Teh Asphyx hat geschrieben:Meinst Du nicht, dass nicht trotzdem die Möglichkeit besteht, dass ich zum Beispiel weiß, dass jemand anders glücklich sein wird, durch etwas, was ich mache und ich es allein deswegen tun kann, ohne dass es mich glücklicher machen muss? Es ist für mich weiterhin eine offene Frage, wobei es natürlich auch sein kann, dass jede Form von Altruismus letztendlich Eigennutz darstellt.
Ich bin nichtmal sicher, ob ich zustimmen würde, dass es um Eigennutz geht. Wenn ich mich vor eine fremde Person werfe, um zu verhindern, dass sie von einem Bankräuber erschossen wird und dabei ums Leben komme, bin ich zwar ein "Held", habe aber nun wirklich nichts selbst mehr davon. Mir geht es mehr darum, die Motive für derartig uneigennütziges Handeln zu erforschen. Ein Grund könnte sein, dass mit instinktiv klar ist, dass es auf irgendeine Weise von mir erwartet wird oder für mein Außenbild, quasi meine Identität, zuträglich ist, wenn ich mich in Lebensgefahr begebe. Im Grunde ist das aber kein kristallklarer Eigennutz mehr, sondern eher eine Art Schatten desselben. Es geht schon irgendwie um mich, aber der Eigennutz wird dadurch kontekariert, dass ich ihn nicht mehr auskosten kann und wegen der Unmittelbarkeit nichteinmal Fantasien kommender Elogien auf mich genießen kann.
Ich denke, wir kommen uns da schon relativ nahe mit unseren Positionen. Der Teufel steckt im Detail und vor allem in der richtigen Darstellung / Modellierung dessen, was passiert. Zentral für mich ist eben, dass es eine rationale Begründung dafür geben muss, dass Menschen altruistisch handeln und dass der dahinterliegende Mechanismus grundsätzlich nicht dualistisch gedacht werden sollte, also in dem Sinne, dass Altruismus und Egoismus gegensätzliche Mechanismen sind, die im Hirn auf völlig unterschiedliche Weise zustandekommen. Unser Kopf ist aus evolutionärer Entwicklung hervorgegangen und es liegt nunmal nahe, dass unser Verhalten tendentiell evolutionär "sinnvollen" Mustern folgt. Daher sehe ich es als notwendig an, für eine sinnvolle Erklärung von Egoismus und Altruismus sowohl die Rationalität des Gehirns als auch den evolutionären Kontext, in dem menschliches Grundverhalten entstanden ist, einzubeziehen.
Teh Asphyx hat geschrieben:Wichtig ist ohnehin, dass man daran keine moralischen Maßstäbe festlegt, was leider viele tun. Es gibt ja genug Leute, die zum Beispiel an Bill Gates kritisieren, dass er „nur“ deswegen seine Milliarden spendet um sich selbst als Wohltäter zu feiern – und wenn schon, das macht ihn ja nicht weniger wohltätig.
Naja, ich verstehe die Angst schon, die sich in solchen Bedenken vor unlauteren Motiven ausdrückt. Das Problem ist, dass Opportunisten nicht zuverlässig sind. Eine sicherlich durchaus sinnvolle Anforderung an den angesehenen Wohltäter ist die, dass er zu seinem Wort steht und einen auch und gerade in Krisensituationen nicht allein lässt. Bei einer Person, der man abnimmt, dass sie mit ihrem Herzblut für eine Sache brennt, ist die Wahrscheinlichkeit einfach höher, sich auf das Engagement der Person verlassen zu können.
Ein Opportunist, der keine innere Überzeugung von der moralischen Gebotenheit seines Tuns hat, sondern lediglich nach dem Ansehen strebt, verhält sich einfach anders als der Überzeugungstäter. Man könnte den Überzeugungstäter vielleicht sogar dafür kritisieren, dass er sich der eigenen Ruhmessucht nicht bewusst ist, aber vielleicht erfüllt die Illusion des reinen Herzens in dem Zusammenhang eine wichtige Person, weil die soziale Kontrolle, die beim Opportunisten externalisiert ist, beim Überzeugungstäter internalisiert ist. Der Überzeugungstäter antizipiert instinktiv und ohne bewusste Reflexion die sozialen bzw. moralischen Erwartungen und tut dann das Gebotene, der Opportunist tut es nur auf (sanften) Druck von außen hin, was bedeutet, dass der Opportunist sein Verhalten ändert, sobald die Umweltbedingungen sich ändern. Klar, Überzeugungstäter können gefährliche Fanatiker mit massivem Realitätsverlust werden, aber sie sind dafür berechenbarer und das macht sie für andere Akteure als Interaktionspartner möglicherweise nichtsdestotrotz attraktiver (siehe z.B. den
Realismus in der Lehre von den Internationalen Beziehungen, wo eine Situation, in der alle Staaten rücksichtslos nach dem eigenen Vorteil streben, als konstruktiv betrachtet wird, weil dadurch die Fronten geklärt und die Gegner berechenbar sind, was idealerweise in einem gewaltlosen Gleichgewichtszustand resultiert). Zudem würde der Opportunist beim altruistischen Selbstopfer wahrscheinlich deutlicher weniger weit gehen als der Überzeugungstäter, der dadurch die Gemeinschaft u.U. effektiver beschützen kann. Motive sind durchaus relevant!
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin da einfach nur pingelig, wenn etwas so formuliert wird, dass es so klingt, als würden biologische Prozesse das Denken determinieren.
Es ist ja völlig richtig, in einer akademischen Diskussion pingelig zu sein. Allerdings verstehe ich den Unterschied nicht so hundertprozentig: Wenn Gedanken und biologische Prozesse eins sind bzw. sich entsprechen, inwiefern sind dann Gedanken
nicht durch Teilchenbewegungen determiniert? Und macht es in einer monistischen Sichtweise überhaupt Sinn, da zu differenzieren? Du hast ja selber schon gesagt, dass da womöglich eine rein sprachliche Diskussion entstanden ist.
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte neulich einen Gedanken. Da ja die Mathematik auch als Sprache gesehen werden kann und man dort auf Rechnungen kommen kann, die ein unmögliches Ergebnis haben (wie die Wurzel einer negativen Zahl), frage ich mich, was eigentlich im Gehirn passiert, wenn über die Sprache dem Gehirn ebenso eine Rechnung mit unmöglichem Ergebnis aufgegeben wird, diese aber nicht bewusst als solche erkannt wird. Könnte es passieren, dass im Gehirn dann so etwas wie das berühmte „E“ auf dem Taschenrechner passiert und sich auf diese Art psychische Störungen bilden? Unmögliche Forderungen, die an Kinder gestellt werden, die zu erfüllen sie sich aus existenziellen Gründen unbedingt gezwungen sehen, könnten ja so etwas sein. Irgendwie scheint mir das naheliegend, ich bin auf weitere Ansichten dazu sehr gespannt.
Da wäre erstmal die Frage, ob das überhaupt geht: Mithilfe von invaliden sprachlichen Argumenten einen
fatal error im Hirnsystem zu erzeugen. Dazu müsste man ja überhaupt erstmal definieren, was normales Denken ist und was tatsächlich eine Anomalie im Denken ist, denn ein unmögliches Ergebnis eines Denkprozesses schaltet ja nicht einfach das Hirn ab, so wie ein
fatal system error einfach den Rechner killt und alles zurückgesetzt wird. Stattdessen nimmt das Hirn oder Hirnteile einfach einen ungewöhnlichen anomalen Zustand ein. Die Kernfrage ist, ob der in diesem Sinne "falsch" ist. Ich verstehe zwar, was du meinst und halte auch den Gedanken für interessant und verfolgenswert, aber allein eine sprachlich valide Fragestellung zu produzieren hat es hier schon in sich (was übrigens ein interessanter Rückbezug des Problems auf sich selbst ist
)! Nach der Systemtheorie ist Sprache ja nichtmal ein System, sondern "nur" ein Medium, das Inhalte nicht exakt übertragen kann, von daher müsste man erstmal präzise überlegen, wie eine solche aussichtslose Situation konkret beschaffen sein muss, dass die widerstrebenden Anforderungen tatsächlich unmöglich gelöst werden können.
Grundsätzlich fallen mir dazu die
Doppelbindungstheorie, aber auch gewisse Praktiken aus dem Zen ein, wo durch die Beschäftigung mit sinnlosen Inhalten das Nicht-Denken (
Hishiryō) erlernt werden soll. Traumatische Situationen, d.h. für den Kopf nicht zu verarbeitende Inhalte, können im Extremfall zur Abspaltung von Inhalten (
Dissoziation) führen. Man könnte argumentieren, dass das Hirn miteinander inkompatible Inhalte auf diese Weise trennt, so dass die Produktion unmöglicher Ergebnisse beendet wird. Kopfschmerzen sind ein häufiges Phänomen im Zusammenhang mit solchen Störungen, es könnte ja gut sein, dass unmögliche Ergebnisse dazu führen, dass bestimmte Hirnregionen übererregt werden und es dadurch zu Schmerzen kommt. Also ja, könnte schon Potential haben, die Idee. Irgendjemand zufällig Neurologe hier?