Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » So 1. Jan 2012, 23:05

@ AgentProvocateur

Wo aber kommt dann die Kontrolle des Subjekts über sich selbst her? Was ist der Ausgangspunkt dafür. Du setzt für Freiheit voraus, dass ein Subjekt sich selbst kontrollieren kann, das kann ich als Definition mal hinnehmen, aber worauf basiert diese Fähigkeit, sodass sie frei ist?
Für mich bleibt da ein großes Fragezeichen und ich sehe weder im Determinismus allein noch im Zufall allein eine Lösung. In der Hinsicht sind wir uns einig, aber ich habe von Dir keine andere Lösung gehört, sondern nur, dass Du diese Fähigkeit irgendwie voraussetzt. Wie wollen wir die Frage klären, ob diese Ursache mit dem Determinismus vereinbar ist, wenn wir gar nicht wissen, was sie ausmacht?
Wenn der Wille kein eigenständiger Akteur sein kann, wer ist es? Oder wie ist es der Mensch als solches? Was gibt ihm die Fähigkeit, Subjekt zu sein? Es muss ja irgendeinen Ausgangspunkt geben.

Und noch eine Frage:
Wenn ich das richtig verstehe, müsste ein Inkompatibilist seinen Standpunkt ohne den „God’s point of view“ schlüssig darlegen können, damit der Kompatibilist überzeugt wäre, aber umgekehrt müsste der Kompatibilist dem Inkompatibilisten seinen Standpunkt vom „God’s point of view“ schlüssig erklären können?
Geht es dann nicht viel eher um die Streitfrage, inwieweit man mit einem „God’s point of view“ generell arbeiten kann und der Rest der Diskussion ist eigentlich überflüssig, weil er nicht aufzulösen ist?

Determinismus ist eine Tautologie, deswegen folgt daraus auch gar nichts, es schließt aber trotzdem theoretisch aus, dass etwas frei sein könnte (außer vielleicht der Ursache des Determinismus), das liegt aber an der Begriffsdefinition (mehr als die hat man davon auch nicht, weil das ganze Konzept nicht falsifizierbar ist).

Das mit den Strafen ist vielleicht unterschiedlich. Mir ist zumindest einiges zu Ohren gekommen, was nicht mehr feierlich war.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 1. Jan 2012, 23:11

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Zumindest mir geht es um die allgemeine (mögliche) persönliche Freiheit, die sich mE aus diesen beiden Komponenten zusammensetzt:

1. Willensfreiheit (das, was ich will und entscheide, kommt aus mir, das tue ich, ist mein Ding, ich kann erkennen und abwägen, ist nicht im Gegensatz dazu ausschließlich von Dritten festgelegt, nur von Dritten manipuliert, z.B. durch Hypnose, Drogen, Gehirnwäsche oder dergleichen)
2. Handlungsfreiheit: ich kann tun, was ich will, das, für das ich mich letztlich entscheide

Wie erklärst Du Dir aber in einer deterministischen Welt das aus Dir Kommen? Du gehst davon aus, dass das gegeben ist, da sind wir uns auch einig, aber Du hast dafür, dass es dieses aus Dir kommen gibt, auch keine Erklärung vorgelegt, erst recht keine, die es erklärt, dass es mit einem Determinismus ohne weiteres vereinbar ist.

Naja, ich habe halt das Problem, Dein Problem zu sehen. Wieso sollte es nicht mit Determinismus vereinbar sein, dass ich eine Person bin, die Erkenntnisse gewinnen und darüber reflektieren kann? Ich wüsste nicht, wie so eine Erklärung aussehen könnte, weil ich wie gesagt das grundsätzliche Problem dabei nicht sehe.

Ich habe auch ein Problem damit, einzusehen, was Zufall / Willkür (also: Indeterminismus) damit zu tun haben könnte; wie ich es mir vorstellen könnte, dass ein solcher irgendwie Freiheit herstellen könnte.

Ich bin ja meiner Ansicht nach deswegen willensfrei, weil ich diese Fähigkeiten (zur Erkenntnis und Reflexion) hinreichend besitze. Aber diese Fähigkeiten habe ich mir nicht selber beigebracht, ich bin wie alle ein Kind meiner Umstände, ich bin nichts, was irgendwie merkwürdigerweise eigenständig außerhalb der Welt (und gar mir selber - als eine Art Homunkulus oder ein Münnchhausen, der sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen kann) existieren würde, ich bin ein ganz normaler Mensch, geboren, aufgezogen, mit einer bestimmten Umwelt, bestimmten Eltern etc. pp. (Allerdings, Anmerkung: ich glaube nicht, dass das eine besonders herausragende Erkenntnis ist, die teile ich, meine ich, mit den meisten Menschen).

Dennoch aber kann ich selber denken, wieso solle ich das nicht können? Ich habe eigene Gedanken, Ansichten, Überzeugungen, einen eigenen Willen etc. pp. Was hat Determinismus damit zu tun, wieso schlösse ein hypothetischer absoluter Determinismus eigenes Verstehen, Reflektieren und Denken, überhaupt das Entstehen einer Person aus? Dafür muss es doch Gründe geben, das kann man doch nicht einfach so per se mal eben schnell dogmatisch ex cathedra verkünden.

Und wie könnte Indeterminismus das im Gegensatz zu einem Determinismus gewährleisten? Mit anderen Worten: wie kann man die beiden grundlegenden (mir unlogisch erscheinenden) Voraussetzungen der Inkompatibilisten: a) Kontrolle über einen Ablauf und b) völlige (kausale) Unabhängigkeit (des Ablaufes) von allem zusammenbringen, so dass sie nicht mehr logisch unmöglich, sondern logisch möglich und somit nachvollziehbar und vorstellbar sind?

Das sind die spannenden Fragen für mich hier. Und die habe ich schon oft in verschiedenen Foren gestellt, aber habe noch nie eine befriedigende Antwort darauf bekommen. Lediglich eine Menge ad hominems, es ist wohl irgendwie böse, ein Kompatibilist zu sein, das unterbindet den Kreuzzug der harten Deterministen, die den Menschen das wahre Heil bringen wollen, das aber aus irgend einem unerfindlichen und nicht darstellbaren Grunde nur sie kennen, (man sei verantwortlich dafür, niemanden mehr für verantwortlich zu halten; es sei moralisch gut und daher moralisch verpflichtend, Moral als unsinnig anzusehen; man sei frei dazu, alle für unfrei zu halten und dergleichen Merkwürdigkeiten mehr). Aber ich brauche nun mal mindestens einen verdammt guten Grund dafür, ansonsten sehe ich da nur unlogische performative Selbstwidersprüche. Ich bin wohl vielleicht einfach nicht dazu determiniert, merkwürdige Dogmen einfach so anerkennen zu können, meine Geschichte und mein soziales Umfeld und meine Überlegungen bisher determinieren mich wohl dazu, rationale Gründe zu fordern.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mag sein, aber das wäre dann das Ende dieser Diskussion. Dein Bauchgefühl ist dann so, meines anders und das war es dann.

Nicht unbedingt, es kann auch sein, dass wir uns letztendlich nur irgendwo missverstehen. Solange sich in mir etwas widerstrebt, eine Ansicht anzunehmen, gehe ich davon aus, dass es Gründe gibt, die gilt es herauszufinden. Ich kann mich nicht einfach für etwas entscheiden, was zwar irgendwie schlüssig klingt, wo ich aber Widerstände habe. Das habe ich in der Vergangenheit ein paar Male gemacht und aus diesen Fehlern gelernt.

Ich verstehe das: wenn einem etwas intuitiv nicht einleuchtet, dann kann man es nicht akzeptieren. Das finde ich auch völlig in Ordnung. Aber mir geht es umgekehrt ganz genauso.

Aus meiner Sicht sieht es immer so aus, als ob Inkompatibilisten unbegründet folgendes Dogma setzen, (und im Folgenden sehr viel Mühe darauf verwenden, Kompatibilisten, die das Dogma nicht anerkennen wollen, als Ketzer zu diffamieren, persönlich werden, ad hominems verwenden, sich gegenseitig auf die Schulter klopfen): Determinismus und Freiheit schließen sich aus. Das ist deswegen ein Dogma, weil das nicht aus sich heraus einfach so selbstverständlich ist, das also begründet werden muss. Und zusätzlich muss der Inkompatibilist folgendes leisten: a) entweder einen nachvollziehbaren, logisch möglichen Freiheitsbegriff darlegen, der offensichtlich mehr leistet / besser ist als der der Kompatibilisten oder b) zugeben, dass sein Freiheitsbegriff logisch unmöglich ist und daraufhin nachweisen, dass die meisten Leute seinem Freiheitsbegriff anhängen, (auch wenn der logisch unmöglich ist) bzw. darlegen, welche Institutionen oder Verfahrensweisen in unserer Gesellschaft auf diesem Freiheitsbegriff beruhen.

Wenn aber keines von beidem zu leisten ist, dann bleibt an der Stelle nur zu konstatieren: ich finde es intuitiv unlogisch, was Du hinsichtlich Freiheit verstehst und Du findest es umgekehrt intuitiv unlogisch, was ich darunter verstehe. Und keiner von uns kann den anderen überzeugen, da reine Intuitionen keine Argumente darstellen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin eher für zivile Lösungen, aber dazu wie gesagt woanders mehr.

Okay.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 1. Jan 2012, 23:46

Teh Asphyx hat geschrieben:Wo aber kommt dann die Kontrolle des Subjekts über sich selbst her? Was ist der Ausgangspunkt dafür. Du setzt für Freiheit voraus, dass ein Subjekt sich selbst kontrollieren kann, das kann ich als Definition mal hinnehmen, aber worauf basiert diese Fähigkeit, sodass sie frei ist?

Die kommt wie gesagt aus seiner Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Reflexion, zur Abschätzung der Folgen möglicher zukünftiger Handlungen, (wobei, wie auch schon gesagt, es diese Fähigkeiten nicht selber hergestellt / erzeugt hat, die haben sich vielmehr - anfangs ohne jedes Zutun von ihm, [später mit seinem Zutun] - entwickelt).

Würde ich Dich jetzt z.B. sehr beleidigen, dann würdest Du mir das übelnehmen. Und nicht mehr weiter mit mir reden wollen. Da ich aber weiter mit Dir reden will, wäre das kontraproduktiv. (Nicht, dass ich nicht noch andere Gründe hätte, das nicht zu tun, aber ich beschränke mich mal auf einen rein egoistischen, um hier nicht noch die Egoismus-Debatte führen zu müssen).

Würde ich Dich aber beleidigen, dann könntest Du mir das berechtigt zuschreiben und mir übel nehmen, denn ich weiß, was ich tue; ich schreibe hier also nicht "frei" in Deinem Sinne, sondern unfrei, (aber frei in meinem Sinne), nämlich unter Abwägung der vorgestellten Konsequenzen, also abhängig von meinen Überlegungen, Meinungen, Ansichten, Vorlieben, Zielen etc. pp.

Ich verstehe bloß immer noch nicht, was an Deiner Freiheit wünschenswert wäre. Mir wäre es unangenehm, ich wollte das gar nicht, z.B. Dich zu beleidigen (oder plötzlich grundlos und rein zufällig meine Frau zu töten oder meinen Nachbarn oder irgend einen Passanten) ohne dass ich das irgendwie kontrollieren könnte. Ich würde mich dann unfrei fühlen, als Opfer des Zufalls, als Zuschauer in einem Geschehen, auf das ich keinen Einfluss hätte, als Unbeteiligter, als Marionette des Schicksals, als nicht verantwortlich dafür.

Mir ist es viel lieber, in Deinem Sinne unfrei zu sein, dafür aber meine Entscheidungen und Handlungen unter Kontrolle zu haben. Und nur dann, also nur, wenn ich unfrei in Deinem Sinne bin, (aber frei in meinem Sinne), fühle ich mich auch verantwortlich für meine Handlungen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn der Wille kein eigenständiger Akteur sein kann, wer ist es? Oder wie ist es der Mensch als solches? Was gibt ihm die Fähigkeit, Subjekt zu sein? Es muss ja irgendeinen Ausgangspunkt geben.

Nur Wesen sind eigenständige Akteure. Das müssen keine Menschen sein, können auch Tiere oder meinetwegen auch hypothetische Aliens oder Maschinen sein.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn ich das richtig verstehe, müsste ein Inkompatibilist seinen Standpunkt ohne den „God’s point of view“ schlüssig darlegen können, damit der Kompatibilist überzeugt wäre, aber umgekehrt müsste der Kompatibilist dem Inkompatibilisten seinen Standpunkt vom „God’s point of view“ schlüssig erklären können?

Naja, der Inkompatibilist müsste halt erklären können, wieso eine metaphysische (weder falsifizierbare noch verifizierbare) Annahme eine Auswirkung auf unseren Alltag haben sollte.

Der Kompatibilist kann dem Inkompatibilisten überhaupt nichts erklären, solange dieser an seinen logisch unmöglichen Voraussetzungen für einen freien Willen in seinem Sinne festhält. Allerdings ist mir in dem Falle auch unklar, wieso der Inkompatibilist überhaupt mit Determinismus argumentiert, das ist dann nur ein red herring, ein unredliches Ablenkungsmanöver, denn etwas logisches Unmögliches ist ja wohl immer unmöglich. Völlig Banane, ob eine Welt W nun determiniert ist oder nicht. Wenn aber nicht logisch unmöglich und der red-herring-Vorwurf also falsch ist: dann ist der Inkompatibilist in der gottverdammten Pflicht, seinen Freiheitsbegriff logisch möglich und nachvollziehbar darzulegen, dann kann er sich nicht mehr davor drücken, wie er das immer macht. Ansonsten: red herring.

Teh Asphyx hat geschrieben:Geht es dann nicht viel eher um die Streitfrage, inwieweit man mit einem „God’s point of view“ generell arbeiten kann und der Rest der Diskussion ist eigentlich überflüssig, weil er nicht aufzulösen ist?

Ja, darum geht es auch - aber nicht nur, d.h. der restliche Streit ist nicht überflüssig.

Teh Asphyx hat geschrieben:Determinismus ist eine Tautologie, deswegen folgt daraus auch gar nichts, es schließt aber trotzdem theoretisch aus, dass etwas frei sein könnte [...]

Nein, er schließt es eben nicht - auch nicht theoretisch - aus. Nicht per se, man benötigt also eine Begründung dafür. Eine reine petitio principii zählt nicht als Begründung.

Der Inkompatibilist kann zwar definieren, wie er will, z.B.: das Besitzen von zwei Armen schließt Freiheit aus. Er muss sich dann aber nicht wundern, wenn das nicht besonders überzeugend ist, neimanden vom Hocker reißt.


Teh Asphyx hat geschrieben:Das mit den Strafen ist vielleicht unterschiedlich. Mir ist zumindest einiges zu Ohren gekommen, was nicht mehr feierlich war.

Mag sein, aber diese Diskussion können wir nur dann führen, wenn Du grundsätzlich bereit bist, mich (und damit auch andere Menschen), als verantwortungs- und rechenschaftsfähige Wesen anzuerkennen. Wenn nicht werde ich an der Stelle immer auf den meiner Ansicht nach hier enthaltenen performativen Selbstwiderspruch hinweisen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 2. Jan 2012, 00:14

Teh Asphyx hat geschrieben:Also doch nicht determiniert und deswegen frei?


Es geht nie um frei weil determiniert, sondern um frei trotz Determinismus.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das ist dann aber nur ein halber Determinismus, der nur bis zur Einstellung geht. Wo ist der Beweis dafür, dass es auch mit einem 100% Determinismus geht, der also auch die Entscheidung selbst determiniert? Wie kann man dann noch sagen, man hätte begründet entschieden?


Schau, ob Du nicht mehr entscheiden könntest, wenn alles determiniert wäre.
Es wäre determiniert, dass Du Dich so oder so entscheiden wirst, aber Du, wirst dennoch so entscheiden, wie Du es oft tust, auf der Basis guter Gründe.

Teh Asphyx hat geschrieben:Inwieweit entscheidet der Wille begründet?


Nicht der Wille entscheidet, wir entscheiden und zwar, wenn begründet, dann frei.

Teh Asphyx hat geschrieben: Da fehlt mir der Zusammenhang, da kann ich auch sagen, dass wir, wenn wir 100% determiniert wären, einen freien Willen hätten, wenn Freiheit bedeutet, dass ich morgen früh zum Bäcker gehe und Brötchen hole. Okay, wenn das die Definition des freien Willens ist, klar. Aber inwieweit bringt uns das weiter? Das ist ja eben nicht die Freiheitsdefinition des Indeterministen. Vielleicht ist das der Punkt, wo man sich nicht einig werden kann?


Die Definitio mit dem Bäcker ist halt nicht sehr brauchbar, darum würde die wohl zurückgewiesen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Den Satz verstehe ich leider nicht.


Es geht um den Willen einer Person, das ist kein Widerspruch, Agent hat das erläutert.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich verstehe einfach nicht, was Du da genau von mir willst, deswegen brauche ich konkretere Nachfragen.


Deine momentane Definition.
Der Wille ist frei, wenn …

Teh Asphyx hat geschrieben:Gut, dann hast Du einen anderen Determinismusbegriff als die Inkompatibilisten. Denn das, was Du meinst (wo ich auch vollkommen zustimme) ist, dass die Naturgesetze den Handlungsrahmen bestimmen innerhalb dessen man frei ist.


Bezüglich dessen was Determinismus ist, habe ich keinen sonderlichen Dissens in letzter Zeit erlebt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Inkompatibilisten meinen, dass die Naturgesetze im Determinismus so stark bestimmen, dass es gar keinen Handlungsrahmen gibt, wo man von Freiheit sprechen könnte.
Ich würde Deinen Standpunkt aber nicht als Bestimmung, sondern als Grundlage bezeichnen.


Die Inkompatibilsten, das sind Libertarier und harte Deterministen, die einen meinen, es gäbe völlige Freiheit, die andere es gäbe überhaupt keine. Einig sind sie sich nur darin, dass für die Willensfreiheit und Determinismus inkompatibel sind.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das ist eine rationale Entscheidung. Frei ist der Wille für mich dann, wenn ich einfach wollen kann, ohne dass irgendwelche Gründe dazu führen, dass ich etwas bestimmtes will.


Das wäre wieder Willkür. Ist ja auch in Ordnung, Du musst dann im nächsten Schritt nur darstellen, inwieweit diese Willkür Deine Freiheit vergrößert. In dem Beispiel mit der Krankheit habe ich darzustellen versucht warum ich Willkür als ungeeignet ansehe.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich tu’s auch gerne noch mal: Es fehlt der Nachweis, dass Zufall oder Willkür den Willen freier machen. Das ist alles.


Doch, der ist da. Aber es macht den Menschen insgesamt nicht freier.


Genau. Es gibt, Willkür, Irrationalität und (vermutlich echten) Zufall in der Welt.
Und allesamt macht ihr Auftreten die Freiheit nicht größer.
Darum ist ein Begriff der Freiheit der mit Willkür und Zufall handelt, keiner, der brauchbar ist, die Begründung hast Du selbst geliefert.

Vollbreit hat geschrieben:Ich muss auch nicht erklären, warum ich meine, dass der Zufall die Freiheit des Willens vergrößert, da ich diese Position nicht vertrete. In meinen Augen vergrößert der Zufall die Freiheit nicht, sondern wenn überhaupt schränkt er sie ein.


Hm. Doch, er vergrößert die Freiheit aber reduziert die Nützlichkeit ab einem bestimmten Grad. Wenn alles zufällig wäre, gäbe es nur Chaos und höchstwahrscheinlich auch kein Leben, dafür wäre aber alles möglich, was eine totale Freiheit bedeuten würde. Die würde sich nur tatsächlich keiner wünschen.
Also können wir uns fragen, welcher Grad von Freiheit wünschenswert wäre.[/quote]

Ach, seufz, dann meintest Du oben, dass der Nachweis da ist verstehe.
Aber hierzu: Nein, ich glaube, dass Unentschiedenheit auch kein guter Kandidat für Freiheit ist, allerdings auch kein ganz schlechter. Er mutiert langsam in Unfreiheit, wenn keine Entscheidung folgt. Dann entscheiden andere Faktoren über einen, wenn wir beim Menschen bleiben und das ist dann wieder unfrei. Wenn man aber irgendwann selbst entscheidet, ist man doch wieder bei den Gründen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Hä? Nein ich bin ganz und gar nicht der Ansicht, jede Position sei gleichberechtigt, bspw. finde ich Deine, bezogen auf den freien Willen schlecht und zwar, weil Du sie nicht begründen kannst.


Und was, wenn ich mit meiner Position recht hätte, aber rhetorisch nicht so gut drauf wäre, sie Dir nahelegen zu können? Wenn jemand anders aber rhetorisch so gut wäre, dass er Dir begründen könnte, dass freier Wille ein Wildschwein ist (um mal was völlig absurdes zu nehmen), wäre seine Position dann deswegen wertvoller?


Es geht doch nicht um rhetorische Spielchen.
Ich bin, offenbar genau wie Agent, an der Frage nach dem Willen usw. interessiert, ganz privat.
Ich habe die Diskussion fast von Beginn an verfolgt und sie interessiert mich noch immer.
Nur gewinnt man mit der Zeit eine gewisse Routine, weil man inzwischen die wesentlichen Frage zu stellen gelernt hat, das ist für andere etwas anstrengend, wenn man sich drauf einlässt aber auch ganz gewinnbringend.
Ich sage ja nicht dass ich ein Anrecht auf ein Fleißkärtchen habe, ich lade jeden herzlich ein, mich zu widerlegen, da ich meinen Standpunkt radikal verändert habe (in der Frage nach Sinn und Unsinn des Kompatibilismus), glaube ich nicht, dass ich ein Betonkopf bin, der sich gegen Argumente immunisiert.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich stelle Deine Position ja kaum in Frage, falls Du das noch nicht gemerkt hast. Ich stelle nur in Frage, mit welcher begrifflichen Strenge gearbeitet wird. Das ist das, was bei mir im übertragenden Sinne Bauchkrämpfe verursacht.


Du kannst doch beliebig streng argumentieren, niemand hindert Dich.
Du bist in der Philosophie grenzenlos frei, Du musst Deinen Standpunkt nur rational nachvollziehbar darstellen. Das ist der Unterschied zur religiösen Offenbarung, da muss man seiner Vision vertrauen, oder dem, der behauptet eine gehabt zu haben.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Doch, ich.
Wenn ich was essen, bin ich satt. Wenn ich jemanden beleidige, ist er sauer auf mich.


Versuche das aber mal auszuweiten. Das sind ja bei weitem nicht die einzigen Konsequenzen bestimmter Handlungen, ab einer bestimmten Ebene (wann die eintritt schwankt äußerst stark) kann man eben nicht mehr alle Folgen einer Handlung nachvollziehen.


Ja, ohne Zweifel.

Teh Asphyx hat geschrieben: Das heißt nicht, dass man nicht versuchen sollte, ethisch zu handeln, aber man sollte sich auch nicht verrückt machen, wenn in China ein Orkan ausbricht nachdem man gerade zufällig in der richtigen Windrichtung einen hat fahren lassen.


Sehe ich auch so.

Teh Asphyx hat geschrieben:Andererseits sollte man sich zum Beispiel darüber im Klaren sein, dass unser Wohlstand Konsequenzen für Menschen in der dritten Welt hat (die dafür immer noch versklavt werden). Das Ganze ist ziemlich komplex und ich neige einfach aus Erfahrung dazu, eher skeptisch zu sein, was das Absehen der Konsequenzen angeht (wenn man nicht gerade auf einer völlig trivialen Ebene bleibt, aber ich glaube nicht, dass Du das ernsthaft möchtest).


Und da gibt es eben zig verschiedene Ansätze, wie man diese Probleme angeht, die durchaus widersprüchlich aber logisch konsistent sein können. Viele sind der Auffassung man müsse da durch eine Veränderung der Bedingungen dran und ich kann das nachvolliehen.
Ich selbst bin da eher so gestrickt, das ich auf eine Bewusstseinsveränderung des Individuums an erster Stelle setze, wofür ich regelmäßig Haue bekomme, auch wenn beides natürlich ineinander übergeht.
Für mich wäre das ein Beispiel dafür, dass man von unterschiedlichen Prämissen ausgehend zu verschiedenen, in sich aber stimmigen Ansätzen kommt, die mir freier erscheinen, als von man nur auch die eine oder andere Karte setzt und auch nicht so genau weiß, warum.

Teh Asphyx hat geschrieben:Doch, wenn wir von Verantwortung sprechen, dann ist das sehr wohl das Thema. Auf der Basis Deiner Argumentation (also dass bestimmte Menschen dazu mehr in der Lage sind, Konsequenzen abzusehen als andere) wurden bis vor Kurzem Frauen noch nur an sehr wenigen Entscheidungen beteiligt, ebenso Menschen bestimmter Herkunft oder Hautfarbe und auch heute noch trifft das auf viele Menschengruppen zu, Kinder oder Senioren zum Beispiel auf jeweils eigene Art.


Das habe ich nie als Problem sehen können.
Wenn es eben um rationale Argumente geht und nicht um Gewohnheiten oder Vorurteile, wie kann man dann überhaupt ganze Klassen von Menschen benachteiligen, Frauen, Farbige oder wen auch immer? Man müsste halt nachweisen, dass diese oder jene Einzelperson wirklich ungeeignet ist, aber warum nun alle deren Vorname mit A beginnt klüger oder dümmer sein sollten ist mir ohnehin unklar.

Teh Asphyx hat geschrieben:Okay, aber warum sollte das ein Kind zum Beispiel weniger können als ein beliebiger Erwachsener? Es gibt genug Erwachsene, die so erfahrungsresistent sind, dass sie überhaupt keinen Vorteil davon haben, mehr Jahre auf dem Buckel zu haben (und sie gelten dennoch als psychisch gesund und schuldfähig). Was also macht diese Fähigkeit dann aus? Woher kommt diese Fähigkeit?


Die Antwort gibst Du doch zum Teil schon selbst: Lebenserfahrung. Klar gibt es lernresistente Erwachsene, aber auch das Gegenteil. Kinder können bestimmte Zusammenhänge noch nicht erfassen, da verweise ich stumpf auf die Entwicklungspsychologie und es fehlt ihnen an Lebenserfahrung, das ist nicht nichts.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das kann ich verstehen, aber dann lass uns doch selbst überlegen. Wenn Du mir in diesem Punkt zustimmst und wenn wir annehmen, dass die Menschen nach dem uns bekannten Verständnis handeln, da aber irgendwas schief läuft, was könnte falsch sein an dem, was wir annehmen, was richtig ist? Okay, das hat in diesem Thread wahrlich nichts zu suchen, aber den Faden können wir ja woanders trotzdem aufnehmen. Trotzdem fänd ich es auch hier interessant zu wissen, was Deine persönliche Motivation ist, den freien Willen nach Deiner Definition als Wahr anzunehmen und was für Dich für Konsequenzen daraus folgen.


Ganz einfach: Der Mensch hat die Möglichkeit zur Freiheit in sich, doch die meisten nutzen sie nicht.
Das liegt weniger an einem Mangel an Intelligenz, als an einem Mangel an Bildung oder sogar grundlegenderem wie Essen, Wasser, Schutz, körperliche Gesundheit.
Ein weiterer Faktor ist das Denken in vorgefassten Normen, zu dem ich eine stark ambivalente Einstellung habe. Einerseits sehe ich den Nutzen, Strukturierung, Resilienz, eine geistige Orientierung, andererseits geht das stark mit einem unaufgeklärten Denken einher, der Schatten ist eben diese postmodern zerfledderte egozentrische Beliebigkeit, in der auch der Begriff der Freiheit pervertiert ist, da kriegst Du meinetwegen auch Deine Konsumkritik untergebracht.
Kurz, Rationalität, gute Gründe für sein Denken und Handeln zu haben, ist ein Tor zur Freiheit, aber die meisten Menschen sind nicht sehr rational unterwegs und der Begriff der Rationalität war lange Zeit auch ein Synonym für sterile Rechenspiele und reichlich unsexy.
Ob Rationalität das Ende der Fahnenstange darstellt, da bin ich noch unsicher, das ist ein schwieriges Thema, ich persönlich sehe die Mystik als die erfolgreichere und entwickeltere Lebenshaltung an.

Teh Asphyx hat geschrieben:Nicht so schnell.
Das Wesen welcher Demokratie? Es gibt unzählige Demokratiedefinitionen, in diesem Punkt sind sogar Nanna und ich uns mal einig.
Wer sagt, dass das mein erster Affekt war? Das unterstellst Du jetzt. Ich würde im Gegenteil sagen, dass „Rübe runter“ die Konsequenz einer Überlegung wäre, wenn ich keine andere Lösung sehen würde, meine Liebsten anders zu retten.


Ist ja wurscht, ich will Dich ja nicht kritisieren, sondern nur aufzeigen, dass Du innehalten und Dich anders entscheiden könntest, in welche Richtung nun auch immer.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn ich in diesem Fall getötet hätte, hätte ich weder eine Strafe verdient, noch wäre diese in irgendeiner Form in erzieherischer Hinsicht nützlich (außer um noch mehr Angst vor der Justiz in mir zu produzieren).


Doch, Du hättest Strafe verdient, um zu zeigen, dass Selbstjustiz nicht geht. Du könntest aber sogar die Einstellung haben, dass Du einsiehst, dass Du Strafe verdient hast, es aber in Kauf nimmst.
Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn jemand meine Liebsten in seiner Gewalt hätte, ich kann nicht mit Gewissheit sagen, dass ein Täter bei mir vor Folter und Mord sicher wäre.
Allerdings kann ich einsehen, dass so ein Verhalten undemokratisch ist und ich nicht das Recht habe, für mich eine Ausnahme in Anspruch zu nehmen. Das ist halt ein bisschen blöd, wenn man sagt, eigentlich finde ich den Rechtsstaat ja gut, aber bitte nicht in meinem Fall.

Teh Asphyx hat geschrieben:Nehmen wir wieder den Fall, der Irre wäre Hitler und meine Liebsten eine jüdische Familie und ich hätte nur die Wahl, diese zu schützen, indem ich gegen das Gesetz verstoße und Hitler umbringe. Soll ich die Polizei rufen, weil ich mich sonst unethisch verhalte?


Tyrannenmord wäre in meiner Welt erlaubt, ich hätte da keine Gewissensbisse.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das stimmt, klar. Dennoch sollte klar sein, dass es nicht nur Meinungen, sondern eben auch Fakten gibt und die lassen sich leider nunmal gut leugnen, wenn man irgendwelchen Gedankenkonstrukten anhängt.


Es gibt aber nicht nur Fakten (finde ich eh etwas problematisch, diese sogenannten Fakten), sondern eben auch logische Regeln, die finde ich ganz brauchbar.

Teh Asphyx hat geschrieben:Auch wenn ich Dich hier manchmal gerne etwas provoziere und manchmal auch scharf in meinen Formulierungen bin, sollst Du wissen, dass ich Dich als Diskussionspartner sehr schätze und Dich auch für einen sehr erkenntnisreichen Menschen halte. Es gibt nur so ein paar Sachen, wo ich denke, dass Du Dich vor bestimmten Gedanken sperrst (ich kann mir auch in etwa vorstellen warum und diese Vorstellung hat absolut nichts mit Herrschaft, Ideologie oder ähnliches zu tun, keine Sorge ;-) ).


Ja, danke erst mal und vermutlich sperre ich mich auch hier und da, keine Ahnung.
Gerade bei dem Thema kann ich das aber nicht erkennen, zumal ich mich emotional eher dem Lager der Inkompatibilsten nahe fühle, für gute Gründe aus diesem Lager also schon deshalb dankbar wäre.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 2. Jan 2012, 00:56

@Vollbreit

Kann es sein, dass wir uns in einem anderen Forum schon mal begegnet sind, beide mit einen anderen Nicknamen? Und Deiner fängt dort mit "Carl" an?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 2. Jan 2012, 09:09

Du meinst das, in dem Du fälschlicherweise oft mit „Herr“ angeredet wurdest?
Ja, und mein Dank von der Seite davor, gilt Dir.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mo 2. Jan 2012, 23:06

Ist die Frage nach dem freien Willen nicht teilweise analog zur Frage nach den auf Schienen fahrenden Lokomotiven? Es kommt mir so vor. Und es kommt mir so vor, als würde so eine Analogie vielleicht die Chance für einen neuen Blickwinkel in der an manchen Stellen festgefahrenen Diskussion bieten.

Also, die Schienen stellen den Determinismus dar. Die Weichen sind gestellt (ursächlich festgelegt). Bei gleicher Weichenkonfiguration (Ursachen) und Lok-Anfangsposition fährt die Lok immer den gleichen Weg (handelt der Mensch immer gleich). Die Lok selber hat aber durchaus den Eindruck, ein souveräner Agent zu sein (der Mensch unterliegt der Illusion des freien Willens), sie entscheidet sich oft für neue Fahrtrichtungen. Wie macht die Lok das? Nun, das ist nicht selbstverständlich. Die Lok prüft über ihre Räder, die eine angepasste Form haben, in welche Richtung die Schienen verlaufen (was das vernünftigste und beste für die Person wäre). Ist die Weiche 17 nach rechts gestellt (ist das Hotel A abgebrannt), dann entscheidet sich die Lok, nach rechts zu fahren (entscheidet sich der Urlauber Hotel B zu buchen).
Einige Loks behaupten, das sei eine freie Entscheidung, weil sie ohne Willkür erfolgt, weil sie von der Lok getroffen wird und weil ein Fahren ohne Schienen, also ein Entgleisen, für Loks nunmal unvorstellbar ist und gar keinen Sinn ergäbe. Diese Loks nennt man Kompatibilistische Dampfzugmaschinen.

Ich finde es unangemessen, die Richtungsentscheidungen von Lokomotiven als frei zu bezeichnen. Ihre Mechanik zwingt sie, genau den Schienen und Weichenstellungen zu folgen. Ich kann darin nicht freies erkennen.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Wo aber kommt dann die Kontrolle des Subjekts über sich selbst her?

Die kommt wie gesagt aus seiner Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Reflexion, zur Abschätzung der Folgen möglicher zukünftiger Handlungen

Diese Fähigkeiten des Menschen sind analog zur Fähigkeit der Lok, zu "fühlen", wie die Weichen gestellt sind. Das ist technisch vermutlich echt toll und komplex. Aber zumindest bei Lokomotiven sieht man sofort, dass diese Technik nicht ihre Bewegungsfreiheit erweitert oder eine Entscheidungsfreiheit erzeugt.

Die Freiheit, die Teh Asphyx meint, würde für Lokomotiven bedeuten, sich manchmal über Weichen hinwegzusetzen, vermutlich zu entgleisen, oder mit etwas Glück auf holprigem Untergrund an ungewisse und für Loks ungünstige Orte zu gelangen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich verstehe bloß immer noch nicht, was an Deiner Freiheit wünschenswert wäre. Mir wäre es unangenehm, ich wollte das gar nicht

Die Lok hat recht. An dieser Freiheit ist nichts wünschenswert. Aber deshalb im Umkehrschluss das Folgen von Weichenstellungen als frei zu bezeichnen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ist es viel lieber, in Deinem Sinne unfrei zu sein, dafür aber meine Entscheidungen und Handlungen unter Kontrolle zu haben.

Die Lok hat die Entscheidung, der Weiche 17 zu folgen, nicht wirklich unter Kontrolle. Sollen wir es ihr sagen?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 2. Jan 2012, 23:24

Das Beispiel mit der Bahn hinkt ein wenig, weil man da ja tatsächlich keine Wahl hat.
Im kompatibilistischen Szenario hast Du aber eine echte Wahl.
Du willst in den Urlaub fahren, fährst auf eigene Faust mit dem Wagen, kommst an und siehst dann, dass Dein Lieblingshotel abgebrannt ist. Was würdest Du denken? Vielleicht auch sowas wie: „Verdammt, hätte ich das vorher gewusst“? Dann hättest Du Dich anders entscheiden können, so hast Du das aber nicht tun können, da Du es vorher nicht wusstest und dass Du die Information nicht vor Deiner Abreise bekommen hast, das war determiniert.

Nun stell Dir den umgekehrten Fall vor. Es ist determiniert, dass Du die Information einen Monat vor dem geplanten Urlaub bekommst. Nun hast Du die Information vorher und kannst sagen: „Ach, wie traurig, hoffentlich ist niemandem was passiert, aber da müssen wir wohl woanders hin.“
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 00:27

AgentProvocateur hat geschrieben:Die kommt wie gesagt aus seiner Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Reflexion, zur Abschätzung der Folgen möglicher zukünftiger Handlungen, (wobei, wie auch schon gesagt, es diese Fähigkeiten nicht selber hergestellt / erzeugt hat, die haben sich vielmehr - anfangs ohne jedes Zutun von ihm, [später mit seinem Zutun] - entwickelt).


Aber wie kommt diese Fähigkeit überhaupt zustande? Wie kann es sein, dass es Subjekte geben kann, die erkennen und reflektieren können? Dass es die gibt ist also auch nur ein Axiom (was absurderweise von vielen geleugnet wird, also die Subjektivität an sich).

AgentProvocateur hat geschrieben:Würde ich Dich jetzt z.B. sehr beleidigen, dann würdest Du mir das übelnehmen. Und nicht mehr weiter mit mir reden wollen. Da ich aber weiter mit Dir reden will, wäre das kontraproduktiv. (Nicht, dass ich nicht noch andere Gründe hätte, das nicht zu tun, aber ich beschränke mich mal auf einen rein egoistischen, um hier nicht noch die Egoismus-Debatte führen zu müssen).


Na ja, meine Reaktion könnte sehr unterschiedlich ausfallen, aber ich will diesbezüglich mal keine Haarspalterei betreiben, weil ich weiß, worauf Du hinauswillst. Vor der Egoismus-Debatte brauchst Du Dich bei mir übrigens nicht zu fürchten.

AgentProvocateur hat geschrieben:Würde ich Dich aber beleidigen, dann könntest Du mir das berechtigt zuschreiben und mir übel nehmen, denn ich weiß, was ich tue; ich schreibe hier also nicht "frei" in Deinem Sinne, sondern unfrei, (aber frei in meinem Sinne), nämlich unter Abwägung der vorgestellten Konsequenzen, also abhängig von meinen Überlegungen, Meinungen, Ansichten, Vorlieben, Zielen etc. pp.


Würdest Du mich denn eigentlich beleidigen wollen? Wenn nicht, welche Freiheit schränkst Du dann gerade ein? Wenn Du mich beleidigen wolltest und Dich aus guten Gründen davon abhältst würde ich aber auch noch nicht von Unfreiheit sprechen, es sei denn, die Gründe würden Dir irgendwie aufgezwungen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich verstehe bloß immer noch nicht, was an Deiner Freiheit wünschenswert wäre. Mir wäre es unangenehm, ich wollte das gar nicht, z.B. Dich zu beleidigen (oder plötzlich grundlos und rein zufällig meine Frau zu töten oder meinen Nachbarn oder irgend einen Passanten) ohne dass ich das irgendwie kontrollieren könnte. Ich würde mich dann unfrei fühlen, als Opfer des Zufalls, als Zuschauer in einem Geschehen, auf das ich keinen Einfluss hätte, als Unbeteiligter, als Marionette des Schicksals, als nicht verantwortlich dafür.


Ja, das halte ich auch nicht für wünschenswert. Aber genau deswegen ist das Strafrecht auch so falsch. Du würdest so was niemals grundlos tun, also müssen wir davon ausgehen, dass wenn Du es trotzdem tust, es irgendwelche Gründe dafür gibt. Was nützt es dann aber, Dich zu bestrafen? Dadurch bleiben die Gründe ja bestehen und der nächste wird womöglich aus den gleichen Gründen das gleiche tun. Wenn man die Probleme lösen will, muss man an den Ursachen arbeiten. Der harte Determinist kann das nicht, weil das für ihn nicht möglich ist (deswegen kann er nur fordern, dass man zwar nicht bestrafen sollte, aber wenigstens Menschen weg sperren, die eine zu große Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, wobei das natürlich auch von der eigenen Position aus absurd zu fordern ist).
Wenn ich jetzt richtig verstanden habe, bist Du auch der Ansicht, dass der Mensch in der Lage ist, durch eigene Entscheidungen den Lauf der Dinge zu beeinflussen, richtig (ob wir das jetzt mit Hegel’scher Dialektik begründen wollen oder nicht ist egal)? Also dass der Mensch nicht nur determiniert, sondern auch Determinant ist?

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ist es viel lieber, in Deinem Sinne unfrei zu sein, dafür aber meine Entscheidungen und Handlungen unter Kontrolle zu haben. Und nur dann, also nur, wenn ich unfrei in Deinem Sinne bin, (aber frei in meinem Sinne), fühle ich mich auch verantwortlich für meine Handlungen.


Die Verantwortlichkeit würde ich trotzdem genauso wie die Freiheit niemals als absolut, sondern nur als eingegrenzt betrachten, weswegen zum Beispiel Strafe weiterhin für mich keinen Sinn ergibt (Beteiligung an Problemlösungen wäre eher was).

AgentProvocateur hat geschrieben:Nur Wesen sind eigenständige Akteure. Das müssen keine Menschen sein, können auch Tiere oder meinetwegen auch hypothetische Aliens oder Maschinen sein.


Kein Widerspruch von mir an dieser Stelle.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, er schließt es eben nicht - auch nicht theoretisch - aus. Nicht per se, man benötigt also eine Begründung dafür. Eine reine petitio principii zählt nicht als Begründung.


Die Definition des Inkompatibilisten schließt es eben aus, deswegen kann man da nicht weiter argumentieren. Wenn ich als Definition sage „Alle Schwäne sind weiß“, dann ist ein Vogel, der alle sonstigen Eigenschaften eines Schwans hat, eben kein Schwan. Oder wir müssen die Definition anpassen. Beim Inkompatibilisten steckt in der Definition aber noch etwas drin, was Du hier als Eigenschaft des Fatalismus bezeichnet hattest, was eben Freiheit ausschließt. Es ist okay aufgrund dessen, dass ein solcher Begriff einen nicht weiter bringt, die Definition zu verbessern, aber man muss dann klar machen, dass man in dem Moment eben im übertragenden Sinne nicht mehr von Vögeln spricht, die unbedingt weiß sein müssen.
Und es kann sein, dass ein Inkompatibilist dann wissen möchte, warum die Definition zu ändern ist. Dazu muss man unter Umständen einem Kognitivisten erklären können, was Subjektivität ist, was echt nicht einfach ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Inkompatibilist kann zwar definieren, wie er will, z.B.: das Besitzen von zwei Armen schließt Freiheit aus. Er muss sich dann aber nicht wundern, wenn das nicht besonders überzeugend ist, neimanden vom Hocker reißt.


Es ist ja für genügend Leute sehr überzeugend. Als reine sprachliche Definition funktioniert das ja auch, nur wenn man daraus Folgen für die Realität ziehen will, wird es meistens schnell absurd.
Ich finde folgende Kritik am harten Determinismus von Gerhard Roth vom bremer Pädagogikprofessor Freerk Huisken ziemlich treffend: http://www.fhuisken.de/hirn.htm Es wird natürlich hier mehr aus pädagogischer Sicht kritisiert, aber die Absurdität von Roths Determinismusbegriff in Bezug auf reale Folgen kommt dort auch zur Diskussion.
Aber er geht hier, was für diese Diskussion sehr interessant ist, auf den Unterschied zwischen Konditionalverhältnis und Kausalverhältnis ein und mir scheint, dass hier auch ein Missverständnis vorliegt (vor allem bei Vollbreits Erklärungen [bei harten Deterministen sowieso, nur mit jeweils anderer Konsequenz], der beides immer noch durcheinander wirft, aber dazu gleich mehr, wenn ich auf ihn eingehe).

AgentProvocateur hat geschrieben:Mag sein, aber diese Diskussion können wir nur dann führen, wenn Du grundsätzlich bereit bist, mich (und damit auch andere Menschen), als verantwortungs- und rechenschaftsfähige Wesen anzuerkennen. Wenn nicht werde ich an der Stelle immer auf den meiner Ansicht nach hier enthaltenen performativen Selbstwiderspruch hinweisen.


Wenn Verantwortung heißt, dass ein Mensch in der Lage ist Lösungen für Probleme zu finden, dann ja. Wenn Verantwortung heißt, dass es richtig ist, einen Menschen, der einen Schaden verursacht hat, dafür zu strafen, dann nein. Ich könnte mir aber vorstellen, dass diese Sichtweise eher für den Kompatibilisten klargeht als für den Inkompatibilisten.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 00:28

Vollbreit hat geschrieben:Es geht nie um frei weil determiniert, sondern um frei trotz Determinismus.


Das habe ich auf Seite 3 selbst gesagt und da hast Du mir widersprochen, jetzt siehst Du es auf einmal selbst so. Wenn das doch Deine Position ist, warum diskutieren wir dann? Ich ging jetzt die ganze Zeit davon aus, dass Du meinst, dass Determinismus erst Freiheit erzeugt und versuche Dir zu erklären, dass das Quatsch ist, weil Freiheit zwar trotz aber nicht wegen des Determinismus existieren kann.

Vollbreit hat geschrieben:Schau, ob Du nicht mehr entscheiden könntest, wenn alles determiniert wäre.
Es wäre determiniert, dass Du Dich so oder so entscheiden wirst, aber Du, wirst dennoch so entscheiden, wie Du es oft tust, auf der Basis guter Gründe.


Das kann ich ja nur, wenn ich eine Wahl habe. Aber die habe ich im Determinismus nicht (ich habe höchstens den Anschein einer Wahl). Deswegen gehört ja auch jeder, der meint, alles sei im Sinne des harten Deterministen determiniert und diese Erkenntnis hätte aber Folgen für das Handeln ins Tollhaus.
Ich weiß inzwischen worauf Du hinaus willst, aber Deine Formulierung ist so nicht triftig genug.

Vollbreit hat geschrieben:Nicht der Wille entscheidet, wir entscheiden und zwar, wenn begründet, dann frei.


Weil Du Freiheit so definiert hast, in Ordnung, ja. Aber ist dann der Wille selbst frei? Bedenke, dass der Wille in den Weltbildern, aus denen der Begriff „freier Wille“ stammt, tatsächlich als Entität angesehen wurde und es solche Weltbilder immer noch gibt (auch wenn es Dir sicher genau wie AgentProvocateur schwer fallen wird, das selbst so zu sehen). Gehe davon aus, dass Dein Gegenüber den Willen so betrachtet und dafür Gründe hat (auch wenn Du diese nicht teilen kannst), wie erklärst Du ihm in diesem Zusammenhang, dass sein Wille frei ist, wenn er doch gleichzeitig kontrolliert wird?

Vollbreit hat geschrieben:Die Definitio mit dem Bäcker ist halt nicht sehr brauchbar, darum würde die wohl zurückgewiesen.


Und Deine Definition des freien Willens eben auch nicht (vorausgesetzt jemand sieht den Willen als Entität oder meinetwegen auch als ideelles Holon, falls Dir das so leichter fällt).

Vollbreit hat geschrieben:Deine momentane Definition.
Der Wille ist frei, wenn …


„Der Wille ist frei, wenn …“ kann ja nur dann ein sinnvoller Satzanfang sein, wenn der Wille ein „etwas“ ist, das frei sein kann. Eine Substantivierung ist der Wille übrigens nicht, das wäre nämlich „das Wollen“. Wenn Du den Willen nicht als eigenständiges Etwas anerkennst oder Dir dafür eine Definition fehlt, wäre es sinnvoller hier wie der Ignostiker in der Frage nach einem Gott zu reagieren, nämlich einfach zu sagen, dass „Der Wille ist frei“ kein allgemein brauchbarer Satz ist, wenn nicht übereinstimmend definiert ist, was der Wille sein könnte. Der Wille kann nicht einfach nur eine Fähigkeit sein, da Fähigkeiten eigentlich in Verbform ausgedrückt werden (die Fähigkeit zu malen, zu schwimmen, zu musizieren, zu laufen usw.).
Mir fällt es auch schwer, eine klare Definition zu finden, weswegen ich mich langsam sehr mit solch einem „ignostischen“ Standpunkt anfreunde.

Vollbreit hat geschrieben:Bezüglich dessen was Determinismus ist, habe ich keinen sonderlichen Dissens in letzter Zeit erlebt.


Oder es hat keiner bemerkt. Der Inkompatibilist geht bei seiner Determinismusdefinition davon aus, dass in einem absolut determinierten Universum ein Mensch nicht nach Gründen handeln kann. Wenn Freiheit für ihn das selbe bedeutet, wie für Dich, dann funktioniert das mit der Freiheit für ihn trotzdem nicht. Also liegt es am Determinismusbegriff und nicht am Freiheitsbegriff.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Die Inkompatibilisten meinen, dass die Naturgesetze im Determinismus so stark bestimmen, dass es gar keinen Handlungsrahmen gibt, wo man von Freiheit sprechen könnte.
Ich würde Deinen Standpunkt aber nicht als Bestimmung, sondern als Grundlage bezeichnen.


Die Inkompatibilsten, das sind Libertarier und harte Deterministen, die einen meinen, es gäbe völlige Freiheit, die andere es gäbe überhaupt keine. Einig sind sie sich nur darin, dass für die Willensfreiheit und Determinismus inkompatibel sind.


Ja, weil beide sich über den Determinismusbegriff, wie ich ja hier schrieb, einig sind, nur uneinig darüber, ob die Welt determiniert ist oder nicht. Der Satz „Die Inkompatibilisten meinen, dass die Naturgesetze im Determinismus so stark bestimmen, dass es gar keinen Handlungsrahmen gibt, wo man von Freiheit sprechen könnte.“ ist also vollkommen richtig, da er nicht impliziert, dass beide sagen, dass die Welt determiniert ist, sondern wie es sich verhält, wenn die Welt determiniert wäre.
Was Du hier als Kausalverhältnis (bestimmende Ursache) zwischen Naturgesetzen und menschliche Handlungen bezeichnet hast, war in in Wirklichkeit ein Konditionalverhältnis (grundlegende Bedingung, damit eine Handlung möglich ist).

Vollbreit hat geschrieben:Das wäre wieder Willkür. Ist ja auch in Ordnung, Du musst dann im nächsten Schritt nur darstellen, inwieweit diese Willkür Deine Freiheit vergrößert. In dem Beispiel mit der Krankheit habe ich darzustellen versucht warum ich Willkür als ungeeignet ansehe.


Nein, weil ich gar nicht sage, dass es meine Freiheit im Allgemeinen vergrößert, jedenfalls nicht allein (auf dialektische Weise kann es das schon, aber das ist eher nebensächlich).

Vollbreit hat geschrieben:Genau. Es gibt, Willkür, Irrationalität und (vermutlich echten) Zufall in der Welt.
Und allesamt macht ihr Auftreten die Freiheit nicht größer.
Darum ist ein Begriff der Freiheit der mit Willkür und Zufall handelt, keiner, der brauchbar ist, die Begründung hast Du selbst geliefert.


Also ist der Begriff „freier Wille“ auch nicht brauchbar (wobei ich mir da noch nicht zu 100% sicher bin, eben wegen meiner dialektischen Theorie, die mir weiterhin gut gefällt). Der Thread müsste also streng genommen „Freiheit?“ und nicht „Freier Wille?“ heißen.

Vollbreit hat geschrieben:Ach, seufz, dann meintest Du oben, dass der Nachweis da ist verstehe.
Aber hierzu: Nein, ich glaube, dass Unentschiedenheit auch kein guter Kandidat für Freiheit ist, allerdings auch kein ganz schlechter.


Wie kommst Du immer vom Zufall auf Unentschiedenheit? Ein Zufallsgenerator trifft doch eine Entscheidung, eine zufällige, aber es ist eine Entscheidung. Da fehlt mir irgendwie der Zusammenhang, wäre schön, wenn Du mir das noch mal näher erläutern könntest.

Vollbreit hat geschrieben:Er mutiert langsam in Unfreiheit, wenn keine Entscheidung folgt. Dann entscheiden andere Faktoren über einen, wenn wir beim Menschen bleiben und das ist dann wieder unfrei. Wenn man aber irgendwann selbst entscheidet, ist man doch wieder bei den Gründen.


Aber wenn die Gründe über uns entscheiden, was macht uns dann damit freier? Anders gefragt, wieso entscheidet einerseits der Zufall über mich, aber andererseits ich über Gründe? Warum entscheide ich nicht über den Zufall oder die Gründe über mich? Was macht für Dich genau aus, dass der Mensch einmal in der Position sitzen würde, dass über ihn entschieden wird, ein anderes mal aber nicht, obwohl doch gerade Determinismus bedeutet, dass von vornherein über alles entschieden ist, also auch über mich entschieden ist (und nicht ich nach Gründen entscheide)?
Was genau macht hier, dass ich entscheiden kann? Was befähigt mich dazu? Gründe alleine befähigen mich nicht zu entscheiden. Ein Stein hat allen Grund auf den Boden zu fallen, wenn ich ihn loslasse, nachdem ich ihn in der Luft gehalten habe, trotzdem entscheidet er nicht. Wenn Du jetzt sagst, dass die Freiheit die Grundlage dieser Fähigkeit ist, dann befindest Du Dich in einer Tautologie, weil Du andererseits die Freiheit darüber definierst, dass man eine Entscheidung nach Gründen treffen kann. Dafür musst Du ja eine Erklärung haben. Oder ist es ein reines Axiom? Warum ist dann aber das Axiom eines Willens in Form eines inneren Zufallsgenerators nicht genauso gültig?

Vollbreit hat geschrieben:Es geht doch nicht um rhetorische Spielchen.


Muss ja auch nicht, aber es gibt einfach Menschen, die sich weniger gut ausdrücken können, trotzdem aber etwas wahres sagen und andere, die sich hervorragend artikulieren können und trotzdem den größten Mist behaupten. So wie Du schreibst, würdest Du der Aussage des zweiten mehr Wert beimessen.

Vollbreit hat geschrieben:Du kannst doch beliebig streng argumentieren, niemand hindert Dich.
Du bist in der Philosophie grenzenlos frei, Du musst Deinen Standpunkt nur rational nachvollziehbar darstellen. Das ist der Unterschied zur religiösen Offenbarung, da muss man seiner Vision vertrauen, oder dem, der behauptet eine gehabt zu haben.


Das ist ein interessanter Punkt. Hier streiten sich auch die Gemüter, wenn es um „gelehrten Unsinn“ geht. Ich kann keinen Standpunkt für jeden rational nachvollziehbar darstellen, weil ich immer gewisse Grundkenntnisse voraussetzen muss (das einfachste Beispiel ist wohl, dass die Person meine Sprache sprechen muss). Auch hier sind die Grenzen fließend, weswegen ja auch zum Beispiel Ken Wilber für manche ein Philosoph ist, für andere wiederum nicht die nötigen Kriterien erfüllt, um als solcher durchzugehen, das selbe gilt für viele Poststrukturalisten. In der Hinsicht bin ich mittlerweile deswegen auch wesentlich offener als früher. Ich gehe inzwischen immer zuerst von der Grundannahme aus, dass wenn jemand was sagt, er auch was bestimmtes damit sagen möchte und dass ich ruhig auch selbst eine Anstrengung unternehmen darf, zu versuchen, ihn zu verstehen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich selbst bin da eher so gestrickt, das ich auf eine Bewusstseinsveränderung des Individuums an erster Stelle setze, wofür ich regelmäßig Haue bekomme, auch wenn beides natürlich ineinander übergeht.


Der Ansatz ist richtig, ich denke es braucht beides gleichermaßen und das eine ergibt sich auch jeweils aus dem anderen. Deswegen faszinieren mich auch besonders die Parallelen zwischen Herrschaft-Volk und Erzieher-Kind und wechselseitige Wirkungen.

Vollbreit hat geschrieben:Das habe ich nie als Problem sehen können.
Wenn es eben um rationale Argumente geht und nicht um Gewohnheiten oder Vorurteile, wie kann man dann überhaupt ganze Klassen von Menschen benachteiligen, Frauen, Farbige oder wen auch immer? Man müsste halt nachweisen, dass diese oder jene Einzelperson wirklich ungeeignet ist, aber warum nun alle deren Vorname mit A beginnt klüger oder dümmer sein sollten ist mir ohnehin unklar.


Das kannst Du jetzt so sehen, aber der Clou ist ja, dass es für den Großteil der Menschen rational war oder auch für viele immer noch ist. Und wer weiß, wie Du vor 100 Jahren rational über „Neger“ gedacht hättest.

Vollbreit hat geschrieben:Die Antwort gibst Du doch zum Teil schon selbst: Lebenserfahrung. Klar gibt es lernresistente Erwachsene, aber auch das Gegenteil. Kinder können bestimmte Zusammenhänge noch nicht erfassen, da verweise ich stumpf auf die Entwicklungspsychologie und es fehlt ihnen an Lebenserfahrung, das ist nicht nichts.


Klar ist es nicht nichts, aber dennoch nichts, was allein quantitativ irgendeine Aussage machen könnte. Gerade wegen bestimmter Lebenserfahrung gibt es destruktives Verhalten. Mit der Entwicklungspsychologie wäre ich hier vorsichtig, weil sie voreingenommen ist (damit will ich sie nicht komplett abwerten, aber sie kann hier keine akzeptable Begründung liefern). Ich denke sogar, dass es in mancher Hinsicht von Vorteil sein könnte, bestimmte Zusammenhänge nicht zu kennen, weil die einen auch blind machen können. Aber das würde jetzt hier wohl auch zu weit abschweifen.

Vollbreit hat geschrieben:Ganz einfach: Der Mensch hat die Möglichkeit zur Freiheit in sich, doch die meisten nutzen sie nicht.
Das liegt weniger an einem Mangel an Intelligenz, als an einem Mangel an Bildung oder sogar grundlegenderem wie Essen, Wasser, Schutz, körperliche Gesundheit.


Das Problem ist, dass dem Menschen in unserer Gesellschaft eine Freiheit vorgegaukelt wird, die keine ist. Oder die nur für manche vielleicht eine Freiheit ist, was auch weniger damit zu tun hat, ob sie sie aus sich heraus nutzen als damit, in welcher Klasse sie geboren sind.
Hier hast Du einen eher sozialistischen Gedanken, den ich im Groben auch teile. Um überhaupt frei sein zu können, muss ein Mensch freien Zugang zu bestimmten Ressourcen haben, das betrifft sowohl Nahrung als auch Wissen, ebenso sind Freundschaften notwendig („soziales Netz“ klingt mir zu distanziert und trocken, warum nicht einfach sagen, dass Menschen sich auch mögen und nicht nur vernetzen können?).
Das ist schonmal ein Manko in unserer Gesellschaft, denn diesen freien Zugang haben nur die, die Eigentum haben und wer das hat, wird meistens nachwievor dadurch entschieden, in welche Klasse man hineingeboren wird.

Vollbreit hat geschrieben:Ein weiterer Faktor ist das Denken in vorgefassten Normen, zu dem ich eine stark ambivalente Einstellung habe. Einerseits sehe ich den Nutzen, Strukturierung, Resilienz, eine geistige Orientierung, andererseits geht das stark mit einem unaufgeklärten Denken einher, der Schatten ist eben diese postmodern zerfledderte egozentrische Beliebigkeit, in der auch der Begriff der Freiheit pervertiert ist, da kriegst Du meinetwegen auch Deine Konsumkritik untergebracht.


Warum solltest Du dafür Denken in vorgefassten Normen brauchen? Was Resilienz angeht, würde ich solches Denken sogar als hinderlich ansehen, denn eine Norm fühlt sich leichter gestört (vor allem, wenn sie nicht reflektiert sondern dogmatisch ist) als eine reflexive Einsicht.
Und an was willst Du Dich wirklich sinnvoll geistig orientieren als an Deinen Mitmenschen/Mitlebewesen/Umständen, die hier und jetzt um Dich herum sind? Sich an irgendwelche dogmatischen Konstrukte zu orientieren ist da nicht wirklich sinnvoll. Sei einfach wach und bewusst und erlaube anderen, es ebenfalls zu sein und hab Vertrauen.

Vollbreit hat geschrieben:Kurz, Rationalität, gute Gründe für sein Denken und Handeln zu haben, ist ein Tor zur Freiheit, aber die meisten Menschen sind nicht sehr rational unterwegs und der Begriff der Rationalität war lange Zeit auch ein Synonym für sterile Rechenspiele und reichlich unsexy.
Ob Rationalität das Ende der Fahnenstange darstellt, da bin ich noch unsicher, das ist ein schwieriges Thema, ich persönlich sehe die Mystik als die erfolgreichere und entwickeltere Lebenshaltung an.


Was bedeutet für Dich Mystik?

Vollbreit hat geschrieben:Ist ja wurscht, ich will Dich ja nicht kritisieren, sondern nur aufzeigen, dass Du innehalten und Dich anders entscheiden könntest, in welche Richtung nun auch immer.


Ja, aber was ändert das? Wenn der Irre tot ist, ist er tot. Daraus folgt an sich nichts.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn ich in diesem Fall getötet hätte, hätte ich weder eine Strafe verdient, noch wäre diese in irgendeiner Form in erzieherischer Hinsicht nützlich (außer um noch mehr Angst vor der Justiz in mir zu produzieren).


Vollbreit hat geschrieben:Doch, Du hättest Strafe verdient, um zu zeigen, dass Selbstjustiz nicht geht.


Weil Du das nicht für mich schlüssig argumentieren kannst, findest Du, dass Gewalt gegen mich angewendet werden muss? Meinst Du das ernst?

Vollbreit hat geschrieben:Du könntest aber sogar die Einstellung haben, dass Du einsiehst, dass Du Strafe verdient hast, es aber in Kauf nimmst.


Das ist was anderes, aber ich habe diese Einstellung nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn jemand meine Liebsten in seiner Gewalt hätte, ich kann nicht mit Gewissheit sagen, dass ein Täter bei mir vor Folter und Mord sicher wäre.


Siehst Du, es ist vielleicht keine gute Tat, aber wenn es die einzige Tat ist, die Deine liebsten retten kann und Du sie deswegen umsetzt, dann kann es keine falsche Tat sein, weil Du gute Gründe hattest. Was sollte Strafe da ändern?

Vollbreit hat geschrieben:Allerdings kann ich einsehen, dass so ein Verhalten undemokratisch ist und ich nicht das Recht habe, für mich eine Ausnahme in Anspruch zu nehmen. Das ist halt ein bisschen blöd, wenn man sagt, eigentlich finde ich den Rechtsstaat ja gut, aber bitte nicht in meinem Fall.


Ich nehme für mich ja keine Ausnahme in Anspruch. Ich kritisiere es im Ganzen und das aus sehr gutem Grund.

Vollbreit hat geschrieben:Tyrannenmord wäre in meiner Welt erlaubt, ich hätte da keine Gewissensbisse.


Aber es wäre gegen geltendes Gesetz. Also hast Du Deiner Argumentation zufolge eine Strafe verdient. Was soll die nützen, wenn Du eh keine Gewissensbisse hast?

Vollbreit hat geschrieben:Es gibt aber nicht nur Fakten (finde ich eh etwas problematisch, diese sogenannten Fakten), sondern eben auch logische Regeln, die finde ich ganz brauchbar.


Fakten müssen ja nicht materiell sein (wobei ich glaube, dass nach der leninistischen Materialismusdefinition auch logische Regeln materiell wären).

Vollbreit hat geschrieben:Das Beispiel mit der Bahn hinkt ein wenig, weil man da ja tatsächlich keine Wahl hat.


Was der Clou am Determinismus ist. Also passt das Beispiel durchaus.

Vollbreit hat geschrieben:Im kompatibilistischen Szenario hast Du aber eine echte Wahl.


Deswegen würden hier viele eben nicht mehr von Determinismus sprechen.

Vollbreit hat geschrieben:Du willst in den Urlaub fahren, fährst auf eigene Faust mit dem Wagen, kommst an und siehst dann, dass Dein Lieblingshotel abgebrannt ist. Was würdest Du denken? Vielleicht auch sowas wie: „Verdammt, hätte ich das vorher gewusst“? Dann hättest Du Dich anders entscheiden können, so hast Du das aber nicht tun können, da Du es vorher nicht wusstest und dass Du die Information nicht vor Deiner Abreise bekommen hast, das war determiniert.
Nun stell Dir den umgekehrten Fall vor. Es ist determiniert, dass Du die Information einen Monat vor dem geplanten Urlaub bekommst. Nun hast Du die Information vorher und kannst sagen: „Ach, wie traurig, hoffentlich ist niemandem was passiert, aber da müssen wir wohl woanders hin.“


Wenn nur das mit der Information determiniert war, okay. Aber es geht doch darum, dass alles determiniert wäre, da ist das Erhalten der Information sogar völlig irrelevant.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 3. Jan 2012, 00:47

ganimed hat geschrieben:Ist die Frage nach dem freien Willen nicht teilweise analog zur Frage nach den auf Schienen fahrenden Lokomotiven? Es kommt mir so vor. Und es kommt mir so vor, als würde so eine Analogie vielleicht die Chance für einen neuen Blickwinkel in der an manchen Stellen festgefahrenen Diskussion bieten.

Also, die Schienen stellen den Determinismus dar. Die Weichen sind gestellt (ursächlich festgelegt). Bei gleicher Weichenkonfiguration (Ursachen) und Lok-Anfangsposition fährt die Lok immer den gleichen Weg (handelt der Mensch immer gleich). Die Lok selber hat aber durchaus den Eindruck, ein souveräner Agent zu sein (der Mensch unterliegt der Illusion des freien Willens), sie entscheidet sich oft für neue Fahrtrichtungen.

Nein, dieses Bild erscheint mir deswegen falsch, weil hierbei die Schienen vorher schon daliegen, die Schienen nichts mit der Lok zu tun haben, die Lok keinen Einfluss auf den Verlauf der Schienen hat. Erst sind die Schienen da, dann kommt die Lok. Aber dieses Bild des Determinismus erscheint mir im Falle einer entscheidenden Person falsch, denn es müsste eine Schienenverlegungsfähigkeit der Person enthalten sein.

Ich habe zwei andere Bilder anzubieten, die meiner Ansicht nach den Determinismus (und auch das zugrunde liegende Freiheitsproblem) viel besser abbilden.

Bild 1: ein Kompatibilist steht in einem Raum mit X Türen. Neben ihm steht ein Inkompatibilist, der ihm erklärt, dass x-1 Türen verriegelt sind, dass also der Kompatibilist nur durch eine einzige Tür gehen kann. Der Kompatibilist geht zu einer Tür, öffnet diese und geht in den nächsten Raum, wieder mit x Türen, der Inkompatibilist folgt ihm und erklärt ihm: "ja, durch diese Tür konntest Du gehen, aber Du warst nicht frei, weil Du durch keine der anderen Türen hättest gehen können". Der Kompatibilist sagt: "aha", geht zur einer beliebigen Tür, öffnet diese und geht in den nächsten Raum. Der Inkompatibilist folgt ihm und erklärt dem Kompatibilisten wieder, dass er nicht frei war. Dieses Spiel wiederholt sich ein paar Mal, die beiden kommen in immer neue Räume und der Inkompatibilist sagt sein Sprüchlein auf. Der Kompatibilist ist aber nun ein bisschen verwirrt, er sagt: "aber sieh mal, ich konnte immer das tun, was ich tun wollte, wieso war ich nicht frei?" Und der Inkompatibilist sagt: "jaha, das liegt daran, dass Du nie das tun konntest, was Du nicht wolltest, für das Du Dich nicht entschieden hast. Es ist doch selbstevident, dass Du nicht frei bist, wenn Du nie das tun kannst, was Du nicht willst, wenn Du Dich immer nur das für das entscheiden und dann das tun kannst, für das Du Dich letztlich entscheidest. Dann musst Du das doch wohl tun, dann gibt es ja keine Alternative dazu." Der Kompatibilist fragt: "sag mal, wie funktioniert das eigentlich mit dem Verriegelungsmechanismus?" Der Inkompatibilist sagt: "ja, also, der hängt von Deinem Verhalten und Deiner Entscheidung ab. Am Anfang sind alle Türen verriegelt, aber wenn Du Dich dann einer näherst, dann gibt es eine unsichtbare Lichtschranke und die entriegelt dann die Tür. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist also immer nur eine Tür entriegelt, Du kannst also zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur durch eine einzige Tür gehen, also bist Du unfrei." Der Kompatibilist sagt: "ja, aber sieh mal, ich habe mich vorher, ohne dass Du das wusstest, erkundigt, wie das hier funktioniert. Und ich habe den Hausmeister bestochen, habe im 500,- € gegeben, und er hat den Mechanismus nicht aktiviert, alle Türen waren also immer offen, war ich also dann frei?" Der Inkompatibilist sagt: "ja, na gut, das wusste ich nicht, dann warst Du natürlich frei, dann standen Dir ja alle Türen offen." Der Kompatibilist sagt: "na gut, ich habe geloegen, ich habe den Hausmeister gar nicht bestochen, ich habe aber mit ihm geredet und er sagte mir, er habe festgestellt, dass der Mechanismus sehr unzuverlässig sei, manchmal ausfallen würde, so dass alle Türen entriegelt wären. Was nun, war ich frei oder nicht?" Der Inkompatibilist sagt: "ja, dann können wir das nicht wissen, wenn der Mechanismus funktioniert hat, warst Du unfrei, wenn nicht, dann frei". Der Kompatibilist sagt: "aha, wie können wir das also jetzt herausfinden?" Der Inkompatibilist sagt: "gar nicht". Der Kompatibilist ist nun sehr verwirrt, im will nicht einleuchten, warum ein und derselbe Ablauf mal frei und mal unfrei sein kann. Aber das will der Inkompatibilist nicht sagen. Er sagt nur noch: "ist so, weil ich das sage, das setze ich voraus, ist per definitionem so und basta, Du konntest ja zu dem Zeitpunkt, an dem Du durch eine Tür gegangen bist, nicht durch eine andere gehen, hattest also keine Alternative, also warst Du unfrei". Der Kompatibilist will das aber immer noch nicht einleuchten. Er fragt: "nehmen wir mal an, ich wäre hier alleine, keiner sonst da, den ich fragen könnte, es gibt ja nun keine Möglichkeit für mich, zu sehen, ob der Mechanismus funktioniert oder nicht, wie kann ich da feststellen, ob ich frei bin oder nicht?" Der Inkompatibilist sagt: "wie gesagt: gar nicht. Ist aber dennoch so: wenn der Mechanismus funktioniert, bist Du unfrei, wenn nicht, bist Du frei. Egal, ob das jemand wissen kann oder nicht". Aber der Kompatibilist ist nicht überzeugt. Er sagt: "aber meiner Ansicht nach bin ich frei, wenn ich das tun kann, für das ich mich entscheide". Der Inkompatibilist sagt: "nein, Du bist nur frei, wenn Du auch alles das tun könntest, für das Du Dich nicht entscheidest".

Bild 2: "Ich bin Gott. Ich habe eine Welt geschaffen mit reflexionsfähigen und erkenntnisfähigen Wesen. Diese können Entscheidungen treffen und darauf basierend Handlungen ausführen. Meine göttliche Fähigkeit besteht nun darin, mich beliebig in der Zeit meiner erschaffenen Welt vor- und zurück bewegen zu können. Ich bin ein inkompatibilistischer Gott, ich glaube also, dass ein Wesen, das in einer bestimmten Situation keine andere Möglichkeit hat, als das zu tun, was es in der bestimmten Situation tut, unfrei ist. Unglücklicherweise aber sind einige meiner Wesen anderer Meinung. Sie sind Kompatibilisten und glauben mir nicht. Aber da ich Gott bin, kann ich das ihnen beweisen. Ich weiß ja, was jedes von ihnen getan hat, tut und tun wird. Ich mache das jetzt einfach so: ich baue um jedes Wesen einen für die Wesen unsichtbaren und überhaupt nicht wahrnehmbaren Tunnel und lasse ihnen so nur denjenigen Weg offen, den sie einschlagen, sie werden also nie etwas von diesen Tunneln mitbekommen können. Die ganze Welt besteht also aus diesen (nicht wahrnehmbaren) Tunneln, die aber dennoch undurchdringlich für die Wesen sind, (genauer gesagt: jeder spezielle Tunnel ist für das ihm zugeordnete Wesen undurchdringlich). Und später zeige ich ihnen dann die Tunnel, dann müssen sie einsehen, dass sie niemals etwas anderes tun konnten, als das, was sie taten, niemals einen anderen Weg hätten einschlagen können als den, den sie de fakto genommen haben. Und dann müssen sie einsehen, dass sie unfrei waren.

Hm, jetzt habe ich so ein kompatibilistisches Wesen hier, ich habe ihm seinen Tunnel gezeigt, aber er widerspricht mir immer noch. Er hat mich gefragt, wieso er unfrei war, nur weil er sich immer für etwas (oder nichts) entschieden und das dann getan (oder gelassen) hat. Er hat mich sogar gefragt, was die Alternative dazu wäre, wie er sich was anderes vorstellen könnte. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich dazu sagen soll. Er konnte doch nie das tun, was er nicht tat, das habe ich ihm doch bewiesen, oder etwa nicht? Gut, stimmt schon, ich weiß ja auch nicht, wie es gehen könnte, dass jemand das tut, was er nicht tut. Aber trotzdem ist doch jemand unfrei, der nie das tun kann, was er nicht tut. Oder etwa nicht? Das ist doch selbstverständlich, ich habe keine Lust mehr, dem das zu erklären. Ich bin ja immerhin Gott und also habe ich recht. Wer nie das tun kann, was er nicht tut, ist unfrei und basta. Darüber kann es keine Diskussion geben."
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 3. Jan 2012, 02:52

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die kommt wie gesagt aus seiner Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Reflexion, zur Abschätzung der Folgen möglicher zukünftiger Handlungen [...]

Aber wie kommt diese Fähigkeit überhaupt zustande? Wie kann es sein, dass es Subjekte geben kann, die erkennen und reflektieren können? Dass es die gibt ist also auch nur ein Axiom (was absurderweise von vielen geleugnet wird, also die Subjektivität an sich).

Naja, da kann ich auch nur ziemlich schwammig sagen, dass das wohl anscheinend irgendwie evolutionär enstanden ist. Aber diese Frage: "wie ist das genau entstanden?" erscheint mir hier in diesem Zusammenhang eher unwichtig zu sein. Anscheinend ist es aber doch so, dass wir Wesen sind, die zur Erkenntnis und zur Reflexion fähig sind. Es wäre mE völlig absurd, das zu leugnen, etwas Gegenteiliges zu behaupten. An dieser Stelle ist meine Ansicht nach übrigens selbstimmunisierend, d.h. ich bin der festen Überzeugung, dass jemand, der das leugnet, das nur auf der Basis der Anerkennung dieser Ansichten machen kann, ("ich bin durch Erkenntnis und Reflexion zu der Erkenntnis gekommen, dass es keine Erkenntnis und keine Reflexion geben kann" - und, naja, das fände ich dann doch wenig überzeugend, das widerspricht sich selbst und ist daher ungültig, meine ich). Selbstimmunisierung ist nun nichts Schlechtes, es gibt meiner Ansicht nach Gegebenheiten, die logisch nachvollziehbar schlicht nicht bestritten werden können. Ich kann z.B. auch nicht mit Logik die Logik widerlegen, das geht nicht, weil ich damit schon die Geltung der Logik voraussetze.

Das ist nun keineswegs ein "Axiom". (Oder alles ist ein Axiom, wie z.B.: "ich tippe gerade Zeichenfolgen auf meiner Tastatur ein". Aber wenn alles ein Axiom ist, dann ergibt der Begriff "Axiom" keinen Sinn mehr. Es wäre zwar ein bisschen interessant, wenn jemand behauptete, es wäre nur ein Axiom, dass ich gerade was eintippe, aber nicht besonders interessant. Nur interessant, wenn er das begründen könnte. Kann er aber mit Sicherheit nicht. Denn das ist kein Axiom, sondern ein Fakt.)

Es ist auch kein Axiom, dass ich ein Subjekt bin.

Teh Asphyx hat geschrieben:Würdest Du mich denn eigentlich beleidigen wollen?

Naja, das mit dem Beleidigen war nur ein Beispiel, hat nichts mit uns und dem aktuellen Disput zu tun.

Ich kann Dich nicht beleidigen, wenn Du mir nicht zuerst einen guten Grund dafür lieferst. Und den hast Du bisher nicht geliefert, (und es ist schwer, den zu liefern, ich bin wenig empfindlich). Wenn das Unfreiheit bedeutet: ja, in dem Sinne bin ich dann unfrei. Empfinde und sehe das aber nicht als Unfreiheit, (würde es im Gegenteil als Unfreiheit empfinden und ansehen, wenn ich Dich jetzt grundlos beleidigen würde - so unterscheiden sich eben manchmal die Begriffe; für den einen ist Freiheit dies, er ist Inkompatibilist, für den anderen ist Freiheit jenes, er ist Kompatibilist).

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Du mich beleidigen wolltest und Dich aus guten Gründen davon abhältst würde ich aber auch noch nicht von Unfreiheit sprechen, es sei denn, die Gründe würden Dir irgendwie aufgezwungen.

Ja, das sehe ich auch so.

Selbst wenn ich Dich jetzt nicht beleidigen könnte, (und wie gesagt: kann nicht, weil ich dazu auf einen guten Grund angewiesen bin, kann ich nicht einfach so, Du musst erst extrem fies mir gegenüber werden und selbst dann kann ich nicht dafür garantieren, dass mir das einfach nur egal wäre, ich Dich einfach nur ignorieren würde - wahrscheinlich würde ich eben das tun: müde mit den Schultern zucken und mich nicht weiter darum kümmern), meine ich nicht, dass ich deswegen unfrei wäre. Oder anders gesagt: wennn jemand meinte, ich sei deswegen unfrei, dann, gut, wäre dann ein anderes Verständnis als das, was ich von Freiheit habe.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn ich jetzt richtig verstanden habe, bist Du auch der Ansicht, dass der Mensch in der Lage ist, durch eigene Entscheidungen den Lauf der Dinge zu beeinflussen, richtig (ob wir das jetzt mit Hegel’scher Dialektik begründen wollen oder nicht ist egal)? Also dass der Mensch nicht nur determiniert, sondern auch Determinant ist?

Über das Strafrecht (besser aber: über das Recht an sich und dessen Anforderungen / Grundlagen) sollten wir lieber in den anderen Thread reden, das Thema interessiert mich auch, führt aber hier etwas vom eigentlichen Thema weg.

Zu Deiner Frage: selbstverständlich (aus der Sicht eines Naturalisten) ist der Mensch / ein Subjekt / ein Akteur nicht nur determiniert, sondern auch Determinant. Das folgt unweigerlich aus folgenden zwei Annahmen:

1. Die Welt (alles in der Welt) ist komplett (stark / streng / absolut) determiniert (wie gesagt, diese Annahme setzen wir nur hypothetisch, wir fragen: "was wäre, wenn so?")
2. Ein Mensch / ein Subjekt / ein Akteur ist Teil dieser Welt

Und deswegen ist auch das Bild von ganimed mit der Lok, die selber kein Determinant ist, die keinen Einluss hat, sondern sich nur nach den gegeben Umständen richten muss, den vorher gelegten, nicht beeinflussbaren Schienen, falsch. Dieses Bild kann nur jemand haben, der meint, Menschen / Subjekte / Akteure seien nicht Teil der Welt, seien irgenwie etwas außerhalb der Welt Stehendes.

Aber ein Naturalist kann so etwas grundsätzlich nicht meinen, denn für einen Naturalisten gibt es gar nichts außerhalb der Welt Stehendes, für einen Naturalisten ist alles, was existiert, Teil der Welt. (Und ich bin Naturalist.)

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ist es viel lieber, in Deinem Sinne unfrei zu sein, dafür aber meine Entscheidungen und Handlungen unter Kontrolle zu haben. Und nur dann, also nur, wenn ich unfrei in Deinem Sinne bin, (aber frei in meinem Sinne), fühle ich mich auch verantwortlich für meine Handlungen.

Die Verantwortlichkeit würde ich trotzdem genauso wie die Freiheit niemals als absolut, sondern nur als eingegrenzt betrachten, weswegen zum Beispiel Strafe weiterhin für mich keinen Sinn ergibt (Beteiligung an Problemlösungen wäre eher was).

Ja, so sehe ich das auch. Niemand ist zu 100% frei und niemand ist zu 100% verantwortlich für etwas. (Aber, um ein bisschen dem anderen Thread über das (Straf-)Recht vorzugreifen: das ist mE auch keine notwendige Bedingung, um jemanden für eine bestimmte Handlung Verantwortung zuschreiben zu können und ihm das übel nehmen zu können. Und um noch mehr vorzugreifen: das Übelnehmen, den anderen vielleicht gar als Arschloch anzusehen, ihn mit Verachtung oder sonstwie zu strafen, ist nicht unbedingt etwas, was der kompletten rationalen Kontrolle unterliegt. Dabei spielen Emotionen eine große Rolle, Menschen sind nicht nur rationale Akteure, sie sind immer auch emotionale Akteure. Und diese Emotionen gänzlich unterdrücken zu wollen wäre mE erstens falsch und zweitens geht das auch gar nicht.)

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Definition des Inkompatibilisten schließt es eben aus, deswegen kann man da nicht weiter argumentieren.

Nun ja, man kann auch Definitionen daraufhin abklopfen, ob sie plausibel, mehrheitsfähig, anerkennenswert sind. Es kann nicht jeder beliebig definieren - falls er gleichzeitig möchte, dass diese Definition von anderen (vielen) anerkannt werden soll. Falls ihm das aber gleichgültig ist, dann kann er das machen. Nur wird das dann keine Sau interessieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:Beim Inkompatibilisten steckt in der Definition aber noch etwas drin, was Du hier als Eigenschaft des Fatalismus bezeichnet hattest, was eben Freiheit ausschließt.

Aus Determinismus folgt aber nicht Fatalismus. Und einen Inkompatibilisten, der das dennoch unbegründet meint, kann ich nicht ernst nehmen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde folgende Kritik am harten Determinismus von Gerhard Roth vom bremer Pädagogikprofessor Freerk Huisken ziemlich treffend: http://www.fhuisken.de/hirn.htm Es wird natürlich hier mehr aus pädagogischer Sicht kritisiert, aber die Absurdität von Roths Determinismusbegriff in Bezug auf reale Folgen kommt dort auch zur Diskussion.

Den Text von Huisken kenne ich und finde ich großartig. Ich mag Polemik, wenn sie richtig angewendet wird und ich finde, Huisken hat die Ansicht von Roth hier gnadenlos analysiert und in Einzelteile zerlegt, die nicht mehr zusammenzusetzen sind.

Aber dennoch zwei Anmerkungen: erstens ist der Text relativ alt, er bezieht sich auf einen Roth von vor einigen Jahren, der aber inzwischen - soweit ich weiß - seine Meinung ziemlich grundlegend geändert hat. Und zweitens, mal etwas Grundsätzlicher bezüglich der harten Deterministen: ich meine, Du siehst die ein bisschen falsch. Gut, wir stimmen zwar wohl dabei überein, dass deren Argumentation ziemlich unlogisch ist, zusätzlich meine ich, dass die zu oft auf selbst konstruierte Strohmänner einprügeln, es sich viel zu einfach machen, aber dennoch: ihre Motivation dazu ist, anders als Du hier zu suggerieren scheinst, keine nicht ehrenwerte Motivation. Es stimmt einfach nicht, dass harte Deterministen harte Strafen befürworten würden, im Gegenteil meine ich, als ob ihre Motivation hauptsächlich auf einem Abolitionismus (hier: Abschaffung / Umgestaltung des Strafrechtes) beruht. Nur: ich meine, a) eine noch so ehrenwerte Motivation ersetzt nun mal keine Argumentation und b) das vertreten sie völlig kontraproduktiv. Man kann einfach nicht auf der einen Seite Verantwortung völlig leugnen und dann an die Verantwortlichkeit anderer appelieren, das Strafrecht abzuschaffen / umzugestalten. An der Stelle blinkt und tutet mein Logikdetektor unaufhörlich und es gelingt mir nicht, das einfach zu ignorieren. So frei bin ich nicht.

Aber dennoch darf man den harten Deterministen nicht etwas unterstellen, was sie gar nicht vertreten.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Verantwortung heißt, dass ein Mensch in der Lage ist Lösungen für Probleme zu finden, dann ja. Wenn Verantwortung heißt, dass es richtig ist, einen Menschen, der einen Schaden verursacht hat, dafür zu strafen, dann nein. Ich könnte mir aber vorstellen, dass diese Sichtweise eher für den Kompatibilisten klargeht als für den Inkompatibilisten.

Naja, das ist wieder der andere Thread. Dazu habe ich auch einiges zu sagen, aber nicht hier, (da Du ja schon den andren Thread eröffnet hast, ich finde es besser, sich auf ein engeres Thema zu beschränken und das nichtr zu sehr auszuweiten).

Ich möchte nun nochmal den hier meiner Ansicht nach wesentlichen Punkt hervorheben: (einige / viele) Inkompatibilisten scheinen aus einem mir nicht einsichtigen Grunde zu meinen, dass Determinismus bedeuten müsse, dass Menschen / Personen / Subjekte / Akteure keine Determinanten seien, sondern nur machtlose außerhalb der Welt stehende Dinge / Entitäten, die selber keinerlei keinen Einfluss auf die Welt haben könnten. Sie scheinen zu meinen, in einer determinierten Welt könnten überhaupt keine Personen / Subjekte / Akteure entstehen. Aber diese Ansicht ist meiner Meinung nach falsch, zumindest aber per se erst mal wenig einsichtig: wenn alles Teil der Welt ist, dann auch Personen. Und dann ist es auch folgerichtig, anzunehmen, dass Personen einen kausalen Einfluss auf die Welt haben. Indeterministen scheinen irgendwie Personen als einen cartesischen Homunkulus zu sehen, als Dinge / Entitäten, die zusätzlich zur eigentlichen Welt außerhalb dieser existieren würden, aber ohne Einflussmöglichkeit auf die Welt, als reine unbeteiligte Zuschauer eines Geschehens, das außerhalb von ihnen einfach so abläuft. Nun gut, wäre dem so, dann hätten sie mit ihrer Ansicht recht, dass es keine Freiheit gäbe, denn ein unbeteiligter Zuschauer eines Geschehens ohne Einflussmöglichkeit kann voraussetzungsgemäß nichts tun, das Geschehen nicht beeinflussen, ist machtlos und somit (auch nach meinem Verständnis) unfrei. Jedoch: das wäre dann keine naturalistische Ansicht mehr, denn nach Ansicht eines Naturalisten gibt es eben keine solche zusätzlichen, außerhalb der eigentlichen Welt stehenden Entitäten. Und aus einem (wie auch immer strengen) Determinismus folgt das nun auch mitnichten, das ist eine metaphysische Zusatzannahme, die zumindest mir (da ich Naturalist bin) extremst unplausibel erscheint. Ich würde gerne mal eine Begründung dafür sehen und ich meine, die muss auch geleistet werden, wenn das anerkannt werden soll.

Mit anderen Worten: wir - als Teil der Welt, ausgestattet mit Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit - haben einen Einfluss auf die Welt, das Weltgeschehen, sind nicht nur Getriebene, sondern auch Akteure. Ein wie auch immer gearteter Determinismus ist absolut kein Widerspruch dazu. Und wenn doch: dann müsste das nachvollziehbar dargelegt werden, das ist zumindest nicht per se einfach selbstverständlich.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Di 3. Jan 2012, 11:26

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Es geht nie um frei weil determiniert, sondern um frei trotz Determinismus.


Das habe ich auf Seite 3 selbst gesagt und da hast Du mir widersprochen, jetzt siehst Du es auf einmal selbst so. Wenn das doch Deine Position ist, warum diskutieren wir dann? Ich ging jetzt die ganze Zeit davon aus, dass Du meinst, dass Determinismus erst Freiheit erzeugt und versuche Dir zu erklären, dass das Quatsch ist, weil Freiheit zwar trotz aber nicht wegen des Determinismus existieren kann.


Gute Frage.
Darauf gibt es zwei Teilantworten.
Erstens, sieht der K. Freiheit nicht im Widerspruch zum Determinismus, das ist die Grundposition des K. Zweitens, ist so etwas wie Freiheit m.E. aber auch nur möglich, weil es einen gewissen Grad an Determiniertheit in der Welt gibt, insofern muss ich meine obige Aussage korrigieren.

Du wählst 110 und weißt, dass das die Polizei ist, etwas rollt vom Tisch und fällt zu Boden, nicht an die Decke, Du gähnst und bist vielleicht müde, siehst jemand anderen gähnen und ahnst, der könnte müde sein. Das alles sind Dinge, die Du weißt, die gewohnheitsmäßig immer wieder so ablaufen.
Wäre man freier, wenn man bei 110 einmal Frau Meier, dann das Stadtbad, dann den Vogelzuchtverein an die Strippe kriegt? Wenn Gegenstände manchmal auf den Boden fallen, manchmal aber auch im Raum schweben oder sich zur Decke bewegen? Wenn Gähnen manchmal Traurigkeit, dann wieder Hunger aber manchmal auch sexeulle Erregung bedeuten kann?

Vermutlich gibt es zufällige Prozesse in der Welt, aber die Freiheit dürften die nur vergößern, weil nun neue Karten ins Spiel kommen und das alte Muster der Regeln noch bestehen bleibt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das kann ich ja nur, wenn ich eine Wahl habe. Aber die habe ich im Determinismus nicht (ich habe höchstens den Anschein einer Wahl). Deswegen gehört ja auch jeder, der meint, alles sei im Sinne des harten Deterministen determiniert und diese Erkenntnis hätte aber Folgen für das Handeln ins Tollhaus.


Der K. vertritt ja den härtesten Determinismus.
Was Du aber zu denken scheinst ist: Reflexion des eigenen Determiniertseins bedeutet, ich erkenne, dass ich wie ferngesteuert durch die Welt gehe und daran kann ich nichts ändern.
Die K. meinen aber: Ich erkennen, dass ich streng determiniert bin, aber diese Erkenntnis, bringt eine neue Ebene ins Spiel.
Bevor Du das verwirfst, überleg Dir nur mal ein paar Sekunden, was denn die aufdeckende Psychotherapie macht. Du gehst ja zur Psychotherapie, weil Du an irgendeiner Stelle im Leben immer wieder in die gleiche Falle trittst.
Die Umstände dessen was gewesen ist sind ja nun nicht mehr zu ändern, auch wenn man noch mal drüber redet, aber warum tut man’s dann? Man tut es deshalb, weil man glaubt, dass, wenn jemand in bestimmte Muster eingebunden ist und man ihm diese Muster zeigen kann, er sie kennt und dann, qua seines Wissens über die Zusammenhängen selbst entscheiden kann, dort, wo der bisher nur Reiz-Reaktions-Mustern entsprechend reagieren konnte.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich weiß inzwischen worauf Du hinaus willst, aber Deine Formulierung ist so nicht triftig genug.


Dann zieh doch Deine Schlüsse daraus und nicht die der Hirnforscher.

Teh Asphyx hat geschrieben:Weil Du Freiheit so definiert hast, in Ordnung, ja. Aber ist dann der Wille selbst frei? Bedenke, dass der Wille in den Weltbildern, aus denen der Begriff „freier Wille“ stammt, tatsächlich als Entität angesehen wurde und es solche Weltbilder immer noch gibt (auch wenn es Dir sicher genau wie AgentProvocateur schwer fallen wird, das selbst so zu sehen). Gehe davon aus, dass Dein Gegenüber den Willen so betrachtet und dafür Gründe hat (auch wenn Du diese nicht teilen kannst), wie erklärst Du ihm in diesem Zusammenhang, dass sein Wille frei ist, wenn er doch gleichzeitig kontrolliert wird?


Der Wille selbst, da würde ich erst mal nachfragen, wie das gemeint ist.
Das klingt manchmal etwas dualistisch.
Heidegger und Luhmann sagen, dass es die Sprache ist, die spricht, Dawkins sagt, dass Menschen gemäß übergeordneter Gen- und Memmuster agieren. Aber wie wirkt denn „die Sprache“ auf den Menschen ein? Wenn sie selbst redet und der Mensch nur dranhängt, wie bei Luhmann Menschen nur an sozialen Systemen hängen, dann ist die Frage, wer ist der Akteur in dem Spiel? Wie kommunizieren die Gene und Meme? Wenn das alles nur blinde Prozesse sind, die naturgesetzlich oder sonst wie ablaufen, dann ist der freie Wille nicht gegeben, aber genau das ist das Problem, bei den Ansätzen, die die Subjekte marginalisieren. Es lassen sich schon aus gutem Grund Subjekte formulieren, man kann die Welt sogar besser erklären, wenn man unterstellt, es gäbe Subjekte, die frei entscheiden.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Definitio mit dem Bäcker ist halt nicht sehr brauchbar, darum würde die wohl zurückgewiesen.


Und Deine Definition des freien Willens eben auch nicht (vorausgesetzt jemand sieht den Willen als Entität oder meinetwegen auch als ideelles Holon, falls Dir das so leichter fällt).


Kann man doch machen, dann wäre der freie Wille so etwas wie eine plantonische Idee, an der man unterschiedlichen Anteil hat.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Deine momentane Definition.
Der Wille ist frei, wenn …


„Der Wille ist frei, wenn …“ kann ja nur dann ein sinnvoller Satzanfang sein, wenn der Wille ein „etwas“ ist, das frei sein kann.
…dass „Der Wille ist frei“ kein allgemein brauchbarer Satz ist, wenn nicht übereinstimmend definiert ist, was der Wille sein könnte….


Innehalten, refletieren und begründet entscheiden zu können.

Teh Asphyx hat geschrieben:Der Inkompatibilist geht bei seiner Determinismusdefinition davon aus, dass in einem absolut determinierten Universum ein Mensch nicht nach Gründen handeln kann.


Und der Kompatibilist erklärt, dass es doch geht.
Es ist determiniert, dass ich heute um 13:24 einen Anruf bekomme, von dem ich jetzt noch nicht weiß, dass ich ihn bekomme, doch wenn ich ihn erhalten habe, ändern sich bestimmte Bedingungen in meinem Leben, auf die ich dann frei (nach der Abwägung des Für und Wider) entscheiden kann.


Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Inkompatibilsten, das sind Libertarier und harte Deterministen, die einen meinen, es gäbe völlige Freiheit, die andere es gäbe überhaupt keine. Einig sind sie sich nur darin, dass für die Willensfreiheit und Determinismus inkompatibel sind.


Ja, weil beide sich über den Determinismusbegriff, wie ich ja hier schrieb, einig sind, nur uneinig darüber, ob die Welt determiniert ist oder nicht.


Nein, über den Determinismusbegriff sind sich alle einig.
Uneinig ist man sich über die Konsequenzen. Ink. behaupten, dass wenn wir determiniert sind, es keinen freien Willen geben kann, daraus machen die harten Deterministen, dass der Mensch determiniert ist und deshalb keinen freien Willen haben kann (das wäre die Position von ganimed und Dissidenkt) und die Libertarier, dass der Mensch offensichtlich frei ist und es Ursachen aller Art daher nicht geben kann, oder der Wille außerhalb derselben steht, wie auch immer das zu denken ist.
K. behaupten, dass der Mensch determiniert ist und Freiheit nicht verunmöglicht wird.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das wäre wieder Willkür. Ist ja auch in Ordnung, Du musst dann im nächsten Schritt nur darstellen, inwieweit diese Willkür Deine Freiheit vergrößert. In dem Beispiel mit der Krankheit habe ich darzustellen versucht warum ich Willkür als ungeeignet ansehe.


Nein, weil ich gar nicht sage, dass es meine Freiheit im Allgemeinen vergrößert, jedenfalls nicht allein (auf dialektische Weise kann es das schon, aber das ist eher nebensächlich).


Aber nun lass uns doch nicht ewig die Suppe wieder aufkochen.
Also, wenn Du sagst, der reine Zufall vergrößert die Freiheit eigentlich nicht und das hast Du gesagt und nun sagst, die Willkür (und Irrationalität ist im Grunde dasselbe) vergrößert die Freiheit auch nicht, dann folgt daraus zwingend, dass Zufall und Willkür keine geeigneten Kandidaten für eine Vergößerung oder Erzeugung von Freiheit sind. Denn die Freiheit, um die es geht, besteht darin auswählen zu können, ob zwischen 2 oder unendlich vielen Optionen ist dabei nur ein quantitativer
Unterschied.
Und dieses „Ich habe die Fähigkeit zu wählen“ („Ich könnte auch anders“) bringt Dich (als agierendes Subjekt) genau und nur dann ins Spiel, wenn Du tatsächlich irgendwelche Gründe dafür hast, A und nicht B gewählt zu haben. Seien es emotionale Präferenzen („Es gefiel mir spontan besser“), seien es Gründe, die Du gar nicht kennst („Ich habe mich Hals über Kopf in sie verleibt, warum, weiß ich eigentlich auch nicht so genau, aber dass ich verliebt bin, da bin ich mir sicher“), sei es ein akribisches Auflisten der Vor- und Nachteile mit hierarchischer Gewichtung, am Ende kommt immer heraus, dass Du unterschreiben kannst, dass Du im Moment der Wahl A und nicht B gewollt hast.
Kann auch sein, dass Du sagst: „Hätte ich gewusst, wie die Flüssigkeit in Glas A schmeckt, dann hätte ich Glas B gewählt“, aber zum Zeitpunkt Deiner Wahl wolltest Du A (vielleicht weil Dich die Farbe an Dein Lieblingsgetränk erinnert hat, aus warum auch immer.)

Nur wenn Du Gründe hast, kannst Du auch sagen: „Ich habe es so gewollt“ sonst müsstest Du sagen, dass es Dir so passiert ist und es bist nicht mehr Du, der entscheidet, sondern wer oder was auch immer. Dieser reine Zufall oder die Willkür, als Garanten für Freiheiten, hast Du aber beide ausgeschlossen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wie kommst Du immer vom Zufall auf Unentschiedenheit? Ein Zufallsgenerator trifft doch eine Entscheidung, eine zufällige, aber es ist eine Entscheidung. Da fehlt mir irgendwie der Zusammenhang, wäre schön, wenn Du mir das noch mal näher erläutern könntest.


Der Zufallsgenerator trifft eine zuällige Entscheidung, aber keine die man will, höchstens mal eine, die man zufällig will.
Bleiben wir beim Alltag. Du gehst zur Arbeit oder Uni, Mittagspause, Kantine. Eigentlich hättest Du Bock aus Jägerschnitzel mit Pommes und Cola, gibt es auch, aber Zufall verdonnert Dich zur Erbsensuppe mit Möhrensaft. Gut, Du gehst nach Hause, möchtest eigentlich weiter mit uns das Thema diskutieren, doch der Zufall will, dass Du auf Heinos Fanseite gelandet bist, dann in ein Forum für Brieftaubenliebhaber kommst und auch der 18 Versuch bringt keinen Erfolg. Bist Du nun unheimlich frei, oder fühlst Du Dich nur unheimlich verarscht?


Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Er mutiert langsam in Unfreiheit, wenn keine Entscheidung folgt. Dann entscheiden andere Faktoren über einen, wenn wir beim Menschen bleiben und das ist dann wieder unfrei. Wenn man aber irgendwann selbst entscheidet, ist man doch wieder bei den Gründen.


Aber wenn die Gründe über uns entscheiden, was macht uns dann damit freier?


Warum entscheiden denn die Gründe über uns? Du hast Gründe, für Deine Wahl, die schwirren nicht draußen rum und machen was mit Dir, es sind Deine. „Ich will, weil…“ das ist Deine Nummer und nur Deine.

Teh Asphyx hat geschrieben:Anders gefragt, wieso entscheidet einerseits der Zufall über mich, aber andererseits ich über Gründe?


Du hastdie Gründe, es sind Deine, der Zufall ist eben zufällig, das kann nicht Deiner sein, nichts mit dem Du Dich identifizieren kannst.

Teh Asphyx hat geschrieben:Warum entscheide ich nicht über den Zufall oder die Gründe über mich?


Weil per def niemand über den Zufall entscheiden kann, sonst wäre er kein Zufall, sondern eine Gesetzmäßigkeit. Und Gründe könnten nur über Dich entscheiden, wenn sie Geister wären, die irgendwelche Hirnprozesse bei Dir verändern. Gründe sind aber Deine Begründungen für Deine Wahl, sind im ureigensten Sinne mir Dir verbunden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Was macht für Dich genau aus, dass der Mensch einmal in der Position sitzen würde, dass über ihn entschieden wird, ein anderes mal aber nicht, obwohl doch gerade Determinismus bedeutet, dass von vornherein über alles entschieden ist, also auch über mich entschieden ist (und nicht ich nach Gründen entscheide)?


Es wird so lange über Dich entschieden, wie Du kein bewusstes Ich hast.
Dann bist Du äußeren Einflüssen ausgeleifert und zwar vollkommen. Je mehr Du über Deine Vorlieben und Abneigungen weißt, umso mehr Einfluss bekommst Du auf den Prozess, der dann nicht mehr nur abläuft mit Dir als Marionette, sondern Du wirst zum Akteur.
Denk wieder an (aufdeckende) Psychotherapie.

Teh Asphyx hat geschrieben:Was genau macht hier, dass ich entscheiden kann? Was befähigt mich dazu? Gründe alleine befähigen mich nicht zu entscheiden.


Dass Du weißt, wer Du bist und was Du willst. Sonst bist Du nur ein besserer biologischer Automat.

Teh Asphyx hat geschrieben: Ein Stein hat allen Grund auf den Boden zu fallen, wenn ich ihn loslasse, nachdem ich ihn in der Luft gehalten habe, trotzdem entscheidet er nicht.


Ein Stein hat überhaupt keinen Grund, denn ein Stein ist stutendoof. Er funktioniert nach Ursachen, aber Ursachen und Gründe sind nicht dasselbe. Das wusste schon Wittgenstein, die Hirnforscher haben es mitunter wieder vergessen, bzw. nie kapiert.
Das Geben und Verlangen von Gründen ist das diskursive Spiel, Katzen, Steine und Sterne spielen es nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Du jetzt sagst, dass die Freiheit die Grundlage dieser Fähigkeit ist, dann befindest Du Dich in einer Tautologie, weil Du andererseits die Freiheit darüber definierst, dass man eine Entscheidung nach Gründen treffen kann. Dafür musst Du ja eine Erklärung haben. Oder ist es ein reines Axiom? Warum ist dann aber das Axiom eines Willens in Form eines inneren Zufallsgenerators nicht genauso gültig?


Man muss denken können, vermutlich in Begriffen, dazu muss man nicht nur sprechen können (denn das kein an Beo so gut wie wir) sondern verstehen, was man sagt (dass kann der Beo nicht) und sich auf weitere Festlegungen einlassen, die aus dem was man gesagt hat logisch folgen.


Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Es geht doch nicht um rhetorische Spielchen.


Muss ja auch nicht, aber es gibt einfach Menschen, die sich weniger gut ausdrücken können, trotzdem aber etwas wahres sagen und andere, die sich hervorragend artikulieren können und trotzdem den größten Mist behaupten. So wie Du schreibst, würdest Du der Aussage des zweiten mehr Wert beimessen.


Nein, das sind Sophisten, es kommt schon auf den Inhalt an, nicht nur darauf jemandem geschickt die Worte im Mund verdrehen zu können.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das ist ein interessanter Punkt. Hier streiten sich auch die Gemüter, wenn es um „gelehrten Unsinn“ geht. Ich kann keinen Standpunkt für jeden rational nachvollziehbar darstellen, weil ich immer gewisse Grundkenntnisse voraussetzen muss (das einfachste Beispiel ist wohl, dass die Person meine Sprache sprechen muss).


Stimmt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Auch hier sind die Grenzen fließend, weswegen ja auch zum Beispiel Ken Wilber für manche ein Philosoph ist, für andere wiederum nicht die nötigen Kriterien erfüllt, um als solcher durchzugehen, das selbe gilt für viele Poststrukturalisten. In der Hinsicht bin ich mittlerweile deswegen auch wesentlich offener als früher. Ich gehe inzwischen immer zuerst von der Grundannahme aus, dass wenn jemand was sagt, er auch was bestimmtes damit sagen möchte und dass ich ruhig auch selbst eine Anstrengung unternehmen darf, zu versuchen, ihn zu verstehen.


Ich auch. Bis zum Beweis des Gegenteils halte ich andere nicht für Idioten.
Was Wilber und diese Geschichten angeht, diskutiere ich das gerne, nur lass uns das bitte jetzt hier raus halten, im Wilber Thread meinetwegen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das kannst Du jetzt so sehen, aber der Clou ist ja, dass es für den Großteil der Menschen rational war oder auch für viele immer noch ist. Und wer weiß, wie Du vor 100 Jahren rational über „Neger“ gedacht hättest.


Klar, wenn ich in einer diskriminierenden Umgebung aufgewachsen wäre, hätte ich Vorurteile schwer überwinden können.
Aber gerade das wissend, ist es doch wichtig auf die Begründung zu pochen, warum blonde, blauäugige Menschen denn „besser“ sein sollen, als andere und nicht einfach unbegründet zu behaupten, dass sie es sind. Und zu erklären, was besser heißt und auch das zu begründen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Klar ist es nicht nichts, aber dennoch nichts, was allein quantitativ irgendeine Aussage machen könnte. Gerade wegen bestimmter Lebenserfahrung gibt es destruktives Verhalten.


Klar, aber eben auch das Gegenteil.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mit der Entwicklungspsychologie wäre ich hier vorsichtig, weil sie voreingenommen ist (damit will ich sie nicht komplett abwerten, aber sie kann hier keine akzeptable Begründung liefern).
[/quote]

Wieso, sie kann tonnenweise Begründungen liefern. Wo versagt sie denn?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Di 3. Jan 2012, 11:28

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem ist, dass dem Menschen in unserer Gesellschaft eine Freiheit vorgegaukelt wird, die keine ist. Oder die nur für manche vielleicht eine Freiheit ist, was auch weniger damit zu tun hat, ob sie sie aus sich heraus nutzen als damit, in welcher Klasse sie geboren sind.


Mag sein, aber Freiheit fällt an der Stelle nicht unbedingt mit dem Begriff der Gerechtigkeit zusammen – später dann schon eher.

Teh Asphyx hat geschrieben:Hier hast Du einen eher sozialistischen Gedanken, den ich im Groben auch teile. Um überhaupt frei sein zu können, muss ein Mensch freien Zugang zu bestimmten Ressourcen haben, das betrifft sowohl Nahrung als auch Wissen, ebenso sind Freundschaften notwendig („soziales Netz“ klingt mir zu distanziert und trocken, warum nicht einfach sagen, dass Menschen sich auch mögen und nicht nur vernetzen können?).


Das sehe ich ähnlich.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das ist schonmal ein Manko in unserer Gesellschaft, denn diesen freien Zugang haben nur die, die Eigentum haben und wer das hat, wird meistens nachwievor dadurch entschieden, in welche Klasse man hineingeboren wird.


Das nur bedingt, Klassen haben wir bei uns nicht, auch ein armer arbeitsloser Mensch könnte Frau Merkel verklagen, alle haben die gleichen Rechte (außer wenn es um Kredite fürs Haus geht. ;-) )

Teh Asphyx hat geschrieben:Warum solltest Du dafür Denken in vorgefassten Normen brauchen?


Weil Dir diese Normen erst mal irgendwelche doofen Gründe dafür liefern, warum Du so und so zu sein hast und weil selbst ein primitives „Gott will das nicht“ oder „Ich, Dein Vater will das nicht, basta!“ erst mal dazu führt, dass man die Wohnung nicht abfackelt, den Hund nicht quält und sonst was.
Irgendwann bekommt man mit, dass das mit dem lieben Gott vielleicht eher fragwürdig ist, dass der Vater auch nur ein Mensch ist, der Fehler begeht und so weiter, aber auch wenn man die ersten 12 Jahre nur nach diesen Regeln funktioniert hat, es ist ja gut, dass man dann nicht das Haus angezündet, den Rottweiler gequält hat (der kann sich wehren), oder an der Nadel hängt. Dass die Gründe allesamt defizitär sind, okay, aber nach dem Sturm der ersten Entrüstung, die dazugehört, kann man sich dann schon Fragen, ob es denn wirklich so dämlich ist, das Haus nicht anzuzünden oder den Hund nicht zu quälen.
Wenn Eltern mit ihren dreijährigen Kindern diskutieren, wie mit Erwachsenen, stehen mir die Haare zu Berge, die Ergebnisse sieht man, wenn Papa dann mit klein Malte im Bioladen einkauft.
Und ob Kinder, die an einer Schnellstraße wohnen wirklich alle Erfahrungen mal selbst machen sollten, damit sie was fürs Leben lernen, da wäre ich anderer Meinung.

Teh Asphyx hat geschrieben:Was Resilienz angeht, würde ich solches Denken sogar als hinderlich ansehen, denn eine Norm fühlt sich leichter gestört (vor allem, wenn sie nicht reflektiert sondern dogmatisch ist) als eine reflexive Einsicht.


Dreijährige Kinder haben noch keine reflexive Einsicht, aber vielleicht ein Feuerzeug, ein Messer oder einen Rottweiler. Man kann natürlich auch phobisch alle Steckdosen vernageln, Hunde abschaffen, das Kind einsperren und es dann frei aufwachsen lassen, ich halte das aber auch nicht für richtig.
Also reflexive Freiheit – die ich absolut befürworte – wächst nicht auf den Bäumen, sondern erwächst aus der Reflexion der zuvor gesetzten Struktur, wenn die fehlt, hängen die Kinder in der Luft, warst Du es nicht, der genau das kritisiert hat (oder bin ich jetzt im Forum verrutscht)?

Teh Asphyx hat geschrieben:Und an was willst Du Dich wirklich sinnvoll geistig orientieren als an Deinen Mitmenschen/Mitlebewesen/Umständen, die hier und jetzt um Dich herum sind? Sich an irgendwelche dogmatischen Konstrukte zu orientieren ist da nicht wirklich sinnvoll. Sei einfach wach und bewusst und erlaube anderen, es ebenfalls zu sein und hab Vertrauen.


Ich habe Vertrauen, aber nicht in das Reflexionsvermögen von kleinen Kindern. Ein wenig Piaget und man ist kuriert. Deshalb muss man Kinder erziehen, idealerweise so, dass die Regeln auch hier klar und nicht willkürlich sind und eingehalten werden müssen, ohne sadistisch oder drangsalierend zu ein. Die Psychologie weiß heute, dass Unterstrukturierung um Längen schlimmer ist, als Überstrukturierung, aber beides ist nicht gut. Zum Glück ist die Mitte aber recht breit, so dass Erziehung eine solide Basis hat und kein Drahtseilakt ist. Umso schlimmer, dass sie dennoch oft schief geht.


Teh Asphyx hat geschrieben:Was bedeutet für Dich Mystik?


Eigene spirituelle Erfahrungen gemacht zu haben statt nur davon gehört oder gelesne zu haben.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ist ja wurscht, ich will Dich ja nicht kritisieren, sondern nur aufzeigen, dass Du innehalten und Dich anders entscheiden könntest, in welche Richtung nun auch immer.


Ja, aber was ändert das? Wenn der Irre tot ist, ist er tot. Daraus folgt an sich nichts.


Was es ändert, dass Du Dich entscheiden kannst? Das ist Deine Freiheit.


Teh Asphyx hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn ich in diesem Fall getötet hätte, hätte ich weder eine Strafe verdient, noch wäre diese in irgendeiner Form in erzieherischer Hinsicht nützlich (außer um noch mehr Angst vor der Justiz in mir zu produzieren).


Vollbreit hat geschrieben:Doch, Du hättest Strafe verdient, um zu zeigen, dass Selbstjustiz nicht geht.


Weil Du das nicht für mich schlüssig argumentieren kannst, findest Du, dass Gewalt gegen mich angewendet werden muss? Meinst Du das ernst?


Du hast es doch oben selbst erwähnt, nicht jeder sieht alles ein.
Wenn ich Dir Selbstjustiz durchgehen lasse, warum den türkischen Vater, der sich in seiner Ehre verletzt fühlt, weil seine Tochter aus der Reihe tanzt, nicht? Warum der Rockergruppe, die einen Abtrünnigen ermordet nicht? Warum sollte ich irgendwen nicht erschießen, weil ich gerade meine, dass der es nicht verdient hat zu leben, weil der doofe Ansichten hat? Ein Grund findet sich immer.
Wenn ich das aber prinzipiell nicht will, dann kann ich Dir Deine Selbstschutzmotive, die ich gut verstehe, dennoch nicht durchgehen lassen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Du könntest aber sogar die Einstellung haben, dass Du einsiehst, dass Du Strafe verdient hast, es aber in Kauf nimmst.


Das ist was anderes, aber ich habe diese Einstellung nicht.


Dann bist Du für Selbstjustiz und ich würde zusehen, dass Du, um diesen Unsinn nicht ernsthaft verbreiten zu können, möglichst keinen einflussreichen Posten bekommst. Ich würde ich also mit allen demokratischen Mitteln an dieser Stelle bekämpfen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn jemand meine Liebsten in seiner Gewalt hätte, ich kann nicht mit Gewissheit sagen, dass ein Täter bei mir vor Folter und Mord sicher wäre.


Siehst Du, es ist vielleicht keine gute Tat, aber wenn es die einzige Tat ist, die Deine liebsten retten kann und Du sie deswegen umsetzt, dann kann es keine falsche Tat sein, weil Du gute Gründe hattest. Was sollte Strafe da ändern?


Dasselbe wie bei Dir. Wenn ich ein schlechtes Vorbild bin, habe ich Strafe verdient (wenn ich dafür bin, dass alle Gewalt von Staat ausgeht und das bin ich hier und jetzt) und vielleicht bin ich in einer emotionalen Ausnahmesituation in der Lage das abzuwägen. Vielleicht aber auch nicht, das weiß ich erst, wenn ich in die Lage gerate, also hoffentlich nie.
Wenn ich dann sage, dass ich zwar grundsätzlich ein Anhänger des staatlichen Gewaltmonopols bin, aber doch bitte bei mir eine Ausnahme gemacht werden sollte, weil es mir in der Situation wirklich mies ging, mit welchem Recht sollte ich das dem türkischen Vater absprechen, der leidet auch wirklich und fühlt sich entehrt?
Und weil mir dazu nichts einfällt, was nicht egozentrisch wäre, muss ich den Entführer meiner Frau und Kinder, wenn ich ihn in die Finger kriege der Polizei übergeben, oder schlimmste Folgen für sie ggf. in Kauf nehmen, wenn die Umstände es nicht hergeben oder die Zeit abläuft. Ob ich dazu bereit wäre, weiß ich nicht, könnte sein, dass ich ihm die Haut in einzelnen Streifen vom Körper ziehe. Aber das sind Entscheidungen die am Schreibtisch immer anders ausfallen, als im „richtigen“ Leben.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Allerdings kann ich einsehen, dass so ein Verhalten undemokratisch ist und ich nicht das Recht habe, für mich eine Ausnahme in Anspruch zu nehmen. Das ist halt ein bisschen blöd, wenn man sagt, eigentlich finde ich den Rechtsstaat ja gut, aber bitte nicht in meinem Fall.


Ich nehme für mich ja keine Ausnahme in Anspruch. Ich kritisiere es im Ganzen und das aus sehr gutem Grund.


Das halte ich für bedenklich, wie schon mehrfach erwähnt.
Du findest Ehrenmorde also gut?

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Tyrannenmord wäre in meiner Welt erlaubt, ich hätte da keine Gewissensbisse.


Aber es wäre gegen geltendes Gesetz. Also hast Du Deiner Argumentation zufolge eine Strafe verdient. Was soll die nützen, wenn Du eh keine Gewissensbisse hast?


Ist der gegen geltendes Recht, ich glaube nicht. Kann ich mir bei unserer Geschichte eigentlich nicht vorstellen.
Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Im kompatibilistischen Szenario hast Du aber eine echte Wahl.


Deswegen würden hier viele eben nicht mehr von Determinismus sprechen.


Dann hätten sie aus meiner Sicht den Gedanken des Kompatibilsimus nicht verstanden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn [Hotelbrand –V.] nur das mit der Information determiniert war, okay. Aber es geht doch darum, dass alles determiniert wäre, da ist das Erhalten der Information sogar völlig irrelevant.


Ja, und? Es ist determiniert, wie Du Dich, aufgrund Deiner Prägung, Erziehung, Intelligenz, Bildung, Deines Tempermentes und der vorliegenden Gründe, Sachverhalte usw. entscheiden wirst, nur weißt Du das ja nicht, Du musst Dich ja immer noch entscheiden. Dass Gott das schon weiß, hilft Dir und mir wenig.
Und es beschreibt ja nur das, was Du jetzt ohnehin auch tust. Du hast eine bestimmte Vorgaben, aus Genen, Erziehung, Peergroup, Büchern, eigenen Überlegungen und Temperament, man legt Dir bestimmte Daten vor und Du entscheidest. Wäre die Erziehung anders oder Dein Temperanment, hättest Du anders entschieden, es ist aber nun mal so, wie es ist und darum entscheidest Du hier und jetzt auf der Basis Deiner Erkenntnisse über die Fakten, die Dir hier und heute vorliegen.
Wenn das alles schon determiniert ist, was ändert das an diesem Sachverhalt?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 12:05

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, dieses Bild erscheint mir deswegen falsch, weil hierbei die Schienen vorher schon daliegen, die Schienen nichts mit der Lok zu tun haben, die Lok keinen Einfluss auf den Verlauf der Schienen hat.


Er möchte Dir aber sagen, dass das für ihn Determinismus bedeutet. Dass man eben keinen Einfluss auf den Verlauf der Schienen, also auf die Entscheidungen hat und deswegen nicht frei ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Bild 1: ein Kompatibilist steht in einem Raum mit X Türen. […] Der Inkompatibilist sagt: "nein, Du bist nur frei, wenn Du auch alles das tun könntest, für das Du Dich nicht entscheidest".


Das ist aber niemals meine Argumentation gewesen und auch nicht die von ganimed. Von daher weiß ich nicht, wem Du hiermit was klar machen willst. Determinierung hat nichts mit irgendwelchen Verriegelungen zu tun. Es geht nicht darum, ob man eine oder alle Türen öffnen könnte, für den harten Deterministen wäre man deswegen immer unfrei, weil es gar keine eigene Entscheidung gibt, man geht also quasi völlig fremdgesteuert auf eine bestimmte Tür zu.

AgentProvocateur hat geschrieben:Bild 2: "Ich bin Gott. Ich habe eine Welt geschaffen mit reflexionsfähigen und erkenntnisfähigen Wesen. Diese können Entscheidungen treffen und darauf basierend Handlungen ausführen.


Diese Prämisse ist ja für den harten Deterministen schon falsch. Für ihn funktionieren Menschen nur durch ein Reiz-Reaktions-Schema, also gibt es keine Reflexion oder Erkenntnis. Der Libertarier hat ja auch die gleiche Determinismus-Definition, sagt aber, dass es einen solchen Determinismus nicht gibt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Naja, da kann ich auch nur ziemlich schwammig sagen, dass das wohl anscheinend irgendwie evolutionär enstanden ist. Aber diese Frage: "wie ist das genau entstanden?" erscheint mir hier in diesem Zusammenhang eher unwichtig zu sein.


Jein, ich meine, dass harte Deterministen vor allem deshalb den Menschen als reines Reiz-Reaktions-Schema sehen, weil ihnen hierzu eine Erklärung fehlt. Allerdings könnte man in dem Sinne ja auch eine Erklärung für die Gravitation verlangen, die es ja auch nicht gibt. Deswegen die Gravitation zu leugnen wäre aber genauso absurd.

AgentProvocateur hat geschrieben:Anscheinend ist es aber doch so, dass wir Wesen sind, die zur Erkenntnis und zur Reflexion fähig sind. […] Ich kann z.B. auch nicht mit Logik die Logik widerlegen, das geht nicht, weil ich damit schon die Geltung der Logik voraussetze.


Stimmt, ich denke auch, dass es selbstimmunisierende Aussagen gibt, die trotzdem richtig sind. Deswegen war Popper wohl auch vorsichtig als er die Psychoanalyse wegen Selbstimmunisierung kritisierte, weil da eben trotzdem was dran ist.
Ich gehe einfach fest davon aus, dass es Existenz und Bewusstsein gibt unabhängig davon, wie die Existenz tatsächlich beschaffen ist. Wenn nichts existieren würde, könnte ich nicht über Existenz nachdenken. Es kann auch kein Bewusstsein ohne Existenz geben, weil zumindest das Bewusstsein existieren muss, um sich seiner selbst bewusst zu sein.
Wer das nicht anerkennen kann, muss irgendwelche tiefsitzenden Probleme mit der eigenen Existenz haben und sollte sich vielleicht lieber psychologische Hilfe suchen, als zu versuchen, andere davon zu überzeugen, es würde nichts existieren oder es könne kein Bewusstsein geben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das ist nun keineswegs ein "Axiom". (Oder alles ist ein Axiom, wie z.B.: "ich tippe gerade Zeichenfolgen auf meiner Tastatur ein". Aber wenn alles ein Axiom ist, dann ergibt der Begriff "Axiom" keinen Sinn mehr. Es wäre zwar ein bisschen interessant, wenn jemand behauptete, es wäre nur ein Axiom, dass ich gerade was eintippe, aber nicht besonders interessant. Nur interessant, wenn er das begründen könnte. Kann er aber mit Sicherheit nicht. Denn das ist kein Axiom, sondern ein Fakt.)

Es ist auch kein Axiom, dass ich ein Subjekt bin.


Ich meine es im Sinne des klassischen Axiom-Begriffs: http://de.wikipedia.org/wiki/Axiom#eine ... begriff.29
Und es ist nicht alles ein Axiom.

AgentProvocateur hat geschrieben:Naja, das mit dem Beleidigen war nur ein Beispiel, hat nichts mit uns und dem aktuellen Disput zu tun.

Ich kann Dich nicht beleidigen, wenn Du mir nicht zuerst einen guten Grund dafür lieferst. Und den hast Du bisher nicht geliefert, (und es ist schwer, den zu liefern, ich bin wenig empfindlich). Wenn das Unfreiheit bedeutet: ja, in dem Sinne bin ich dann unfrei. Empfinde und sehe das aber nicht als Unfreiheit, (würde es im Gegenteil als Unfreiheit empfinden und ansehen, wenn ich Dich jetzt grundlos beleidigen würde - so unterscheiden sich eben manchmal die Begriffe; für den einen ist Freiheit dies, er ist Inkompatibilist, für den anderen ist Freiheit jenes, er ist Kompatibilist).


Na ja, das würde ich auch nicht als unfrei bezeichnen. Ich wollte nur darauf hinaus, dass Du auch was anderes wollen könntest, aber Du mich deshalb nicht beleidigst, weil Du (im Moment) nicht den Willen dazu hast.

AgentProvocateur hat geschrieben:Zu Deiner Frage: selbstverständlich (aus der Sicht eines Naturalisten) ist der Mensch / ein Subjekt / ein Akteur nicht nur determiniert, sondern auch Determinant. Das folgt unweigerlich aus folgenden zwei Annahmen:

1. Die Welt (alles in der Welt) ist komplett (stark / streng / absolut) determiniert (wie gesagt, diese Annahme setzen wir nur hypothetisch, wir fragen: "was wäre, wenn so?")
2. Ein Mensch / ein Subjekt / ein Akteur ist Teil dieser Welt


Nicht unbedingt, denn für den Inkompatibilisten kann der Mensch, wenn alles determiniert ist nach seiner Definition nur Reakteur, aber kein Akteur sein. Es gäbe da also gar keine Akteure, es sei denn nicht alles ist determiniert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und deswegen ist auch das Bild von ganimed mit der Lok, die selber kein Determinant ist, die keinen Einluss hat, sondern sich nur nach den gegeben Umständen richten muss, den vorher gelegten, nicht beeinflussbaren Schienen, falsch. Dieses Bild kann nur jemand haben, der meint, Menschen / Subjekte / Akteure seien nicht Teil der Welt, seien irgenwie etwas außerhalb der Welt Stehendes.

Aber ein Naturalist kann so etwas grundsätzlich nicht meinen, denn für einen Naturalisten gibt es gar nichts außerhalb der Welt Stehendes, für einen Naturalisten ist alles, was existiert, Teil der Welt. (Und ich bin Naturalist.)


Nicht unbedingt, ein Stein ist ja auch in der Welt und trotzdem kein Akteur. Oder eben eine Lok.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, so sehe ich das auch. Niemand ist zu 100% frei und niemand ist zu 100% verantwortlich für etwas. […] Und diese Emotionen gänzlich unterdrücken zu wollen wäre mE erstens falsch und zweitens geht das auch gar nicht.)


Wütend sein ist eine Sache, das will ich niemanden nehmen. Nur ist niemand wirklich wegen der Person wütend, sondern wegen des Schadens, der entstanden ist, das ist aber vielen nicht bewusst, erst recht nicht, weil wir eine Schuld-Kultur haben, wodurch es naheliegend wird, einen Menschen als Ursache der Wut zu sehen. Und das finde ich bedenklich, erst recht, wenn das auch noch staatlich festgelegt wird und das ganze Recht darauf aufbaut.
Es unterliegt also schon einer gewissen rationalen Kontrolle, ob ich mir bewusst bin, was mich genau wütend gemacht hat (ein Schaden oder Verlust) oder nicht. Jemanden zu strafen mildert diese Wut nicht, im Gegenteil, sie steigert sich sogar oft noch mehr dadurch.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun ja, man kann auch Definitionen daraufhin abklopfen, ob sie plausibel, mehrheitsfähig, anerkennenswert sind. Es kann nicht jeder beliebig definieren - falls er gleichzeitig möchte, dass diese Definition von anderen (vielen) anerkannt werden soll. Falls ihm das aber gleichgültig ist, dann kann er das machen. Nur wird das dann keine Sau interessieren.


Aber die Definition des Inkompatibilisten ist von vielen anerkannt und ist auch nicht beliebig.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aus Determinismus folgt aber nicht Fatalismus. Und einen Inkompatibilisten, der das dennoch unbegründet meint, kann ich nicht ernst nehmen.


So weit mir bekannt ist, ist der einzige Unterschied zwischen Determinismus und Fatalismus der, dass beim Fatalismus für das festgelegte Schicksal eine Instanz (wie ein Gott z.B.) verantwortlich ist, während beim Determinismus dem festgelegten Schicksal eine Kausalkette zugrunde liegt.
Im Wikipedia-Artikel zu Fatalismus heißt es: „Kennzeichnend für den Fatalismus ist die Annahme einer universell wirkenden Instanz als gemeinsame Ursache der einzelnen von ihr festgelegten Schicksale. Diese Instanz kann eine Gottheit sein, deren Vorsehung die Welt lenkt, oder auch eine unpersönliche oder mehr oder weniger personifizierte Macht, die im Rahmen einer kosmischen Ordnung für einen vorbestimmten Ablauf der Schicksale sorgt. Wird das Schicksal ausschließlich auf eine naturgesetzliche Kausalität zurückgeführt, ohne dass damit die Vorstellung einer verursachenden, lenkenden und zwecksetzenden Instanz (Vorsehung) verknüpft ist, so spricht man von Determinismus.“

Dieser Determinismus lässt eben keine Akteure zu. Wenn Du sagst, dass ein Mensch ein Akteur ist und ihn das frei macht, dann begrenzt diese Freiheit den totalen Determinismus.
Nach dieser Determinismusdefinition wärst Du also selbst auch Libertarier.
Da Du mir eine alternative Determinismusdefinition geliefert hast, kann ich aber Deinen Standpunkt nachvollziehen und sehe ihn auch als schlüssig an.
Vollbreit hat allerdings diese Definition, die sich in den Auswirkungen vom Fatalismus nicht unterscheidet, akzeptiert und redet sich um Kopf und Kragen, weil er versucht zu erklären, dass der Mensch trotzdem Akteur sein kann, um das zu begründen aber immer eine Lücke in diesen Determinismus schlagen muss. Das meine ich mit schwammiger Begriffsdefinition. Bin mal gespannt, wie lange das noch so geht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Den Text von Huisken kenne ich und finde ich großartig. Ich mag Polemik, wenn sie richtig angewendet wird und ich finde, Huisken hat die Ansicht von Roth hier gnadenlos analysiert und in Einzelteile zerlegt, die nicht mehr zusammenzusetzen sind.

Aber dennoch zwei Anmerkungen: erstens ist der Text relativ alt, er bezieht sich auf einen Roth von vor einigen Jahren, der aber inzwischen - soweit ich weiß - seine Meinung ziemlich grundlegend geändert hat.


Er vielleicht, aber seine Bücher werden nach wie vor verkauft und es gibt immer noch einige, die diesen Humbug glauben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und zweitens, mal etwas Grundsätzlicher bezüglich der harten Deterministen: […]
Aber dennoch darf man den harten Deterministen nicht etwas unterstellen, was sie gar nicht vertreten.


Gut, das war auch nicht Roth, aber Wolf Singer hat eindeutig gesagt, dass sein harter Determinismus auch für Strafen eine Begründung liefert (ich hab allerdings den Text nicht mehr vorliegen). Also gibt es zumindest einige, die so eine Sicht haben. Ich will es ja auch nicht allen unterstellen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich möchte nun nochmal den hier meiner Ansicht nach wesentlichen Punkt hervorheben: (einige / viele) Inkompatibilisten scheinen aus einem mir nicht einsichtigen Grunde zu meinen, dass Determinismus bedeuten müsse, dass Menschen / Personen / Subjekte / Akteure keine Determinanten seien, sondern nur machtlose außerhalb der Welt stehende Dinge / Entitäten, die selber keinerlei keinen Einfluss auf die Welt haben könnten.


Nein, nicht außerhalb der Welt stehend, sondern einfach nur reine Reakteure, von denen aus keine Handlung ausgehen kann. Für die unterscheidet sich ein Mensch nicht von einem Stein. Oder eben doch, aber dann, weil der Mensch nicht komplett determiniert ist (das wäre der Libertarier).

AgentProvocateur hat geschrieben:Sie scheinen zu meinen, in einer determinierten Welt könnten überhaupt keine Personen / Subjekte / Akteure entstehen.


Das meinen sie, ja. Das geht nach ihrer Determinismusdefinition nämlich gar nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber diese Ansicht ist meiner Meinung nach falsch, zumindest aber per se erst mal wenig einsichtig: wenn alles Teil der Welt ist, dann auch Personen. Und dann ist es auch folgerichtig, anzunehmen, dass Personen einen kausalen Einfluss auf die Welt haben. Indeterministen scheinen irgendwie Personen als einen cartesischen Homunkulus zu sehen, als Dinge / Entitäten, die zusätzlich zur eigentlichen Welt außerhalb dieser existieren würden, aber ohne Einflussmöglichkeit auf die Welt, als reine unbeteiligte Zuschauer eines Geschehens, das außerhalb von ihnen einfach so abläuft.


Nein, das trifft es nicht ganz. Sie sehen Personen eben überhaupt gar nicht erst als Personen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun gut, wäre dem so, dann hätten sie mit ihrer Ansicht recht, dass es keine Freiheit gäbe, denn ein unbeteiligter Zuschauer eines Geschehens ohne Einflussmöglichkeit kann voraussetzungsgemäß nichts tun, das Geschehen nicht beeinflussen, ist machtlos und somit (auch nach meinem Verständnis) unfrei. Jedoch: das wäre dann keine naturalistische Ansicht mehr, denn nach Ansicht eines Naturalisten gibt es eben keine solche zusätzlichen, außerhalb der eigentlichen Welt stehenden Entitäten. Und aus einem (wie auch immer strengen) Determinismus folgt das nun auch mitnichten, das ist eine metaphysische Zusatzannahme, die zumindest mir (da ich Naturalist bin) extremst unplausibel erscheint. Ich würde gerne mal eine Begründung dafür sehen und ich meine, die muss auch geleistet werden, wenn das anerkannt werden soll.


Plausibel ist das im Sinne des harten Determinismus sowieso nicht. Da sind wir uns ja eh einig. Aber wenn wir davon ausgehen, dass Indeterministen die von mir genannte Definition von Determinismus haben, die dem Fatalismus bis auf die erste Ursache gleich kommt, dann wird zumindest die Position des Libertariers schlüssig.
Der Unterschied ist vielleicht, dass es für den Inkompatibilisten nur eine Determinierung gibt während es für den Kompatibilisten mehrere Determinierungen gibt (jede aktive Handlung setzt eine neue Kausalkette in Gang).

AgentProvocateur hat geschrieben:Mit anderen Worten: wir - als Teil der Welt, ausgestattet mit Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit - haben einen Einfluss auf die Welt, das Weltgeschehen, sind nicht nur Getriebene, sondern auch Akteure. Ein wie auch immer gearteter Determinismus ist absolut kein Widerspruch dazu. Und wenn doch: dann müsste das nachvollziehbar dargelegt werden, das ist zumindest nicht per se einfach selbstverständlich.


Der einzige Determinismus, der ein Widerspruch dazu ist, ist einer, der per Definition ausschließt, dass irgendwas in der Welt Erkenntis- oder Reflexionsfähigkeit haben könnte und alles somit nur reaktiv ist. Und genau das macht der Determinismus des Inkompatibilisten.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Di 3. Jan 2012, 12:19

Vollbreit hat geschrieben:Das Beispiel mit der Bahn hinkt ein wenig, weil man da ja tatsächlich keine Wahl hat. Im kompatibilistischen Szenario hast Du aber eine echte Wahl.

Im Determinismus hat man eine echte Wahl? Seit wann das denn? Du selbst hast doch zugestimmt, dass man festgelegt ist. Bei gleichen Ursachen (Weichenstellungen) wählt man das gleiche Hotel (folgt die Lok der Weiche). Inwiefern ist die Wahl einer Person "echter" als die der Lok?

Vollbreit hat geschrieben:Du willst in den Urlaub fahren, fährst auf eigene Faust mit dem Wagen, kommst an und siehst dann, dass Dein Lieblingshotel abgebrannt ist. Was würdest Du denken? Vielleicht auch sowas wie: „Verdammt, hätte ich das vorher gewusst“? Dann hättest Du Dich anders entscheiden können, so hast Du das aber nicht tun können, da Du es vorher nicht wusstest und dass Du die Information nicht vor Deiner Abreise bekommen hast, das war determiniert.

Ich übertrage mal ins Analogon: Die Lok kommt auf eigene Faust an und sieht dann, dass die Weiche 17 auf rechts gestellt ist. Was denkt sie? Vielleicht sowas wie: "Verdammt, hätte Weiche 16 bereits auf recht gestanden"? Dann hätte ich jener Weiche bereits folgen können, so habe ich das aber nicht tun können, da die Weiche 16 nicht auf rechts stand, das war terminiert.

Die Weiche 16 ist analog zu der Vorinformation für den Reisenden.
Weiche 16 = rechts :: Reisender weiß vor der Abfahrt, dass A abgebrannt ist
Weiche 16 = geradeaus :: Reisender weiß nichts vom Brand
Nun folgt der Reisende der Weiche 16 je nach Zustand. Wenn man nichts weiß, dann steuert man sein Auto gemütlich nach A. Wenn man es weiß, bucht man sofort um und fährt nicht nach A.

Der Reisende hat nicht mehr oder weniger Freiheiten als die Lok. Oder?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, dieses Bild erscheint mir deswegen falsch, weil hierbei die Schienen vorher schon daliegen, die Schienen nichts mit der Lok zu tun haben, die Lok keinen Einfluss auf den Verlauf der Schienen hat. Erst sind die Schienen da, dann kommt die Lok. Aber dieses Bild des Determinismus erscheint mir im Falle einer entscheidenden Person falsch, denn es müsste eine Schienenverlegungsfähigkeit der Person enthalten sein.

Du unterscheidest hier zwischen zwei Ursachenkategorien. Einmal die Ursachen, die von außen kommen und einmal die Ursachen, die man der Person zuordnet. Die Information, dass das Hotel A abgebrannt ist, wäre dann eine "äußere Ursache". Die Tatsache, dass die Person nunmal lieber Käse mag, wäre eine "innere" Ursache. Es stimmt, beide Fälle würden in der Analogie als eine Weiche auftauchen. In der Analogie wird nicht zwischen inneren und äußeren Ursachen unterschieden. Aber wieso muss man das denn auch? Eine innere Ursache ist ebenso wie eine äußere Ursache im Determinismus festgelegt und kann eben nicht von der Person verlegt werden. Oder kannst du (ohne die Hilfe anderer, äußerer Ursachen) deine Käsevorliebe in eine Wurstvorliebe umwandeln?

Nenn mir bitte eine einzige innere Ursache U2, die eine Person selber verändern kann. Dann werde ich annehmen dürfen, dass diese Person für diese Änderungen einen Grund hatte, nennen wir ihn U1. Und dann kann ich dir die analoge Lok-Szene beschreiben, bei der die Lok erst der Weiche U1 folgt und dann der Weiche U2.
Oder anders formuliert, bevor ich meine geliebten Loks wegwerfe, nenne mir bitte ein konkretes Personenbeispiel, das sich nicht auf Loks abbilden lässt.

Deine beiden Bilder (ein einziges Vergnügen, die literarisch schön geschriebenen Bilder zu lesen) verwerfe ich dagegen, wen überrascht es, ungleich bereitwilliger. In beiden Bildern ist das wesentliche Merkmal des Determinismus nicht enthalten, nämlich die Ursache-Wirkung-Beziehung. Die Person wählt in beiden Fällen einen Weg und geht ihn dann deshalb, weil sie ihn gewählt hat. Du erklärst nicht, wieso sie ihn gewählt hat. Das nenne ich erstmal "akausal". Die Wahl geschah sozusagen ohne Ursache (und damit laut inkompatibilistischer Definition tatsächlich frei). Du versuchst dann nachträglich den Bogen zum Determinismus zu schlagen durch die Einführung eines nachträglichen Mechanismus (alle anderen Türen sind zu oder der Weg ist der einzig gangbare Tunnel). Aber so ist es in dieser Welt ja nachweislich nicht. Erst kommt die Ursache und dann die Wirkung. Die Person müsste in deinem Bild genau deshalb die Tür X wählen, weil sie entriegelt ist, dann wäre es eine korrekte Analogie. Und dann würde die Wahl auch anders ausfallen, sobald der Hausmeister den Mechanismus deaktiviert. Ebenso in Bild 2 würde die Person andere Wege nehmen, sobald die Ursache "Tunnel" entfällt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Di 3. Jan 2012, 12:49

ganimed hat geschrieben:Im Determinismus hat man eine echte Wahl? Seit wann das denn?


Schon die ganze Zeit.

ganimed hat geschrieben:Du selbst hast doch zugestimmt, dass man festgelegt ist. Bei gleichen Ursachen (Weichenstellungen) wählt man das gleiche Hotel (folgt die Lok der Weiche). Inwiefern ist die Wahl einer Person "echter" als die der Lok?


Eben, man wählt das gleiche Hotel, weil die gleichen Bedingungen herrschen.

ganimed hat geschrieben:Ich übertrage mal ins Analogon: Die Lok kommt auf eigene Faust an und sieht dann, dass die Weiche 17 auf rechts gestellt ist. Was denkt sie? Vielleicht sowas wie: "Verdammt, hätte Weiche 16 bereits auf recht gestanden"? Dann hätte ich jener Weiche bereits folgen können, so habe ich das aber nicht tun können, da die Weiche 16 nicht auf rechts stand, das war terminiert.

Die Weiche 16 ist analog zu der Vorinformation für den Reisenden.
Weiche 16 = rechts :: Reisender weiß vor der Abfahrt, dass A abgebrannt ist
Weiche 16 = geradeaus :: Reisender weiß nichts vom Brand
Nun folgt der Reisende der Weiche 16 je nach Zustand. Wenn man nichts weiß, dann steuert man sein Auto gemütlich nach A. Wenn man es weiß, bucht man sofort um und fährt nicht nach A.

Der Reisende hat nicht mehr oder weniger Freiheiten als die Lok. Oder?


Das Beispiel ist schlecht, Agent hat es kritisiert, ich auch.
Wir reden ja von lebenden Menschen, die entscheiden können, Du denkst nur immer, dass sie es nicht könnten und obendrein nur konditionierte biologische Automaten sind.
Ich glaube (mit den Kompatibilisten) dass es freie Menschen sind, weil sie gemäß ihrer Überzeugungen entscheiden agieren können.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Di 3. Jan 2012, 13:12

Vollbreit hat geschrieben:Eben, man wählt das gleiche Hotel, weil die gleichen Bedingungen herrschen.

Die Lok fährt die gleichen Schienen entlang, weil die gleichen Weicheneinstellungen herrschen. Die Analogie passt doch.
Meine Frage wiederhole ich deshalb: Inwiefern ist die Wahl einer Person "echter" als die der Lok?

Vollbreit hat geschrieben:Wir reden ja von lebenden Menschen, die entscheiden können

Die Loks können auch entscheiden. Die Entscheidung lautet, je nach Weichenstellung, links, rechts oder geradeaus.

Vollbreit hat geschrieben:Du denkst nur immer, dass sie es nicht könnten und obendrein nur konditionierte biologische Automaten sind.

Genau damit solche allgemeinen Argumente für mich griffiger werden, würde ich gerne bei der Analogie bleiben. Kannst du diesen Vorwurf sozusagen umformulieren als Vorwurf an meine Analogie? Was ist falsch an Loks?

Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube (mit den Kompatibilisten) dass es freie Menschen sind, weil sie gemäß ihrer Überzeugungen entscheiden agieren können.

Die Loks entscheiden und agieren gemäß der Weichen. Wieso ist es falsch, Überzeugungen analog zu Weichen zu sehen?
Habe ich die Überzeugung X, dann handle ich entsprechend :: steht die Weiche 21 so, dann fahre ich auch so
Die Lok handelt also ebenso gemäß ihrer Überzeugung, oder anderer kausaler Ursachen, wie der Mensch es tut. Überzeugungen, Prägungen, Vorlieben, Informationen, Abwägungen, all das ist in der Analogie jeweils eine Weiche. Was sollte mit dieser Analogie nicht stimmen?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Di 3. Jan 2012, 14:22

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Eben, man wählt das gleiche Hotel, weil die gleichen Bedingungen herrschen.


Die Lok fährt die gleichen Schienen entlang, weil die gleichen Weicheneinstellungen herrschen. Die Analogie passt doch.
Meine Frage wiederhole ich deshalb: Inwiefern ist die Wahl einer Person "echter" als die der Lok?


Warum pochst Du auf diese Analogie, die nichts verdeutlicht, sondern nur verkompliziert?
Eine Lok denkt und entscheidet nicht, ein Mensch schon. Ein Mensch kann Begründungen geben, eine Lok nicht mal sprechen. Auf Analogien greift man zurück, wenn sie Zusammenhänge erhellen, nicht verdunkeln.

Ich habe bei Dir bisher den Eindruck gehabt, dass Du ernsthaft diskutieren möchtest und bemüht bist Deine Diskussionspartner zu verstehen. Diese Analogie ist einfach unglücklich, lass sie fallen.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wir reden ja von lebenden Menschen, die entscheiden können


Die Loks können auch entscheiden. Die Entscheidung lautet, je nach Weichenstellung, links, rechts oder geradeaus.


Aber schon hier wird doch klar, dass die Lok gar nichts tut. Sie entscheidet eben nicht, die Schienen liegen da, sie kann ihnen nur folgen. Mir ist klar, dass Du dieses Bild auch von Determinismus hast, aber hier greift Dein Bild zu kurz. Man kann eben doch etwas ändern, der Mensch fährt nicht auf Schienen, er ist zwar determiniert, aber eben auf eine sehr komplexe Art. Für ihn spielen Gründe eine Rolle, das Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen ist für manche die zentrale Definition von Menschsein (bzw. für diskursive Wesen). Die Schienen sind wenn man die Analogie nehmen will, bloße Ursachen, keine Gründe.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Du denkst nur immer, dass sie es nicht könnten und obendrein nur konditionierte biologische Automaten sind.


Genau damit solche allgemeinen Argumente für mich griffiger werden, würde ich gerne bei der Analogie bleiben. Kannst du diesen Vorwurf sozusagen umformulieren als Vorwurf an meine Analogie? Was ist falsch an Loks?


Ungefähr alles. Sie leben nicht, können nicht denken oder fühlen und haben keinen eigenen Willen, die entscheiden gar nicht. Die diskutieren auch nicht über Willensfreiheit. Du könntest auch einen Flummi oder eine Scheibe Toast als Analogie nehmen.
Die wird im Toaster braun, ein Mensch in der Sonne auch, nur der Mensch kann sagen: „Boah, ist mir warm“ oder wissen, dass er am nächsten Morgen krebsrot ist und in der Schatten gehen, eine Scheibe Toast muss warten bis sie nach oben gehievt wird und die Glühdrähte aus gehen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube (mit den Kompatibilisten) dass es freie Menschen sind, weil sie gemäß ihrer Überzeugungen entscheiden agieren können.

Die Loks entscheiden und agieren gemäß der Weichen. Wieso ist es falsch, Überzeugungen analog zu Weichen zu sehen?[/quote]

Nein, weder entscheiden, noch agieren (handeln) sie, sie fahren einfach, weil sie jemand gebaut hat und reagieren wollkommen passiv auf die Weichen. Das alles ist beim Menschen vollkommen anders.
Du fragst jemanden den Du nicht verstehst auch: „Warum hast du das getan?“ „Warum denkst du so?“ „Warum sagst du das?“
Du willst den anderen doch verstehen, das sieht man daran, dass Du Dir hier wirklich Mühe gibst, überhaupt nicht ad hominem argumentierst und immer wieder versuchst, die Sache zu drehen, damit man auch einen gemeinsamen Nenner kommt, auch die Lok-Analogie war von diesem Gedanken motiviert.
Und wenn ich Dir nun sage, dass ich in Wirklichkeit der größte Fan vom Papst bin, dann würdest Du mich vermutlich fragen, warum ich so denke.
Ich würde dann meine Sprüchlein runterrasseln und wenn die nicht völlig indiskutabel wären, würdest Du vermutlich versuchen, mich vom Gegenteil zu überzeugen, oder wenigstens versuchen meine Widersprüche aufzudecken.
Streng genommen dürftest Du mit mir aber gar nicht diskutieren, weil Du dabei implizit auf eine Fähigkeit von mir setzt, die Du explizit leugnest: Dass ich nämlich ein einsichtiges Wesen bin, dass bei den richtigen Argumenten ins Nachdenken kommt und fast gezwungen ist, mich guten Gründen nicht zu verweigern, „der eigentümlich zwanglose Zwang, der besseren Argumente“ nennt Habermas das, fast poetisch. Du glaubst, dass ich diesem Zwang unterliege, sonst dürftest Du Dich keine Sekunde mit mir austauschen und ich glaube das von mir und von Dir auch.
Aber wenn Du in Deinem Sinne an Determinismus glaubtest, dann müsstest Du die Messe für gelesen halten, weil ich eh nicht zu überzeugen bin („unsere Verschaltungen legen uns fest“, meint W. Singer), aber ich habe meine Meinung geändert, was eigentlich in Deiner Welt gar nicht sein dürfte. Kann natürlich sein, dass ich lüge, aber ich habe mit Agent einen Zeugen, aufgrund der Diskussion mit ihm (in einem anderen Forum) habe ich nämlich meine Meinung geändert. Kann natürlich auch sein, dass das ein abgekartetes Spiel ist und Agent mich nur gemietet hat, aber irgendwann wird es absurd und ich glaube, Du hast ein Gefühl dafür, dass das nicht so ist.

ganimed hat geschrieben:Habe ich die Überzeugung X, dann handle ich entsprechend :: steht die Weiche 21 so, dann fahre ich auch so


Okay, aber habe ich die Überzeugung X und bekomme die Information Y, entscheide ich anders. Das kann die Lok nicht, da die Weiche gestellt ist.
Um die Analogie etwas griffiger zu machen, sitzt Du in einer Lok mit vielen verästelten Weichen und erhältst während der Fahrt Informationen über die Gebiete, in die die Weichen Dich vermutlich bringen und dann kannst Du von der Lok aus die Weichen umstellen.
Daraus ergeben sich sehr sehr viele Möglichkeiten, aber die alle stünden fest. Das trifft es aber nur halb, weil auch feststeht, dass Du nach 5 Millionen Entscheidungen genau da landen wirst, aber jede Entscheidung war von Dir getroffen, erst vielleicht blind, dann immer wissender, was Dich erwartet, wenn in der Ferne ein Gebirge auftaucht, so das Du sagst, „ach nee, dahin lieber nicht“.

ganimed hat geschrieben:Die Lok handelt also ebenso gemäß ihrer Überzeugung, oder anderer kausaler Ursachen, wie der Mensch es tut. Überzeugungen, Prägungen, Vorlieben, Informationen, Abwägungen, all das ist in der Analogie jeweils eine Weiche. Was sollte mit dieser Analogie nicht stimmen?


Kausale Ursachen sind keine Gründe.
Bei einer Ursache hat man keine bewusste Wahl. Hammer auf die Kniesehne, es folgt der Reflex, immer wieder, auch wenn Dir das Spiel zu blöd wird, Du kannst nicht anders.
Hast Du einen Grund, kannst Du ihm folgen, musst es aber nicht.

Du könntest sagen, dass die Ampel rot ist und Du allen Grund hättest jetzt anzuhalten, aber weil Du jemanden am Straßenrand aufgelesen hast mit dem Verdacht auf einem frischen Infarkt und gerade nicht viel los ist auf den Straßen und Du Dich gut auskennst, beschließt Du, auf dem Weg ins Krankenhaus, die roten Ampeln großzügig zu ignorieren, weil in Deiner Wertehierarchie ein Menschenleben höher wiegt als ein Strafmandat und Du vielleicht auf die Einsicht der Behörden setzen würdest oder es Dir, wenn die uneinsichtig wären, die Strafe wert wäre.
Du könntest aber auch sehr konventionell determiniert sein, weil Dein Vater ein zwangsgestörter Lateinlehrer war und Deine Mutter die Teller immer schon weggeräumt hat, noch bevor der letzte Bissen im Mund war. Dann hast Du vielleicht ein Gefühl der Eile, würdest aber nie auf die Idee kommen, eine rote Ampel zu überfahren, weil Dein Wertekompass ungefähr so aussieht: „Wenn das jeder machen würde. Wehrt den Anfängen.“ Und Du würdest es zwar sehr bedauern, wenn der neben Dir auf dem Beifahrersitz langsam verreckt, aber Du wärst Dir sicher Dein Äußerstes getan zu haben, schließlich bist Du in der 30er Zone schon mit schlechten Gewissen 38 gefahren.

Beide Einstellungen kann man haben und es ist klar, dass jemand der genau eine dieser Einstellungen hat, auf dem Boden seiner guten Gründe, die er in beiden Fällen hat, anders entscheiden wird. Egal wie die Geschichte ausgeht, ich will hier nicht moralisieren, er wird in der äußerlich gleichen Situation, gemäß seiner inneren Vorgaben und Überzeugungen einmal so und einmal anders handeln und wie auch immer die Wahl ausfällt, für beide Seiten gibt es Argumente und in beiden Fällen hat man sich auf dem Boden eigener Überzeugungen so und nicht anders entschieden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 15:06

Vollbreit hat geschrieben:Gute Frage.
Darauf gibt es zwei Teilantworten.
Erstens, sieht der K. Freiheit nicht im Widerspruch zum Determinismus, das ist die Grundposition des K. Zweitens, ist so etwas wie Freiheit m.E. aber auch nur möglich, weil es einen gewissen Grad an Determiniertheit in der Welt gibt, insofern muss ich meine obige Aussage korrigieren.


Einen gewissen Grad? Aber die Freiheit wäre ja dann trotzdem die Lücke im Determinismus, also wäre es durch die Freiheit immer nur zu einem gewissen Grad. Du bist also Libertarier und kein Kompatibilist (Deine Argumentation unterscheidet sich auch ziemlich von der von AgentProvocateur, dazu gleich mehr).

Vollbreit hat geschrieben:Du wählst 110 und weißt, dass das die Polizei ist, etwas rollt vom Tisch und fällt zu Boden, nicht an die Decke, Du gähnst und bist vielleicht müde, siehst jemand anderen gähnen und ahnst, der könnte müde sein. Das alles sind Dinge, die Du weißt, die gewohnheitsmäßig immer wieder so ablaufen.
Wäre man freier, wenn man bei 110 einmal Frau Meier, dann das Stadtbad, dann den Vogelzuchtverein an die Strippe kriegt? Wenn Gegenstände manchmal auf den Boden fallen, manchmal aber auch im Raum schweben oder sich zur Decke bewegen? Wenn Gähnen manchmal Traurigkeit, dann wieder Hunger aber manchmal auch sexeulle Erregung bedeuten kann?


Man wäre auch nicht unfreier. Frei ist man, weil man eine Entscheidung treffen kann, was sich daraus ergibt, ist für die Freiheit selbst irrelevant. Aber darum geht es nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Der K. vertritt ja den härtesten Determinismus.


Nein, AgentProvocateur tut es jedenfalls nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Was Du aber zu denken scheinst ist: Reflexion des eigenen Determiniertseins bedeutet, ich erkenne, dass ich wie ferngesteuert durch die Welt gehe und daran kann ich nichts ändern.


Nein, man kann das eigene Determiniertsein gar nicht erst reflektieren und wenn doch, ist man nicht determiniert, bzw. man kann nur reflektieren, es nicht zu sein.

Vollbreit hat geschrieben:Die K. meinen aber: Ich erkennen, dass ich streng determiniert bin, aber diese Erkenntnis, bringt eine neue Ebene ins Spiel.
Bevor Du das verwirfst, überleg Dir nur mal ein paar Sekunden, was denn die aufdeckende Psychotherapie macht. Du gehst ja zur Psychotherapie, weil Du an irgendeiner Stelle im Leben immer wieder in die gleiche Falle trittst.
Die Umstände dessen was gewesen ist sind ja nun nicht mehr zu ändern, auch wenn man noch mal drüber redet, aber warum tut man’s dann? Man tut es deshalb, weil man glaubt, dass, wenn jemand in bestimmte Muster eingebunden ist und man ihm diese Muster zeigen kann, er sie kennt und dann, qua seines Wissens über die Zusammenhängen selbst entscheiden kann, dort, wo der bisher nur Reiz-Reaktions-Mustern entsprechend reagieren konnte.


Das ist aber etwas anderes. Allein schon die Möglichkeit, dass Du eine reflektive Therapie machen kannst, widerspricht doch schon einem totalen Determinismus.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich weiß inzwischen worauf Du hinaus willst, aber Deine Formulierung ist so nicht triftig genug.


Dann zieh doch Deine Schlüsse daraus und nicht die der Hirnforscher.


Ich habe nie die Schlüsse der Hirnforscher aus irgendwas gezogen.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn das alles nur blinde Prozesse sind, die naturgesetzlich oder sonst wie ablaufen, dann ist der freie Wille nicht gegeben, aber genau das ist das Problem, bei den Ansätzen, die die Subjekte marginalisieren. Es lassen sich schon aus gutem Grund Subjekte formulieren, man kann die Welt sogar besser erklären, wenn man unterstellt, es gäbe Subjekte, die frei entscheiden.


Sehe ich auch so. Aber damit sagst Du ja, dass es keinen totalen Determinismus gibt, der ausschließen könnte, dass es Akteure gibt oder der Akteur als solcher durch seine Freiheit zu entscheiden eben einen Bruch im Determinismus darstellt.

Vollbreit hat geschrieben:Kann man doch machen, dann wäre der freie Wille so etwas wie eine plantonische Idee, an der man unterschiedlichen Anteil hat.


AgentProvocateur sieht das anscheinend anders, was auch sehr schlüssig klingt, aber eben der Diskussion die Wendung gibt, dass man nur noch von Freiheit des Subjekts vs. Determinismus sprechen kann.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:„Der Wille ist frei, wenn …“ kann ja nur dann ein sinnvoller Satzanfang sein, wenn der Wille ein „etwas“ ist, das frei sein kann.
…dass „Der Wille ist frei“ kein allgemein brauchbarer Satz ist, wenn nicht übereinstimmend definiert ist, was der Wille sein könnte….


Innehalten, refletieren und begründet entscheiden zu können.


Das ist eine ungültige Definition für einen Gegenstand oder eine Idee „Wille“. Wie AgentProvocateur sagte, gibt es im Menschen keine eigenständige Entität, die so was kann, nur der Mensch selbst ist eine solche Entität.

ganimed hat im Eingangsthread folgende Definition gegeben:
ganimed hat geschrieben:Ich verstehe darunter die Fähigkeit eines Menschen, sich für etwas zu entscheiden, ohne dabei kausal zu 100% abhängig von Faktoren zu sein, die letztendlich (also wenn man den Ursachenketten folgt) außerhalb dieses Menschen liegen. Der freie Wille wäre für mich also die Vermeidung von totaler, kausaler Fremdbestimmung.


Nach dieser Definition kann tatsächlich kein freier Wille bestehen, wenn alles kausal bedingt ist und ein totaler Determinismus wäre ja, dass alles kausal ist. Es muss also zwischen Gründen und Entscheidung ein Konditionalverhältnis vorliegen, was mit einem totalen Determinismus unvereinbar ist.

Vollbreit hat geschrieben:Und der Kompatibilist erklärt, dass es doch geht.
Es ist determiniert, dass ich heute um 13:24 einen Anruf bekomme, von dem ich jetzt noch nicht weiß, dass ich ihn bekomme, doch wenn ich ihn erhalten habe, ändern sich bestimmte Bedingungen in meinem Leben, auf die ich dann frei (nach der Abwägung des Für und Wider) entscheiden kann.


Dann bist Du aber nicht mehr determiniert, wenn Du das selbst entscheiden kannst.

Vollbreit hat geschrieben:Nein, über den Determinismusbegriff sind sich alle einig.


Dann lies mal die Diskussion hier zwischen AgentProvocateur und mir und erklär mir, wie Dein Satz mit der Diskussion vereinbar ist.

Vollbreit hat geschrieben:Uneinig ist man sich über die Konsequenzen. Ink. behaupten, dass wenn wir determiniert sind, es keinen freien Willen geben kann, daraus machen die harten Deterministen, dass der Mensch determiniert ist und deshalb keinen freien Willen haben kann (das wäre die Position von ganimed und Dissidenkt) und die Libertarier, dass der Mensch offensichtlich frei ist und es Ursachen aller Art daher nicht geben kann, oder der Wille außerhalb derselben steht, wie auch immer das zu denken ist.
K. behaupten, dass der Mensch determiniert ist und Freiheit nicht verunmöglicht wird.


Wenn der Mensch determiniert ist, kann er aber kein Akteur sein. Da Du annimmst, dass der Mensch einer ist, musst Du entweder wie AgentProvocateur Deinen Determinismusbegriff daran anpassen oder Du bist eigentlich Libertarier. Du bist hier sehr unklar, während ich AgentProvocateurs Position klar nachvollziehen kann. Vielleicht fühlst Du Dich deshalb mit der Lösung der Kompatibilisten noch nicht so wohl?

Vollbreit hat geschrieben:Aber nun lass uns doch nicht ewig die Suppe wieder aufkochen.


Du zwingst mich ja dazu. ;-)

Vollbreit hat geschrieben:Also, wenn Du sagst, der reine Zufall vergrößert die Freiheit eigentlich nicht und das hast Du gesagt und nun sagst, die Willkür (und Irrationalität ist im Grunde dasselbe) vergrößert die Freiheit auch nicht, dann folgt daraus zwingend, dass Zufall und Willkür keine geeigneten Kandidaten für eine Vergößerung oder Erzeugung von Freiheit sind. Denn die Freiheit, um die es geht, besteht darin auswählen zu können, ob zwischen 2 oder unendlich vielen Optionen ist dabei nur ein quantitativer Unterschied.


Ich sagte „nicht allein“. Aber die Kombination aus Zufall und Kauslität kann Freiheit erzeugen. Oder meinetwegen auch, dass es eine Welt gibt und dass es Subjekte gibt, die als Akteure in der Welt agieren können. Ein Subjekt ohne Welt ist eine absurde Vorstellung und in einer Welt ohne Subjekte ist Freiheit nicht vorstellbar. Ein totaler Determinismus schließt aber das Vorhandensein von Subjekten aus.

Vollbreit hat geschrieben:Und dieses „Ich habe die Fähigkeit zu wählen“ („Ich könnte auch anders“) bringt Dich (als agierendes Subjekt) genau und nur dann ins Spiel, wenn Du tatsächlich irgendwelche Gründe dafür hast, A und nicht B gewählt zu haben. Seien es emotionale Präferenzen („Es gefiel mir spontan besser“), seien es Gründe, die Du gar nicht kennst („Ich habe mich Hals über Kopf in sie verleibt, warum, weiß ich eigentlich auch nicht so genau, aber dass ich verliebt bin, da bin ich mir sicher“), sei es ein akribisches Auflisten der Vor- und Nachteile mit hierarchischer Gewichtung, am Ende kommt immer heraus, dass Du unterschreiben kannst, dass Du im Moment der Wahl A und nicht B gewollt hast.


Sprichst Du von Gründen oder Ursachen? Wenn es Gründe sind, was macht hier exakt den Unterschied für Dich? Wenn ich die „Gründe“ gar nicht (bewusst) kenne, trotzdem irgendwie danach handle, klingt das für mich mehr nach Ursachen und sonderlich frei würde ich mich damit nicht fühlen.

Vollbreit hat geschrieben:Nur wenn Du Gründe hast, kannst Du auch sagen: „Ich habe es so gewollt“ sonst müsstest Du sagen, dass es Dir so passiert ist und es bist nicht mehr Du, der entscheidet, sondern wer oder was auch immer. Dieser reine Zufall oder die Willkür, als Garanten für Freiheiten, hast Du aber beide ausgeschlossen.


Der harte Determinist sagt ja auch, dass Du das sagen müsstest, weil Du ja gar nicht gewollt haben kannst und wenn Du das Gefühl hast, dass Du gewollt hast, dann spielt Dir Dein Gehirn einen Streich oder was auch immer. Es ist absurd, aber was Du als Gegenargument bringst, ist das eines Libertariers. Einem Libertarier reichen auch Gründe, aber unterscheidet zwischen Ursachen (Determinismus) und Gründen, was Du auch tust. Deswegen verstehe ich nicht, warum Du den Determinismus verteidigst.

Vollbreit hat geschrieben:Der Zufallsgenerator trifft eine zuällige Entscheidung, aber keine die man will, höchstens mal eine, die man zufällig will.


Wenn der Zufallsgenerator aber überhaupt erst erzeugt, was man will? Ich sehe es zwar nicht so, aber es ist zumindest denkbar.

Vollbreit hat geschrieben:Bleiben wir beim Alltag. Du gehst zur Arbeit oder Uni, Mittagspause, Kantine. Eigentlich hättest Du Bock aus Jägerschnitzel mit Pommes und Cola, gibt es auch, aber Zufall verdonnert Dich zur Erbsensuppe mit Möhrensaft.


Darum ging es mir nicht, sondern darum, dass der Zufall mich dazu verdonnert, Jägerschnitzel mit Pommes und Cola zu wollen. Ob ich das essen werde, ist eine ganz andere Frage, ich kann meine Gründe haben, trotzdem was anderes zu essen. Ich habe manchmal Appetit auf Fleisch, obwohl ich Vegetarier bin. Ich werde mich also trotzdem nicht dazu entscheiden, Fleisch zu essen, obwohl ich Lust darauf hätte, weil ich andere rationale Gründe habe, dies nicht zu tun. Das ist der klassische Unterschied zwischen Wille und Vernunft. Frei bin ich, weil ich beides habe. Wenn ich nur meinem Willen folgen würde, wäre ich nicht sonderlich frei. In dem Sinne wäre der Wille das Es, die Vernunft das Über-Ich und das gesunde Ich wäre die richtige Mischung, die mir größtmögliche Freiheit ermöglicht. Hier sind wir nur auch schon wieder im Bereich der Dialektik.

Das andere Beispiel spare ich mir dementsprechend mal.

Vollbreit hat geschrieben:Warum entscheiden denn die Gründe über uns? Du hast Gründe, für Deine Wahl, die schwirren nicht draußen rum und machen was mit Dir, es sind Deine. „Ich will, weil…“ das ist Deine Nummer und nur Deine.


Das ist ein schönes Argument gegen den Determinismus. Aber ich sehe Dich mit dieser Begründung wieder auf der Seite des Libertariers.

Vollbreit hat geschrieben:Du hast die Gründe, es sind Deine, der Zufall ist eben zufällig, das kann nicht Deiner sein, nichts mit dem Du Dich identifizieren kannst.


Ich kann mich auch nicht mit Gründen identifizieren. Ich kann Gründe benutzen, aber ich werde niemals die Gründe sein, genauso wenig wie ich mein Wille, meine Gedanken, meine Wahrnehmung o.ä. bin.

Vollbreit hat geschrieben:Weil per def niemand über den Zufall entscheiden kann, sonst wäre er kein Zufall, sondern eine Gesetzmäßigkeit. Und Gründe könnten nur über Dich entscheiden, wenn sie Geister wären, die irgendwelche Hirnprozesse bei Dir verändern. Gründe sind aber Deine Begründungen für Deine Wahl, sind im ureigensten Sinne mir Dir verbunden.


Du entscheidest auch nicht über Gründe, die Gründe sind auch einfach da, die hast Du Dir nicht ausgesucht, Du triffst erst eine Entscheidung, nachdem Du die Gründe hast. Was ist daran nicht zufällig? Inwiefern hast Du da selbst Kontrolle drüber, WELCHE Gründe sich Dir präsentieren werden, nach denen Du eine Entscheidung treffen kannst? So wie Du das formulierst klingt das schon fast solipsistisch, dass Du selbst Deine Gründe „machst“, also gibt es eigentlich keine Welt um Dich herum, die auf Dich einwirkt, sondern höchstens eine auf die Du einwirken kannst.

Vollbreit hat geschrieben:Es wird so lange über Dich entschieden, wie Du kein bewusstes Ich hast.


Was Du nach der Determinismusdefinition der Inkompatibilisten in einem totalen Determinismus auch nicht hast.

Vollbreit hat geschrieben:Dann bist Du äußeren Einflüssen ausgeleifert und zwar vollkommen.


Genau. Es sei denn, es gibt irgendeine (subjektive) Kraft, die dem entgegenwirkt.

Vollbreit hat geschrieben:Je mehr Du über Deine Vorlieben und Abneigungen weißt, umso mehr Einfluss bekommst Du auf den Prozess, der dann nicht mehr nur abläuft mit Dir als Marionette, sondern Du wirst zum Akteur.
Denk wieder an (aufdeckende) Psychotherapie.


Schon klar, aber wie gesagt macht das der Determinismus im Sinne der Inkompatibilisten ja unmöglich.

Vollbreit hat geschrieben:Dass Du weißt, wer Du bist und was Du willst. Sonst bist Du nur ein besserer biologischer Automat.


Genau der bin ich ja auch in einer total determinierten Welt. Also ist die Schlussfolgerung daraus doch, dass die Welt nicht total determiniert ist.
Als nächstes kann man sich fragen, ob so ein Determinismus, wie AgentProvocateur ihn vorschlägt, also ein veränderlicher Determinismus, in dem Akteure innerhalb der Welt den Verlauf der Dinge verändern können, trotzdem aber jede Handlung eine neue Kausalkette auslöst. Ich wüsste aber nicht, warum ein Libertarier damit Schwierigkeiten haben sollte, er müsste nur feststellen können, dass hier der Determinismus anders ist als in einem „klassischen“ totalen Determinismus.

Vollbreit hat geschrieben:Ein Stein hat überhaupt keinen Grund, denn ein Stein ist stutendoof. Er funktioniert nach Ursachen, aber Ursachen und Gründe sind nicht dasselbe. Das wusste schon Wittgenstein, die Hirnforscher haben es mitunter wieder vergessen, bzw. nie kapiert.
Das Geben und Verlangen von Gründen ist das diskursive Spiel, Katzen, Steine und Sterne spielen es nicht.


Wenn Du das unterscheidest, wie kannst Du dann behaupten, dass man nach Gründen handeln könnte, wenn gleichzeitig alles schon durch Ursachen (= Kausalität = Determinismus) bestimmt ist?

Vollbreit hat geschrieben:Man muss denken können, vermutlich in Begriffen, dazu muss man nicht nur sprechen können (denn das kein an Beo so gut wie wir) sondern verstehen, was man sagt (dass kann der Beo nicht) und sich auf weitere Festlegungen einlassen, die aus dem was man gesagt hat logisch folgen.


Und wieder muss ich fragen, wo Du hier genau im Widerspruch zum Libertarier stehen möchtest?

Vollbreit hat geschrieben:Nein, das sind Sophisten, es kommt schon auf den Inhalt an, nicht nur darauf jemandem geschickt die Worte im Mund verdrehen zu können.


Also doch.

Vollbreit hat geschrieben:Ich auch. Bis zum Beweis des Gegenteils halte ich andere nicht für Idioten.
Was Wilber und diese Geschichten angeht, diskutiere ich das gerne, nur lass uns das bitte jetzt hier raus halten, im Wilber Thread meinetwegen.


Das wollte ich eh nicht besprechen, das sollte nur als Beispiel dienen, wo ich sicher sein kann, dass Du weißt, wovon ich spreche.

Vollbreit hat geschrieben:Klar, wenn ich in einer diskriminierenden Umgebung aufgewachsen wäre, hätte ich Vorurteile schwer überwinden können.
Aber gerade das wissend, ist es doch wichtig auf die Begründung zu pochen, warum blonde, blauäugige Menschen denn „besser“ sein sollen, als andere und nicht einfach unbegründet zu behaupten, dass sie es sind. Und zu erklären, was besser heißt und auch das zu begründen.


Und Du hättest vor 100 Jahren genügend schlüssige Begründungen bekommen. Die Menschen waren damals nicht irrationaler als jetzt. Woher weißt Du also, dass Du nicht jetzt genauso in Vorurteilen denkst?

Vollbreit hat geschrieben:Klar, aber eben auch das Gegenteil.


Trotzdem (oder gerade deswegen) sagt es absolut nichts aus.

Vollbreit hat geschrieben:Wieso, sie kann tonnenweise Begründungen liefern. Wo versagt sie denn?


Lass uns das woanders besprechen, das würde hier den Rahmen sprengen.
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