ganimed hat geschrieben:Was ich durch die Tatsache bestätigt sehe, dass du im Grunde auf die letzte Barrikade zurückgewichen bist, nichts substantielles an meinem Maßstab aussetzt, sondern nur sprachliche Ungenauigkeiten monierst.
Ne, ich bin nicht zurückgewichen, ich versuche eigentlich nur, dir irgendwie klar zu machen, dass aus quantitativen Messungen keine qualitativen Aussagen zu gewinnen sind. Ich sehe aber schon, dass ich das Problem offenbar von der falschen Seite her aufzäume. Wenn du die Rolle der Sprache nicht ernst nimmst, hat es natürlich wenig Sinn, die Problematiken im Umgang mit Sprache immer kleinteiliger auseinanderzunehmen, weil ja schon die Ausgangsbotschaft nicht bei dir angekommen ist.
ganimed hat geschrieben:Ich kann dir den Vorwurf nicht ersparen, dass du in dem Versuch, Kritik zu üben, offenbar eine Interpretation meiner Worte gewählt hast, die oberflächliche Fehler hervorhebt und dich der Mühe enthebt, etwas zum Kern zu sagen.
Das, was du als Oberflächlichkeiten ansiehst, stellt für mich den Kern deines Problems dar. Du versuchst qualitativ zu urteilen, ohne zu reflektieren, unter welchen Bedingungen das (nur) möglich ist. Bzw. eigentlich versuchst du qualitative Urteile zu entkräften, indem du Regeln der quantitativen Forschung auf die qualitative Forschung anwendest und dich dann munter freust, dass du jede Menge Widersprüche entdeckst.
Natürlich deute ich dabei deine Position. Du darfst mir gerne erklären, wo ich dich falsch verstanden habe, wenn du das Gefühl hast, dass das so ist.
ganimed hat geschrieben: Soweit ich sehe führen deine kritischen Interpretationen meiner Worte einfach nur zu Syntax-Errors? Zu einer inhaltlichen Kritik gelangst du auf diese Weise ja gar nicht erst, oder?
Nehmen wir mal als Beispiel das Reizthema Religion. Stell dir mal für einen Augenblick vor, Person A, Christ, würde von Person B (Atheist) verlangen, ein theologisches Argument nachzuvollziehen und es
inhaltlich zu kritisieren. Atheist B hat darauf aber keine Lust, weil er gar nicht einsieht, warum er sich mit einer Argumentation auseinandersetzen soll, die auf Prämissen beruht, die er nicht als gegeben ansehen kann. Er wird deshalb Person A vorwerfen, eine Position zu formulieren, die schon prinzipielle Lücken und Ungereimtheiten in den Axiomen/impliziten Annahmen aufweist.
So ähnlich geht es mir mit dir. Eine inhaltliche Kritik erübrigt sich für mich schon deshalb in weiten Teilen, weil ich die Prämissen, auf denen der Inhalt konstruiert wird, für inkonsistent halte. Ob du jetzt "2 Bananen + 2 Bananen = 5 Bananen" oder dasselbe mit Bratwürsten rechnest, ist für das prinzipielle, strukturelle Problem der Aussage doch irrelevant.
ganimed hat geschrieben:Gut, aber diese Regeln des Systems beziehen sich auf den Diskurs, nicht auf den Wettbewerb, den ich sprachlich beschreibe. Ich meine keinen Schreib-Wettbewerb, ich meine das Leben. Und als Maßstab wähle ich meinetwegen die Fortpflanzungsrate.
Ok, das kannst du ja auch machen. Aber dann musst du transparent darlegen, dass du "Überlebenserfolg anhand der Fortpflanzungsrate" messen willst. Mit der Themenfrage, ob bewusste Lebewesen höhere Grade an Freiheit erreichen bzw. qualitativ höhere Stufen der Entwicklung erreichen, hat das dann halt einfach nichts zu tun.
ganimed hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Qualitativ gesehen "höher" ist hier der, der qualitativ differenzierter und reichhaltiger argumentieren kann
Das ist jetzt einfach ein Maßstab, den du hier nennst. Ich habe meinen begründet (aus den Regeln des Lebens-Wettbewerbes hergeleitet). Jetzt bist du dran. Wieso ist dein Maßstab naheliegender?
Gerne nochmal: Der "Lebens-Wettbewerb", wie du es nennst, hat nichts damit zu tun, wie ein Lebewesen qualitativ fühlt und denkt. Solange du deinen Maßstab für den Überlebenserfolg benutzt, ist er vollkommen angebracht, aber er hat eben nichts bei einer Bewertung (ist auch nicht dasselbe wie Messung) einer qualitativen Frage zu tun.
ganimed hat geschrieben:Und auf die Bundesliga bezogen: ich würde als Maßstab die Tore zählen und sagen: die Mannschaft ist qualitativ höher, die mehr geschossen hat. Und dann würdest du auch einwenden, dass ja das diskursive System das einzige System ist, und deshalb der einzige Maßstab sei, wer differenzierter argumentieren kann, und du würdest dann allen Ernstes die Mannschaft als qualitativ höher werten, deren Mitglieder besser diskutieren können?
*patsch*
Meine Güte... natürlich nicht. Aber danke für das Beispiel, denn es offenbart recht gut, wie du zwei Dinge durcheinanderschmeißt, die nicht in denselben Topf gehören. Aber der Reihe nach:
- Aus der Anzahl der Tore lässt sich nicht direkt die Qualität der Mannschaft ablesen. Man kann sicherlich begründet annehmen, dass Toranzahl und Qualität der Mannschaft miteinander korrelieren, aber eine Korrelation ist etwas anderes als eine Kausalität. Zudem hat der Begriff "Qualität" eben auch eine normative Komponente, insofern er zwischen "besser" und "schlechter" unterscheidet, was nicht dasselbe ist wie das rein quantitative "weniger" und "mehr". Die Transformation von "weniger" in "schlechter" und von "mehr" in "besser" ist nur unter Zuhilfenahme einer normativen Theorie möglich, die begründet, warum "mehr" dem "weniger" gegenüber vorzuziehen ist. Man könnte ja beispielsweise auch sagen, dass die Mannschaft am besten und fairsten ist, die immer Unentschieden spielt oder die die andere Seite gewinnen lässt. Bloß weil das dem Alltagsgefühl widerspricht, ist diese Sichtweise nicht logisch widerlegt (kann sie auch in dem Sinne prinzipiell nicht werden). Aus der Empirie lässt sich eben immer nur Faktisches, Deskriptives ableiten und "qualitativ höher" ist eben nunmal eine erweiternde Definition, die eine normative Komponente enthält. Und sorry, aber das IST wirklich einfach so.
- Akzeptiert man, dass mehr Tore begründet als Indikator für qualitativ besseren Fußball gelten können, dann kann man damit auch
nur dieses eine betrachten. Es ist beispielsweise vollkommen irrelevant, ob die besseren Fußballspieler freier sind, ob sie überhaupt menschlich sind, ob sie Fischen in ihrer qualitativen Existenz überlegen sind oder ob sie besser diskutieren können. Mehr Tore = besserer Fußballer != qualitativ höheres, freieres Lebewesen
- Die Mannschaft, die besser diskutieren kann, also besser begründen, reflektieren und unterscheiden kann, hat tatsächlich eine qualitativ höhere Wahrnehmung und ist, weil sie besser begründet entscheiden kann, auch freier (die Details kannst du dir bei AgentProvocateur abholen, der weiß das besser als ich). Sie spielt aber nicht notwendigerweise besser Fußball, weil das nunmal zwei Paar Stiefel sind.
ganimed hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Die simple Erklärung ist für den Einstieg erstmal, dass man, wenn man quantitativ Maßstäbe heranzieht, eben auch nur quantitativ arbeiten kann. So blöd es klingt, aber das sagt ja schon die Bezeichnung.
Ja, das klingt wirklich blöd. Ich kann folgende Transformationsregeln definieren:
0-3 Punkte = ungenügend
4-9 Punkte = mangelhaft
10-20 Punkte = ausreichend
21-33 Punkte = befriedigend
34-49 Punkte = gut
50-70 Punkte = sehr gut
Jeder Lehrer schafft es, aus einem quantitativen Maßstab einen qualitativen zu machen. Dann kann es doch nicht so schwer sein, oder?
Ne, es ist weder schwer noch richtig. Vielleicht nicht jeder, aber doch die meisten Lehrer wissen übrigens, dass solche Punkteskalen keine tatsächliche Transformation qualitativen Könnens in quantitativ objektive Messwerte darstellen. Ich kenne eine ganze Reihe Lehrämtler im Studium, und ich habe selten engagiertere Kritiker dieser Bewertungssysteme getroffen, wobei auch denen klar ist, dass man aus Pragmatismus letztlich auf solche Skalen zurückgreifen muss. Rein formallogisch gesehen sind die Zuordnungen aber natürlich vollkommen willkürlich. Wie in jeder Ordinalskala stecken da Implikationen drin, die das Ausgangsmaterial stark reduktionistisch und verfälschend behandeln. Denn es ist schwer zu begründen, dass jemand mit 10 Punkten tatsächlich zehnmal so gut sein soll, wie jemand mit Null Punkten (was ist das überhaupt, Englisch zehnmal besser zu können? Zehnmal mehr Vokabeln beherrschen? Zehnmal mehr Sätze fehlerfrei sagen können? Zehnmal öfter von Muttersprachlern annähernd fehlerfrei verstanden zu werden?) und wieso jemand mit 20 Punkten dann nochmal doppelt so gut sein soll wie der mit den 10. Das ist, wenn man sich mal vor Augen führt, was das bedeuten würde, recht unsinnig, und stellt lediglich eine in der Alltagswelt pragmatisch akzeptierte Näherung dar, die sich bei logisch sauberer Aufarbeitung aber nicht halten ließe. Den Statistikern ist das übrigens klar, die behaupten gar nicht erst, da universelle Wahrheiten zu vermitteln. Die suchen nach Korrelationen, die theoretische Hypothesen untermauern oder widerlegen, aber hermeneutische Erkenntnisse versucht kein Statistiker mit quantitativer Datenanalyse zu gewinnen.
ganimed hat geschrieben:Die Aussage des Experten beruht eben darauf, wie viele gute Aktionen er gesehen hat und wie er die in seinem inneren Wertesystem wichtet. Theoretisch UND praktisch korreliert das nur unvollkommen mit der tatsächlichen, objektiven Anzahl an gelungenen Pässen, Toren oder Fans. Diese Ungenauigkeit liegt nicht daran, dass man angeblich nicht von quantitativ auf qualitativ schließen könnte. Dein Beispiel war einfach nur schlecht gewählt.
Mir dämmert langsam, dass du den Unterschied zwischen quantitativ und qualitativ tatsächlich grundlegend nicht begreifst, also nicht nur widersprichst, sondern anscheinend tatsächlich nicht erfasst, was damit gemeint ist. Da kann ich jetzt aber echt nichts machen.
ganimed hat geschrieben:Aber trotzdem ist es doch Unsinn, zu behaupten, dass man aus einem quantitativen Maßstab keine qualitativen Aussagen ableiten könne.
Ja, klar ist es Unsinn. Es ist auch nur Konsens im wissenschaftlichen Mainstream und wird einem in jeder Methodik- und Statistikeinführung ausführlich dargelegt. Natürlich haben die Statistiker von quantitativer Forschung generell wenig Ahnung, das sehe ich schon ein.
ganimed hat geschrieben:Und was ich verstanden habe, finde ich nicht sehr stichhaltig. Vielleicht wäre es auch angezeigt, bessere Argumente zu liefern, statt die bisherigen besser zu erklären.
Oder aber ich gehe schlafen und widme mich morgen einfach meinen Statistikhausaufgaben für nächste Woche. Ich muss nicht krampfhaft jeden mitziehen und Einleitungen aus Einführungsbüchern wiederkäuen macht auch nur so und so lange Spaß.