AgentProvocateur hat geschrieben:-> 0 % kausale Abhängigkeit = 0 % Zwang = 100 % Entscheidungsfreiheit = 100 % Schuld. Richtig?
Richtig.
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber eben das behauptest Du doch hier: wenn sich Eigenschaften kausal ergeben, dann sind diese Eigenschaften nicht einem Etwas zuzuordnen, sondern den vergangenen Umständen, die die Eigenschaften kausal verursacht haben.
Das war dann wohl der Teil, wo ich mich zu weit aus dem Fenster lehnte und erschrocken zurück rudern möchte. Also: eigene Eigenschaften sind es schon. Nur nicht frei erworbene oder, sagen wir, in Eigenregie erbaute.
AgentProvocateur hat geschrieben:Sie gehören Dir, aber sie sind nicht Deine Idee? Hm, das ist merkwürdig. Bist Du nur Dein Bewusstsein? Das wäre immerhin eine Erklärung dafür.
Auch ein schwieriges Gewässer: was ist eine Idee? Ich meinte mit Idee hier, dass man im Hirn wirklich einen ganz neuen Gedanken hat, der nicht aus anderen Gedanken oder äußeren Impulsen folgt. Oder, um wieder mit dem Beispiel der Folgen-Kette zu kommen: ein Glied in der Kette, nennen wir es wieder C, welches nicht aus D folgt, sondern einfach so sein eigener Ursprung ist. Das meine ich mit "originär", nicht aus etwas anderem folgend, nicht abgeleitet sein.
AgentProvocateur hat geschrieben:Das, was wir denken, ist von uns ausgedacht. Klar, von wem denn sonst (falls das nicht von Dritten induziert wurde)? Was hat Kausalität damit zu tun? Wieso wäre etwas Akausales mehr (oder überhaupt erst) von uns ausgedacht?
Ein akausaler Gedanke wäre originär insofern, als er nicht kausal aus einem anderen Gedanken oder anderen Reizen folgte. Ich gebe zu, sowohl kausale als auch akausale Gedanken werden von uns gedacht. Der wichtige Unterschied ist also nicht die Zuordnung sondern der Freiheitsgrad. Der kausale Gedanke folgt nur aus anderen Sachen. Der akausale Gedanke wäre wirklich neu, unabhängig, und daher in gewissem Sinne noch etwas mehr der eigene.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was ist also "echte Kontrolle"? Du kannst doch nicht einfach nur behaupten, "echte Kontrolle" sei nur möglich bei Akausalität, Du musst das begründen. Und ganz furchtbar hilfreich dabei wäre eben, wenn Du "echte Kontrolle" darstellen könntest, das, was sie bedeutet und ausmacht. Akausalität vermindert doch Kontrolle, sie erhöht sie keineswegs. Oder Du kannst zeigen, wie.
...
die Frage ist, wieso ein solcher Geist verantwortlicher und schuldiger machen würde? Das verstehe ich nicht, meiner Ansicht nach wäre ganz genau das Gegenteil der Fall: jemand, der von einem solchen Geist besessen wäre, wäre nicht zurechnungsfähig, daher nicht verantwortlich für seine Handlungen und ergo auch nicht schuld daran.
Du scheinst mir das mit dem dualistischen Geist trotz mancher Wiederholung einfach nicht abkaufen zu wollen :) Kann ich irgendwie verstehen, weil ich ja selbst nicht an seine Existenz glaube. Aber ziemlich viele Menschen tun das. Also so ganz aus der Welt ist diese Vorstellung offenbar nicht. Unsere materielle Welt ist kausal (obwohl das glauben viele Leute nun wieder nicht) und der einzige Weg, sich einen akausalen Denker vorzustellen wäre also, einen Teil des Gehirns in eine zweite Welt, der geistigen, zu verlagern. Und in dieser geistigen Welt herrschen andere Gesetze (welche weiß ich nicht, aber akausal scheint sie zu sein, wenn man den Annahmen der Dualisten folgt). Und daher kann der Geist akausal etwas wollen. Aber wie gesagt: der Geist ist nicht irgendwas Äußeres, sondern es ist das Ich des Menschen. Der Mensch ist also nicht von diesem Geist besessen sondern er ist der Geist. Entscheidungen des Geistes sind also Entscheidungen des Menschen, für die er schuldig ist, weil er sie akausal, also frei, fällen konnte.
Befreit von dem Diktat der kausalen Abhängigkeit hat der dualistische Mensch also die Möglichkeit, seine Gedanken nach anderen Kriterien zu kontrollieren. Er hat mehr Möglichkeiten, weniger Zwang und daher mehr Kontrolle.
Dieser dualistische Geist wäre die einzige Idee von "echter Kontrolle", die mir einfällt. Und zumindest in sich logisch scheint mir diese Vorstellung zu sein.
AgentProvocateur hat geschrieben:a) Sie erlebt eine heiße Liebesnacht mit ihrem Partner
b) Sie wird von einem Einbrecher vergewaltigt
c) Wie b), diesmal aber ist der Vergewaltiger ein manifestierter Geist aus einer anderen Dimension, der akausal handelt
d) Jemand hypnotisiert sie so, dass sie nach der Hypnose auf den Hypnotiseur scharf ist und mit ihm ins Bett geht. Danach erst erfährt sie, wie es sich zugetragen hat.
...
a) wird man nicht als Zwang ansehen, b), c) und d) jedoch. Und das hat meiner Meinung nach nichts mit Kausalität und Akausalität zu tun, sondern nur damit, ob etwas gegen den eigenen Willen geschah, also nicht freiwillig.
(b), (c) und (d) sehe ich ebenfalls als Zwang an. (a) jedoch auch.
Wenn du schreibst: "a) wird man nicht als Zwang ansehen" meinst du dann den objektiven Zwang oder nur den subjektiv erlebten? Stimmst du der Definition des "objektiven Zwangs" überhaupt zu und willst sie nur nicht in diesem Kontext verwenden? Oder lehnst du die Existenz von "objektivem Zwang" gänzlich ab?
Subjektiv gesehen, gebe ich dir recht. Fall (a) geschah sicherlich im Einklag mit dem Willen der Dame.
Objektiv gesehen ist das aber kausal-mäßig natürlich auch ein Zwang. Für die heiße Liebesnacht (endlich mal ein richtig nettes Beispiel) gab es ja Gründe: (ich spekuliere mal) er fand sie toll, sie fand ihn toll (wie ich letztens mal hörte oft auch aufgrund seines Geruchs, der wiederum auf ein möglichst unterschiedliches Immunsystem hinweist, was dem potentiellen Nachwuchs mehr Gesundheitschancen verschafft), gesunder Sexualtrieb auf beiden Seiten, und was sonst alles noch dazu geführt hat.
Wo in dieser Ursachenkette wäre die Freiheit zu sehen? Wo hatte die Dame die Freiheit, "nein" zu sagen? Nirgendwo, da ja alles kausal erfolgte. Also hat sie in (a) ebensowenig Entscheidungsfreiheit wie in den anderen Fällen. Die subjektive Wahrnehmung könnte natürlich nicht gegensätzlicher sein.
Was aber nur zeigt, dass für die Frage des Zwangs eben nicht die subjektive Sicht zählen sollte. Für die "Schuld" stelle ich die Frage nach der "Entscheidungsfreiheit". Und für die Frage nach der "Entscheidungsfreiheit" stelle ich die Frage nach dem "objektiven Zwangs", denn nur der beantwortet die Frage.
AgentProvocateur hat geschrieben:frag, wen Du willst, mit obigen Fallbeispielen, da wird Dir kaum jemand zustimmen wollen.
Das muss ich zugeben. Wir Inkompatibilisten sind spürbar in der Minderheit, jedenfalls wenn ich die armen Seelen als Maßstab nehme, die ich schon in entsprechende Diskussionen verstrickte, und die allesamt bei ihrer Ansicht blieben, dass ich völlig falsch läge. Für mich allerdings noch nicht ganz das Aus. Denn mir will scheinen, dass das zumindest erklärbar ist durch die Übermacht des persönlichen Erlebens. Wie das Operationstisch-Beispiel ja zumindest ahnen lässt, ist unser Bewusstsein unter anderem eine Maschine zur Aufrechterhaltung der Illusion, dass wir ein freies, souveränes Individuum seien. Soweit ich hörte, scheint das eine wichtige Sache zu sein, wenn man sozial interagieren will in menschlichen Gemeinschaften. Das könnte einer der big points sein, die wir Menschen in letzter Zeit beim Evolutionsspiel machen konnten.
Ich vermute, sich dieses überwältigen Eindrucks zu entledigen, wenigstens in Theorie und für ein paar rationale Momente, dazu bedarf es vielleicht ein wenig Übung. Vielleicht muss man sich erst ein wenig mit dem Gedanken vertraut machen, zum Beispiel indem man zufällig Interesse am Thema hat. Ich könnte mir vorstellen, dass die Mehrzahl meiner Umgebung einfach andere Interessen hegt, weniger in diese Richtung denkt und deshalb relativ unvorbereitet von mir erwischt wird mit der üblicherweise ersten und letzten Frage: "Glaubst du, dass es in einer kausalen Welt einen freien Willen geben kann?"
Ist bestimmt wie bei allen Dingen, die der eigenen Intuition widersprechen: da sollte man sich von dem Argument "da kannst du fragen wen du willst" nicht ins Bockshorn jagen lassen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Bestimmte Sachen mache ich aber nicht unbewusst, ich schreibe diesen Beitrag bewusst. Ich weiß, was ich tue, obgleich ich viele Dinge unbewusst tue und auch viele Dinge, die ich gelernt habe, nicht mehr meine bewusste Aufmerksamkeit widmen muss. Ich habe aber noch nie z.B. meinen Nachbarn unbewusst getötet und das nachher erst mitbekommen. Sowas wäre bedenklich, in der Tat, aber das kam noch nie vor. Und bei anderen, die ich so kenne, auch nicht.
Unbewusst ist ja nunmal, per Definition, genau der Teil, den du (also dein Bewusstsein) nicht mitbekommst. Wie das Operationstisch-Beispiel andeutet, kann man offenbar auch hinterher, wenn man was gemacht hat, nicht völlig klar wissen, ob man sich bewusst entschieden hat oder nicht. Wenn du jetzt also behauptest, du wüsstest, was du bewusst gewollt hast und was nicht, dann widerspricht das aus meiner Sicht dem vorliegenden Kenntnisstand der Hirnforschung. Wie kannst du jemals sicher sein, den Inhalt deines Beitrags wirklich bewusst entschieden zu haben wenn das Beispiel des Operations-Patienten zeigt, dass sich das Bewusstsein in manchen Fällen sogar ganz eindeutig von außen induzierte Handlungen als die eigenen unter den Nagel reißt? Wer so etwas schafft, der kann sicher auch jede Form von unbewusster Entscheidung nachträglich als bewussten Willen "umdefinieren". Dass du also immer weisst was du tust, ist einfach sehr schwer zu glauben. Ich schaffs nicht ganz.