.

Ich hatte neulich einen Gedanken. Da ja die Mathematik auch als Sprache gesehen werden kann und man dort auf Rechnungen kommen kann, die ein unmögliches Ergebnis haben (wie die Wurzel einer negativen Zahl), frage ich mich, was eigentlich im Gehirn passiert, wenn über die Sprache dem Gehirn ebenso eine Rechnung mit unmöglichem Ergebnis aufgegeben wird, diese aber nicht bewusst als solche erkannt wird. Könnte es passieren, dass im Gehirn dann so etwas wie das berühmte „E“ auf dem Taschenrechner passiert und sich auf diese Art psychische Störungen bilden? Unmögliche Forderungen, die an Kinder gestellt werden, die zu erfüllen sie sich aus existenziellen Gründen unbedingt gezwungen sehen, könnten ja so etwas sein. Irgendwie scheint mir das naheliegend, ich bin auf weitere Ansichten dazu sehr gespannt.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Nanna » Di 29. Nov 2011, 15:58

Teh Asphyx hat geschrieben:Meinst Du nicht, dass nicht trotzdem die Möglichkeit besteht, dass ich zum Beispiel weiß, dass jemand anders glücklich sein wird, durch etwas, was ich mache und ich es allein deswegen tun kann, ohne dass es mich glücklicher machen muss? Es ist für mich weiterhin eine offene Frage, wobei es natürlich auch sein kann, dass jede Form von Altruismus letztendlich Eigennutz darstellt.

Ich bin nichtmal sicher, ob ich zustimmen würde, dass es um Eigennutz geht. Wenn ich mich vor eine fremde Person werfe, um zu verhindern, dass sie von einem Bankräuber erschossen wird und dabei ums Leben komme, bin ich zwar ein "Held", habe aber nun wirklich nichts selbst mehr davon. Mir geht es mehr darum, die Motive für derartig uneigennütziges Handeln zu erforschen. Ein Grund könnte sein, dass mit instinktiv klar ist, dass es auf irgendeine Weise von mir erwartet wird oder für mein Außenbild, quasi meine Identität, zuträglich ist, wenn ich mich in Lebensgefahr begebe. Im Grunde ist das aber kein kristallklarer Eigennutz mehr, sondern eher eine Art Schatten desselben. Es geht schon irgendwie um mich, aber der Eigennutz wird dadurch kontekariert, dass ich ihn nicht mehr auskosten kann und wegen der Unmittelbarkeit nichteinmal Fantasien kommender Elogien auf mich genießen kann.

Ich denke, wir kommen uns da schon relativ nahe mit unseren Positionen. Der Teufel steckt im Detail und vor allem in der richtigen Darstellung / Modellierung dessen, was passiert. Zentral für mich ist eben, dass es eine rationale Begründung dafür geben muss, dass Menschen altruistisch handeln und dass der dahinterliegende Mechanismus grundsätzlich nicht dualistisch gedacht werden sollte, also in dem Sinne, dass Altruismus und Egoismus gegensätzliche Mechanismen sind, die im Hirn auf völlig unterschiedliche Weise zustandekommen. Unser Kopf ist aus evolutionärer Entwicklung hervorgegangen und es liegt nunmal nahe, dass unser Verhalten tendentiell evolutionär "sinnvollen" Mustern folgt. Daher sehe ich es als notwendig an, für eine sinnvolle Erklärung von Egoismus und Altruismus sowohl die Rationalität des Gehirns als auch den evolutionären Kontext, in dem menschliches Grundverhalten entstanden ist, einzubeziehen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wichtig ist ohnehin, dass man daran keine moralischen Maßstäbe festlegt, was leider viele tun. Es gibt ja genug Leute, die zum Beispiel an Bill Gates kritisieren, dass er „nur“ deswegen seine Milliarden spendet um sich selbst als Wohltäter zu feiern – und wenn schon, das macht ihn ja nicht weniger wohltätig.

Naja, ich verstehe die Angst schon, die sich in solchen Bedenken vor unlauteren Motiven ausdrückt. Das Problem ist, dass Opportunisten nicht zuverlässig sind. Eine sicherlich durchaus sinnvolle Anforderung an den angesehenen Wohltäter ist die, dass er zu seinem Wort steht und einen auch und gerade in Krisensituationen nicht allein lässt. Bei einer Person, der man abnimmt, dass sie mit ihrem Herzblut für eine Sache brennt, ist die Wahrscheinlichkeit einfach höher, sich auf das Engagement der Person verlassen zu können.
Ein Opportunist, der keine innere Überzeugung von der moralischen Gebotenheit seines Tuns hat, sondern lediglich nach dem Ansehen strebt, verhält sich einfach anders als der Überzeugungstäter. Man könnte den Überzeugungstäter vielleicht sogar dafür kritisieren, dass er sich der eigenen Ruhmessucht nicht bewusst ist, aber vielleicht erfüllt die Illusion des reinen Herzens in dem Zusammenhang eine wichtige Person, weil die soziale Kontrolle, die beim Opportunisten externalisiert ist, beim Überzeugungstäter internalisiert ist. Der Überzeugungstäter antizipiert instinktiv und ohne bewusste Reflexion die sozialen bzw. moralischen Erwartungen und tut dann das Gebotene, der Opportunist tut es nur auf (sanften) Druck von außen hin, was bedeutet, dass der Opportunist sein Verhalten ändert, sobald die Umweltbedingungen sich ändern. Klar, Überzeugungstäter können gefährliche Fanatiker mit massivem Realitätsverlust werden, aber sie sind dafür berechenbarer und das macht sie für andere Akteure als Interaktionspartner möglicherweise nichtsdestotrotz attraktiver (siehe z.B. den Realismus in der Lehre von den Internationalen Beziehungen, wo eine Situation, in der alle Staaten rücksichtslos nach dem eigenen Vorteil streben, als konstruktiv betrachtet wird, weil dadurch die Fronten geklärt und die Gegner berechenbar sind, was idealerweise in einem gewaltlosen Gleichgewichtszustand resultiert). Zudem würde der Opportunist beim altruistischen Selbstopfer wahrscheinlich deutlicher weniger weit gehen als der Überzeugungstäter, der dadurch die Gemeinschaft u.U. effektiver beschützen kann. Motive sind durchaus relevant!

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin da einfach nur pingelig, wenn etwas so formuliert wird, dass es so klingt, als würden biologische Prozesse das Denken determinieren.

Es ist ja völlig richtig, in einer akademischen Diskussion pingelig zu sein. Allerdings verstehe ich den Unterschied nicht so hundertprozentig: Wenn Gedanken und biologische Prozesse eins sind bzw. sich entsprechen, inwiefern sind dann Gedanken nicht durch Teilchenbewegungen determiniert? Und macht es in einer monistischen Sichtweise überhaupt Sinn, da zu differenzieren? Du hast ja selber schon gesagt, dass da womöglich eine rein sprachliche Diskussion entstanden ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte neulich einen Gedanken. Da ja die Mathematik auch als Sprache gesehen werden kann und man dort auf Rechnungen kommen kann, die ein unmögliches Ergebnis haben (wie die Wurzel einer negativen Zahl), frage ich mich, was eigentlich im Gehirn passiert, wenn über die Sprache dem Gehirn ebenso eine Rechnung mit unmöglichem Ergebnis aufgegeben wird, diese aber nicht bewusst als solche erkannt wird. Könnte es passieren, dass im Gehirn dann so etwas wie das berühmte „E“ auf dem Taschenrechner passiert und sich auf diese Art psychische Störungen bilden? Unmögliche Forderungen, die an Kinder gestellt werden, die zu erfüllen sie sich aus existenziellen Gründen unbedingt gezwungen sehen, könnten ja so etwas sein. Irgendwie scheint mir das naheliegend, ich bin auf weitere Ansichten dazu sehr gespannt.

Da wäre erstmal die Frage, ob das überhaupt geht: Mithilfe von invaliden sprachlichen Argumenten einen fatal error im Hirnsystem zu erzeugen. Dazu müsste man ja überhaupt erstmal definieren, was normales Denken ist und was tatsächlich eine Anomalie im Denken ist, denn ein unmögliches Ergebnis eines Denkprozesses schaltet ja nicht einfach das Hirn ab, so wie ein fatal system error einfach den Rechner killt und alles zurückgesetzt wird. Stattdessen nimmt das Hirn oder Hirnteile einfach einen ungewöhnlichen anomalen Zustand ein. Die Kernfrage ist, ob der in diesem Sinne "falsch" ist. Ich verstehe zwar, was du meinst und halte auch den Gedanken für interessant und verfolgenswert, aber allein eine sprachlich valide Fragestellung zu produzieren hat es hier schon in sich (was übrigens ein interessanter Rückbezug des Problems auf sich selbst ist ;-))! Nach der Systemtheorie ist Sprache ja nichtmal ein System, sondern "nur" ein Medium, das Inhalte nicht exakt übertragen kann, von daher müsste man erstmal präzise überlegen, wie eine solche aussichtslose Situation konkret beschaffen sein muss, dass die widerstrebenden Anforderungen tatsächlich unmöglich gelöst werden können.

Grundsätzlich fallen mir dazu die Doppelbindungstheorie, aber auch gewisse Praktiken aus dem Zen ein, wo durch die Beschäftigung mit sinnlosen Inhalten das Nicht-Denken (Hishiryō) erlernt werden soll. Traumatische Situationen, d.h. für den Kopf nicht zu verarbeitende Inhalte, können im Extremfall zur Abspaltung von Inhalten (Dissoziation) führen. Man könnte argumentieren, dass das Hirn miteinander inkompatible Inhalte auf diese Weise trennt, so dass die Produktion unmöglicher Ergebnisse beendet wird. Kopfschmerzen sind ein häufiges Phänomen im Zusammenhang mit solchen Störungen, es könnte ja gut sein, dass unmögliche Ergebnisse dazu führen, dass bestimmte Hirnregionen übererregt werden und es dadurch zu Schmerzen kommt. Also ja, könnte schon Potential haben, die Idee. Irgendjemand zufällig Neurologe hier?
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Di 29. Nov 2011, 19:42

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Unbewusste will ich gar nicht bestreiten, aber auch wenn unbewusste Prämissen eine Rolle spielen, so ist das Ergebnis immer rational.

Unbewusste Entscheidungsvorgänge im Gehirn nennst du rational? Wie dies? Wie definierst du nochmal "rational"?
Wenn Person A zum Beispiel ein Trauma erlitten hat und beim Anblick eines roten Knopfes in Panik gerät und vor Angst wegrennt. Nun sagt man zu A: "hallo, hier ist der rote Lotteriegewinnknopf. Bitte drücken sie und werden sie Millionär!" Und A rennt dann seiner inneren Angstlogik folgend davon. Nennst du diese Entscheidung von A dann ebenfalls rational?


Teh Asphyx hat geschrieben:wenn über die Sprache dem Gehirn ebenso eine Rechnung mit unmöglichem Ergebnis aufgegeben wird, diese aber nicht bewusst als solche erkannt wird. Könnte es passieren, dass im Gehirn dann so etwas wie das berühmte „E“ auf dem Taschenrechner passiert und sich auf diese Art psychische Störungen bilden?

Wenn ich den Hirnforscher Wolf Singer richtig verstanden habe, dann redet er von neuronalen Mustern. Eine Entscheidung fällen heißt für das Gehirn, verschiedene neuronale Muster in Übereinstimmung zu bringen (ich glaube, das ist physikalisch gemeint als zeitliche Synchronisation). Ich kann natürlich ebenfalls nur wild mutmaßen, aber ich denke auch, dass widersprüchliche, nicht harmonische Reibereien im Gehirn auf Dauer und immer wiederkehrend durchaus sturkturelle Konsequenzen haben, sich also neuronal niederschlagen, von unbestimmtem Unwohlsein bis hin zu traumatischen Störungen.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 29. Nov 2011, 22:05

Nanna hat geschrieben:Zentral für mich ist eben, dass es eine rationale Begründung dafür geben muss, dass Menschen altruistisch handeln und dass der dahinterliegende Mechanismus grundsätzlich nicht dualistisch gedacht werden sollte, also in dem Sinne, dass Altruismus und Egoismus gegensätzliche Mechanismen sind, die im Hirn auf völlig unterschiedliche Weise zustandekommen. Unser Kopf ist aus evolutionärer Entwicklung hervorgegangen und es liegt nunmal nahe, dass unser Verhalten tendentiell evolutionär "sinnvollen" Mustern folgt. Daher sehe ich es als notwendig an, für eine sinnvolle Erklärung von Egoismus und Altruismus sowohl die Rationalität des Gehirns als auch den evolutionären Kontext, in dem menschliches Grundverhalten entstanden ist, einzubeziehen.


Das hört sich sinnvoll an, ja. Man muss da immer haarscharf aufpassen, dass man das nicht so verdreht, dass es klingt, als gäbe es einen Zweck der Evolution, dadurch dass es ein Resultat der Evolution gibt. Ich hab leider das Buch „Zufall und Notwendigkeit“ von Jacques Monod noch nicht gelesen, aber das soll ja ein Klassiker in der Hinsicht sein (auch in Bezug auf naturalistische Ethik). Jedenfalls führt diese Verdrehung dann oft schnell dazu, dass Leute irgendwelches Verhalten damit rechtfertigen, dass sie einem evolutionärem Zweck gehorchen und das finde ich immer sehr bedenklich (im Extremfall wird es zum Sozialdarwinismus).

Nanna hat geschrieben:Motive sind durchaus relevant!


Unter den von Dir aufgeführten Aspekten auf jeden Fall. Zwar heiligen die Mittel eher den Zweck als umgekehrt, aber dennoch ist im Optimalfall beides einander angemessen. Ich denke nur, dass für den Afrikaner, der dank Bill Gates’ Organisation ein lebenswichtiges Medikament bekommen hat, es in Bezug auf sein gerettetes Leben egal ist, aus welchem Motiv sein Leben gerettet wurde. Zumindest vorläufig, sofern die Lebensrettung nicht mit weiteren Erwartungen verknüpft ist.
In dem Occupy-Thread, wo ich noch nicht zu meiner Antwort gekommen bin, ging es ja unter anderem auch um Sloterdijks „Revolution der gebenden Hand“. Da geht es ja im Prinzip genau um die Motive. Er schlägt ja das Gedankenspiel vor, dass das gleiche Geld umverteilt würde wie jetzt durch (Zwangs-)Steuern, nur dass man es nicht so verstehen würde, dass der Staat es den Wohlhabenderen nimmt, sondern die Wohlhabenderen es als Geben verstehen (er schlägt vor, an den Stolz zu appellieren). Dadurch würde sich zwar im Geldfluss nichts ändern, aber in den Gemütern aller Beteiligten, eben dadurch, dass es kein negativ anmutendes Nehmen mehr gibt, sondern ein positives Geben. Die Motive sind ja dabei auch völlig anders. Ich fänd es wirklich interessant, wie sich das auf die gesamtgesellschaftliche Zufriedenheit auswirken würde.

Nanna hat geschrieben:Es ist ja völlig richtig, in einer akademischen Diskussion pingelig zu sein. Allerdings verstehe ich den Unterschied nicht so hundertprozentig: Wenn Gedanken und biologische Prozesse eins sind bzw. sich entsprechen, inwiefern sind dann Gedanken nicht durch Teilchenbewegungen determiniert?


Wie soll sich etwas selbst determinieren? Der Neurobiologe Jean-Pierre Changeux, der international auch etwas renommierter sein dürfte (schließe ich jetzt mal aus den Auszeichnungen, der Wichtigkeit seiner Entdeckungen und Wikipedia-Einträge in mehreren Sprachen) als Gerhard Roth, Wolf Singer oder wer sich sonst noch gerne ständig in deutschsprachigen populärwissenschaftlichen Medien profiliert, spricht den Neuronen auch eher eine aktive als reaktive Rolle zu. Das finde ich in Bezug auf Kreativität auch äußerst interessant.

Nanna hat geschrieben:Und macht es in einer monistischen Sichtweise überhaupt Sinn, da zu differenzieren? Du hast ja selber schon gesagt, dass da womöglich eine rein sprachliche Diskussion entstanden ist.


Eben, da wird es ja zur Selbstdeterminierung, was dann irgendwie nicht mehr aufgeht.

Nanna hat geschrieben:Stattdessen nimmt das Hirn oder Hirnteile einfach einen ungewöhnlichen anomalen Zustand ein.


So in etwa habe ich mir das auch vorgestellt, ja.

Nanna hat geschrieben:Nach der Systemtheorie ist Sprache ja nichtmal ein System, sondern "nur" ein Medium, das Inhalte nicht exakt übertragen kann, von daher müsste man erstmal präzise überlegen, wie eine solche aussichtslose Situation konkret beschaffen sein muss, dass die widerstrebenden Anforderungen tatsächlich unmöglich gelöst werden können.


Auf jeden Fall spielt der Empfänger da auch eine Rolle. Ich denke es spielt allein schon eine große Rolle, ob der Empfänger das Gesagte hinterfragt oder nicht.

Nanna hat geschrieben:Traumatische Situationen, d.h. für den Kopf nicht zu verarbeitende Inhalte, können im Extremfall zur Abspaltung von Inhalten (Dissoziation) führen. Man könnte argumentieren, dass das Hirn miteinander inkompatible Inhalte auf diese Weise trennt, so dass die Produktion unmöglicher Ergebnisse beendet wird. Kopfschmerzen sind ein häufiges Phänomen im Zusammenhang mit solchen Störungen, es könnte ja gut sein, dass unmögliche Ergebnisse dazu führen, dass bestimmte Hirnregionen übererregt werden und es dadurch zu Schmerzen kommt. Also ja, könnte schon Potential haben, die Idee. Irgendjemand zufällig Neurologe hier?


Das wäre wirklich mal interessant, die Meinung eines Neurologen dazu zu hören.

ganimed hat geschrieben:Unbewusste Entscheidungsvorgänge im Gehirn nennst du rational? Wie dies? Wie definierst du nochmal "rational"?
Wenn Person A zum Beispiel ein Trauma erlitten hat und beim Anblick eines roten Knopfes in Panik gerät und vor Angst wegrennt. Nun sagt man zu A: "hallo, hier ist der rote Lotteriegewinnknopf. Bitte drücken sie und werden sie Millionär!" Und A rennt dann seiner inneren Angstlogik folgend davon. Nennst du diese Entscheidung von A dann ebenfalls rational?


Er hat in Bezug auf seine Angstlogik völlig rational gehandelt, ja. Ich sehe das mit der Rationalität des Gehirns so in etwa wie Nanna im letzten Beitrag. Wobei noch die Frage offen bleibt, inwieweit Phänomene der Quantenphysik auch im Gehirn eine Rolle spielen und vielleicht Quantenzufälle auch eine Rolle bei Denkprozessen spielen kann. Ich will also kein Dogma draus machen, halte es aber momentan für die sinnvollste Erklärung.

ganimed hat geschrieben:Ich kann natürlich ebenfalls nur wild mutmaßen, aber ich denke auch, dass widersprüchliche, nicht harmonische Reibereien im Gehirn auf Dauer und immer wiederkehrend durchaus sturkturelle Konsequenzen haben, sich also neuronal niederschlagen, von unbestimmtem Unwohlsein bis hin zu traumatischen Störungen.


Claude Lévi-Strauss stellte ja die These auf, das Unbewusste sei wie eine Sprache strukturiert und somit würden sprachliche Ereignisse auch auf das Unbewusste (folglich also natürlich auf neurobiologische Strukturen) Einfluss haben. Das hat ja auch Jacques Lacan dann aufgegriffen (der übrigens gar nicht so blöd war, aber um ihn selbst zu lesen, muss man schon damit klarkommen, wie er schreibt, sonst ist Sekundärliteratur empfehlenswerter – da ich auf Surrealismus stehe fällt mir da der Zugang nicht so schwer), als Grundlage zur Untersuchung der Wirksamkeit der Sprache in der Psychoanalyse.
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