Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mo 25. Jan 2010, 22:49

AgentProvocateur hat geschrieben:-> 0 % kausale Abhängigkeit = 0 % Zwang = 100 % Entscheidungsfreiheit = 100 % Schuld. Richtig?

Richtig.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber eben das behauptest Du doch hier: wenn sich Eigenschaften kausal ergeben, dann sind diese Eigenschaften nicht einem Etwas zuzuordnen, sondern den vergangenen Umständen, die die Eigenschaften kausal verursacht haben.

Das war dann wohl der Teil, wo ich mich zu weit aus dem Fenster lehnte und erschrocken zurück rudern möchte. Also: eigene Eigenschaften sind es schon. Nur nicht frei erworbene oder, sagen wir, in Eigenregie erbaute.

AgentProvocateur hat geschrieben:Sie gehören Dir, aber sie sind nicht Deine Idee? Hm, das ist merkwürdig. Bist Du nur Dein Bewusstsein? Das wäre immerhin eine Erklärung dafür.

Auch ein schwieriges Gewässer: was ist eine Idee? Ich meinte mit Idee hier, dass man im Hirn wirklich einen ganz neuen Gedanken hat, der nicht aus anderen Gedanken oder äußeren Impulsen folgt. Oder, um wieder mit dem Beispiel der Folgen-Kette zu kommen: ein Glied in der Kette, nennen wir es wieder C, welches nicht aus D folgt, sondern einfach so sein eigener Ursprung ist. Das meine ich mit "originär", nicht aus etwas anderem folgend, nicht abgeleitet sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das, was wir denken, ist von uns ausgedacht. Klar, von wem denn sonst (falls das nicht von Dritten induziert wurde)? Was hat Kausalität damit zu tun? Wieso wäre etwas Akausales mehr (oder überhaupt erst) von uns ausgedacht?

Ein akausaler Gedanke wäre originär insofern, als er nicht kausal aus einem anderen Gedanken oder anderen Reizen folgte. Ich gebe zu, sowohl kausale als auch akausale Gedanken werden von uns gedacht. Der wichtige Unterschied ist also nicht die Zuordnung sondern der Freiheitsgrad. Der kausale Gedanke folgt nur aus anderen Sachen. Der akausale Gedanke wäre wirklich neu, unabhängig, und daher in gewissem Sinne noch etwas mehr der eigene.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was ist also "echte Kontrolle"? Du kannst doch nicht einfach nur behaupten, "echte Kontrolle" sei nur möglich bei Akausalität, Du musst das begründen. Und ganz furchtbar hilfreich dabei wäre eben, wenn Du "echte Kontrolle" darstellen könntest, das, was sie bedeutet und ausmacht. Akausalität vermindert doch Kontrolle, sie erhöht sie keineswegs. Oder Du kannst zeigen, wie.
...
die Frage ist, wieso ein solcher Geist verantwortlicher und schuldiger machen würde? Das verstehe ich nicht, meiner Ansicht nach wäre ganz genau das Gegenteil der Fall: jemand, der von einem solchen Geist besessen wäre, wäre nicht zurechnungsfähig, daher nicht verantwortlich für seine Handlungen und ergo auch nicht schuld daran.

Du scheinst mir das mit dem dualistischen Geist trotz mancher Wiederholung einfach nicht abkaufen zu wollen :) Kann ich irgendwie verstehen, weil ich ja selbst nicht an seine Existenz glaube. Aber ziemlich viele Menschen tun das. Also so ganz aus der Welt ist diese Vorstellung offenbar nicht. Unsere materielle Welt ist kausal (obwohl das glauben viele Leute nun wieder nicht) und der einzige Weg, sich einen akausalen Denker vorzustellen wäre also, einen Teil des Gehirns in eine zweite Welt, der geistigen, zu verlagern. Und in dieser geistigen Welt herrschen andere Gesetze (welche weiß ich nicht, aber akausal scheint sie zu sein, wenn man den Annahmen der Dualisten folgt). Und daher kann der Geist akausal etwas wollen. Aber wie gesagt: der Geist ist nicht irgendwas Äußeres, sondern es ist das Ich des Menschen. Der Mensch ist also nicht von diesem Geist besessen sondern er ist der Geist. Entscheidungen des Geistes sind also Entscheidungen des Menschen, für die er schuldig ist, weil er sie akausal, also frei, fällen konnte.
Befreit von dem Diktat der kausalen Abhängigkeit hat der dualistische Mensch also die Möglichkeit, seine Gedanken nach anderen Kriterien zu kontrollieren. Er hat mehr Möglichkeiten, weniger Zwang und daher mehr Kontrolle.
Dieser dualistische Geist wäre die einzige Idee von "echter Kontrolle", die mir einfällt. Und zumindest in sich logisch scheint mir diese Vorstellung zu sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:a) Sie erlebt eine heiße Liebesnacht mit ihrem Partner
b) Sie wird von einem Einbrecher vergewaltigt
c) Wie b), diesmal aber ist der Vergewaltiger ein manifestierter Geist aus einer anderen Dimension, der akausal handelt
d) Jemand hypnotisiert sie so, dass sie nach der Hypnose auf den Hypnotiseur scharf ist und mit ihm ins Bett geht. Danach erst erfährt sie, wie es sich zugetragen hat.
...
a) wird man nicht als Zwang ansehen, b), c) und d) jedoch. Und das hat meiner Meinung nach nichts mit Kausalität und Akausalität zu tun, sondern nur damit, ob etwas gegen den eigenen Willen geschah, also nicht freiwillig.

(b), (c) und (d) sehe ich ebenfalls als Zwang an. (a) jedoch auch.
Wenn du schreibst: "a) wird man nicht als Zwang ansehen" meinst du dann den objektiven Zwang oder nur den subjektiv erlebten? Stimmst du der Definition des "objektiven Zwangs" überhaupt zu und willst sie nur nicht in diesem Kontext verwenden? Oder lehnst du die Existenz von "objektivem Zwang" gänzlich ab?

Subjektiv gesehen, gebe ich dir recht. Fall (a) geschah sicherlich im Einklag mit dem Willen der Dame.
Objektiv gesehen ist das aber kausal-mäßig natürlich auch ein Zwang. Für die heiße Liebesnacht (endlich mal ein richtig nettes Beispiel) gab es ja Gründe: (ich spekuliere mal) er fand sie toll, sie fand ihn toll (wie ich letztens mal hörte oft auch aufgrund seines Geruchs, der wiederum auf ein möglichst unterschiedliches Immunsystem hinweist, was dem potentiellen Nachwuchs mehr Gesundheitschancen verschafft), gesunder Sexualtrieb auf beiden Seiten, und was sonst alles noch dazu geführt hat.
Wo in dieser Ursachenkette wäre die Freiheit zu sehen? Wo hatte die Dame die Freiheit, "nein" zu sagen? Nirgendwo, da ja alles kausal erfolgte. Also hat sie in (a) ebensowenig Entscheidungsfreiheit wie in den anderen Fällen. Die subjektive Wahrnehmung könnte natürlich nicht gegensätzlicher sein.

Was aber nur zeigt, dass für die Frage des Zwangs eben nicht die subjektive Sicht zählen sollte. Für die "Schuld" stelle ich die Frage nach der "Entscheidungsfreiheit". Und für die Frage nach der "Entscheidungsfreiheit" stelle ich die Frage nach dem "objektiven Zwangs", denn nur der beantwortet die Frage.

AgentProvocateur hat geschrieben:frag, wen Du willst, mit obigen Fallbeispielen, da wird Dir kaum jemand zustimmen wollen.

Das muss ich zugeben. Wir Inkompatibilisten sind spürbar in der Minderheit, jedenfalls wenn ich die armen Seelen als Maßstab nehme, die ich schon in entsprechende Diskussionen verstrickte, und die allesamt bei ihrer Ansicht blieben, dass ich völlig falsch läge. Für mich allerdings noch nicht ganz das Aus. Denn mir will scheinen, dass das zumindest erklärbar ist durch die Übermacht des persönlichen Erlebens. Wie das Operationstisch-Beispiel ja zumindest ahnen lässt, ist unser Bewusstsein unter anderem eine Maschine zur Aufrechterhaltung der Illusion, dass wir ein freies, souveränes Individuum seien. Soweit ich hörte, scheint das eine wichtige Sache zu sein, wenn man sozial interagieren will in menschlichen Gemeinschaften. Das könnte einer der big points sein, die wir Menschen in letzter Zeit beim Evolutionsspiel machen konnten.
Ich vermute, sich dieses überwältigen Eindrucks zu entledigen, wenigstens in Theorie und für ein paar rationale Momente, dazu bedarf es vielleicht ein wenig Übung. Vielleicht muss man sich erst ein wenig mit dem Gedanken vertraut machen, zum Beispiel indem man zufällig Interesse am Thema hat. Ich könnte mir vorstellen, dass die Mehrzahl meiner Umgebung einfach andere Interessen hegt, weniger in diese Richtung denkt und deshalb relativ unvorbereitet von mir erwischt wird mit der üblicherweise ersten und letzten Frage: "Glaubst du, dass es in einer kausalen Welt einen freien Willen geben kann?"
Ist bestimmt wie bei allen Dingen, die der eigenen Intuition widersprechen: da sollte man sich von dem Argument "da kannst du fragen wen du willst" nicht ins Bockshorn jagen lassen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Bestimmte Sachen mache ich aber nicht unbewusst, ich schreibe diesen Beitrag bewusst. Ich weiß, was ich tue, obgleich ich viele Dinge unbewusst tue und auch viele Dinge, die ich gelernt habe, nicht mehr meine bewusste Aufmerksamkeit widmen muss. Ich habe aber noch nie z.B. meinen Nachbarn unbewusst getötet und das nachher erst mitbekommen. Sowas wäre bedenklich, in der Tat, aber das kam noch nie vor. Und bei anderen, die ich so kenne, auch nicht.

Unbewusst ist ja nunmal, per Definition, genau der Teil, den du (also dein Bewusstsein) nicht mitbekommst. Wie das Operationstisch-Beispiel andeutet, kann man offenbar auch hinterher, wenn man was gemacht hat, nicht völlig klar wissen, ob man sich bewusst entschieden hat oder nicht. Wenn du jetzt also behauptest, du wüsstest, was du bewusst gewollt hast und was nicht, dann widerspricht das aus meiner Sicht dem vorliegenden Kenntnisstand der Hirnforschung. Wie kannst du jemals sicher sein, den Inhalt deines Beitrags wirklich bewusst entschieden zu haben wenn das Beispiel des Operations-Patienten zeigt, dass sich das Bewusstsein in manchen Fällen sogar ganz eindeutig von außen induzierte Handlungen als die eigenen unter den Nagel reißt? Wer so etwas schafft, der kann sicher auch jede Form von unbewusster Entscheidung nachträglich als bewussten Willen "umdefinieren". Dass du also immer weisst was du tust, ist einfach sehr schwer zu glauben. Ich schaffs nicht ganz.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mo 25. Jan 2010, 22:59

Mark hat geschrieben:Wir brauchen ja trotz der gewissen totalen Kausalität einen juristischen Schuldbegriff.
Denn wir alle funktionieren auch nur dank eines Urteilstriebes zwecks Differenzierung sozialen Verhaltens. Ohne eine taugliche Definition von Schuld kommen wir nicht aus.

Soziales Verhalten können wir auch ohne Schuld beurteilen. Man könnte Urteile fällen wie "förderlich" oder "weniger gut". Ich finde, wir kommen sehr wohl ohne Schuld aus und werden, angesichts der Hirnforschungs-Sachlage, auch erst dadurch fair. Wir geben niemandem die Schuld, der sie nicht hat. Doch wir machen nach wie vor verantwortlich. Die Frage "wer war es?" und "wie wird er bestraft?" wäre also weiterhin stellbar und beantwortbar. Mehr braucht ein Jurist doch eigentlich nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wikipedia:

Schuld: "Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung verantwortlich ist."

Etwas weiter unten im Text bei Wikipedia heißt es dann:
    "Als Voraussetzung für Schuld wird meistens angenommen, dass der Schuldige die Wahlmöglichkeit hatte, die als schlecht definierte Tat zu unterlassen."
Genau diese Voraussetzung fällt ja bei konsequenter Anwendung der Kausalität weg. Ich schließe daraus, dass also insofern das komplette Schuld-Konzept wegfällt.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Di 26. Jan 2010, 00:10

@ganimed

Ich fasse mal ein bisschen zusammen.

"Der Gegensatz von Freiheit ist Zwang"

Dabei stimmen wir wohl überein. Aber nicht mehr bei dem, was wir jeweils unter "Zwang" verstehen.

"Zwang":
Du -> kausale Faktoren sind immer Zwang, akausale Faktoren nie
Ich -> Faktoren, die dem entgegenstehen, das behindern, was man will

Aus meiner Sicht können auch akausale Faktoren Zwang sein, die Frage nach Kausalität und Akausalität stellt sich da erst mal gar nicht, ist irrelevant: z.B. eine Kette, die mich an einen Stuhl fesselt, ist mAn Zwang, egal, ob die sich akausal aus dem Nichts materialisiert oder nicht.

Aus Deiner Sicht wäre diese Kette kein Zwang, da akausal entstanden. Und es gibt Deiner Auffassung nach keinen Unterschied zwischen konsensuellem und erzwungenem Sex, beides ist nach Deiner Ansicht in genau demselben Maße Zwang, es wäre falsch, da einen Unterschied bezüglich des Zwanges zu sehen.

Und dann kommen wir zu moralischer Verantwortung, Zurechenbarkeit einer Handlungen zu einem Subjekt, Zuweisung von Schuld (Vorwerfbarkeit einer Handlung).

Du sagst, Zuweisung von Schuld sei nur dann berechtigt, wenn es in einer Entscheidung irgendwo einen akausalen (also zufälligen) Faktor gäbe.

Das erscheint mir jedoch auch unplausibel, denn moralisch verantwortlich und schuldig für eine (normverletzende) Handlung hält man mE jemanden nur dann, wenn diese Handlung seiner Kontrolle unterlag, er sie unter Kenntnis der möglichen Folgen und Auswirkungen absichtlich durchgeführt hat. Wie aber ein akausaler Faktor (Zufall) Kontrolle erhöhen könnte, ist für mich nicht zu verstehen, denn Zufall vermindert doch wohl eher die Kontrolle.

Inkompatibilisten scheinen daraufhin in einem nächsten Schritt einfach behaupten zu wollen, es gäbe in der Realität gar keine Subjekte, daher auch keine Kontrolle, alles seien nur kausale Abläufe, das wäre alles.

Nun sind aber mE alle Weltsichten Interpretationen dieser kausalen Abläufe, wir unterscheiden, kategorisieren, interpretieren, konstruieren, aber Subjekte selber sind natürlich auch Teil dieser kausalen Abläufe, bzw. einen Teil der kausalen Abläufe nennen Materialisten "Subjekte". Die Behauptung, es existierten keine Subjekte, scheint mir daher grundsätzlich unkorrekt zu sein; behaupten könnte man statt dessen jedoch, dass das Konstrukt "Subjekt" ein Falsches sein, eine falsche Interpretation der Realität. Aber das müsste man dann auch begründen können, das ist ja keineswegs evident. Das läuft mE letzlich auf eine Hardcore-Version des eliminativen Materialismus hinaus, eine Weltsicht, die behaupten würde, es gäbe keine Weltsichten. Was sich ja nun auf den ersten Blick auch nicht so besonders einleuchtend anhört.

Na gut, wie auch immer. Leider bin ich nun bei meinem Bemühen, den inkompatibilistischen Standpunkt verstehen zu können, nicht näher gekommen. Dir erscheint Dein Standpunkt einfach intuitiv so selbstverständlich zu sein wie nur irgendwas, vielleicht so selbstverständlich, wie es mir erscheint, dass ich existiere. Aber mir will nun einfach nicht den Kopf, wie ein akausaler Faktor (völlig wurst, ob das ein "dualistischer Geist aus einer anderen Dimension" ist oder was anderes -> denn Akausalität läuft immer unweigerlich gleichermaßen auf Zufall hinaus), der mich manchmal (notwendigerweise) mit etwas von mir nicht Gewolltem (weder vorher noch nachher) dasitzen lässt (z.B. dem ollen Trabbi), Schuld (Vorwerfbarkeit) erst ermöglichen sollte; eine notwendige Voraussetzung für die Zuweisung von Schuld sei. Denn ein zufälliger Faktor würde die Schuld in meiner Sicht im Gegenteil vermindern, da er die Kontrolle vermindert. Ich meine, man kann nicht jemandem eine Handlung vorwerfen, die er nicht wollte und die er auch nicht kontrollieren konnte (-> z.B. Tourette).

Und ich sehe auf der anderen Seite nicht, wieso man jemandem eine Handlung, eine Normverletzung, die er willentlich und wissentlich begangen hat, nicht vorwerfen dürfen sollte. Ich meine, hier gibt es übrigens auch einen kleinen Widerspruch in der Argumentation vieler Inkompatibilisten: falls sie nämlich auf der einen Seite sagen, dass niemand seine Handlungen kontrollieren könne und auf der anderen Seite moralische Forderungen erheben (nach einem Sollen, z.B. einem veränderten Umgang mit Straftätern). Die aber doch nur dann Sinn ergeben können, wenn sie Subjekte mit Innenperspektive ansprechen wollen, die nach rationalen Gründen, eigenen Überlegungen und nach eigener Einsicht handeln können (-> "ought implies can, Sollen impliziert Können").
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Di 26. Jan 2010, 00:32

ganimed hat geschrieben:
Mark hat geschrieben:Wir brauchen ja trotz der gewissen totalen Kausalität einen juristischen Schuldbegriff.
Denn wir alle funktionieren auch nur dank eines Urteilstriebes zwecks Differenzierung sozialen Verhaltens. Ohne eine taugliche Definition von Schuld kommen wir nicht aus.

Soziales Verhalten können wir auch ohne Schuld beurteilen. Man könnte Urteile fällen wie "förderlich" oder "weniger gut". Ich finde, wir kommen sehr wohl ohne Schuld aus und werden, angesichts der Hirnforschungs-Sachlage, auch erst dadurch fair. Wir geben niemandem die Schuld, der sie nicht hat. Doch wir machen nach wie vor verantwortlich. Die Frage "wer war es?" und "wie wird er bestraft?" wäre also weiterhin stellbar und beantwortbar. Mehr braucht ein Jurist doch eigentlich nicht.

Aber genau das ist doch der juristische Schuldbegriff: verantwortlich für eine Normverletzung (-> die Normverletzung ist dem Subjekt vorwerfbar, da von ihm absichtlich, unter seiner Kontrolle liegend, verursacht). Nicht mehr und nicht weniger.

Alles andere sind doch nur Euphemismen, die nur der Selbstberuhigung und der Selbsteinschätzung des besseren Menschen dienen, wenn Du letztlich dasselbe damit meinst. Sprachkosmetik, nichts anderes. Und von Sprachkosmetik halte ich nicht viel, die führt nur in die Irre, mE.

Oder aber Du machst hier einen Unterschied, aber den sehe ich noch nicht. Ein wesentlicher Unterschied wäre es z.B., wenn Du nicht mehr zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Handlungen unterscheiden wollen würdest. Falls aber doch: das ist dann genau der juristische Schuldbegriff! Warum aber sollte man dasselbe plötzlich anders nennen? Das leuchtet mir überhaupt nicht ein.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Di 26. Jan 2010, 23:02

AgentProvocateur hat geschrieben:Leider bin ich nun bei meinem Bemühen, den inkompatibilistischen Standpunkt verstehen zu können, nicht näher gekommen.

In der Tat. Auch mir erscheint das Tempo des Weiterkommens gerade nicht sehr hoch. Ist doch wirklich lustig, wie unfähig man als Mensch offenbar ist, sich über teilweise intuitive Ansichten verbal zu einigen.

AgentProvocateur hat geschrieben:denn Akausalität läuft immer unweigerlich gleichermaßen auf Zufall hinaus

Hm, du stellst dir Akausalität nur als (sinnlosen) Zufall vor.
Besser wäre es, falls du partout dem dualistischen Geist nicht traust, dir Akausalität überhaupt nicht vorzustellen. Tu einfach so, als gäbe es keine Akausaltität. Ich meine zumindest, es gibt sie tatsächlich nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber mir will nun einfach nicht den Kopf, wie ein akausaler Faktor ... eine notwendige Voraussetzung für die Zuweisung von Schuld sei.

Ich habe den Eindruck, du bildest hier das Komplement meiner Aussagen und gelangst damit immer zu Widersprüchen in meiner Position.
Ich sage, dass es angesichts der Kausalität keine Freiheit gibt. Du sagst, aha, dann ist Freiheit also die Akausalität.
(Aber : es gibt keine Akausalität. Ich definiere daher Freiheit nicht durch Akausalität. Ich defininiere sie vielmehr durch Abwesenheit von Kausalität).
Ich sage, dass es ohne Freiheit keine Schuld gibt. Du sagst, dass es demnach also Schuld nur aufgrund von Akausalität gibt.
(auch hier ist das Komplement von "keine Freiheit bei Kausalität" durchaus "Freiheit bei Akausalität", aber die Komplementbildung führt hier in die Irre, ohne dass ich genau durchschauen würde, woran das eigentlich liegt)

Sagen wir also: Nicht die akausalen Faktoren wären notwendig für Schuld, sondern eine Freiheit wäre es. Erst bei einer freien Entscheidung, also in Abwesenheit von Zwang, könnte ich Schuld auf mich laden. Wenn man sich nun also nicht mit der unvorstellbaren Akausalität rumplagen möchte, dann reicht es doch, als Voraussetzung für Schuld die Abwesenheit von Zwang zu fordern.

Und damit wären wir wieder bei der Zwang-Definition, wo ich ja bisher den Hauptunterschied unserer Positionen sah.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und ich sehe auf der anderen Seite nicht, wieso man jemandem eine Handlung, eine Normverletzung, die er willentlich und wissentlich begangen hat, nicht vorwerfen dürfen sollte.

Mir scheint, unsere unterschiedliche Zwangsdefinition ist aber nun doch nicht der springende Punkt. Dieser Unterschied rechnet sich glaub ich raus. Und das geht so:

1. Unterschiedliche Zwang-Definitionen:
1a : Bei dir liegt Zwang vor, wenn Wille und Tat sich unterscheiden. (das entnehme ich durch Umformulierung aus dem obigen Zitat)
1b : Bei mir liegt Zwang vor, wenn Wille und Tat keine Alternativen haben.

2. Gemeinsame Ausgangslage:
Der Handelnde A hat die normverletzende Tat B begangen.
Wie beide wollen Schuld nur dann vergeben, wenn für A kein Zwang vorlag. Wenn A gezwungen war, B zu tun, dann lastet keine Schuld auf ihm.

3. Fast gleiches Ergebnis trotz unterschiedlicher Zwangsdefinition:
Aus 1a folgt: Du kannst A genau dann die Schuld geben, wenn A die Tat B gewollt hat.
Aus 1b folgt: Ich kann A genau dann die Schuld geben, wenn A anders hätte wollen oder anders hätte handeln können.

Im Grunde das gleiche: Wir beide würden A beschuldigen, wenn er anders hätte wollen können.
Es scheint mir daher, dass es irgendwie egal ist, welche Zwang-Definition wir verwenden. In Bezug auf die Schuld kommen wir zum gleichen Ergebnis.
Oder auch nicht, denn offenbar ist der Begriff Schuld für dich nicht leer und überflüssig. Was eigentlich nur heißt, dass du davon ausgehst, dass A anders hätte wollen können. Du nimmst also an, dass A einen freien Willen hat. Ich sehe das genau anders, nehme an, dass A keinen freien Willen hat und gebe ihm deshalb nie die Schuld.

Irgendwie kommt es mir gerade so vor, als seien wir kein Stück voran gekommen. Ich sage: es gibt keinen freien Willen. Du sagst, es gibt ihn doch. Und nur darin scheint unser Unterschied zu liegen. Seufz. Ist das alles mühsam :)

Meine Frage des Tages also: Wie kannst du einerseits die Kausalität anerkennen und dennoch die Vorstellung haben, dass ein Mensch auch anders hätte wollen können? Glaubst du, dass er sich unabhängig von kausalen Faktoren für einen Willen entscheiden kann?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 27. Jan 2010, 14:40

ganimed hat geschrieben:Meine Frage des Tages also: Wie kannst du einerseits die Kausalität anerkennen und dennoch die Vorstellung haben, dass ein Mensch auch anders hätte wollen können? Glaubst du, dass er sich unabhängig von kausalen Faktoren für einen Willen entscheiden kann?

Nein, Letzteres glaube ich nicht, denn ich halte akausale Faktoren doch kontraproduktiv für eine Kontrolle der eigenen Handlung, solche Faktoren können Kontrolle meiner Ansicht nach nicht erhöhen, ich wüsste jedenfalls nicht, wie. Kontrolle hat jemand nur dann, wenn er selber, d.h. aufgrund derjenigen Faktoren, die ein Teil von ihm sind, entscheiden und handeln kann.

Wir haben nun anscheinend unterschiedliche Vorstellungen darüber, was "hätte anders wollen können" und "Alternativen" bedeutet.

Nehmen wir mal ein Beispiel.

Ein einsames Waldstück, weit und breit kein Mensch, nur A, der gerade in einem See am Ertrinken ist und laut "Hilfe, ich ertrinke!" ruft und B, ein Spaziergänger, der in der Nähe ist und das hört.

Nun sei B ein sehr guter Schwimmer, dann hat er doch zweifellos zwei Alternativen: 1. in den See zu springen und A zu retten und 2. nicht einzugreifen und A seinem Schicksal zu überlassen. Die in einer anderen Situation mögliche Alternative, irgendwo schnell andere Hilfe zu holen, hat er hier jedoch nicht, denn da ist weit und breit kein anderer und A wird nicht mehr lange durchhalten, das ist abzusehen.

Nun nehmen wir mal B aus der gedachten Situation und ersetzen ihn durch einen C, der nicht schwimmen kann. Ihm steht schlicht die erste Alternative nicht zur Verfügung; würde er in den See springen, würde er vielleicht ebenfalls ertrinken, aber retten könnte er A auf keinen Fall.

i) Nehmen wir jetzt wieder B und nehmen wir an, B entscheidet sich für die Alternative 2. Dann ist das mE B vorzuwerfen, er hätte A retten sollen, er hat sich einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht. C wäre es jedoch nicht vorzuwerfen, dass er nicht eingegriffen hat, denn er hatte keine Möglichkeit dazu und Unmögliches kann nicht gefordert werden.

ii) Und jetzt nehmen wir mal statt unserer Welt eine akausale Welt, in der Entscheidungen willkürlich, ohne Grund und ohne Ursache getroffen würden und Handlungen ebenso zusammenhanglos ausgeführt würden. Auch dort hat B wieder nicht eingegriffen.

Du würdest nun B im Falle i) nicht für schuldig halten, weil eine Deiner Ansicht nach dringend benötigte Voraussetzung nicht gegeben war, nämlich Akausalität.

Und Du würdest B im Falle ii) für schuldig halten, während ich ihn in dem Falle für unschuldig hielte, denn seine Entscheidung und Handlung unterlagen nicht seiner Kontrolle. In der Welt ii) würde übrigens unser ganzes Recht automatisch gegenstandlos werden, es hätte keine Grundlage mehr, es gäbe dort keine moralischen Subjekte, die rechtsfähig wären.

Für die Vorwerfbarkeit einer Handlung und die Forderung nach einem Sollen ist also meiner Ansicht nach eine gewisse Kontrolle über die eigene Entscheidung und die daraus folgende Handlung notwendige Voraussetzung. Die Frage hier wäre dann: konntest du es nicht tun oder wolltest du es nur nicht tun, obwohl du es hättest tun können?

Welche ist es Deiner Ansicht nach, wenn es nicht Kontrolle ist, bzw. falls es das ebenfalls ist: wie kann Kontrolle durch Akausalität (was ja wohl genau dasselbe ist, wie "Fehlen von Kausalität") erhöht werden?

Und wie kannst Du überhaupt eine Forderung nach einem Sollen erheben, wenn Du meinst, es gäbe gar kein Können, immer nur ein Müssen? Das passt meiner Ansicht nach nicht zusammen, denn "Sollen impliziert Können" ist ein weithin akzeptierter Grundsatz einer Ethik.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mi 27. Jan 2010, 21:05

AgentProvocateur hat geschrieben:denn ich halte akausale Faktoren doch kontraproduktiv für eine Kontrolle der eigenen Handlung, solche Faktoren können Kontrolle meiner Ansicht nach nicht erhöhen

Akausale Faktoren? Sind das nicht diese Dinge, die es, zumindest meiner Meinung nach nicht gibt? Kannst du ein Beispiel nennen, was du darunter nochmal verstehst?

Dein Beispiel mit dem Ertrinkenden und den Rettern B und C finde ich gut gewählt. Am konkreten Beispiel redet es sich leichter.

AgentProvocateur hat geschrieben:i) Nehmen wir jetzt wieder B und nehmen wir an, B entscheidet sich für die Alternative 2. Dann ist das mE B vorzuwerfen, er hätte A retten sollen, er hat sich einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht.

Wieso hat B sich für Alternative 2 entschieden? In einer kausalen Welt hatte das ja schließlich Gründe. Nehmen wir einfach mal folgendes an: B kann zwar gut schwimmen, hat aber als Kleinkind im Schwimmbad mal seine Ente retten wollen und wäre dabei fast ertrunken. Das hat eine tiefe, emotionale, unbewusste Sperre verursacht. Immer wenn er nun an einem Gewässer jemanden ertrinken sieht, wird er angesichts seiner traumatischen Kindheitserinnerung praktisch gelähmt vor Angst. Obwohl sein Bewusstsein der Meinung ist, dass er doch eigentlich gut schwimmen könnte, setzt sich der Impuls aus dem frühkindlichen, emotionalen Gedächtnis durch. B tut nichts.

Würdest du unter dieser Ursachen-Annahme immer noch sagen, dass B sich schuldig gemacht hat? Ich würde denken, dass B nichts für sein Handeln konnte. Und wenn es nicht die angenommene Ursache ist, dann ist es eine andere. Irgendeine Ursache, für die B nichts kann, hat sein Verhalten in einer kausalen Welt immer.

AgentProvocateur hat geschrieben:ii) Und jetzt nehmen wir mal statt unserer Welt eine akausale Welt, in der Entscheidungen willkürlich, ohne Grund und ohne Ursache getroffen würden und Handlungen ebenso zusammenhanglos ausgeführt würden.

Entscheidungen sind in der akausalen Welt in der Tat willkürlich. Aber wieso sind Handlungen zusammenhanglos?

Wenn B sich in der akausalen Welt fürs Nichtstun entscheidet, dann ist er dabei unabhängig von kausalen Faktoren. Er hatte demnach auch die Möglichkeit, sein Kindheitstrauma zu ignorieren (welches ja der kausale Faktor in (i) war). Jemand aber, der ohne Grund den armen A ertrinken lässt, halte ich in der Tat für schuldig.

AgentProvocateur hat geschrieben:während ich ihn in dem Falle für unschuldig hielte, denn seine Entscheidung und Handlung unterlagen nicht seiner Kontrolle.

Woher weißt du das? Ich vermute, du unterstellst wieder, dass B zufällig und völlig beliebig entscheidet, weil Zufall das einzige akausale ist, was du dir vorstellen kannst? Könnte es nicht sein, dass wir uns nur deshalb nichts anderes vorstellen können, weil unsere Gehirne nunmal in einer kausalen Welt entstanden und wir deshalb nicht fähig sind, akausal zu denken?
Aber wie auch immer. Eigentlich brauchen wir uns ja über (ii) nicht zu streiten, weil wir ja beide der Ansicht sind, dass es eine akausale Welt nicht gibt. Jedenfalls nicht hier. Oder?

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage hier wäre dann: konntest du es nicht tun oder wolltest du es nur nicht tun, obwohl du es hättest tun können?

Wenn B es nicht tun konnte, dann hälst du ihn für unschuldig. (ich auch)
Im zweiten Halbsatz unterstellst du, wenn ich richtig verstehe, dass er es hätte tun können, obwohl er es nur nicht wollte.

Kannst du tun was du nicht willst, obwohl im friedlichen Waldstück dich niemand hindert, das zu tun was du willst? Ich glaube nein. Also was man will, das tut man auch (solange nichts anderes dagegen spricht). Was macht dann noch dein "wolltest du es nur nicht tun, obwohl du es hättest tun können" für einen Sinn? Wenn ich es nur nicht wollte, dann konnte ich es auch nicht tun. Und seinen Willen kann man sich ja nicht aussuchen, wegen der kausalen Abhängigkeit. Also kann man so oder so sagen: B konnte es nicht tun. Damit wäre B immer unschuldig, auch nach deinen Maßstäben.

Für die Vorwerfbarkeit einer Handlung und die Forderung nach einem Sollen ist also meiner Ansicht nach eine gewisse Kontrolle über die eigene Entscheidung und die daraus folgende Handlung notwendige Voraussetzung. ... wie kann Kontrolle durch Akausalität (was ja wohl genau dasselbe ist, wie "Fehlen von Kausalität") erhöht werden?

Hier bildest du wieder das Komplement. Ich sage, Zwang ist Anwesenheit von Kausalität. Du sagst, ich würde behaupten, dass Freiheit die Anwesenheit von Akausalität sei. Rein mathematisch stimmt das ja auch. Aber in diesem Fall macht das Komplement wenig Sinn, weil wir eigentlich nichts wissen von Akausalität und wir sie uns ja noch nicht einmal vorstellen können. Der echte Zufall ist es nämlich nicht unbedingt. Zwar ist echter Zufall akausal, aber es könnte noch viele weitere Dinge geben, die akausal sind. Die Umkehrrichtung "Akausalität besteht nur aus echtem Zufall" stimmt als nicht unbedingt.
Deshalb sind deine Versuche, das Komplement meiner Aussagen in Widersprüche zu führen, irgendwie fruchtlos finde ich.

Wieso bleiben wir nicht im Diesseits und du erklärst mir, wieso man angeblich frei ist, wenn alle meine Handlungen und mein Wollen von kausalen Faktoren abhängen?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 28. Jan 2010, 01:00

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:denn ich halte akausale Faktoren doch kontraproduktiv für eine Kontrolle der eigenen Handlung, solche Faktoren können Kontrolle meiner Ansicht nach nicht erhöhen

Akausale Faktoren? Sind das nicht diese Dinge, die es, zumindest meiner Meinung nach nicht gibt? Kannst du ein Beispiel nennen, was du darunter nochmal verstehst?

Ja, na klar. Ein akausaler Faktor ist immer ein solcher, der prinzipiell nicht auf Vorheriges zurückzuführen ist, ein Faktor also, der einfach so aus dem Nichts entsteht, beliebig, könnte in derselben Situation auch ganz anders sein, überrraschend, irgendwie oder auch das Gegenteil davon. Er ist das Gegenstück zu einem kausalen Fkator, welcher nämlich immer von vorherigen Zuständen abhängt, der ist nicht beliebig.

Es spielt ja hier erst mal keine Rolle, ob ein solcher akausaler Faktor in unserer Welt tatsächlich existiert oder nicht: er ist denkbar. Und Du behauptest, er sei notwendige oder sogar hinreichende Voraussetzung für Freiheit. Was begründet werden müsste, ein Appell an die Intuition akzeptiere ich nicht als Begründung, ich finde das nämlich nicht plausibel, ganz im Gegenteil sogar.

Ein Beispiel habe ich auch oben gebracht: eine Eisenkette, die sich aus dem Nichts geheimnisvollerweise materialisiert und mich an den Stuhl fesselt. Die fände ich aber, obgleich sie akausal entstanden wäre, dennoch weniger freiheitsfördernd, sie würde mich nämlich ziemlich bei dem behindern, was ich tun will. Nach meinem Verständnis wäre das dann also Zwang.

Ein anderes Beispiel war das mit dem Trabbi, den ich nie wollte, den ich aber dennoch akausal erstanden habe. Was mich immer noch ärgert und was ich immer noch nicht verstehen kann, wieso ich das tun musste (-> gegen meinen Willen).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:i) Nehmen wir jetzt wieder B und nehmen wir an, B entscheidet sich für die Alternative 2. Dann ist das mE B vorzuwerfen, er hätte A retten sollen, er hat sich einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht.

Wieso hat B sich für Alternative 2 entschieden? In einer kausalen Welt hatte das ja schließlich Gründe. Nehmen wir einfach mal folgendes an: B kann zwar gut schwimmen, hat aber als Kleinkind im Schwimmbad mal seine Ente retten wollen und wäre dabei fast ertrunken. Das hat eine tiefe, emotionale, unbewusste Sperre verursacht. Immer wenn er nun an einem Gewässer jemanden ertrinken sieht, wird er angesichts seiner traumatischen Kindheitserinnerung praktisch gelähmt vor Angst.

Ja, das wäre dann etwas, was ich als "inneren Zwang" ansehe: er könnte A nicht retten, selbst, wenn er wollte. Seine Phobie vor dem Wasser verhindert das. Er hat daher keine Kontrolle über seine Entscheidung. Er will vielleicht A mit ganzer Kraft retten, aber er kann nicht. Er wäre dann auch nicht schuld, denn Unmögliches kann nicht verlangt werden. Wie gesagt, das ist ein wichtiger Rechtsgrundsatz.

Aber wenn er keine solche Phobie hat, dann ist es seine Entscheidung. Dann will er einfach nicht und das ist ihm dann mE vorwerfbar.

ganimed hat geschrieben:Wenn B sich in der akausalen Welt fürs Nichtstun entscheidet, dann ist er dabei unabhängig von kausalen Faktoren. Er hatte demnach auch die Möglichkeit, sein Kindheitstrauma zu ignorieren (welches ja der kausale Faktor in (i) war). Jemand aber, der ohne Grund den armen A ertrinken lässt, halte ich in der Tat für schuldig.

Aber auch B in unserer Welt hat keinen Grund, (nehmen wir jetzt mal an, er wäre ein normaler Mensch ohne Phobie), außer vielleicht, dass er seinen Anzug nicht ruinieren will. Aber das ist kein guter, kein hinreichender, kein entschuldigender Grund.

Und B in der akausalen Welt hatte auch keinen Grund. Überhaupt keinen. Nie, für gar nichts. Er hatte gar keine Kontrolle über seine Handlungen, alles geschah einfach nur so, egal, was er eigentlich wollte. Wie sollte man ihm das vorwerfen können?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage hier wäre dann: konntest du es nicht tun oder wolltest du es nur nicht tun, obwohl du es hättest tun können?

Wenn B es nicht tun konnte, dann hälst du ihn für unschuldig. (ich auch)
Im zweiten Halbsatz unterstellst du, wenn ich richtig verstehe, dass er es hätte tun können, obwohl er es nur nicht wollte.

Kannst du tun was du nicht willst, obwohl im friedlichen Waldstück dich niemand hindert, das zu tun was du willst? Ich glaube nein. Also was man will, das tut man auch (solange nichts anderes dagegen spricht). Was macht dann noch dein "wolltest du es nur nicht tun, obwohl du es hättest tun können" für einen Sinn? Wenn ich es nur nicht wollte, dann konnte ich es auch nicht tun.

Ich sehe schlicht einen Gegensatz zwischen wollen und können. Es ist mE nicht notwendig, dass jemand das tun kann, was er nicht tun will (siehe oben mein Beispiel mit den Zylindern, genau dafür war das gedacht). Es kommt nur darauf an, dass er etwas hätte tun können, wenn er es gewollt hätte. Wenn er eine Phobie hat oder wenn er nicht schwimmen kann, dann hätte er es auch nicht tun können, wenn er gewollt hätte, (und dann wird man ihm sein Nichthandeln nicht mehr vorwerfen, denn man kann ja nicht feststellen, was er gewollt hätte, wenn er gekonnt hätte).

Wie soll das auch konkret aussehen: etwas tun, was man nicht will und wieso sollte jemand dafür verantwortlich sein können? Kann er doch wohl nur, wenn er etwas getan hat, was er wollte und beabsichtigte, aber nie, wenn etwas geschehen ist, was er nicht wollte. Oder doch? Wie?

ganimed hat geschrieben:Und seinen Willen kann man sich ja nicht aussuchen, wegen der kausalen Abhängigkeit.

Hum, wieso das denn? Es ist doch wohl grundnotwendige Voraussetzung für eine rationale Entscheidung, dass die von meinen Eigenschaften, meinen Einstellungen, meinen Gefühlen, meinen Gedanken, dem also, was ich bin, was mich erst zu einer Person macht, determiniert wird, dass die mit mir zusammenhängt.

Wie auch sonst? Was genau verstehst überhaupt Du unter "man" in dem obigen Satz, wenn Du Unabhängigkeit der Entscheidung von sich selber forderst?

ganimed hat geschrieben:Ich sage, Zwang ist Anwesenheit von Kausalität. Du sagst, ich würde behaupten, dass Freiheit die Anwesenheit von Akausalität sei. Rein mathematisch stimmt das ja auch. Aber in diesem Fall macht das Komplement wenig Sinn, weil wir eigentlich nichts wissen von Akausalität und wir sie uns ja noch nicht einmal vorstellen können.

Unsinn. Akausalität ist etwas, das nicht kausal ist. Das bedeutet logischerweise, es muss etwas sein, das einfach so aus dem Nichts entsteht. Klar kann man sich das vorstellen, wieso auch nicht?

ganimed hat geschrieben:Zwar ist echter Zufall akausal, aber es könnte noch viele weitere Dinge geben, die akausal sind.

Ach ja? Zum Beispiel?

ganimed hat geschrieben:Wieso bleiben wir nicht im Diesseits und du erklärst mir, wieso man angeblich frei ist, wenn alle meine Handlungen und mein Wollen von kausalen Faktoren abhängen?

Meiner Ansicht nach ist man dann frei, wenn man a) Handlungsfreiheit besitzt, d.h. tun kann, was man will und b) Willensfreiheit besitzt, d.h. die Folgen seiner Entscheidungen abschätzen und diese danach ausrichten kann.

Nun gut. Entweder meinst Du, das sei nun nicht richtig frei, dann müsstest Du sagen, was richtige Freiheit bedeutet und wieso oder Du meinst, das sei in einer determinierten Welt nicht möglich. Und auch das müsstest Du begründen.

Aber Du kannst doch nicht einfach sagen: vielleicht gibt es da noch was jenseits der Kausalität, was aber kein Zufall ist, aber ich weiß nicht was und das ist dann Freiheit, eine notwendige Voraussetzung für Freiheit. Ich weiß zwar nicht was, aber das isses. Einfach so, kann ich auch nicht begründen, weil ich es nicht kenne, ist aber trotzdem so.

Unbefriedigender geht es ja kaum noch.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Sa 30. Jan 2010, 12:36

AgentProvocateur hat geschrieben:Ein akausaler Faktor ist immer ein solcher, der prinzipiell nicht auf Vorheriges zurückzuführen ist ...
Ein Beispiel habe ich auch oben gebracht: eine Eisenkette, die sich aus dem Nichts geheimnisvollerweise materialisiert und mich an den Stuhl fesselt. ... Nach meinem Verständnis wäre das dann also Zwang.

Das akausale an der Eisenkette ist ihr Erscheinen. Dass du dich dann nicht mehr bewegen kannst, ist nicht akausal sondern liegt kausal an der Kette. Die Kette ist da dann auch schon nicht mehr akausal, sondern, so verstehe ich dein Beispiel, verhält sich dann wie eine normale Kette. Dein Beispiel hinkt also etwas. Der Zwang entsteht durch die kausalen, physikalischen Kräfte, die die Kette auf dich ausübt. Akausal war nur ihr Erscheinen. Und dort blitzte in der Tat Freiheit auf. Wer immer entschieden hat, die Kette soll jetzt erscheinen, der hat frei entscheiden können, zumindest frei von kausaler Abhängigkeit. Du, der du auf dem Stuhl sitzt, hast natürlich nichts von der freien Entscheidung eines anderen, wenn der (oder die oder das) entschied, dir eine Kette an den Stuhl zu wünschen. Auf dich wird dann also tatsächlich Zwang ausgeübt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ein anderes Beispiel war das mit dem Trabbi, den ich nie wollte, den ich aber dennoch akausal erstanden habe.

Das Beispiel habe ich anders verstanden. Wenn du ihn nicht wolltest, verstehe ich das irgendwie. Das ist nämlich das alte, kausale Lied. Du siehst zwei Autos und willst automatisch, sklavisch und ohne jede Freiheit das bessere. Darum ging es doch gerade. Dein Wille war kausal und deshalb nicht frei. Wenn in diese Situation die Akausalität als Freiheit eingeführt wird, dann natürlich an dem Punkt, wo du deinen Willen bildest. Man drückt dir also kein Auto gegen deinen Willen auf sondern gäbe dir die akausale Freiheit, den Trabbi zu wollen. Das Kaufen wäre dann wieder kausal. Weil du ihn wolltest hast du ihn auch bezahlt. Durch Akausalität wird der Wille frei und nicht etwa die Handlung vom Willen entkoppelt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Er will vielleicht A mit ganzer Kraft retten, aber er kann nicht.

Er will vielleicht? Da taucht wieder die Frage auf, wo das Ich eines Menschen überhaupt aufhört. Gehören seine frühkindlichen Erfahrungen und Erinnerungen noch zu "ihm"? Wenn ja, dann wollte B doch nicht mit ganzer Kraft. Ein Teil, der rationale zum Beispiel, wollte bestimmt. Ein anderer Teil, sein Trauma aus der Kinheit, wollte nicht. Letzteres hat bei der Abstimmung gewonnen. Also wollte B insgesamt nicht. So würde ich es zumindest interpretieren.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber wenn er keine solche Phobie hat, dann ist es seine Entscheidung. Dann will er einfach nicht und das ist ihm dann mE vorwerfbar.

"Dann will er einfach nicht"? Hat sich hier bei dir plötzlich doch wieder Akausalität eingeschlichen? Ich glaube es ja nicht wirklich, aber es klingt ein wenig danach. Was also meinst du mit "er will einfach nicht". Ob einfach oder kompliziert: in einer kausalen Welt hat er ja einen Grund für sein Wollen. Die Frage ist dann doch also nur: welche Gründe akzeptierst du als Entschuldigung und welche nicht. Das angegebene Beispiel mit der Phobie aufgrund einer Kindheitserfahrung lässt du gelten. Gib mal bitte ein Beispiel an für einen Grund des Wollens von B, den du nicht akzeptierst und wo du B also trotz des Grundes als schuldig ansiehst.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und B in der akausalen Welt hatte auch keinen Grund. Überhaupt keinen. Nie, für gar nichts. Er hatte gar keine Kontrolle über seine Handlungen, alles geschah einfach nur so, egal, was er eigentlich wollte.

Hier ziehst du wieder deine Schlüsse über eine akausale Welt, die wir beide nicht kennen. Wieso hat er in ihr keine Kontrolle? Wieso geschah etwas egal was er wollte? Wieso kann es nicht so sein, dass B im akausalen Falle nur etwas anderes wollen kann als in der kausalen? Und natürlich hat er dann Kontrolle. Viel mehr sogar als in der kausalen Welt. Er kann sich frei aussuchen, was er wollen will.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich sehe schlicht einen Gegensatz zwischen wollen und können. ... Wenn er eine Phobie hat oder wenn er nicht schwimmen kann, dann hätte er es auch nicht tun können, wenn er gewollt hätte ... Wie soll das auch konkret aussehen: etwas tun, was man nicht will und wieso sollte jemand dafür verantwortlich sein können?

Ich entnehme diesen Passagen, dass du trennst zwischen Wollen und Handlung und dass du B die Schuld nur immer an seinem Willen gibst, nicht aber an seinen Handlungen. So kann man es sehen (obwohl ich den Willen ja eher so definieren würde, dass er immer dem Handeln entspricht).

Wenn wir also mal in diesem Bild bleiben, können wir die Handlung im Grunde genommen weglassen. Dann reden wir nur noch darüber, was B wirklich gewollt hat. Du sagst dann in etwa: Wollte B A retten, dann ist B unschuldig, egal was er dann getan hat (aus Zwang). Wollte er es nicht, dann ist er schuldig.

Und genau das verstehe ich nicht. Bei Handlungen scheinst du dir bewusst zu sein, dass sie kausal determiniert sind. Beim Willen blendest du das, zumindest scheint es mir in diesem Beispiel so, ein wenig aus. Denn wie kannst du B, der A nicht retten wollte, schuldig sprechen ohne nach den Gründen dieses Wollens zu fragen? Wieso interessieren dich diese Gründe nicht? Bist du insgeheim doch irgendwie der Ansicht, dass Bs Wille akausal ist und damit schuldfähig?

AgentProvocateur hat geschrieben:Akausalität ist etwas, das nicht kausal ist. Das bedeutet logischerweise, es muss etwas sein, das einfach so aus dem Nichts entsteht. Klar kann man sich das vorstellen, wieso auch nicht?

Wieso auch nicht? Na weil unser Gehirn noch nie damit zu tun hatte und nie damit zu tun haben wird. Es wäre zumindest naheliegend, wenn wir in unserer Evolution also auch niemals einen Sinn, ein Vorstellungsvermögen für Akausalität entwickelt hätten. Genau dasselbe ist es wohl mit dem 17 dimensionalen Raum. Den kann sich auch keiner vorstellen. Du scheinst dir eine simple Vorstellung von Akausalität zurecht gelegt zu haben, nämlich den echten Zufall. Aber ich behaupte, dass diese Vorstellung nicht stimmen muss und vor allem, dass du dir in Wirklichkeit nicht einmal echten Zufall vorstellen kannst, weil es den nämlich auch nicht gibt. Der Zufall, den wir hier in unserer Welt haben, ist nämlich keiner, weil er kausal ist. Die Würfel fallen so, weil sie so geworfen wurden, die Tischoberfläche so ist und alles andere auch. Ich meine daher, dass Akausalität ein theoretisches Konzept ist, welches wir uns nicht vorstellen können. Und Pseudozufall hilft da auch nicht als Vorstellungsmittel.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Zwar ist echter Zufall akausal, aber es könnte noch viele weitere Dinge geben, die akausal sind.
Ach ja? Zum Beispiel?

Das Dröhnbucki und der Spunk. All das, was es in unserer Welt nicht gibt, was wir nicht kennen und für das wir keine Bezeichnung haben. Äh, na ok, ich gebs zu, ich habe kein Beispiel dafür. Wie denn aber auch?

AgentProvocateur hat geschrieben:Meiner Ansicht nach ist man dann frei, wenn man a) Handlungsfreiheit besitzt, d.h. tun kann, was man will und b) Willensfreiheit besitzt, d.h. die Folgen seiner Entscheidungen abschätzen und diese danach ausrichten kann.

(a) unterschreibe ich. Bei (b) würde mich interessieren, wie denn die Abschätzung und die Ausrichtung erfolgen. Denn wenn diese beiden Dinge in sich unfrei wären, dann wäre deine Willensfreiheit ja dann doch wohl keine, oder?
Beispiel Colaautomat: der kann die Folgen seiner Entscheidung sicher leicht abschätzen (tun wir mal für den Moment so, der Colaautomat könnte 'automatisch' denken). "Bisher war es immer so, dass der Kunde sich die Flasche unten raus nimmt. Dann wird es diesmal auch so sein". Folgen abschätzen: check! Er kann seinen Willen danach ausrichten: "wenn die Münze passt, dann will ich ne Flasche unten rausgeben, weil der Kunde nimmt die dann immer". Ausrichtung des Willens nach der Abschätzung seiner Entscheidung: check! Und jedesmal wenn jemand ne Münze reinwirft und auf den Cola-Knopf drückt, muss der Automat die Flasche spendieren, ob er nun will oder nicht. Willensfreiheit: Fehlanzeige.
Will sagen: Selbst ein Automat, der per Definition unfrei ist, könnte die von dir angesprochenen Voraussetzungen erfüllen, würde dadurch aber nicht freier (nur sein unfreier Mechanismus ein wenig komplizierter).
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 30. Jan 2010, 15:57

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ein akausaler Faktor ist immer ein solcher, der prinzipiell nicht auf Vorheriges zurückzuführen ist ...
Ein Beispiel habe ich auch oben gebracht: eine Eisenkette, die sich aus dem Nichts geheimnisvollerweise materialisiert und mich an den Stuhl fesselt. ... Nach meinem Verständnis wäre das dann also Zwang.

Das akausale an der Eisenkette ist ihr Erscheinen. Dass du dich dann nicht mehr bewegen kannst, ist nicht akausal sondern liegt kausal an der Kette. Die Kette ist da dann auch schon nicht mehr akausal, sondern, so verstehe ich dein Beispiel, verhält sich dann wie eine normale Kette. Dein Beispiel hinkt also etwas. Der Zwang entsteht durch die kausalen, physikalischen Kräfte, die die Kette auf dich ausübt. Akausal war nur ihr Erscheinen. Und dort blitzte in der Tat Freiheit auf.

Oh. Ja, dann können wir auch gerne statt der Kette einen akausalen Geist aus einer anderen Dimension nehmen, der einfach akausal, aber nicht physikalisch, bewirkt, dass ich nicht aufstehen kann. Das wäre für mich immer noch Zwang.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ein anderes Beispiel war das mit dem Trabbi, den ich nie wollte, den ich aber dennoch akausal erstanden habe.

Das Beispiel habe ich anders verstanden. Wenn du ihn nicht wolltest, verstehe ich das irgendwie. Das ist nämlich das alte, kausale Lied. Du siehst zwei Autos und willst automatisch, sklavisch und ohne jede Freiheit das bessere. Darum ging es doch gerade. Dein Wille war kausal und deshalb nicht frei. Wenn in diese Situation die Akausalität als Freiheit eingeführt wird, dann natürlich an dem Punkt, wo du deinen Willen bildest.

Ich habe doch die Freiheit, den Trabbi zu wollen, es gibt ja keine äußeren Umstände, die mich davon abhalten. Aber ich will ihn nicht und das aus guten Gründen, meinen Gründen. Ich wäre ja nicht freier, wenn ich ihn wollen müsste, d.h. wenn ich ihn gegen meinen Willen nehmen müsste.

Irgendwann entscheide ich etwas (nehme ich den Trabbi, nehme ich den Passat, nehme ich keinen von beiden, nehme ich beide). Und das entweder nach meinen Gründen und Vorlieben oder unabhängig davon. Aber Letzteres wäre mE nicht freier.

Selbst wenn man die exakt identische Situation 5 Milliarden Mal wiederholen würde: ich würde immer den Passat nehmen und das als meine Entscheidung ansehen. Würde ich dabei ein einziges Mal den Trabbi nehmen, würde ich das dann nicht als meine Entscheidung ansehen, als nicht von meinen Gründen abhängig, als fremdgesteuert und daher als Zwang.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Er will vielleicht A mit ganzer Kraft retten, aber er kann nicht.

Er will vielleicht? Da taucht wieder die Frage auf, wo das Ich eines Menschen überhaupt aufhört. Gehören seine frühkindlichen Erfahrungen und Erinnerungen noch zu "ihm"? Wenn ja, dann wollte B doch nicht mit ganzer Kraft. Ein Teil, der rationale zum Beispiel, wollte bestimmt. Ein anderer Teil, sein Trauma aus der Kinheit, wollte nicht. Letzteres hat bei der Abstimmung gewonnen. Also wollte B insgesamt nicht. So würde ich es zumindest interpretieren.

Es gibt Zwangshandlungen, die einen das tun lassen, was man nicht will und es gibt z.B. Phobien, die einen nicht das tun lassen, was man will. Oder dort: Zwangsstörung: "Zwangshandlungen: Zwanghaft gegen oder ohne den Willen ausgeführte Handlungen."

Es ist also so: B will, aber er kann nicht. Seine Phobie ist etwas, das er nicht als Teil von sich ansieht, er wäre sie gerne komplett los, lieber heute als morgen.

ganimed hat geschrieben:Ob einfach oder kompliziert: in einer kausalen Welt hat er ja einen Grund für sein Wollen. Die Frage ist dann doch also nur: welche Gründe akzeptierst du als Entschuldigung und welche nicht. Das angegebene Beispiel mit der Phobie aufgrund einer Kindheitserfahrung lässt du gelten. Gib mal bitte ein Beispiel an für einen Grund des Wollens von B, den du nicht akzeptierst und wo du B also trotz des Grundes als schuldig ansiehst.

Aber das habe ich doch oben schon getan: er wollte seinen Anzug nicht ruinieren. Das würde ich als Entschuldigung nicht akzeptieren.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und B in der akausalen Welt hatte auch keinen Grund. Überhaupt keinen. Nie, für gar nichts. Er hatte gar keine Kontrolle über seine Handlungen, alles geschah einfach nur so, egal, was er eigentlich wollte.

Hier ziehst du wieder deine Schlüsse über eine akausale Welt, die wir beide nicht kennen. Wieso hat er in ihr keine Kontrolle? Wieso geschah etwas egal was er wollte? Wieso kann es nicht so sein, dass B im akausalen Falle nur etwas anderes wollen kann als in der kausalen? Und natürlich hat er dann Kontrolle. Viel mehr sogar als in der kausalen Welt. Er kann sich frei aussuchen, was er wollen will.

Kontrolle bedeutet meiner Ansicht nach: ich kann etwas in meinem Sinne beeinflussen. Das bezieht sich auf Äußeres, (kann tun, was ich will), aber auch auf Inneres, (kann mich selber in meinem Sinne beeinflussen, mein Wollen und Tun neu ausrichten, durch Selbstreflexion). Aber für diese Kontrolle ist Kausalität notwendige Voraussetzung, Akausalität kann mE keine neue Qualität zu diesem Prozess hinzufügen, ich weiß jedenfalls nicht, wie. Und Du weißt es auch nicht, behauptest es aber dennoch.

ganimed hat geschrieben:Du sagst dann in etwa: Wollte B A retten, dann ist B unschuldig, egal was er dann getan hat (aus Zwang). Wollte er es nicht, dann ist er schuldig.

Ja. Wobei man natürlich letztlich meist nicht feststellen kann, was B wirklich wollte, daher kann man nur seine Handlung betrachten. Und außerdem musste B hinreichend dazu in der Lage gewesen sein, die Situation abschätzen und einordnen zu können. Wovon man aber mE bei einem durchschnittlichen Erwachsenen ausgehen kann.

ganimed hat geschrieben:Und genau das verstehe ich nicht. Bei Handlungen scheinst du dir bewusst zu sein, dass sie kausal determiniert sind. Beim Willen blendest du das, zumindest scheint es mir in diesem Beispiel so, ein wenig aus. Denn wie kannst du B, der A nicht retten wollte, schuldig sprechen ohne nach den Gründen dieses Wollens zu fragen? Wieso interessieren dich diese Gründe nicht? Bist du insgeheim doch irgendwie der Ansicht, dass Bs Wille akausal ist und damit schuldfähig?

Das verstehe ich nun wieder nicht. Nach meiner Ansicht ist es doch zwingend notwendig, dass die Entscheidung und die Handlung determiniert war und zwar durch die entscheidende und handelnde Person. Wäre Bs Wille/Entscheidung/Handlung akausal entstanden, dann spräche das meiner Auffassung nach sehr dafür, dass seine Schuldfähigkeit dadurch vermindert war.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Zwar ist echter Zufall akausal, aber es könnte noch viele weitere Dinge geben, die akausal sind.

Ach ja? Zum Beispiel?

Das Dröhnbucki und der Spunk. All das, was es in unserer Welt nicht gibt, was wir nicht kennen und für das wir keine Bezeichnung haben. Äh, na ok, ich gebs zu, ich habe kein Beispiel dafür. Wie denn aber auch?

Akausalität -> nicht(Kausalität) -> etwas geschieht ohne Ursache -> echter Zufall

Und entweder kausal oder nicht kausal (= Akausalität), tertium non datur.

Natürlich hast Du also kein Beispiel für Deine Behauptung: weil es logischerweise keines geben kann. Und auf Logik muss man sich wenigstens einigen, mit Unlogik kann man alles und auch dessen Gegenteil behaupten.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Meiner Ansicht nach ist man dann frei, wenn man a) Handlungsfreiheit besitzt, d.h. tun kann, was man will und b) Willensfreiheit besitzt, d.h. die Folgen seiner Entscheidungen abschätzen und diese danach ausrichten kann.

(a) unterschreibe ich. Bei (b) würde mich interessieren, wie denn die Abschätzung und die Ausrichtung erfolgen. Denn wenn diese beiden Dinge in sich unfrei wären, dann wäre deine Willensfreiheit ja dann doch wohl keine, oder?

Im Gegenteil: nur wenn die beiden Dinge in sich unfrei sind, wenn sie von der Person abhängen, von deren Geschichte, Prägungen, Ansichten, Einstellungen, Wünschen, Zielen usw., könnte das für mich Willensfreiheit sein.

Wären sie in sich komplett frei, und damit meinst Du ja immer akausal, dann wäre die Person unfrei, dann wäre sie ein Sklave der Akausalität.

Nehmen wir nochmal B von oben, den mit der Phobie. Der wäre freier, wenn er seine Phobie einfach so ohne Probleme abschütteln könnte. Oder jemand mit Waschzwang: auch der wäre freier, wenn er Kontrolle darüber hätte, sich einfach über sie hinwegsetzen könnte. Beide haben gute Gründe dafür, warum sie das wollen könnten: ihre inneren Zwänge behindern sie bei dem, was sie wollen.

Nun könnte man das natürlich weiterführen: nehmen wir mal an, jemand hat einen Job, den er sehr gerne tut. Nun würdest Du wohl sagen: er wäre freier, wenn er entscheiden könnte, ob er den gerne tut oder nicht, es gibt kausale Ursachen dafür, warum er das gerne tut. Und diese kausalen Ursachen gibt es natürlich, er tut den Job gerne, weil dieser seinen Bedürfnissen entgegenkommt, die er sicher nicht komplett selber bestimmt hat.

Letztlich läuft Deine Anforderung auf absolute Freiheit in dem Sinne hinaus, dass man alles, was einen selber ausmacht, beliebig selber auswählen könnte. Aber das geht selbst theoretisch nicht: für eine Auswahl, sofern sie nicht total beliebig ist, benötigt man eine Basis, Auswahlkriterien, Gründe, Bewertungsmaßstäbe, die wiederum entweder beliebig sind oder von den Ansichten, Bedürfnissen, Überlegungen, Einstellungen einer Person abhängen. Und auch wiederum diese sind entweder beliebig oder sie hängen von der Geschichte der Person, ihren Erfahrungen, vergangenen Überlegungen, Handlungen etc. ab. Und jetzt können wir überall für "beliebig" "akausal" einsetzen und uns fragen, inwiefern und wo das die Freiheit der Person erhöhen würde. Ich meine: nirgends.

Und ich meine eben, dass jemand es zu recht nicht als Freiheitseinschränkung ansieht, dass er einen Job gerne tut. Warum sollte er auch wollen, die Einstellung zu seinem Job beliebig ändern zu können? Dafür müsste es ja einen Grund geben, grundloses Switchen seiner eigenen Einstellungen würde ja kaum die Freiheit erhöhen. Und wenn man das doch so sähe, wenn also der Grund der wäre, dass man frei im Sinne der Beliebigkeit sein möchte, dann kann man sich wohl auch nach einiger Zeit erfolgreich einreden, dass man seinen Job scheiße findet und den daraufhin nur noch widerwillig tun. Was dann aber letztlich auch wieder kausal wäre, es gab ja dann einen Grund.

Da gibt es nun nirgends einen Ansatzpunkt, an dem Akausalität die Freiheit erhöhen könnte. Es mag ja für viele Leute erst mal intuitiv plausibel sein, dass Determinismus Freiheit ausschließt. Aber wenn man diese Intuition genauer betrachtet, löst sie sich meiner Meinung nach auf. Sie kann nicht begründet werden, das ist ihr Problem. Es reicht ja nicht, wenn man einfach nur definiert: Freiheit = Akausalität. Man muss das auch hintermauern können.

ganimed hat geschrieben:Beispiel Colaautomat: der kann die Folgen seiner Entscheidung sicher leicht abschätzen (tun wir mal für den Moment so, der Colaautomat könnte 'automatisch' denken). "Bisher war es immer so, dass der Kunde sich die Flasche unten raus nimmt. Dann wird es diesmal auch so sein". Folgen abschätzen: check! Er kann seinen Willen danach ausrichten: "wenn die Münze passt, dann will ich ne Flasche unten rausgeben, weil der Kunde nimmt die dann immer". Ausrichtung des Willens nach der Abschätzung seiner Entscheidung: check! Und jedesmal wenn jemand ne Münze reinwirft und auf den Cola-Knopf drückt, muss der Automat die Flasche spendieren, ob er nun will oder nicht. Willensfreiheit: Fehlanzeige.

Colaautomat? Ich kann mich leichter in Menschen hineinversetzen. Nehmen wir also an, der Colaautomat besteht aus einem Menschen, der in ein mechanisches Gerüst eingebaut ist, das ihn dazu zwingt, jedesmal, wenn eine Münze eingeworfen wird, eine Flasche auszugeben. Und der denkt so, wie Du sagtest.

Und nun? Wo ist Dein Punkt? Worauf willst Du damit hinaus?

ganimed hat geschrieben:Will sagen: Selbst ein Automat, der per Definition unfrei ist, könnte die von dir angesprochenen Voraussetzungen erfüllen, würde dadurch aber nicht freier (nur sein unfreier Mechanismus ein wenig komplizierter).

Wieso ist ein Automat per Definition unfrei? Ist ein Roboter kein Automat?

Nach meinem Verständnis von Freiheit ist das natürlich nicht so, d.h. es wäre zumindest theoretisch denkbar, (ich kenne jedenfalls keinen prinzipiellen Grund dagegen), einen Roboter zu bauen, der alle meine Anforderungen, die ich an Willensfreiheit stelle, z.B. Selbsterkenntnis, -bewusstsein + -reflexion und die Fähigkeit zur Erkenntnis und Berücksichtigung der Auswirkungen möglicher eigener Handlungen, erfüllt.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » So 31. Jan 2010, 12:35

AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, dann können wir auch gerne statt der Kette einen akausalen Geist aus einer anderen Dimension nehmen, der einfach akausal, aber nicht physikalisch, bewirkt, dass ich nicht aufstehen kann. Das wäre für mich immer noch Zwang.

Was ist an dem Geist akausal? Wenn er bewirkt, dass du nicht aufstehen kannst, dann ist diese Wirkung doch eine kausale Wirkung? Ursache-Wirkung? Der Geist ist die Ursache, deine Unbeweglichkeit die Wirkung. Der Zwang wäre doch auch wieder ein kausaler Zwang?

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich habe doch die Freiheit, den Trabbi zu wollen, es gibt ja keine äußeren Umstände, die mich davon abhalten. Aber ich will ihn nicht und das aus guten Gründen, meinen Gründen.

Du bezeichnest dein Wollen hier deshalb als frei, weil der Zwang nicht von außen kommt sondern von innen. Und die inneren Zwänge bezeichnest du nicht als Zwänge sondern als Gründe. Ich verstehe wohl einfach nicht, wieso aus einem Zwang eine Freiheit wird, nur weil du es umbenennst. Aber an dem Punkt waren wir ja bereits schon. Wenn ein objektiver Zwang gewisse Eigenschaften besitzt, zum Beispiel deinem Willen zu entsprechen, wird er für dich zu einem Nichtzwang. Die Gründe, die du hast, und die dich zwingen, sich immer wieder gegen den Trabbi zu entscheiden, spürst du nicht als Zwang. Aber ob ein Zwang deshalb verschwindet, weil man ihn nur nicht spürt, das ist eben die Frage zwischen uns.

Vielleicht wenn man es anders formuliert: du hast keine Wahl, du musst immer den Passat nehmen. Aber zufällig kommt es dir so vor, als wolltest du auch gar nicht (anders) wählen. Aber dennoch kann man objektiv sagen, dass du keine Wahl hast. Vielleicht hat es ja in der DDR viele gegeben, die tatsächlich die SED wählen wollten und denen das gar nicht wie Kommunismus vorkam sondern wie Demokratie. Aber von außen betrachtet müsste man da doch von einer Selbsttäuschung sprechen, denn natürlich hatten die damals keine echte Wahl. Da kann man das "deutsche demokratische Republik" nennen so viel man will, davon wird es nicht demokratischer.

AgentProvocateur hat geschrieben:Akausalität -> nicht(Kausalität) -> etwas geschieht ohne Ursache -> echter Zufall

Die letzte Implikation scheint mir fraglich. Wie kommst du auf echten Zufall? Ich gebe zu, bei Akausalität fällt, per Definition, die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung weg. Aber vielleicht gibt es ja andere Beziehungen. Wobei ich mal die Definition unterstelle: echter Zufall = keinerlei Beziehung. Die Frage ist also, woher du weißt, dass keine Beziehung besteht? Wir alle können uns eine akausale Welt nicht einmal vorstellen. Und du willst dennoch genau wissen, dass es genau keine Beziehung gibt?

AgentProvocateur hat geschrieben:Zwangsstörung: "Zwangshandlungen: Zwanghaft gegen oder ohne den Willen ausgeführte Handlungen."

Ich muss zugeben, bei dir, bei Wikipedia und im normalen Sprachgebrauch wird der Wille so definiert, dass er mit dem eigenen Erleben übereinstimmt und nicht mit der Handlung. Ich will versuchen, mich dem anzuschließen und den Begriff auch so zu benutzen. Der Wille wäre also das, was ich als meinen Willen spüre. Ein innerer Zwang wäre dann der Teil meines Gehirns, den ich nicht als subjektives Ich wahrnehme und der etwas anderes will.

AgentProvocateur hat geschrieben:Im Gegenteil: nur wenn die beiden Dinge in sich unfrei sind, wenn sie von der Person abhängen, von deren Geschichte, Prägungen, Ansichten, Einstellungen, Wünschen, Zielen usw., könnte das für mich Willensfreiheit sein.

Das verstehe ich im Grunde schon. Nur will es mir nicht in den Kopf, wieso du das Willensfreiheit nennst. Das ist für mein Gefühl doch fast an der Grenze zur Wortverdrehung. Der Wille ist nur frei wenn er von etwas abhängig ist? Eigentlich willst du doch auf einen Willen hinaus, der nicht beliebig ist, der mit Kontrolle einher geht, der nicht von außen manipuliert wird, der mein eigener ist und der nicht zufällig ist. Verstehe ich vollkommen und natürlich möchte ich bei mir im Kopf ebenfalls möglichst auf diesen Grundlagen entscheiden. Aber warum um alles in der Welt nennst du das frei? Nenne es doch "nicht beliebiger, eigener, kontrollierbarer Wille". Na ja, oder vielleicht etwas griffigeres. Aber nimm doch bitte nicht ausgerechnet das Wort frei, wenn dein Wille dafür eben nicht frei sein darf. Wie wäre es mit "souveräner Wille"?

AgentProvocateur hat geschrieben:Letztlich läuft Deine Anforderung auf absolute Freiheit in dem Sinne hinaus, dass man alles, was einen selber ausmacht, beliebig selber auswählen könnte. Aber das geht selbst theoretisch nicht

Hier lese ich wieder heraus, dass du mir das mit der akausalen Freiheit deshalb nicht abkaufst, weil es sie nicht geben kann. Ich gebe dir recht, es kann sie nicht geben. Es geht auch theoretisch nicht. Aber das war ja auch nie meine Position. Ich behaupte nicht, dass Akausalität frei macht (das war nur das Komplement meiner Behauptung). Ich behaupte, dass Kausalität unfrei macht. Deine Argumentation in Richtung wie unsinnig es ist, in einer akausalen Welt frei sein zu wollen, trifft einfach nicht den Punkt. Deshalb nützt diese Komplementbildung nichts. Ich behaupte, es gibt keine Freiheit und es muss auch keine geben. Ich fordere also keineswegs eine absolute Freiheit. Ich fordere nur, dass man aufhört, das Unfreie frei zu nennen. Und ich fordere, beispielweise bei der Schuldfrage nicht länger zu unterstellen, dass das Unfreie frei sei, nur weil man es fälschlicherweise so nannte.

AgentProvocateur hat geschrieben:der Colaautomat besteht aus einem Menschen, der in ein mechanisches Gerüst eingebaut ist, das ihn dazu zwingt, jedesmal, wenn eine Münze eingeworfen wird, eine Flasche auszugeben. Und der denkt so, wie Du sagtest.

Und nun? Wo ist Dein Punkt? Worauf willst Du damit hinaus?

Nach deiner Definition ist dieser Colamensch genau dann frei, wenn er "die Folgen seiner Entscheidungen abschätzen und diese danach ausrichten kann". Wenn aber dieses Abschätzen und das Ausrichten in sich unfrei sind, also hier im Beispiel mechanisch festgelegt sind, dann würde doch eigentlich kein vernünftiger Mensch diesen armen Colamenschen als frei bezeichnen wollen. Entscheidungen, die aufgrund einer Mechanik erfolgen, sind für meine Begriffe jedenfalls eher als unfrei zu bezeichnen. Andernfalls hätte man tatsächlich eine Inflation des Begriffs. Dann wäre jeder Computer ebenfalls mit einem freien Willen gesegnet sobald ich ihm eine Abschätzfunktion und eine Ausrichtungsfunktion schriebe.

int abschätz(int x)
{
if x>10 return 1;
else return 0;
}

void ausricht(int x)
{
if x=1 then kaufe Passat;
else kaufe Trabbi;
}

Programm Willensbildung
{
int x = Ich sehe einen Passat und einen Trabbi = 15;
int abschätzung = abschätz(x);
ausricht(abschätzung);
}
Das Programm kauft, ebenso wie wir alle, jedesmal den Passat. Aber irgendwas kann an deinen Anforderungen nicht stimmen, wenn so ein einfaches Programm als willensfrei bezeichnet wird. Für einen freien Willen braucht man irgendwo in den Voraussetzungen Freiheit. Entweder eine freie Abschätzfunktion oder eine freie Ausrichtfunktion oder beides. Aber wohlgemerkt fordere ich keine Freiheit in diesen Funktionen (wüsste auch gar nicht, wie die programmiert werden könnten). Ich fordere nur, dass man das unfreie Programm als unfrei und uns Menschen ebenfalls so bezeichnet.

Wenn der Schuld-Begriff nicht wäre, könnte man glauben, mir ginge es nur um Wortklauberei. Es ist aber nicht egal wie man es nennt, wenn es solche Folgen hat. Ich halte B ja nach wie vor für unschuldig.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Gib mal bitte ein Beispiel an für einen Grund des Wollens von B, den du nicht akzeptierst und wo du B also trotz des Grundes als schuldig ansiehst.

Aber das habe ich doch oben schon getan: er wollte seinen Anzug nicht ruinieren. Das würde ich als Entschuldigung nicht akzeptieren.

B wollte A nicht retten, weil er seinen Anzug nicht ruinieren wollte. Das ist aber auch wieder so ein "Willens"-Grund. Somit wurde das Problem nur verschoben, nicht gelöst. Denn hier muss man sich doch fragen, wieso B seinen Anzug als wertvoller ansieht als das Leben von A. Bevor wir also B die Schuld geben, muss ich von dir noch wissen, wieso B so krankhaft viel Wert auf seinen Anzug legt.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 31. Jan 2010, 17:49

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, dann können wir auch gerne statt der Kette einen akausalen Geist aus einer anderen Dimension nehmen, der einfach akausal, aber nicht physikalisch, bewirkt, dass ich nicht aufstehen kann. Das wäre für mich immer noch Zwang.

Was ist an dem Geist akausal? Wenn er bewirkt, dass du nicht aufstehen kannst, dann ist diese Wirkung doch eine kausale Wirkung? Ursache-Wirkung? Der Geist ist die Ursache, deine Unbeweglichkeit die Wirkung. Der Zwang wäre doch auch wieder ein kausaler Zwang?

Nö, das ist eine akausale Wirkung. Rein zufällig, ohne Ursache. Etwas, das überhaupt keine Wirkung hat, kann übrigens mE nicht existieren. Ich hoffe, Du wirst Deine notwendigen Anforderungen an Freiheit nicht wie folgt erweitern: es muss Faktoren geben, die akausal sind und die keine Wirkung haben, die also nicht existieren können.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich habe doch die Freiheit, den Trabbi zu wollen, es gibt ja keine äußeren Umstände, die mich davon abhalten. Aber ich will ihn nicht und das aus guten Gründen, meinen Gründen.

Du bezeichnest dein Wollen hier deshalb als frei, weil der Zwang nicht von außen kommt sondern von innen. Und die inneren Zwänge bezeichnest du nicht als Zwänge sondern als Gründe. Ich verstehe wohl einfach nicht, wieso aus einem Zwang eine Freiheit wird, nur weil du es umbenennst. Aber an dem Punkt waren wir ja bereits schon. Wenn ein objektiver Zwang gewisse Eigenschaften besitzt, zum Beispiel deinem Willen zu entsprechen, wird er für dich zu einem Nichtzwang. Die Gründe, die du hast, und die dich zwingen, sich immer wieder gegen den Trabbi zu entscheiden, spürst du nicht als Zwang. Aber ob ein Zwang deshalb verschwindet, weil man ihn nur nicht spürt, das ist eben die Frage zwischen uns.

Nö, die Frage ist, was es bedeutet, wenn man von 'Zwang' redet.

Es muss etwas geben, das nicht(Zwang) ist, etwas, das man von 'Zwang' abgrenzen kann, sonst ergibt der Begriff keinen Sinn. Und das ist eben nach meiner Ansicht "steht nicht gegen meinen Willen". Ein neuer Kindergarten in meiner Gegend wäre also kein Zwang, er wäre im Gegenteil eine Erhöhung meiner Handlungsoptionen und daher eine Freiheitserweiterung.

Und Deiner Ansicht nach gilt halt einfach nur: "Kausalität = Zwang" und demnach ist eben in einer streng determinierten Welt einfach alles objektiver Zwang und zwar gleichermaßen, ohne Unterschied. Egal, ob ein Kindergarten gebaut oder abgerissen wird, das spielt keine Rolle oder der Abriss wäre gar eine Erhöhung der Freiheit, weil dadurch kausale Faktoren und somit Zwang weggefallen sind.

Ich meine aber nicht, dass man das tatsächlich meint, wenn man von 'Zwang' redet.

ganimed hat geschrieben:Vielleicht wenn man es anders formuliert: du hast keine Wahl, du musst immer den Passat nehmen. Aber zufällig kommt es dir so vor, als wolltest du auch gar nicht (anders) wählen. Aber dennoch kann man objektiv sagen, dass du keine Wahl hast.

Wieso, eine Wahl habe ich immer dann, wenn es mehrere Optionen gibt, aus denen ich dann nach meinen Präferenzen auswählen kann, ohne gegen meinen Willen gezwungen zu werden, etwas anderes zu wählen. Bei einem Stimmzettel, auf dem nur "SED" steht, habe ich keine Wahl, das ist eh klar, aber auch wenn da 20 Parteien stehen und mir keine davon auch nur im Geringsten zusagt, habe ich keine große Wahl.

Was genau wären denn nun die Voraussetzungen für Dich, um etwas 'echte Wahl' zu nennen? Hoffentlich nicht Beliebigkeit, so dass ich dann letztlich doch wieder mit dem Trabbi dasitzen muss. So eine Art Freiheit will ich nicht und die wäre auch einer Zuweisung von moralischer Verantwortung wenig zuträglich, denn dafür ist nun mal Kontrolle erforderlich.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Akausalität -> nicht(Kausalität) -> etwas geschieht ohne Ursache -> echter Zufall

Die letzte Implikation scheint mir fraglich. Wie kommst du auf echten Zufall? Ich gebe zu, bei Akausalität fällt, per Definition, die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung weg. Aber vielleicht gibt es ja andere Beziehungen. Wobei ich mal die Definition unterstelle: echter Zufall = keinerlei Beziehung. Die Frage ist also, woher du weißt, dass keine Beziehung besteht? Wir alle können uns eine akausale Welt nicht einmal vorstellen. Und du willst dennoch genau wissen, dass es genau keine Beziehung gibt?

'Echten Zufall' gibt es mE immer dann, wenn etwas unabhängig von Vorbedingungen geschieht. Jedoch nicht in dem Sinne, dass es völlig unabhängig von Allem sein müsste, sondern lediglich in dem Sinne, dass sich aus einer gegebenen Situation A die Situationen B oder C ergeben könnte. Zufall ist also ein Gegenbegriff zu 'determiniert': entweder ist ein Ablauf determiniert (nach A folgt immer B) oder es gibt irgendwo einen (echten) Zufall. In einem akausalen Geschehen muss es immer einen solchen 'echten Zufall' geben, so wie in jedem indeterminierten Ablauf.

Wobei ich übrigens unter 'Akausalität' etwas anderes verstehe als unter 'Indeterminismus': während es Indeterminismus ist, wenn nach A entweder B oder C folgen kann (aber nichts anderes), könnte bei Akausalität auch D oder E oder überhaupt irgendwas geschehen. Es kann indeterministische (probabilistische) Naturgesetze geben, aber akausale Naturgesetze wären wenig vorstellbar. Indeterminismus bedeutet nicht notwendigerweise Akausalität, indeterminierte Abläufe können kausal geschehen, von den vorherigen Zuständen abhängig sein.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Zwangsstörung: "Zwangshandlungen: Zwanghaft gegen oder ohne den Willen ausgeführte Handlungen."

Ich muss zugeben, bei dir, bei Wikipedia und im normalen Sprachgebrauch wird der Wille so definiert, dass er mit dem eigenen Erleben übereinstimmt und nicht mit der Handlung. Ich will versuchen, mich dem anzuschließen und den Begriff auch so zu benutzen. Der Wille wäre also das, was ich als meinen Willen spüre. Ein innerer Zwang wäre dann der Teil meines Gehirns, den ich nicht als subjektives Ich wahrnehme und der etwas anderes will.

Ja, und demnach wird Zwang auch anders verstanden als Du es tust.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Im Gegenteil: nur wenn die beiden Dinge in sich unfrei sind, wenn sie von der Person abhängen, von deren Geschichte, Prägungen, Ansichten, Einstellungen, Wünschen, Zielen usw., könnte das für mich Willensfreiheit sein.

Das verstehe ich im Grunde schon. Nur will es mir nicht in den Kopf, wieso du das Willensfreiheit nennst. Das ist für mein Gefühl doch fast an der Grenze zur Wortverdrehung. Der Wille ist nur frei wenn er von etwas abhängig ist?

Für mich geht es dabei aber schlicht nicht um eine merkwürdige Entität 'Wille', die 'frei', d.h. 'unabhängig von Allem', auch von der Person selber, irgendwie entsteht, sondern es geht mir immer noch um die Frage, ob und inwiefern Personen ihren Willen und ihre Handlungen selber beeinflussen können.

Wenn der Wille frei (= unabhängig) von der Person ist, dann wird die Person dadurch unfrei.

ganimed hat geschrieben:Eigentlich willst du doch auf einen Willen hinaus, der nicht beliebig ist, der mit Kontrolle einher geht, der nicht von außen manipuliert wird, der mein eigener ist und der nicht zufällig ist. Verstehe ich vollkommen und natürlich möchte ich bei mir im Kopf ebenfalls möglichst auf diesen Grundlagen entscheiden. Aber warum um alles in der Welt nennst du das frei? Nenne es doch "nicht beliebiger, eigener, kontrollierbarer Wille". Na ja, oder vielleicht etwas griffigeres. Aber nimm doch bitte nicht ausgerechnet das Wort frei, wenn dein Wille dafür eben nicht frei sein darf. Wie wäre es mit "souveräner Wille"?

Naja, der Begriff 'Willensfreiheit' hat sich aber nun mal eingebürgert für die philosophische Diskussion über das Thema, ob und inwiefern Selbstkontrolle möglich ist und ob und inwieweit man jemandem eine Handlung berechtigterweise zuordnen kann, sie als seine ansehen kann. Und Deinen Begriff von 'Freiheit' finde ich ja auch etwas seltsam, mit gar merkwürdigen und wenig plausiblen Implikationen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Letztlich läuft Deine Anforderung auf absolute Freiheit in dem Sinne hinaus, dass man alles, was einen selber ausmacht, beliebig selber auswählen könnte. Aber das geht selbst theoretisch nicht

Hier lese ich wieder heraus, dass du mir das mit der akausalen Freiheit deshalb nicht abkaufst, weil es sie nicht geben kann. Ich gebe dir recht, es kann sie nicht geben. Es geht auch theoretisch nicht. Aber das war ja auch nie meine Position. Ich behaupte nicht, dass Akausalität frei macht (das war nur das Komplement meiner Behauptung). Ich behaupte, dass Kausalität unfrei macht. Deine Argumentation in Richtung wie unsinnig es ist, in einer akausalen Welt frei sein zu wollen, trifft einfach nicht den Punkt. Deshalb nützt diese Komplementbildung nichts. Ich behaupte, es gibt keine Freiheit und es muss auch keine geben. Ich fordere also keineswegs eine absolute Freiheit.

Du behauptest Folgendes:

1. Freiheit ist das Komplement zu Zwang
2. Kausalität = Zwang
3. Unsere Welt ist streng kausal
4. -> es gibt in unserer Welt keine Freiheit

Und ich meine schon, dass Du darstellen und begründen musst, wieso Punkt 2 gelten sollte. Das könntest Du machen, indem Du einfach erst mal zeigst, was für Dich 'nicht(Zwang)' bedeutet. Wenn Du nun sagst, die Gleichung 'Akausalität = nicht(Zwang)' würde so nicht gelten, Akausalität sei also keine hinreichende Bedingung für 'nicht(Zwang)' bzw. für Freiheit, sondern nur eine notwendige, dann solltest Du auch die hinreichenden Bedingungen nennen können. Erst dann kann ich doch Dein Freiheitskonzept erst verstehen. Und natürlich läuft das auf eine 'absolute Freiheit' in dem oben von mir beschriebenen Sinne hinaus, worauf denn auch sonst?

ganimed hat geschrieben:Ich fordere nur, dass man aufhört, das Unfreie frei zu nennen. Und ich fordere, beispielweise bei der Schuldfrage nicht länger zu unterstellen, dass das Unfreie frei sei, nur weil man es fälschlicherweise so nannte.

Naja, wie man was nennt, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist es, zeigen zu können, inwiefern das Schuldkonzept mit Deinem Freiheitskonzept zusammenhängt, wieso das Erste also das Zweite notwendigerweise voraussetzen würde. Das ist ja auch keineswegs selbstverständlich.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:der Colaautomat besteht aus einem Menschen, der in ein mechanisches Gerüst eingebaut ist, das ihn dazu zwingt, jedesmal, wenn eine Münze eingeworfen wird, eine Flasche auszugeben. Und der denkt so, wie Du sagtest.

Und nun? Wo ist Dein Punkt? Worauf willst Du damit hinaus?

Nach deiner Definition ist dieser Colamensch genau dann frei, wenn er "die Folgen seiner Entscheidungen abschätzen und diese danach ausrichten kann". Wenn aber dieses Abschätzen und das Ausrichten in sich unfrei sind, also hier im Beispiel mechanisch festgelegt sind, dann würde doch eigentlich kein vernünftiger Mensch diesen armen Colamenschen als frei bezeichnen wollen.

Natürlich nicht, der hat ja keinerlei Handlungsfreiheit. Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, wozu das Beispiel dienen sollte.

ganimed hat geschrieben:Das Programm kauft, ebenso wie wir alle, jedesmal den Passat. Aber irgendwas kann an deinen Anforderungen nicht stimmen, wenn so ein einfaches Programm als willensfrei bezeichnet wird.

Ich glaube kaum, dass Dein Programm meine oben genannten Anforderungen an Willensfreiheit erfüllt (Selbsterkenntnis, -bewusstsein + -reflexion und die Fähigkeit zur Erkenntnis und Berücksichtigung der Auswirkungen möglicher eigener Handlungen).

ganimed hat geschrieben:Ich fordere nur, dass man das unfreie Programm als unfrei und uns Menschen ebenfalls so bezeichnet.

Das Programm ist in jeder Hinsicht unfrei und Menschen haben keine Freiheit in Deinem Sinne. Was aber schlicht nicht bedeutet, dass sie so unfrei wie das Programm seien. Meiner Ansicht nach. Sie haben Freiheit auf eine Art, die ich für Kontrolle und zur Selbstbestimmung für wesentlich halte. Eine Freiheit in Deinem Sinne wäre dafür nur kontraproduktiv.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Gib mal bitte ein Beispiel an für einen Grund des Wollens von B, den du nicht akzeptierst und wo du B also trotz des Grundes als schuldig ansiehst.

Aber das habe ich doch oben schon getan: er wollte seinen Anzug nicht ruinieren. Das würde ich als Entschuldigung nicht akzeptieren.

B wollte A nicht retten, weil er seinen Anzug nicht ruinieren wollte. Das ist aber auch wieder so ein "Willens"-Grund. Somit wurde das Problem nur verschoben, nicht gelöst. Denn hier muss man sich doch fragen, wieso B seinen Anzug als wertvoller ansieht als das Leben von A. Bevor wir also B die Schuld geben, muss ich von dir noch wissen, wieso B so krankhaft viel Wert auf seinen Anzug legt.

Wieso 'krankhaft'? B ist das Überleben von A nicht so wichtig, bzw. sein Anzug ist ihm wichtiger, weil er kurze Zeit später einen Termin für ein für ihn wichtiges Vostellungsgespräch hat. Außerdem geht er davon aus, dass niemand seine unterlassene Hilfeleistung mitbekommen wird. Ansonsten ist er ganz normal, es gab keine besonderen Vorkommnisse in seiner Jugend oder so, auf die man seine Entscheidung zurückführen könnte. Eine Untersuchung seines Gehirnes und eine psychologische Untersuchung ergeben keine Auffälligkeiten.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mo 1. Feb 2010, 02:15

AgentProvocateur hat geschrieben:Es muss etwas geben, das nicht(Zwang) ist, etwas, das man von 'Zwang' abgrenzen kann, sonst ergibt der Begriff keinen Sinn.

Wie ist es mit Kausalität? Also Akausalität gibt es nicht. Muss Kausalität wirklich etwas haben, was man davon abgrenzen kann?
Wie ist es mit Graviation? Muss es wirklich Antigravitation geben, damit die Gravitation einen Sinn ergibt? Nein, natürlich nicht.
Freiheit bedeutet die Abwesenheit von Zwang so wie Schwerelosigkeit die Abwesenheit von Gravitation bedeutet. Ein Komplement, eine Negation macht nicht immer Sinn.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wieso, eine Wahl habe ich immer dann, wenn es mehrere Optionen gibt, aus denen ich dann nach meinen Präferenzen auswählen kann, ohne gegen meinen Willen gezwungen zu werden, etwas anderes zu wählen. Bei einem Stimmzettel, auf dem nur "SED" steht, habe ich keine Wahl

Das ist interessant. Zwang ist für dich, wenn du etwas wählen musst, was du nicht willst. Wahlfreiheit ist aber für dich, wie ich jetzt verstehe, nicht die Abwesenheit von Zwang sondern wirklich Alternativen zu haben.
Ein Stimmzettel mit nur einem Kästchen für SED wäre für dich also a) keine Wahlfreiheit (weil es keine Alternativen gibt) aber b) auch kein Zwang, solange ich die SED wählen will?
In diesem Stimmzettelbeispiel läge also ein Fall vor, wo man keine Wahl hat aber dennoch kein Zwang vorliegt. Das erscheint mir kurios. Keine Wahl haben aber dennoch frei sein? Das klingt widersprüchlich. Ich glaube, deine Definition von Zwang will mir einfach nicht in den Kopf.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und Deiner Ansicht nach gilt halt einfach nur: "Kausalität = Zwang" und demnach ist eben in einer streng determinierten Welt einfach alles objektiver Zwang und zwar gleichermaßen, ohne Unterschied. ... Ich meine aber nicht, dass man das tatsächlich meint, wenn man von 'Zwang' redet.

Wenn man von freiem Willen redet, dann meinen die meisten sicher Akausalität, weil die meisten Dualisten sind. So zumindest schätze ich die Mehrheitsverhältnisse ein. Wir In- oder Kompatibilisten sind doch eher in der Minderheit, vermute ich. Nochmal nachgeschaut bei Wikipedia unter "Zwang":
    "Zwang steht für: die nachdrückliche Beeinflussung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit durch verschiedene Einflüsse, siehe Freiheit"
Und unter "Freiheit" steht noch:
    "Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel verstanden als die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können."
Ich lese da nicht heraus, dass Zwang nur dann vorliegt, wenn man selber das als Abweichung vom eigenen Willen verspürt. Zwang liegt dann vor, wenn die Entscheidungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Und wenn du, wie erwähnt, auch in 5 Milliarden Fällen immer nur den Passat und nie den Trabbi nimmst, dann scheint mir das aber ziemlich eindeutig Zwang im genannten Sinne zu sein. Die in der Definition genannten Einflüsse der Entscheidungsfreiheit gibst du ja auch selber an. Es ist die Kausalität.

AgentProvocateur hat geschrieben:'Echten Zufall' gibt es mE immer dann, wenn etwas unabhängig von Vorbedingungen geschieht.

Du erklärst hier leider nur, dass Zufall akausal ist. Meine Frage war aber, woher du weißt, dass Zufall die einzige Form von Akausalität ist. Denn deine Implikation war ja in Gegenrichtung: "etwas geschieht ohne Ursache -> echter Zufall". Ich glaube, das kannst du nicht wissen, weshalb die Implikation problematisch sein dürfte.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was genau wären denn nun die Voraussetzungen für Dich, um etwas 'echte Wahl' zu nennen? Hoffentlich nicht Beliebigkeit

Voraussetzung wäre Akausalität bei der Wahl + zur Verfügung stehende Alternativen (also Abwesenheit von Zwang und Wahlfreiheit). Die Akausalität wäre nur dann Beliebigkeit, wenn deine Implikation stimmte. Tut sie aber glücklicherweise nicht (glaube ich zumindest).

AgentProvocateur hat geschrieben:der Begriff 'Willensfreiheit' hat sich aber nun mal eingebürgert für die philosophische Diskussion über das Thema, ob und inwiefern Selbstkontrolle möglich ist und ob und inwieweit man jemandem eine Handlung berechtigterweise zuordnen kann, sie als seine ansehen kann. Und Deinen Begriff von 'Freiheit' finde ich ja auch etwas seltsam, mit gar merkwürdigen und wenig plausiblen Implikationen.

Ok, an dem Punkt waren wir ja auch schonmal. Also wenn ich "Willensfreiheit" sage, dann meine ich die Freiheit von kausalen Zwängen. Wenn du "Willensfreiheit" sagst, dann meinst du einen kausal abhängigen, kontrollierten, zuordbaren Willen. Ein Großteil der Diskussion besteht nun, wenn ich das richtig sehe, aus zwei Teilen:
1) du fragst mich, wieso man frei ist, wenn man von kausalen Zwängen befreit wird.
2) Und ich frage dich, wieso man frei ist, wenn man doch abhängig ist.

Zu 1) : Ich finde, die Antwort auf deine Frage liegt auf der Hand wenn man beispielsweise die Wikipedia-Definition von Freiheit nochmal bemüht: "Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel verstanden als die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können." Wenn ich wegen der kausalen Abhängigkeit aber keine verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden kann, dann ist es vorbei mit der Freiheit.

Zu 2) : Ich vermute, die Antwort lautet, dass wenn ich Selbstkontrolle ausübe und man die Handlungen mir zuordnen kann, dann bin ich frei vom Einfluss anderer. Also Freiheit im Sinne von Autonomität.

Soweit, so gut. Die verbleibende Streitfrage: Was ist mit der Schuld?
Wir waren uns einig, glaube ich, dass Schuld nur dann vergeben werden kann, wenn kein vollständiger Zwang vorlag.
Zwang war, laut Wikipedia "die nachdrückliche Beeinflussung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit durch verschiedene Einflüsse". Als nachdrücklich beeinflussende Einflüsse muss man doch alles verstehen, was die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit einschränkt. Ich sehe an dieser Stelle keinen Grund, sich hier nur auf die Freiheit im Sinne der Autonomität zu beziehen. Auch kausale Zwänge schränken die Entscheidungsfreiheit ein, wie das Passat-Trabbi-Beispiel zeigt. Da kausale Zwänge in jedem Fall auftreten, kann demnach in keinem Fall Schuld zugewiesen werden.

AgentProvocateur hat geschrieben:B ist das Überleben von A nicht so wichtig, bzw. sein Anzug ist ihm wichtiger, weil er kurze Zeit später einen Termin für ein für ihn wichtiges Vostellungsgespräch hat. Außerdem geht er davon aus, dass niemand seine unterlassene Hilfeleistung mitbekommen wird. Ansonsten ist er ganz normal

Soweit ich sehe, hast du auch hier das Problem wieder nur verschoben aber nicht gelöst. Die wirkliche Ursache ist nach wie vor nicht geklärt. B wich stark vom gesellschaftlich erwarteten, normalen Verhalten ab. Normal wäre es, wenn einem ein Vorstellungsgespräch und ein Anzug viel unwichtiger als das Leben eines Ertrinkenden sind, egal ob man erwischt wird oder nicht. Die Frage bleibt also, wieso B sich so unnormal verhalten hat. Wieso war B sein Anzug und sein Vorstellungsgespräch wichtiger?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 1. Feb 2010, 14:06

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:'Echten Zufall' gibt es mE immer dann, wenn etwas unabhängig von Vorbedingungen geschieht.

Du erklärst hier leider nur, dass Zufall akausal ist. Meine Frage war aber, woher du weißt, dass Zufall die einzige Form von Akausalität ist. Denn deine Implikation war ja in Gegenrichtung: "etwas geschieht ohne Ursache -> echter Zufall". Ich glaube, das kannst du nicht wissen, weshalb die Implikation problematisch sein dürfte.

Das ist einfach per definitionem so.

Echten Zufall gibt es in einem Ablauf genau dann, wenn er nicht determiniert ist, wenn also aus einer bestimmten Ausgangssituation verschiedene Endsituationen entstehen können.

Entweder determiniert oder es gibt einen echten Zufall. Und Du kannst nicht einfach behaupten, da gäbe es vielleicht doch was Drittes, kenne man nur nicht. Tertium non datur.

Wenn Du nun meinst, es gäbe hier doch ein Drittes, dann musst Du das beispielhaft skizzieren können. Ansonsten ist Deine Behauptung wertlos, denn auf der Basis kann jeder völlig Beliebiges behaupten (irgendwas Unlogisches, etwas, was wir nicht kennen und uns noch nicht mal im Ansatz vorstellen können, könnte existieren).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was genau wären denn nun die Voraussetzungen für Dich, um etwas 'echte Wahl' zu nennen? Hoffentlich nicht Beliebigkeit

Voraussetzung wäre Akausalität bei der Wahl + zur Verfügung stehende Alternativen (also Abwesenheit von Zwang und Wahlfreiheit). Die Akausalität wäre nur dann Beliebigkeit, wenn deine Implikation stimmte. Tut sie aber glücklicherweise nicht (glaube ich zumindest).

Was zu zeigen wäre. Wie gesagt.

ganimed hat geschrieben:Soweit, so gut. Die verbleibende Streitfrage: Was ist mit der Schuld?
Wir waren uns einig, glaube ich, dass Schuld nur dann vergeben werden kann, wenn kein vollständiger Zwang vorlag.
Zwang war, laut Wikipedia "die nachdrückliche Beeinflussung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit durch verschiedene Einflüsse". Als nachdrücklich beeinflussende Einflüsse muss man doch alles verstehen, was die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit einschränkt.

Natürlich.

ganimed hat geschrieben:Ich sehe an dieser Stelle keinen Grund, sich hier nur auf die Freiheit im Sinne der Autonomität zu beziehen. Auch kausale Zwänge schränken die Entscheidungsfreiheit ein, wie das Passat-Trabbi-Beispiel zeigt. Da kausale Zwänge in jedem Fall auftreten, kann demnach in keinem Fall Schuld zugewiesen werden.

Kausale Zwänge schränken die Entscheidungsfreiheit ein, natürlich, aber unser Dissens besteht immer noch darin, dass mir die Gleichung "Kausalität = Zwang" nicht einleuchten will. Wie oben schon mehrfach begründet.

Und das Passat-Trabbi-Beispiel zeigt mE genau im Gegenteil, dass Akausalität (-> ich nehme bei 5-milliarden-fachem Abspielen der exakt identischen Situation ein paar Mal ohne Grund, unvorhersehbar für mich und gegen meine Präferenzen den Trabbi) nicht meine Selbstkontrolle und somit auch nicht die Verantwortung für meine Handlung erhöhen kann.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:B ist das Überleben von A nicht so wichtig, bzw. sein Anzug ist ihm wichtiger, weil er kurze Zeit später einen Termin für ein für ihn wichtiges Vostellungsgespräch hat. Außerdem geht er davon aus, dass niemand seine unterlassene Hilfeleistung mitbekommen wird. Ansonsten ist er ganz normal

Soweit ich sehe, hast du auch hier das Problem wieder nur verschoben aber nicht gelöst. Die wirkliche Ursache ist nach wie vor nicht geklärt. B wich stark vom gesellschaftlich erwarteten, normalen Verhalten ab. Normal wäre es, wenn einem ein Vorstellungsgespräch und ein Anzug viel unwichtiger als das Leben eines Ertrinkenden sind, egal ob man erwischt wird oder nicht. Die Frage bleibt also, wieso B sich so unnormal verhalten hat. Wieso war B sein Anzug und sein Vorstellungsgespräch wichtiger?

Menschen sind nun mal extrem komplizierte Wesen, sie sind die Produkte ihrer Gene, Sozialisation, der Umstände, der Kultur, ihrer eigenen Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen usw. usf.

Man kann die Handlung in diesem Falle nicht auf eine bestimmte Ursache zurückführen; es ist ein undurchdringliches, ungeheuer komplexes, nicht durchschaubares Ursachengeflecht, das dadurch noch komplizierter wird, als dass es Rückkopplungen enthält, die Gedanken von B, die wieder auf ihn zurückwirken und seine Handlungen, die Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, die ebenfalls wieder auf ihn zurückwirken.

Es gibt schlicht keine einfache Erklärung. Das Ursachengeflecht ist nicht durchschaubar.

Hier in dem Falle sei es nun so, dass B keine weiteren Rechtfertigungsgründe vorbringen kann.

Was also nun? Kann man B sein Verhalten vorwerfen, ihn dafür verantwortlich halten? Oder darf man einfach nur sagen: "Du kannst nichts dafür, Du hattest keine Alternative zu Deiner Handlung, ganz genauso, wie wir C, den Nichtschwimmer, nicht für verantwortlich für sein Nichteingreifen halten, auch der hatte ganz genauso keine Alternative"?

C würde man sicher nicht sagen können, dass er moralisch falsch gehandelt habe, denn er hätte schlicht nichts machen können, selbst wenn er gewollt hätte.

Hat aber nun B moralisch falsch gehandelt oder war seine Handlung so alternativlos wie die von C?

Kann man ihm also sagen: "Du hast moralisch falsch gehandelt" oder nicht?
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mi 3. Feb 2010, 21:09

AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder determiniert oder es gibt einen echten Zufall. Und Du kannst nicht einfach behaupten, da gäbe es vielleicht doch was Drittes, kenne man nur nicht. Tertium non datur.
Wenn Du nun meinst, es gäbe hier doch ein Drittes, dann musst Du das beispielhaft skizzieren können. Ansonsten ist Deine Behauptung wertlos, denn auf der Basis kann jeder völlig Beliebiges behaupten

Von diesem Dritten behaupte ich ja gerade, dass wir uns das vermutlich nicht vorstellen können. Und kennen tun wir es auch nicht. Ich muss also passen und kann kein plausibles Beispiel anführen. Ich gebe aber zu bedenken, dass dein "echter Zufall" ebensowenig durch Beispiel untermauert werden kann. Denn immerhin befinden wir uns in einer kausalen Welt, in der es, soweit ich sehe, keinen echten Zufall gibt. Kannst du diesen Zufall dennoch beispielhaft skizzieren? Es würde mich wundern. Per Definition bedeutet Akausalität das Fehlen einer Ursache-Wirkungs-Beziehung. Aber es beschreibt ansonsten keine weiteren Charakteristika. Akausal wäre also alles was nicht ursächlich ist. Wieso sollte darunter lediglich echter Zufall fallen?

AgentProvocateur hat geschrieben:aber unser Dissens besteht immer noch darin, dass mir die Gleichung "Kausalität = Zwang" nicht einleuchten will. ...
Und das Passat-Trabbi-Beispiel zeigt mE genau im Gegenteil, dass Akausalität ... nicht meine Selbstkontrolle und somit auch nicht die Verantwortung für meine Handlung erhöhen kann.

Das ist dein Argument? Beim 5-Millarden-fachem Auswählen des Passats läge kein Zwang vor, weil Akausalität die Selbstkontrolle und Verantwortung auch nicht erhöht? Ebensogut könnte ich argumentieren, dass Äpfel deshalb niemals rot sind, weil blaue Birnen auch nicht schmecken würden.

Selbst wenn es stimmt, dass Akausalität keine Freiheit bringt, ist das noch lange kein Grund, wieso die Kausalität mit Freiheit einhergehen sollte. Das eine ist zwar das Komplement des anderen, aber wieso muss das eine Freiheit liefern und das andere nicht? Wieso müssen Kausalität und Akausalität komplementär bezüglich ihrer Freiheitseigenschaften sein?

Du selbst räumst ein, dass du 5-Millarden-fach immer nur den Passat nimmst, weil die Gründe eben immer für ihn sprechen. Und da du nicht akausal bist, kannst du über die Gründe nicht hinweg gehen. Also zwingen dich die Gründe 5-Milliarden mal zu immer der gleichen Entscheidung. Wie gelingt es dir, hier den Zwang nicht zu sehen bzw. ihn in Frage zu stellen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen sind nun mal extrem komplizierte Wesen ... Man kann die Handlung in diesem Falle nicht auf eine bestimmte Ursache zurückführen

Da stimme ich natürlich zu. Die genauen Ursache, bzw. die letzten Ursachen (wenn man in Ursachenketten denkt) für das Verhalten von B wird man niemals genau nennen können. Und müsste dann ein Richter nicht also sagen: "ich kenne die genauen Ursachen nicht. Ich kann also nicht beurteilen, ob die Gründe eine Entschuldigung darstellen oder nicht. Im Zweifel für den Angeklagten. Also ist B unschuldig."

Wie kann man B schuldig sprechen, ohne seine Gründe zu kennen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Hier in dem Falle sei es nun so, dass B keine weiteren Rechtfertigungsgründe vorbringen kann.

Da wir uns in deinem Gedankenexperiment befinden, kannst du dir ja beliebige Gründe ausdenken oder welche ausschließen. Meine Behauptung wäre, dass wenn man in einer kausalen Welt B schuldig sprechen dürfte, dann müsstest du dir Gründe für sein Handeln ausdenken können, die keine weiteren Gründe haben und die nicht als Entschuldigung ausreichen. Aber weder das eine noch das andere ist möglich. Es gibt keine Gründe, welche keine weiteren Gründe haben. Ich (und der Strafverteidiger von B) können immer weiter fragen: wieso? Und da jeder Grund deshalb Grund genannt wird, weil er die Handlung von B bewirkt hat, würde auch jeder Grund als Entschuldigung ausreichen. Nicht B ist schuld, sondern der Grund.

C hatte einen einfachen Entschuldigungsgrund: er kann nicht schwimmen. Vielleicht hat C aber das Opfer A gekannt und gehasst. Vielleicht hat er lange geahnt, dass A mal ertrinken würde und hat absichtlich keinen Schwimmkurs besucht, um A ertrinken lassen zu können, falls sich die Gelegenheit ergibt.
Wieso sollten Gründe für C als Entschuldigung ausreichen und für B nicht? Wie müsste ein Grund aussehen, um nicht als Entschuldigung zu taugen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Was also nun? Kann man B sein Verhalten vorwerfen, ihn dafür verantwortlich halten? Oder darf man einfach nur sagen: "Du kannst nichts dafür, Du hattest keine Alternative zu Deiner Handlung, ganz genauso, wie wir C, den Nichtschwimmer, nicht für verantwortlich für sein Nichteingreifen halten, auch der hatte ganz genauso keine Alternative"?

Man kann B für sein Verhalten verantwortlich machen. Ich als Richter würde die Frage klären wollen, ob B aufgrund seiner anormalen Wertevorstellungen auch zukünfigt eine Gefahr für seine Mitmenschen ist und ob diese Gefahr für die Gesellschaft zumutbar ist. Man müsste dann abwägen, was schwerer wiegt: B's Freiheitsverlust, wenn er für immer wegschlossen wird, oder die erhöhte Gefahr für die Gesellschaft.

Aber man kann B seine Handlungen nicht vorwerfen, da er sie unter kausalem Zwang beging.

C kann man dafür verantwortlich machen, dass er nicht schwimmen kann (wenn es nur daran liegen sollte, dass er es nicht gelernt hat). Daraus ergeben sich jedoch wohl kaum irgendwelche Konsequenzen. Dafür ist der vorliegende Fall zu speziell und die Gefahr, dass weitere Menschen durch C's Lernfaulheit gefährdet werden, ist zu gering.

AgentProvocateur hat geschrieben:Kann man ihm also sagen: "Du hast moralisch falsch gehandelt" oder nicht?

Diese Frage ist leicht zu beantworten. Das moralische Verständnis unserer Gesellschaft erwartet von B den Versuch, A zu retten. B hat also eindeutig moralisch falsch gehandelt.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 3. Feb 2010, 22:22

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder determiniert oder es gibt einen echten Zufall. Und Du kannst nicht einfach behaupten, da gäbe es vielleicht doch was Drittes, kenne man nur nicht. Tertium non datur.
Wenn Du nun meinst, es gäbe hier doch ein Drittes, dann musst Du das beispielhaft skizzieren können. Ansonsten ist Deine Behauptung wertlos, denn auf der Basis kann jeder völlig Beliebiges behaupten

Von diesem Dritten behaupte ich ja gerade, dass wir uns das vermutlich nicht vorstellen können. Und kennen tun wir es auch nicht. Ich muss also passen und kann kein plausibles Beispiel anführen.

Ja, aber dann kann ich jetzt auch irgendwas behaupten. Es gibt da einen "freien Willen", der alle Deine Anforderungen lässig erfüllt, aber wir können uns den vermutlich nicht vorstellen, ist aber trotzdem so. Oder es gibt einen "Gott", können wir uns bloß nicht vorstellen.

Du siehst hoffentlich ein, dass man auf dieser Basis nicht diskutieren kann. Dann könnte jeder alles behaupten und auch dessen Gegenteil. Jede Behauptung muss plausibel gemacht werden können, ansonsten ist sie nur eine bloße Behauptung, die ich einfach so ablehnen kann, ohne mich auch nur eines einzigen Grundes / Argumentes bedienen zu müssen. Ein einfaches "Bollocks!" reicht da locker.

ganimed hat geschrieben:Ich gebe aber zu bedenken, dass dein "echter Zufall" ebensowenig durch Beispiel untermauert werden kann. Denn immerhin befinden wir uns in einer kausalen Welt, in der es, soweit ich sehe, keinen echten Zufall gibt. Kannst du diesen Zufall dennoch beispielhaft skizzieren? Es würde mich wundern. Per Definition bedeutet Akausalität das Fehlen einer Ursache-Wirkungs-Beziehung. Aber es beschreibt ansonsten keine weiteren Charakteristika. Akausal wäre also alles was nicht ursächlich ist. Wieso sollte darunter lediglich echter Zufall fallen?

Wie gesagt: Zufall ist schlicht so definiert. Und ob es in unserer Welt echten Zufall gibt oder nicht, ist dabei völlig unerheblich. Vorstellen kann man sich Akausalität hypothetisch sehr wohl. Es ist einfach falsch, zu behaupten, was es in unserer Welt nicht gäbe, könne man sich auch nicht vorstellen. Ich kann mir 'ne blaue Kuh mit 7 Beinen vorstellen, die einfach so aus dem Nichts ohne Ursache hervorploppt. Also ist Deine Behauptung schon widerlegt.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:aber unser Dissens besteht immer noch darin, dass mir die Gleichung "Kausalität = Zwang" nicht einleuchten will. ...
Und das Passat-Trabbi-Beispiel zeigt mE genau im Gegenteil, dass Akausalität ... nicht meine Selbstkontrolle und somit auch nicht die Verantwortung für meine Handlung erhöhen kann.

Das ist dein Argument? Beim 5-Millarden-fachem Auswählen des Passats läge kein Zwang vor, weil Akausalität die Selbstkontrolle und Verantwortung auch nicht erhöht? Ebensogut könnte ich argumentieren, dass Äpfel deshalb niemals rot sind, weil blaue Birnen auch nicht schmecken würden.

Nö, kannst Du nicht. Du könntest allerdings argumentieren, dass Deine Art von Freiheit für die Zuweisung von Verantwortung notwendige Voraussetzung sei und dass diese entweder überhaupt erst Selbstkontrolle ermöglichen könnte (wobei Du zeigen müsstest, wie, weil ich das bezweifle) oder dass Kontrolle für die Zuweisung von Verantwortung unerheblich sei. Was Du aber auch begründen müsstest, denn meiner Ansicht nach ist es ganz wesentlich für die Zuweisung von Verantwortung, dass die Handlung unter der Kontrolle der Person lag. Eine notwendige Voraussetzung.

ganimed hat geschrieben:Du selbst räumst ein, dass du 5-Millarden-fach immer nur den Passat nimmst, weil die Gründe eben immer für ihn sprechen. Und da du nicht akausal bist, kannst du über die Gründe nicht hinweg gehen. Also zwingen dich die Gründe 5-Milliarden mal zu immer der gleichen Entscheidung. Wie gelingt es dir, hier den Zwang nicht zu sehen bzw. ihn in Frage zu stellen?

Zwang nach Deiner Definition ist für meinen Begriff von Verantwortung unerheblich und Du konntest bisher auch noch nicht mal im Ansatz zeigen, inwiefern er es denn sein müsste.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Hier in dem Falle sei es nun so, dass B keine weiteren Rechtfertigungsgründe vorbringen kann.

Da wir uns in deinem Gedankenexperiment befinden, kannst du dir ja beliebige Gründe ausdenken oder welche ausschließen.

Ja, könnte ich, will ich aber nicht, weil das ein Gedankenexperiment aus unserer Welt sein soll, in der es eben einfach nicht möglich ist, alles bis zum Anfang (dem Urknall) nachzuvollziehen. Wir können letztlich nur mehr oder wenig plausible Mutmaßungen anstellen und den Angeklagten zu seinen Motiven befragen und ihn auf eventuelle Auffälligkeiten, seien das genetische, neuronale, psychologische oder welche in seinem Lebenslauf, untersuchen. Aber oft, so wie hier, ergeben sich keine besonderen Auffälligkeiten, auf die man das konkrete Geschehen zurückführen könnte. Und damit müssen wir umgehen, anders geht es nicht. So ist unsere Welt nun mal.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was also nun? Kann man B sein Verhalten vorwerfen, ihn dafür verantwortlich halten? Oder darf man einfach nur sagen: "Du kannst nichts dafür, Du hattest keine Alternative zu Deiner Handlung, ganz genauso, wie wir C, den Nichtschwimmer, nicht für verantwortlich für sein Nichteingreifen halten, auch der hatte ganz genauso keine Alternative"?

Man kann B für sein Verhalten verantwortlich machen. Ich als Richter würde die Frage klären wollen, ob B aufgrund seiner anormalen Wertevorstellungen auch zukünfigt eine Gefahr für seine Mitmenschen ist und ob diese Gefahr für die Gesellschaft zumutbar ist. Man müsste dann abwägen, was schwerer wiegt: B's Freiheitsverlust, wenn er für immer wegschlossen wird, oder die erhöhte Gefahr für die Gesellschaft.

B ist keine Gefahr für seine Mitmenschen, er war es noch nie und auch in diesem Gedankenexperiment war er es nicht. Er hat nicht eingegriffen, obgleich er das hätte tun sollen und das ist der Vorwurf, den man hier erhebt. Wäre er nicht dort gewesen, wäre A genauso ertrunken.

ganimed hat geschrieben:Aber man kann B seine Handlungen nicht vorwerfen, da er sie unter kausalem Zwang beging.

Aber wieso kann ihm seine Handlung nicht vorwerfen und ihn gleichzeitig dafür verantwortlich halten? Das erscheint mir inkonsistent, denn meiner Ansicht nach kann man genau dann jemandem eine normverletztende Handlung vorwerfen, wenn er dafür verantwortlich war.

ganimed hat geschrieben:C kann man dafür verantwortlich machen, dass er nicht schwimmen kann (wenn es nur daran liegen sollte, dass er es nicht gelernt hat). Daraus ergeben sich jedoch wohl kaum irgendwelche Konsequenzen. Dafür ist der vorliegende Fall zu speziell und die Gefahr, dass weitere Menschen durch C's Lernfaulheit gefährdet werden, ist zu gering.

Wieso kann man C dafür verantwortlich machen? Ist es nicht seine Sache, ob er schwimmen lernen will oder nicht? Für welche nicht erworbenen Fähigkeiten würdest Du jemanden verantwortlich machen wollen? Wenn jemand nicht schießen kann, jemand nicht autofahren kann, jemand nicht Computer bedienen kann, jemand kein Karate kann? Welches sind da die Kriterien für Dich?

Und wieso argumentierst Du bei B mit einer erhöhten Gefahr für die Gesellschaft, bei C aber nicht? Man könnte C ja zwingen, schwimmen zu lernen, dann würde weniger "Gefahr" von ihm "ausgehen".

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Kann man ihm also sagen: "Du hast moralisch falsch gehandelt" oder nicht?

Diese Frage ist leicht zu beantworten. Das moralische Verständnis unserer Gesellschaft erwartet von B den Versuch, A zu retten. B hat also eindeutig moralisch falsch gehandelt.

Ja, aber dann ist er schuld. Etwas anderes bedeutet Schuld im Strafrecht doch gar nicht. Er kann also nach § 323c verurteilt werden. Und C hat nicht moralisch falsch gehandelt, denn er hatte die Möglichkeit, A zu retten, nicht. Von ihm konnte nicht erwartet werden, A zu retten, da greift der alte Rechtsgrundsatz "Unmögliches kann nicht verlangt werden".

Hier musst Du nun konsequent sein. Wenn von B eine Gefahr ausgeht (dass er das nächste Mal in derselben Situation ebenso handelt), dann geht von C genau dieselbe Gefahr aus. Bzw. von C geht eine noch viel größere Gefahr aus, denn es ist sicher, dass er das nächste Mal ebenso handeln muss, er hat ja keine Wahl, bei B weiß man es aber keineswegs sicher, wie er dann handeln wird. Vom Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr alleine wäre es also viel sinnvoller, C zu einem Schwimmkurs zu verdonnern, (und folgerichtig alle erwachsenen Nichtschwimmer zu einem Schwimmkurs zu verdonnern, denn es gibt keinen Grund, warum C eher wieder in eine solche Situation gelangen sollte als jeder beliebige Andere), als B zu bestrafen. Welche Fähigkeiten müssten dann Deiner Ansicht nach verpflichtend erlernt werden?

Würdest Du eigentlich § 323c StGB ersatzlos streichen wollen, weil man von niemandem etwas Unmögliches verlangen kann und weil, wenn gegen diesen Paragraphen verstoßen wurde, es im Nachhinein sicher ist, dass die Handlung erzwungen war? Und wenn Hilfeleistung geübt wurde, das ebenso alternativlos war? Man also gar keine Forderungen an jemanden stellen darf, weil unweigerlich alles so passieren wird, wie es passieren wird und niemand einen Einfluss darauf hat? Und somit logischerweise alle Paragraphen unseres Rechtes zu streichen sind? Oder sollen die alle Folgendermaßen umgewandelt werden: es gibt die Norm XY und wenn jemand dagegen verstößt, dann ist das auch egal, weil derjenige nichts dafür kann und daher darf es keine Verpflichtung zu irgendwas geben (weil Unmögliches nicht verlangt werden darf und in unserer kausalen Welt einfach so per se alles unmöglich war, was nicht geschehen ist)?
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Do 4. Feb 2010, 20:59

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Akausal wäre also alles was nicht ursächlich ist. Wieso sollte darunter lediglich echter Zufall fallen?

Wie gesagt: Zufall ist schlicht so definiert.

Ich bin wiedermal verblüfft. Ich habe die Definition bei Wikipedia nachgeschaut und muss dir doch tatsächlich recht geben. Das einzige Charakteristikum des Zufalls ist genau seine Ursachelosigkeit, wenn ich es recht verstehe. Also stimmte deine Implikation doch und alles was akausal ist ist auch zufällig. Sorry.

Also wäre der Zufall das einzige, was unseren Willen befreien könnte. Meine Definition von freiem Willen (Freiheit von kausalen Abhängigkeiten) wäre nur erreichbar, wenn man die Entscheidung ob Passat oder Trabbi zumindest teilweise dem Zufall überlassen würde. An dieser Stelle winkst du immer dankend ab, weil du keinen Trabbi untergejubelt haben möchtest. Ich auch nicht. So einen freien Willen wollen wir nicht. Und in einer kausalen Welt hat so einen freien Willen ja auch glücklicherweise keiner, sondern jeder ist durch die Gründe dazu gezwungen, immer den Passat zu nehmen.

Wenn du nun also den Passat gewählt hast, würde ich dich dafür verantwortlich machen, weil dein Hirn es war, welches die Entscheidung vollzogen hat. Ich würde dir aber nicht die Schuld dafür geben, weil du ja gezwungen warst, so zu entscheiden. Soweit war ich schon. Aus der Einsicht, dass Akausalität immer Zufall ist, folgt allerdings, dass ich dir selbst in einer akausalen Welt keine Schuld geben könnte, weil dort die Entscheidung ja zufällig, ohne deine Kontrolle erfolgt wäre. Der neue Schluss ist also: weder hier noch drüben, egal in welcher Welt, kann es Schuld geben.

Meine Voraussetzung für eine Schuldzuweisung ist, dass der Beschuldigte auch anders hätte handeln können. Das setzt aber Indeterminismus voraus. Wenn jemand aber gar nicht anders kann als immer wieder, 5 Milliarden mal den Passat zu nehmen, dann kann ich ihm das nicht vorwerfen.

AgentProvocateur hat geschrieben:B ist keine Gefahr für seine Mitmenschen, er war es noch nie und auch in diesem Gedankenexperiment war er es nicht.

Ich widerspreche. Zwar geht die Gefahr nicht direkt von B aus, aber seine Wertvorstellungen legen nahe, dass er in fast jeder Situation Hilfe unterlassen würde. Insofern stellt B zumindest eine indirekte Gefahr dar.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und wieso argumentierst Du bei B mit einer erhöhten Gefahr für die Gesellschaft, bei C aber nicht?

Ich habe das Nicht-Schwimmen-Können von C durchaus als Gefahr in Betracht gezogen. Aber ich meinte, dass diese Gefahr spezieller ist und daher geringer einzuschätzen sei. C gefährdet wirklich nur Ertrinkende. Während B alle in Not befindliche Menschen gefährdet. Die Wahrscheinlichkeit, dass B durch seine Hilfeunterlassung noch einmal Menschen schadet ist einfach größer. Sowohl bei C als auch bei B kann man nun abwägen, ob die Gesellschaft diese Gefahr hinnehmen kann/will oder nicht. Dabei sind natürlich auch die persönlichen Rechte von C und B zu berücksichtigen. Zwangsschwimmkurse und Sicherungsverwahrung sind natürlich nur zu vertreten, wenn der abgewendete Schaden für die Gesellschaft größer erscheint als der persönliche Schaden für C und B.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:B hat also eindeutig moralisch falsch gehandelt.

Ja, aber dann ist er schuld. Etwas anderes bedeutet Schuld im Strafrecht doch gar nicht.

Nach heutigem Strafrecht ist B schuld. Ich bezog mich aber eher auf den ethischen Schuldbegriff, wie er ebenfalls bei Wikipedia definiert wird und bei dem als Voraussetzung auch die Willensfreiheit erwähnt wird. Und für diesen Begriff muss B nicht nur verantwortlich sein, sondern er muss auch anders hätte handeln können bzw. anders hätte wollen können.

AgentProvocateur hat geschrieben:Würdest Du eigentlich § 323c StGB ersatzlos streichen wollen

Am Strafrecht will ich äußerlich nichts ändern. Ich will es nur anders begründen. Ich verurteile B nicht deshalb zu einer Strafe, weil er moralisch schuld ist und deshalb diese Strafe verdient hat. Ich verurteile B deshalb zu einer Strafe, weil diese Strafe in Wirklichkeit nur eine Maßnahme ist, die das zukünftige Zusammenleben zwischen B und der Restgesellschaft verbessern soll. Jede "Straf"-tat wäre nach dieser neuen Sichtweise also einfach nur eine "Problem"-tat und der Richter hätte die Aufgabe, das Problem möglichst zu lösen oder wenigstens für die Zukunft zu entschärfen.

Was bedeutet für dich "Schuld" im Fall von B? Wieso muss man ihn eigentlich bestrafen, wenn man mal davon ausgeht, dass von ihm nur ganz wenig Gefahr ausgeht? Dem toten A hilft man mit einer Schuldzuweisung ja zumindest nicht mehr.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 4. Feb 2010, 22:43

ganimed hat geschrieben:Meine Voraussetzung für eine Schuldzuweisung ist, dass der Beschuldigte auch anders hätte handeln können. Das setzt aber Indeterminismus voraus. Wenn jemand aber gar nicht anders kann als immer wieder, 5 Milliarden mal den Passat zu nehmen, dann kann ich ihm das nicht vorwerfen.

Was meinst Du aber eigentlich genau, wenn Du sagst: "hätte anders handeln können"?

Meinst Du das in diesem Sinne:

ganimed hat geschrieben:Da wir uns in deinem Gedankenexperiment befinden, kannst du dir ja beliebige Gründe ausdenken oder welche ausschließen.

oder in einem anderen Sinne? Wenn anders: wie genau? Zufall meinst Du nicht, nach seinen Gründen und Entscheidungen handeln nicht, Kausalität auch nicht, aber was sonst? Wann genau kann jemand anders handeln? Wenn er anders handelt, als er letztlich handelt? Das wäre jedoch eine vollkommen absurde Forderung, findest Du nicht auch?

Jeder handelt so, wie er handelt. Das ist tautologisch wahr, eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht. Fragen kann man nur, wieso er so handelt, wie er handelt. Ob er das z.B. aus seinen eigenen Gründen heraus tut oder ob er von außen oder innen (z.B. Phobie, Manie) irgendwie dazu getrieben wurde. Du schließt nun aus dieser Tautologie, dass er so handeln musste. Aber aus einer Tautologie kann man mE nichts weiter schließen, sie steht einfach für sich, das ist alles. Mehr ist nicht, außer Du kannst begründen, wieso doch.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und wieso argumentierst Du bei B mit einer erhöhten Gefahr für die Gesellschaft, bei C aber nicht?

Ich habe das Nicht-Schwimmen-Können von C durchaus als Gefahr in Betracht gezogen. Aber ich meinte, dass diese Gefahr spezieller ist und daher geringer einzuschätzen sei. C gefährdet wirklich nur Ertrinkende. Während B alle in Not befindliche Menschen gefährdet. Die Wahrscheinlichkeit, dass B durch seine Hilfeunterlassung noch einmal Menschen schadet ist einfach größer.

Welche Gefahr, bitteschön? Weder von B noch von C geht eine Gefahr aus. Wie kommst Du darauf, dass sie das täte? Geht demnach auch von jemandem, der kein Karate (oder sonstige Kampfsportart) kann, eine Gefahr aus, weil er einen Angegriffenen nicht retten kann? Oder geht von jemandem, der kein Auto fahren kann, eine Gefahr aus, weil er in einem bestimmten Notfalle nicht mit dem Auto Hilfe holen kann?

Nehmen wir nun an, C würde alle diese Fähigkeiten nicht beherrschen, außerdem kann er kein Fax bedienen, kann nicht mit einem Handy telefonieren, keinen Computer bedienen, er kann nicht mauern, keinen Zement anrühren, noch nicht einmal Stuck auf eine Fassade bringen, er hat keine Ahnung von Elektrik, weiß nicht, wie man eine Blutung stoppt, nicht, wie man eine Landkarte liest und kann auch nicht den Weg zum nächsten Krankenhaus erklären. Welche Gefahr geht von ihm aus, zu welchen "Maßnahmen" darf man ihn zwingen (und alle anderen, denen diese Fähigkeiten ebenfalls abgehen)?

Sollte man dann nicht auch eine Bestandsaufnahme bei allen machen, wer welche Fähigkeiten besitzt? Wäre doch besser für die Gefahrenabwehr gegenüber der Gesellschaft, nicht? Um die Maßnahmen festlegen zu können.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Würdest Du eigentlich § 323c StGB ersatzlos streichen wollen

Am Strafrecht will ich äußerlich nichts ändern. Ich will es nur anders begründen. Ich verurteile B nicht deshalb zu einer Strafe, weil er moralisch schuld ist und deshalb diese Strafe verdient hat. Ich verurteile B deshalb zu einer Strafe, weil diese Strafe in Wirklichkeit nur eine Maßnahme ist, die das zukünftige Zusammenleben zwischen B und der Restgesellschaft verbessern soll. Jede "Straf"-tat wäre nach dieser neuen Sichtweise also einfach nur eine "Problem"-tat und der Richter hätte die Aufgabe, das Problem möglichst zu lösen oder wenigstens für die Zukunft zu entschärfen.

Das führt von einem Schuldstrafrecht (jemand wird für eine böse Tat, die man ihm zurechnet, bestraft) hin zu einem Gesinnungsstrafrecht (jemand wird für seinen bösen Charakter bestraft - für den er eventuell nichts kann, aber issnunmalso und er darf deswegen bestraft werden). Die erste Frage dabei ist die nach der Legitimation. Wie könnte man eine solche darstellen? Da habe ich wirklich noch nicht mal den leisesten Schimmer einer Ahnung, wie das gehen könnte außer "isso, weil ich es nun mal für richtig halte". Und die zweite Frage ist die nach den Auswirkungen: wenn der Staat jemanden nur nach seiner angenommenen Gefährlichkeit bestrafen darf, dann gibt es natürlich auch keinerlei Grund mehr, eine konkrete Tat zum Anlass zu nehmen. Man wird also auch bedenkenlos Unschuldige "Maßnahmen" unterwerfen. Wieso sollte man auch nicht, wenn Gefährlichkeit (= die böse Gesinnung oder auch: die fehlenden Fähigkeiten, siehe C oben) und der "Schutz der Gesellschaft" die einzigen Kriterien ist?

ganimed hat geschrieben:Was bedeutet für dich "Schuld" im Fall von B? Wieso muss man ihn eigentlich bestrafen, wenn man mal davon ausgeht, dass von ihm nur ganz wenig Gefahr ausgeht? Dem toten A hilft man mit einer Schuldzuweisung ja zumindest nicht mehr.

Punishment
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Fr 5. Feb 2010, 23:13

AgentProvocateur hat geschrieben:Was meinst Du aber eigentlich genau, wenn Du sagst: "hätte anders handeln können"?

Ich meine das im Sinne von freiem Willen, dass man nicht kausal gebunden wäre sondern die Freiheit hätte, in der gleichen Situation auch anders zu entscheiden.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wann genau kann jemand anders handeln?

Nie. Deshalb kann ich ja auch nie jemandem die Schuld geben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Fragen kann man nur, wieso er so handelt, wie er handelt. Ob er das z.B. aus seinen eigenen Gründen heraus tut oder ob er von außen oder innen (z.B. Phobie, Manie) irgendwie dazu getrieben wurde.

Wieso macht es für dich einen Unterschied, durch welche Klasse von Gründen man zu etwas gezwungen wird? Das Wesentliche ist doch, dass man nicht anders hätte handeln können, solange diese Gründe vorliegen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Jeder handelt so, wie er handelt. ... Du schließt nun aus dieser Tautologie, dass er so handeln musste. Aber aus einer Tautologie kann man mE nichts weiter schließen, sie steht einfach für sich, das ist alles. Mehr ist nicht, außer Du kannst begründen, wieso doch.

Ich schließe das nicht aus der genannten Tautologie, sondern aus dem folgenden Satz: Jeder handelt so, wie er handelt, genau wegen den Gründen, die er hat. Das ist keine Tautologie. Und der Satz enthält die Begründung. Er erklärt nicht nur, dass jeder so handeln musste. Er erklärt sogar wieso.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das führt von einem Schuldstrafrecht (jemand wird für eine böse Tat, die man ihm zurechnet, bestraft) hin zu einem Gesinnungsstrafrecht (jemand wird für seinen bösen Charakter bestraft - für den er eventuell nichts kann, aber issnunmalso und er darf deswegen bestraft werden).

B wird in meinem Gedankengebäude für seine unterlassene Hilfeleistung bestraft und nicht für seine Gesinnung. Wobei er eben nicht bestraft wird, sondern es wird ihm und der Gesellschaft nach Möglichkeit geholfen, besser miteinander auszukommen. Beim Ertrinken von A war da nämlich merklich was schief gegangen. Und um also zu helfen, untersucht man, wie du ja auch vorschlägst, so weit es geht die Gründe, die B zu seiner Handlung veranlassten. Und aus den Gründen versucht man dann eine hilfreiche Maßnahme zu folgern, wenn überhaupt. Bei psychischen Störungen möglicherweise eine Therapie. Bei Nichtschwimmern möglicherweise einen Schwimmkurs. Bei Triebtätern möglicherweise eine Sicherheitsverwahrung. Das Übliche eben, dass von der gegenwärtigen Justiz ja genau so gemacht wird. Man sollte lediglich die nicht existente Schuld als Hirngespinst über Bord werfen.

ganimed hat geschrieben:Was bedeutet für dich "Schuld" im Fall von B? Wieso muss man ihn eigentlich bestrafen, wenn man mal davon ausgeht, dass von ihm nur ganz wenig Gefahr ausgeht?

Dein Link führte mich zu einem Text, der mich vor Probleme stellt. Er ist lang, er ist auf englisch und er beantwortet meine Fragen vermutlich nur sehr indirekt. Läuft es darauf hinaus, dass die Gesellschaft nach Gerechtigkeit strebt und sozusagen an B gerechte Rache nimmt, stellvertretend für A? Also eine schlimme Tat mit einer schlimmen Strafe sühnen? Auge um Auge?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 6. Feb 2010, 00:23

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was meinst Du aber eigentlich genau, wenn Du sagst: "hätte anders handeln können"?

Ich meine das im Sinne von freiem Willen, dass man nicht kausal gebunden wäre sondern die Freiheit hätte, in der gleichen Situation auch anders zu entscheiden.

Also den Trabbi zu nehmen? Aber ich kann den ja nehmen, da spricht nichts dagegen, ich will ihn aber nicht nehmen!!! Wenn ich wollte, könnte ich, aber ich will nicht!!! Und wenn ich ihn dennoch nehmen müsste!!!, durch irgendwelche Umstände, die dann offensichtlich außerhalb meiner Kontrolle liegen müssten!!!, (denn ich will ihn nicht!!! - und das ist 'müssen': gezwungen zu sein, etwas zu tun, was ich gar nicht will), dann wäre ich unfrei!!! Nur dann!!!

Du kannst doch nicht einfach permanent behaupten, dann wäre ich frei, wenn ich mit dem Trabbi dasäße, das entbehrt doch jeder vernünftigen Grundlage, jeder Argumentation, jeder Plausibilität!!! 'Isso, weil ich's sage' - mehr ist das nicht. Wenn jemand die Wahl zwischen einem getrockneten Stück Scheiße von Dieter Bohlen und 100.000 € hat und 5-milliarden-mal das Geld nimmt, der ist also unfrei, weil er 'nicht anders handeln kann', durch seine Gründe 'gezwungen' ist, das Geld zu nehmen? Oder wenn jemand 5-milliarden-mal eine Vergewaltigung ablehnt, dann ist er dazu 'gezwungen'? Ich bitte Dich.

Und selbst wenn ich dann 'echt frei' wäre, (nach Deiner merkwürdigen Definition von Freiheit, die weder Freiheit bei Kausalität, noch bei Akausalität zulässt, und etwas Drittes gibt es nicht -> Freiheit ist etwas, was prinzipiell undenkbar ist), wie auch immer man hier die Definition festlegen wollen würde: ich wäre doch auf keinen Fall dafür verantwortlich -> ich wäre daher auch auf keinen Fall daran schuld -> denn 'Schuld' bedeutet 'moralische Verantwortung für eine Normverletzung' (die daher vorwerfbar ist - nicht mehr und nicht weniger)!!!

ganimed hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Was bedeutet für dich "Schuld" im Fall von B? Wieso muss man ihn eigentlich bestrafen, wenn man mal davon ausgeht, dass von ihm nur ganz wenig Gefahr ausgeht?

Dein Link führte mich zu einem Text, der mich vor Probleme stellt. Er ist lang, er ist auf englisch und er beantwortet meine Fragen vermutlich nur sehr indirekt. Läuft es darauf hinaus, dass die Gesellschaft nach Gerechtigkeit strebt und sozusagen an B gerechte Rache nimmt, stellvertretend für A? Also eine schlimme Tat mit einer schlimmen Strafe sühnen? Auge um Auge?

Ach nein. Also gut, ich fasse das mal zusammen:

- Einige Arten von menschlichem Verhalten sind schädlich für andere
- Es ist unangemessen, von den Opfern Vergebung zu verlangen oder zu verlangen, sie sollten einfach nur still leiden
- Selbstjustiz soll verhindert werden und das kann geschehen, indem die Straftat in einem Prozess durch die Gesellschaft verurteilt wird
- In einer gerechten Gesellschaft wird ein nicht legitimierter Angriff auf jemanden verstanden als Verletzung von individuellen Rechten, ist deswegen verboten und ist mit Sanktionen belegt, um das Verbot zu stärken, durchzusetzen
- Würde man das nicht tun (individuelle Rechte zu schützen), dann gäbe es keine individuellen Rechte
- In einer gerechten Gesellschaft werden Verbrechen verhindert, bevor sie auftreten, indem man die Verhältnisse so anpasst, dass niemand sich zu Verbrechen genötigt sieht
- Zustimmung zu Normen ist aber nicht so wertvoll, dass es angebracht wäre, sie um jeden Preis (speziell nicht um den Preis der zu großen Einschränkung jeder persönlichen Freiheit) zu erzwingen
- Es ist daher nicht erforderlich / notwendig / ohne zu großen Freiheitsverlust möglich, zu erreichen, dass jeder jede Norm einsieht
- Die Anforderung richtet sich letztlich nicht an die übergreifende Einsicht der Richtigkeit der Normen, nur an die Einhaltung der Normen
- Verbot durch Gesetze spielt dabei eine wichtige Rolle und auch die Androhung einer Strafe / Sanktion bei Nichtbefolgung der Norm
- Auch in einer gerechten Gesellschaft wird nicht jedes Subjekt das Gesetz akzeptieren und nicht jeder, der es akzeptiert, wird Rechte von Anderen immer hinreichend akzeptieren
- Es ist besser, jemanden mit Sanktionen zu zwingen, die Normen zu akzeptieren, als Normverletzungen einfach hinzunehmen, ohne sie mit sozialen Kosten zu belasten, da dies die unschuldigen Opfer alleine ließe
- Darum wäre es zu erwarten, dass rationale, in sich selbst interessierte Personen, auch wenn sie ohne Kenntnis der eigenen Rolle in der Gesellschaft sind, diesem Prinzip der Aufbürdung von Sanktionen bei bestimmten Gesetzesverstößen zustimmen würden
- Das ist die Legitimation und zusätzlich benötigt man nun noch eine Glaubwürdigkeit dieses Systemes
- Die Glaubwürdigkeit wird dadurch erreicht, dass die angedrohten Sanktionen nicht nur leere Wort sind, sondern auch durchgeführt werden
- Dann gibt es da noch einige Einschränkungen:
- Bestrafung darf nicht unmenschlich sein
- Bestrafung darf nicht grundlegende Rechte des Täters und des Opfers verletzen
- Die Höhe der Bestrafung muss einhergehen mit der Höhe der Schuld, der Größe der Normverletzung
- Die Höhe der Bestrafung muss auch nach dem Prinzip: 'weniger ist besser' erfolgen (d.h. wenn es eine weniger in die Rechte anderer eingreifende Möglichkeit der Durchsetzung der individuellen Rechte gibt, ist diese vorzuziehen)
- Dies beinhaltet sowohl vergeltende als auch konsequentialistische Grundlagen, denn:
- Eine nur vergeltende Bestrafung ist schlecht, denn eine Bestrafung muss auch immer einen Nutzen haben
- Eine nur konsequentialistische Bestrafung ist schlecht, denn diese legt keinen Wert auf individuelle Rechte, ignoriert diese ('Gefährlichkeit' ist wichtigstes Kriterium, das überschreibt auch individuelle Rechte)
- Das Strafrecht und dessen Auswirkungen sind für das handelnde Subjekt berechenbar, nicht willkürlich, es ist bekannt / festgelegt, welche Strafen auf welche Taten folgen (-> keine Strafe ohne Schuld, keine Strafe ohne Gesetz)

- Uff

Wie ist nun Deine Legitimation dafür, jemanden nach einer Prognostizierung von 'Gefährlichkeit' repressiven Maßnahmen (aufgezwungener Schwimmkurs, Sicherungsverwahrung etc.) unterwerfen zu dürfen? Und wieso eigentlich nicht einen verpflichtenden Schwimmkurs für alle erwachsenen Nichtschwimmer? Wieso nur für C, wenn die 'Gefährlichkeit' das einzige Kriterium ist? Dann sind doch alle erwachsenen Nichtschwimmer eine potentielle 'Gefahr', nicht? Warum die Spezialbehandlung von C?
_________

Du scheinst da anscheinend eine unbestimmte Intuition zu haben, dass Deine Ansicht besonders human sei. Aber das ist sie nicht, Deine Ansicht führt geradewegs zu Gedankenverbrechen, zu Totalitarismus, zu Gesinnungsverbrechen. Und dass Du meinst, es sei nun damit getan, "Strafe" umzubenennen in "Maßnahme", ist nur ein Selbstbetrug, ein reiner Euphemismus, denn eine Sicherungsverwahrung bleibt eine repressive Maßnahme gegen einen Einzelnen und die muss begründet und legitimiert werden. Oder sie ist willkürlich und ein Willkürstaat kann kein Rechtsstaat sein.

Gegen eine Sicherungsverwahrung kann man sich nicht wehren, man spielt keine Rolle in dem Prozess der Feststellung der Gefährlichkeit, darauf hat man keinerlei Einfluss, keine Möglichkeit des Einspruches, keinen Rechtsschutz. Man wird vom Subjekt zum Objekt des Geschehens, das behandelt wird nach Kriterien, die man nicht kennt und auf die man keinen Einfluss hat. Und das ist nicht humaner als der Vorwurf der Verantwortung für eine bestimmte Tat, die man einem Subjekt macht (-> Schuld), im Gegenteil. Letzteres bleibt ein Subjekt der Gemeinschaft (einer von uns), Ersterer ist ein Fremder, ein Aussätziger, ein Ausgestoßener.

Warum man aber nun dieses Objekt-Prinzip, das heute in Ausnahmefällen bei denjenigen, die man für nicht steuerungsfähig ansieht, angewendet wird, auf alle anwenden sollte, kannst Du nicht darlegen und es ist auch logisch, warum nicht: denn jedes Recht beruht auf der Annahme von moralischen Subjekten, die in der Lage dazu sind, ihre Zukunft zu steuern und ihre Handlungen nach rationalen Erwägungen auszurichten. Recht kann nicht "einfach so" determiniert evolvieren und ist dann auch einfach so okay, wie es auch immer ist. Es muss begründet und legitimiert werden. Streitet man das ab, (dass es moralische Subjekte gibt, die ihre Handlungen steuern können und somit auch neben ihren Handlungen auch Rechte begründen können), dann hat sich jegliches Recht damit automatisch erledigt. Recht ist dann nichtexistent.

-> Einige Gemälde können Fälschungen sein, aber nicht alle Gemälde können Fälschungen sein.

Und: Du hast kein einziges Argument, warum man das Schuldstrafrecht in ein Feindstrafrecht umwandeln sollte! Du hast nur eine (mE sehr unplausible) Definition von 'Zwang', (die nämlich konsensuellen Sex und eine Vergewaltigung als gleichermaßenen! Zwang ansieht - was, hm, wenig nachvollziehbar erscheint und wie eine unbegründbare ad hoc-Behauptung aussieht), die reinen Behauptungen, Kausalität bedeute Unfreiheit und Akausalität bedeute auch Unfreiheit und die Behauptung, für eine Zuweisung von Schuld benötige man die Fähigkeit, auch "anders handeln zu können" - ohne aber auch nur im Ansatz darlegen zu können, was das überhaupt bedeuten könnte.

Und das ist wenig. Genau genommen ist es gar nichts. Rien, niente, nada.

Ich könnte jetzt sagen: ich halte Deine Ansicht für nicht normal und für gefährlich, für das friedliche Zusammenleben für bedrohlich und Dich für gefährlich; ich hielte es für besser, wenn Du einer Maßnahme unterworfen würdest, die dieses "Problem" löst oder zumindest für die Zukunft entschärft. Weil das das Zusammenleben zwischen Dir und der Restgesellschaft verbessern kann. Nicht dass Du was dafür könntest oder schuld daran wärest, nein, Gott bewahre, das muss nun einfach ohne Vorwurf aus Notwendigkeit durchgezogen werden (es gibt ja auch eh keine Alternative dazu, keine andere Möglichkeit, denn alles muss so kommen, wie es kommen wird) und Du kannst auch nichts dagegen tun, Dich nicht verteidigen oder entschuldigen oder rechtfertigen.

Du wirst sehen, das ist letztlich auch nur zu Deinem Besten, danach wird es Dir viel besser gehen. Muss halt sein. Wegen der Sicherheit, da müssen Deine persönlichen Rechte zurückstehen, die spielen keine Rolle mehr bei der von mir prognostizierten Gefährlichkeit. Die Gesellschaft ist alles und Du bist nichts und die Gesllschaft bestimmt nun mal, was normales Denken ist und was unnormales Denken und ab wann von unnormalem Denken eine Gefährlichkeit ausgeht. Füge Dich einfach, Du hast eh keine Wahl.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 21 Gäste

cron